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Andachten

Andacht für die Woche nach dem 17. November 2024, dem vorletzten Sonntag des Kirchenjahres, über Röm 14,1-13

Liebe Leserin, lieber Leser,

„Aber wer unsicher ist, isst nur noch Gemüse!“ so steht es in der Bibel. Allerdings würde niemand daraus eine allgemeine „Lebensweisheit“ lesen. Daran zeigt sich: Es ist zumindest sehr fragwürdig, Sätze der Bibel aus ihrem Zusammenhang zu reißen und sie zu einem „klugen Wort“ oder gar zu einem Gebot zu machen. Es ist wichtig, den Kontext eines solchen Satzes zur Kenntnis zu nehmen. Der steht im Brief des Apostels Paulus an die christlichen Gemeinden in Rom:

„Nehmt gerade den Menschen an, der im Glauben unsicher ist! Streitet nicht mit ihm über eure unterschiedlichen Auffassungen! 
Der eine glaubt, alles essen zu dürfen. Aber wer unsicher ist, isst nur noch Gemüse.
Wer alles isst, soll den nicht verachten, der nicht alles isst. Und wer nicht alles isst, soll den nicht verurteilen, der alles isst. Gott hat ihn doch angenommen.
Wer bist du denn, dass du den Diener eines anderen verurteilst? Es liegt allein im Ermessen seines Herrn, ob er mit seinem Tun besteht oder nicht. Aber er wird gewiss bestehen. Denn der Herr sorgt dafür, dass er es tut.
Der eine unterscheidet bestimmte Tage. Der andere macht zwischen den Tagen keinen Unterschied. Jeder soll fest zu seiner eigenen Auffassung stehen!
Wer einen bestimmten Tag besonders beachtet, tut dies, um den Herrn zu ehren. Wer alles isst, tut dies ebenso, um den Herrn zu ehren. Und er dankt Gott bei seinem Mahl. Wer nicht alles isst, tut das, um den Herrn zu ehren. Und auch er dankt Gott bei seinem Mahl.“

Paulus geht es um die Menschen, die den Weg in die noch jungen christlichen Gemeinden in Rom gefunden haben. Die kommen aus ganz unterschiedlichen Lebensbereichen. Und wie alle Menschen, die neu in eine Gruppe, eine Gemeinschaft oder einen Verein kommen - oder auch zum ersten Mal in einen Gottesdienst - sind sie unsicher. Sie fragen sich: Wie verhalte ich mich richtig? Was darf ich tun und sagen? Was sollte ich lassen und wovon lieber schweigen. In Rom geht es zunächst um die Frage, was man als Christ essen darf und was nicht. Auf dem Markt gab es günstiges Fleisch zu kaufen. Doch das meiste davon war bei „heidnischen“ Opferzeremonien übriggeblieben. Außerdem gab es die Sitte, zu Mahlzeiten in Tempelrestaurants einzuladen. Es gab also für die Unsicheren durchaus Gründe dafür, ganz auf Fleisch zu verzichten und nur noch Gemüse zu essen. Denn im Hintergrund stehen die Angst vor den „alten“ Göttern und vor den Verfechtern der staatlichen Kulte. Ein Auffallen kann lebensgefährlich werden.

Ein anderes Problem für die neuen Gemeindemitglieder war es, welche Feiertage nun eingehalten werden sollten. Musste auch in einer christlichen Gemeinde das Sabbatgebot mit all seinen Einschränkungen für alle Mitglieder gelten? Oder gab es Ausnahmen?

