Der Psalm 80, aus dem uns eine Auswahl von einigen Versen als Wochenpsalm zum 2. Advent gegeben ist, stammt aus sehr alter Zeit. Aber seine Worte wirken erstaunlich aktuell. Besonders die zahlreichen Gebetsrufe zu Gott sind, so finde ich, auch uns aus dem Herzen gesprochen. „Du Hirte Israels, höre!“ (V. 2), „Erwecke deine Kraft und komm uns zur Hilfe!“ (V. 3), „Gott Zebaoth, wende dich doch! Schau vom Himmel und sieh, nimm dich [unser] an!“ (V. 15), „Lass uns leben, so wollen wir deinen Namen anrufen.“ (V. 19). Und ganz zum Schluss ein Kehrvers, der dem Psalm schon zweimal zuvor die Struktur eines Klageliedes der versammelten Gemeinde gab: „Herr, Gott Zebaoth, tröste uns wieder; lass leuchten dein Antlitz, so ist uns geholfen.“ (V. 4 + 8 + 20).
Damals sah sich das Volk Israel ringsum von feindlichen Mächten bedroht. „Du lässest unsre Nachbarn sich um uns streiten, und unsere Feinde verspotten uns.“ (V. 7) Da schien der lange Weg der Heilsgeschichte, auf dem Gott sein Volk bewahrt hatte und auf den dieser Psalm auch mit dankbaren Worten zurückblickt, auf den Kopf gestellt. Darum die flehentlichen Bitten, Gott möge sein Volk jetzt nicht im Stich lassen.
Heute sind es ganz andere Gefahren, die uns bedrohen. Die Corona-Pandemie ist mit einer vierten Welle und hohen Infektionszahlen zurückgekehrt. Zum zweiten Mal gehen wir einem Weihnachtsfest mit vielen Auflagen und Einschränkungen entgegen. Gebannt verfolgen wir die endlosen Debatten der politischen Parteien und gewinnen selten ein klares Bild. Manchmal denke ich, die verantwortlichen Personen sollten lieber mal eine Talkshow auslassen und sich stattdessen zu einem gemeinsamen Gottesdienst versammeln, in dem sie Gott um Klarheit, Verstand und Weitsicht bitten. Das ist vielleicht nur ein frommer Wunsch. Aber die alten Israeliten haben gewusst, dass wir Menschen für ein kluges und hilfreiches Handeln viel Gottvertrauen brauchen.
Dafür ist dieser Kehrvers aus unserem Wochenpsalm ein schönes Beispiel. „Herr, Gott Zebaoth, tröste uns wieder; lass leuchten dein Antlitz, so ist uns geholfen.“ Diese wiederholte Bitte ist ja in dem Vertrauen ausgesprochen, dass Gott es gut mit uns Menschen meint, auch wenn davon im Augenblick wenig zu spüren ist. Das hebräische Wort für „trösten“ bezieht sich nicht bloß auf ein paar mitfühlende Worte, sondern meint eine Heilung an Leib und Seele, eine umfassende Wendung zum Guten. Und ein leuchtendes Angesicht ist ein wunderbares Bild für liebevolle Zuwendung, wie wir das schon als Neugeborene erlebt haben, als sich Mutter und Vater mit beglückten Augen über uns gebeugt haben. „Tröste uns wieder! Lass leuchten dein Antlitz!“ Diese Worte aus dem Wochenpsalm laden uns ein, dass wir uns mit all unseren Sorgen und Nöten an Gott wenden und darauf vertrauen, dass er uns mit seiner Liebe stärken will für die Aufgaben und Herausforderungen, die vor uns liegen. Oder um es mit den Worten eines unserer Adventslieder zu sagen:
Noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und –schuld.
Doch wandert nun mit allen der Stern der Gotteshuld.
Beglänzt von seinem Lichte, hält euch kein Dunkel mehr;
von Gottes Angesichte kam euch die Rettung her.
Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Adventszeit. Bleiben Sie behütet und zuversichtlich!
Ihr Christian Klatt