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Andacht für die Woche vom 26. bis 02. Oktober 2021 - Sup.i.R. Wilhelm Niedernolte

Mon, 27 Sep 2021 07:35:55 +0000 von Klaus Fröhlich

Wenn ich dich anrufe, so erhörst du mich
und gibst meiner Seele große Kraft.
(Psalm 138,3)

Liebe Leserin, lieber Leser,
der Dichter dieses Psalms lobt Gott und dankt ihm überschwänglich. Ich danke dir von ganzem Herzen, vor den Göttern will ich dir lobsingen. Ich will anbeten zu deinem heiligen Tempel hin und deinen Namen preisen für deine Güte und Treue (Verse 1 u. 2) Er hat in seinem Leben erfahren: Wenn ich dich anrufe, so erhörst du mich und gibst meiner Seele große Kraft. Das ist seine Erfahrung mit Gott. Gott erhört sein Gebet. 
Was heißt das? Gott erfüllt seine Bitte? Gott erfüllt unsere Bitten? Im Psalm 27 wird ein kleiner, aber wichtiger Unterschied gemacht zwischen „hören“ und „erhören“. Herr höre meine Stimme, wenn ich rufe, sei mir gnädig und erhöre mich. Wir Christen glauben: Gott hört unsere Gebete. Aber erhört er auch unsere Bitten? Wir haben ihn gebeten um Genesung für einen schwerkranken geliebten Menschen, der aber nicht genesen, sondern gestorben ist. Wir bitten ihn in jedem Gottesdienst um Frieden in der Welt. Doch die Kriege nehmen kein Ende. Manchmal erhört Gott auch Gebete. Ich denke an meinen Patenonkel, der mit sechzig Jahren seine Krebsdiagnose bekam. Da war sein jüngster Sohn gerade konfirmiert worden. Er bat Gott um noch weitere zehn Jahre Lebenszeit, weil sein Sohn ihn noch brauchte, wie er zu Recht meinte. Und er bekam diese zehn Jahre, und war dafür sehr dankbar. Wenn ich dich anrufe, so erhörst du mich und gibst meiner Seele große Kraft. 
Stimmt das? Immer? 
In der Übersetzung von Martin Buber und Franz Rosenzweig lautet dieser Vers: Am Tag, da ich rief, hast du geantwortet mir, du hast mich erkühnt, in meiner Seele ist Macht. Gott erfüllt unsere Wünsche nicht eins zu eins, aber er antwortet uns und gibt uns die Kraft, das selbst zu versuchen, worum wir ihn bitten. 
Ich erinnere mich noch ziemlich genau an meinen ersten Einsatz in der Notfallseelsorge. Ich war junger Pastor in meiner ersten Gemeinde und gerade ein halbes Jahr im Dienst. Da kam ein Anruf von der Polizei. Zwei junge Polizeibeamte mussten einer Ehefrau eine Todesnachricht überbringen. Ihr Ehemann war in der damals noch existierenden DDR tödlich verunglückt. Als sie zu der Ehefrau kamen, stellten sie fest: Die Frau war taubstumm. Sie konnte nicht hören und nicht sprechen. Die Polizeibeamten fühlten sich verständlicherweise überfordert und baten um seelsorgerliche Hilfe.  Mehr wusste ich auch nicht nach dem Anruf der Polizei. Auf dem Weg zu der Ehefrau war ich aufgeregt wie selten in meinem Leben. Und ich schickte ein Stoßgebet zum Himmel: „Chef“ so betete ich (immer, wenn es eng wird für mich, sage ich „Chef“ zu ihm). „Chef, du hast mich in diese Situation gebracht (ich habe es drastischer gesagt, mit Worten, die ich hier nicht wiedergeben möchte), nun musst du mir auch helfen, da durch zu kommen.“ Die Situation, die ich antraf, war genauso schrecklich wie befürchtet und noch schlimmer. Die Verständigungsschwierigkeiten waren das Eine. Viel schlimmer war es, nachdem die Polizeibeamten sich bald verabschiedet hatten, die Sinnlosigkeit dieser Situation auszuhalten, keine Antworten zu finden auf quälende Fragen. Das war sehr anstrengend für Geist und Seele. Ich brauchte Tage, um mein seelisches Gleichgewicht wiederzufinden, damals als junger Pastor, als unerfahrener Berufsanfänger. 
Daran habe ich mich erinnert beim Lesen dieses Psalms: Am Tag, da ich rief, hast du geantwortet mir, du hast mich erkühnt, in meiner Seele ist Macht. Er hat meinen Hilferuf gehört und meiner Seele Kraft gegeben, diese unerträgliche Situation mit  ihr zutragen, mich neben sie zu setzen und nicht weg zu laufen. Das war seine Antwort auf mein Gebet, eine hilfreiche Antwort. 
Viel später las ich den Satz von Dietrich Bonhoeffer: Nicht alle unsere Wünsche, aber alle seine Verheißungen erfüllt Gott. Dieser Satz hat mich „erkühnt“, auch Dinge zu tragen, die ich nicht verstanden habe.
Ich wünsche Ihnen eine behütete Woche. 
Wilhelm Niedernolte, Eldagsen, Sup. i.R.
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