Das sind nun wirklich sehr alte und fremde Probleme, könnte man sagen. Doch die Grundfragen sind geblieben: Wie sollen, wie können wir leben? Und wie gehen wir bei voneinander abweichenden „Lebensstilen“ miteinander um? Wie gehen die „Starken“ oder die, die sich dafür halten, mit den „Schwachen“ oder denen, die geschwächt werden, um? Und wie verhalten sich die „Schwachen“ gegenüber den „Starken“? Zu diesen Fragen kommen gegenwärtig eine weitverbreitete Zukunftsangst und das abnehmende Vertrauen in die Institutionen unserer Gesellschaft. Dabei hoffen immer mehr Menschen auf einen Schiedsrichter, der unsere Meinung und unsere Lebensart an den rechten Platz rückt, also nach vorne. Als Schiedsrichter gerieren sich nun unterschiedliche Apokalyptiker – aus der Politik, aber auch aus der Wirtschaft und aus den Wissenschaften - die uns Angst machen, ratlos und hilflos.

Paulus kann in seiner Situation einen guten Rat geben: 

„Keiner von uns lebt nur für sich selbst und keiner stirbt nur für sich selbst.
Denn wenn wir leben, leben wir für den Herrn. Und wenn wir sterben, sterben wir für den Herrn. Ob wir nun leben oder ob wir sterben – immer gehören wir dem Herrn!
Denn dafür ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden: Er sollte der Herr sein über die Toten und die Lebenden.
Du Mensch, was bringt dich nur dazu, deinen Bruder oder deine Schwester zu verurteilen? Und du Mensch, was bringt dich dazu, deinen Bruder oder deine Schwester zu verachten? Wir werden doch alle vor dem Richterstuhl Gottes stehen!
Denn in der Heiligen Schrift steht: »›Bei meinem Leben‹, spricht der Herr: ›Vor mir wird jedes Knie sich beugen, und jede Zunge wird sich zu Gott bekennen.‹«
So wird jeder von uns vor Gott Rechenschaft über sich selbst geben müssen.
Lasst uns aufhören, uns gegenseitig zu verurteilen! Achtet vielmehr darauf, den Bruder oder die Schwester nicht zu Fall zu bringen. Werdet auch nicht zum Stolperstein für sie.“

Was Paulus an die Gemeinden in Rom schreibt, lässt sich so zusammenfassen:

Man kann Standpunkte nebeneinanderstellen und dort unentschieden einfach stehen lassen.

Man kann Beides sehen: in Liebe. Stehenlassen und nicht richten! Wieso ist das möglich? Weil am Ende nicht Menschen über Menschen richten. Weil ein Mensch nie einen anderen Menschen und dessen Beweggründe voll und ganz verstehen kann. Dazu kommt: Welcher Mensch kann schon sich selbst und seine Gedanken wirklich begreifen. 

Paulus schreibt an die Christinnen und Christen in Rom: Es steht uns am Ende kein Urteil übereinander zu. Heute würden wir sagen: Jeder Mensch ist seinem Gewissen verpflichtet; jeder Christ ist seinem Glauben verpflichtet: „So wird jeder von uns vor Gott Rechenschaft über sich selbst geben müssen“. 

Für alle Christinnen und Christen gilt: „Denn wenn wir leben, leben wir für den Herrn. Und wenn wir sterben, sterben wir für den Herrn. Ob wir nun leben oder ob wir sterben – immer gehören wir dem Herrn!“ Darum, so schreibt Paulus: „Lasst uns aufhören, uns gegenseitig zu verurteilen! Achtet vielmehr darauf, den Bruder oder die Schwester nicht zu Fall zu bringen. Werdet auch nicht zum Stolperstein für sie.“

Können wir heute andere Lebensstile und Meinungen, andere Einsichten und Perspektiven einfach stehen lassen? Der Druck im Kessel unserer säkularen Gesellschaften entsteht auch dadurch, dass die meisten sich eben nicht mehr geborgen und getragen fühlen durch einen Gott, der in Jesus Christus Mensch geworden ist. Bei uns überwiegen heute auf allen Seiten die Predigerinnen und Prediger der Angst mit ihren nur sich selbst verpflichteten Anspruch und dem Auftreten des Überlegenen.

Man könnte natürlich argumentieren, dass wir Menschen keine Zeit mehr haben, in Fragen des Lebensstils irgendetwas stehen zu lassen. Glaubt man den Apokalyptikern, geht es um Leben und Tod. Aber was ist der Unterschied zu der Situation zur Zeit des Paulus? Für die „Schwachen“, für die Paulus spricht, geht es ebenso um Leben und Tod beim Einhalten von Regeln und beim Beachten der Feiertage. Die Starken aber lassen sich nicht von der Angst regieren.

Die Starken glauben daran, dass sie nicht sich selbst gehören. Sie vertrauen darauf, dass sie mit der Taufe in einen Bereich aufgenommen sind, der die Grenzen zwischen Tod und Leben aufhebt. Deshalb ist ihnen die Angst genommen, die Angst vor einem Scheitern im Leben und die Angst vor dem Tod. Deshalb können sie etwas von der Liebe spüren und hoffentlich auch weitergeben, die unterschiedliche Meinungen und Lebensstile besonnen stehen lassen kann.

Weil ihnen die Zukunft gehört und Gott sei Dank am Ende ein anderer, ein Dritter darüber bestimmen wird, wer recht behält und wer nicht. Und da geht es dann nicht mehr um den Lebensstil, sondern wie schon jetzt um Glaube, Hoffnung und Liebe.

Jürgen-Peter Lesch

Andacht zur Epistel aus dem Brief des Paulus an die Gemeinde in Röm Kapitel 8, 18-25 für den drittletzten Sonntag im Kirchenjahr (10.11.2024) von Sup. i. R. Jürgen Flohr

Röm 8, 18 - 25
18  Ich bin überzeugt,dass dieser Zeit Leiden 
   nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit,
   die an uns offenbart werden soll.
19  Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf,
   dass die Kinder Gottes offenbar werden.
20  Die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit – ohne ihren Willen,
   sondern durch den, der sie unterworfen hat -, doch auf Hoffnung;
21  denn auch die Schöpfung wird frei werden
   von der Knechtschaft der Vergänglichkeit
   zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes.
22  Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung
   bis zu diesem Augenblick seufzt und in Wehen liegt.
23  Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst,
   die wir den Geist als Erstlingsgabe haben, seufzen in uns selbst
     und sehnen uns nach der Kindschaft, der Erlösung unseres Leibes.
24  Denn wir sind gerettet auf Hoffnung hin.
Die Hoffnung aber, die man sieht, ist nicht Hoffnung;
   denn wie kann man auf das hoffen, was man sieht?
25  Wenn wir aber auf das hoffen, was wir nicht sehen, 
   so warten wir darauf in Geduld.
 
Liebe Lesende,
Paulus schildert in diesem Abschnitt seines Briefes an die christliche Gemeinde in Rom, wie sehr die Welt um ihn herum und auch seine menschlichen Zeitgenossen leiden und auf Erlösung warten. Im Gegensatz dazu steht für ihn die von Gott erhoffte künftige Herrlichkeit für die Menschen und  für die Schöpfung. Über sie schreibt er gleich im ersten Satz (V.18), „dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll“. 
     Was der Apostel hier über die Schöpfung, die Natur also, ausführt, klingt in unseren Ohren überraschend aktuell; denn wem fielen bei den „Leiden dieser Zeit“ nicht die gerade lodernden Feuer der Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten ein? Und klingt „das ängstliche Harren der Kreatur“ nicht wie ein Reflex auf das teilweise Scheitern der internationalen Konferenz zur Bekämpfung des Artensterbens auf unserer Erde, das kürzlich in Kolumbien stattgefunden hat?
Wenn ich lese, dass „die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick seufzt“, so denke ich doch sogleich an die immer größer werdenden Umweltschäden, die wir beklagen, - an den Klimawandel, der immer heftigere Schäden verursacht und an unsere unzureichenden Versuche, die Erwärmung der Erdatmosphäre zu begrenzen.

     Von all diesen heutigen Erfahrungen und Bemühungen konnte Paulus noch nichts ahnen, aber auch er stellte fest, dass es den Menschen und der Schöpfung nicht gut ging und dass beide auf Gottes Hilfe warten, auf eine Erlösung „von der Knechtschaft der Vergänglichkeit“ und darauf, dass wir Menschen erlöste Kinder Gottes werden.
     Auf diese Erlösung „zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes“ hoffte Paulus für die Zukunft, und er wartete darauf in Geduld. Er hatte aber auch einen Anhaltspunkt dafür, dass jene erhoffte Zukunft tatsächlich eintreten wird, nämlich die bereits empfangene Gabe des heiligen Geistes an die Glaubenden. Dieser Geist kann schon jetzt diejenigen erfüllen, die sich von Jesus Christus begeistern und beflügeln lassen auf ihrem Lebensweg durch unsere noch unerlöste Welt.
Können wir heute dem Apostel in seinem Lebensgefühl, in seiner Glaubensgewissheit und in seiner geduldigen Hoffnung folgen?
     Was er über die Leiden seiner Zeit schreibt, kann ich mit unseren gegenwärtigen Erfahrungen recht genau nachempfinden; und auch seine Sehnsucht nach Erlösung von den Übeln werden viele unserer Zeitgenossen ganz ähnlich empfinden. 
Nur erwarten viele Menschen der Gegenwart solche Erlösung nicht von Gott, sondern von menschlichen Bemühungen wie etwa besonderen Erfindungen oder grundsätzlich veränderten politischen Ordnungen. Andere rechnen gar nicht mehr mit Veränderungen zum Besseren, weil sie nur noch Unheil erwarten.
 
Mir kommen dazu folgende Gedanken: Zum Ersten sehe ich die großen Probleme unserer Zeit auch deutlich, nämlich die menschliche Unvernunft und Bosheit der Kriegstreiber, der Ausbeuter, der Egoisten in allen Völkern. Aber ich sehe auch die große Schönheit unserer Erde, ich sehe Menschen, die einander in Liebe begegnen, und ich erlebe, dass trotz aller Gefahren auch immer wieder einmal ein glückliches Leben möglich ist.
Darum kann ich nicht so ganz nachsprechen, dass „dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll“; denn ich möchte die Leiden dieser Zeit schon ganz ernst nehmen; ich sehe aber auch Freude und Erfüllung in unseren Tagen.
Und ich hoffe wie Paulus auf ein endgültiges Sein bei Gott nach dem irdischen Dasein, aber ich möchte demgegenüber nicht das hiesige Leben abwerten oder als unwichtig erklären wie das in der Geschichte des Christentums leider immer wieder einmal geschehen ist.
Deshalb möchte ich für mich feststellen: Ich vertraue auf Gottes Liebe und auf seinen Beistand für die Ewigkeit. Ich hege solches Vertrauen aber auch für mein heutiges Leben und Handeln auf der Spur Jesu Christi, und darum ist mir auch das Leben im Jahr 2024 wichtig und wertvoll, und ich nehme es dankbar aus Gottes Hand. 
Jürgen Flohr

Andacht für die Woche vom 3. bis 9.November 2024 über die Epistel des 23. Sonntags nach Trinitatis: Phil. 3, 17 – 21

Andacht für die Woche nach dem 23. Sonntag nach Trinitatis zu Phil 3, 17 - 21
von Superintendent i. R. Christian Klatt 
 
“Wir aber sind Bürger im Himmel.” Dieser zentrale Satz der Sonntagsepistel klingt in der jetzt gültigen Lutherbibel von 2017, für sich genommen, missverständlich. Denn natürlich sind wir, solange wir leben, Bürgerinnen und Bürger hier auf Erden. Die Vokabel im griechischen Urtext bedeutet „Gemeinwesen, Staat“ oder auch „Bürgerrecht“. Somit lautete der Satz in unserer vorigen Lutherbibel: „Unser Bürgerrecht aber ist im Himmel.“ So übersetzt es auch die moderne Basis-Bibel: „Wir haben schon jetzt Bürgerrecht im Himmel.“ Das ist also ein Ausblick auf unsere Zukunft in Gottes ewigem Reich, die jedoch schon jetzt für uns gilt. Das Wort „Bürgerrecht“ klingt in unseren Ohren allerdings recht amtlich und ordnungspolitisch. Paulus aber meint es vermutlich viel persönlicher: Wir werden im Himmel, d. h. bei Gott, willkommen und wertgeschätzt sein, wir werden bei ihm zu Hause sein. Das kann man im Deutschen mit keinem Wort besser zum Ausdruck bringen als mit dem Wort „Heimat“. Und genau das war die Übersetzung in der damals revidierten Lutherbibel, mit der wir aufgewachsen sind und die viele von uns noch von früher her kennen: „Unsere Heimat aber ist im Himmel.“ (In alten Bibelausgaben stand dagegen noch Luthers ursprüngliche Übersetzung, bei der er sich mehr nach der lateinischen Bibel gerichtet hatte: „Unser Wandel aber ist im Himmel.“)
„Unsere Heimat aber ist im Himmel.“ Das ist einer von den vielen trostreichen Bibelversen, die nichts von ihrer Kraft verloren haben. Für viele hochbetagte oder schwerstkranke Menschen ist das ein Ausblick voller Hoffnung. Wenn sie alt und lebenssatt sterben oder sich nach Erlösung sehnen, ist dies eine große Verheißung: Unser Leben wird nicht im Tod verlorengehen, sondern wird Heimat haben bei Gott. Bei ihm werden wir für immer zu Hause sein.  
Die Basis-Bibel hat aber sachlich recht, wenn sie die Worte „schon jetzt“ hinzufügt: „Schon jetzt haben wir Heimat im Himmel.“ Das ist nämlich nicht bloß ein fernes Ziel, auf das hin wir vertröstet werden. Sondern es ist die Hoffnung, die uns durch Jesus Christus zugesagt ist und die uns schon zu unseren Lebzeiten ermutigen und anspornen will. Ihm, unserem „Heiland und Herrn“, wie er in der Sonntagsepistel genannt wird, sollen wir „nachwandeln“. Ein Kapitel zuvor hatte Paulus im Philipperbrief geschrieben: „Seid so unter euch gesinnt, wie es der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht“, also in Liebe und Hingabe, in Aufrichtigkeit und Anteilnahme, in Fürsorge und im Frieden. Jesus selbst hatte dieser Weg ans Kreuz geführt. Aber Gott hatte ihn nicht der Gewalt des Todes überlassen, sondern hat ihn zu seiner himmlischen Herrlichkeit erhöht. Und genau dies ist die Verheißung, die auch uns „schon jetzt“ gilt: „Unsere Heimat ist im Himmel.“ Das ist eine gute Perspektive, die unserem Leben mit allen schönen und schwierigen Zeiten Sinn und Ziel gibt.
Ich wünsche Ihnen in diesen trüben Novembertagen trotz aller beunruhigenden Nachrichten viel Zuversicht und Vertrauen.
Ihr Christian Klatt 

Andacht für die Woche nach dem 27. Oktober 2024, dem 22. Sonntag nach Trinitatis

Römer 3,28: So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.
Liebe Leserin, lieber Leser, „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“ Das war Martin Luthers wichtigste Frage. Was muss ich tun, damit ich vor Gott bestehen kann? Was kann ich dafür tun? Was darf ich auf keinen Fall tun, damit Gott mit mir zufrieden ist? Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? Stellt heute noch jemand diese Frage? Wie bekomme ich einen gnädigen Nachbarn? Wie bekomme ich einen gnädigen Chef? Was muss ich tun, damit meine Frau mit mir zufrieden ist? Diese Fragen sind uns geläufig und wichtig. Aber die Frage nach dem gnädigen Gott?
Diese Frage wird nach meinem Eindruck heute zu wenig gestellt. Und das ist eins unserer Probleme. Martin Luther hat sich mit dieser Frage lange gequält, besonders im Kloster in Erfurt. Seine Antwort zunächst war: Ich muss mich selbst klein machen. Ich muss die niedrigsten Arbeiten verrichten, die es in diesem Kloster gibt, z.B. Fußboden schrubben und Klo putzen. Dann ist Gott zufrieden mit mir. Ich muss mich selbst quälen, meinem Körper viel abverlangen, viel fasten, meine Schlafzelle nicht heizen, muss frieren und hungern. Dann kann ich vor Gott bestehen. Das Ergebnis ist bekannt. Es waren die falschen Antworten auf die Frage: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? Durch hungern und frieren und Klo putzen nicht. Auch nicht durch Geld spenden und die 10 Gebote halten und ein guter Mensch sein. Das alles ist gut und unverzichtbar, damit unsere Welt bewohnbar bleibt, aber es ist nicht heilswirksam in dem Sinn, dass Gott uns gnädig ist.
 
Das musste Martin Luther schmerzlich an sich selbst erfahren. Eine lebenstaugliche und eine glaubenstaugliche Antwort fand er erst in der Bibel, u.a. in dem Abschnitt im Römerbrief, in dem Paulus von der Rechtfertigung des Menschen durch Gott schreibt, von der Sünde aller Menschen und von der Gnade Gottes. Für ihn die Tür zu seiner bahnbrechenden Erkenntnis wurde der Vers aus Römer 3,28: So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben. Wir können nicht dadurch vor Gott bestehen, dass wir viel Gutes tun, sondern nur dadurch, dass wir auf Gott vertrauen, auf seine Vergebung unserer Sünden, auf seine Barmherzigkeit. Dadurch, dass wir an den Gott glauben, den wir durch Jesus Christus kennen. Was bedeutet das für die Frage Luthers: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? Die Antwort: Ich habe schon längst einen gnädigen Gott bekommen. Ich habe es bisher nur noch nicht begriffen. Das Entscheidende für die Gnade Gottes tue nicht ich, kann ich gar nicht tun, sondern das Entscheidende hat Gott selbst längst getan, indem er einer von uns wurde in Jesus Christus, der die Liebe und Barmherzigkeit Gottes predigte und diese Predigt mit seinem Tod am Kreuz besiegelte. Das war seine Antwort. Und er wollte, dass viele Menschen diese Erfahrung auch machen so wie er, und dass seine Kirche eine Kirche der Gnade Gottes werden sollte, was sie über weite Strecken nicht war.

Das ist eine zweite Antwort auf die Frage, was wir von der Reformation von vor 500 Jahren bewahren sollen: Eine Kirche der Gnade Gottes bleiben.

Seine Kirche des Gesetzes trat Luther in Gestalt des Ablasshandels entgegen. Was war damals der Ablass? Der Ablass der katholischen Kirche im Mittelalter betraf den Erlass oder den Teilerlass von Sündenstrafen. Die Sünden selbst konnte nur Gott vergeben, der Ablass bewirkte keine Sündenvergebung. Gott vergibt die Sünden, und die Kirchen konnten eine Strafe für die begangene Sünden auferlegen, z.B. fasten, für Arme spenden, beten oder eine Wallfahrt machen. Diese Strafen konnten auf Antrag erlassen oder teilweise erlassen werden. Man konnte einen Ablass, einen Rabatt für die Strafen erwirken. Dabei blieb es aber nicht. Dieser Ablass dehnte seine Wirksamkeit in den folgenden Jahrhunderten aus. Später galt dieser Ablass auch die Strafen für Sünden, die man in voller Absicht begangen hatte, auch für Sünden, die man erst noch begehen wollte, ja, sogar für die Sündenstrafen, die erst nach dem Tod wirksam wurden, z.B. im Fegefeuer. Man konnte für sich selbst und für Angehörige die Zeit im Fegefeuer verkürzen. Zur Zeit Luthers ging es dann nur noch ums Geld. Seine eigentliche Kritik aber galt der Anmaßung seiner Kirche, den Ablass und damit die Gnade Gottes verwalten zu wollen, und zwar gegen eine hohe Vermittlungsgebühr. Das war nicht mehr die freie Gnade Gottes, von der Paulus im Römerbrief geschrieben hatte: So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben. Das war ein Marktplatz der käuflichen Gnade Gottes. Ein Platz, den Luther für sich als Irrweg erlebt hatte. Die Gnade Gottes ist nicht käuflich, weder durch Fußboden schrubben noch durch kostenpflichtigen Erwerb von Ablassbriefen. Diesen Ablasshandel gegen Geld kritisierte er an seiner Kirche.
 
Nun könnte man sagen: Ja gut. Dann war er eben in diesem Punkt anderer Meinung als sein Papst und sein Kurfürst. Was solls? Damit unterschätzt man allerdings die Brisanz des Vorgangs. Denn die Forderung nach Abschaffung des Ablasshandels gefährdete die finanzielle Grundlage seiner Kirche. Deswegen auch die heftige Reaktion seiner Kirche. Und als er dann später sagte, zur Erlangung der Gnade Gottes brauche man auch keinen Klerus, weder Bischöfe noch Priester, sondern nur den gekreuzigten und auferstanden Christus, war die Reaktion noch heftiger, denn dadurch stand der die Kirche tragende Berufsstand zur Disposition. Später, bei der Organisation von evangelischen Kirchengemeinden, hat er diese Aussage etwas relativiert, weil er merkte: Auch wir Evangelischen brauchen das geordnete Amt der Verkündigung mit Pastoren, die dieses Amt kompetent wahrnehmen können. Aber an seiner Grundeinstellung zur Gnade Gottes hat auch das nichts geändert. Nicht nur sola gratia, nicht nur allein durch Gottes Gnade können wir vor Gott bestehen, sondern auch solus Christus, nur der Glaube an Christus ist der Weg zu Gottes Gnade. Alles andere ist abwegig.
 
Das war radikal. Das bleibt radikal, auch für heutige Verhältnisse. Nur durch den Glauben an Christus, nur durch das Vertrauen auf Gottes Gnade können wir vor ihm bestehen. Das ist der Maßstab unserer reformatorischen Väter und Mütter, an dem wir als Christen und als Kirche uns messen wollen und messen lassen müssen. Luther hat der äußeren Gestalt der Kirche eine nach geordnete Bedeutung zugemessen. Kirche muss wohl sein, ist aber nicht heilsnotwendig. So seine Einstellung. Wir Evangelischen sind ihm darin weitestgehend gefolgt, haben damit allerdings nicht nur gute Erfahrungen gemacht. Auch die äußere Gestalt einer Kirche, also wie sie mit ihren Mitgliedern umgeht, wie sie ihre Mitarbeiterinnen bezahlt, wie sie mit Geld und mit Gebäuden umgeht, auch mit Fehlern der Vergangenheit umgeht, eben die äußere Gestalt einer Kirche, unserer Kirche, kann den Zugang zu Jesus Christus und damit den Zugang der Gnade Gottes erleichtern oder erschweren. Hier liegt eine dritte Antwort auf die Frage, was die Reformation uns heute bedeutet: Dass allein der gekreuzigte und auferstandene Christus der Inhalt unserer Verkündigung bleibt, nicht die Kirche, nicht unsere persönliche Befindlichkeit, auch kein politisches Programm zur Rettung der Welt, nicht einmal Martin Luther ist der Inhalt unserer Verkündigung, auch wenn wir uns dankbar und kritisch an ihn erinnern.

507 Jahre sind seit seinem Thesenanschlag in Wittenberg vergangen. Vieles hat sich geändert, und vieles muss heute anders bewertet werden als zur Zeit Luthers. Doch einiges wollen wir bewahren als Herausforderung für uns und unsere Kirche:  
Dass die Frage nach dem gnädigen Gott nicht verstummt                                                      
Dass wir eine Kirche der Gnade Gottes bleiben und                   
Dass der gekreuzigte  und auferstandene Jesus Christus unser Zentrum bleibt.

Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Zeit
Wilhelm Niedernolte, Sup. i.R. Eldagsen

Andacht für die Woche nach dem 20. Oktober 2024, dem 21. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Leserin, lieber Leser,

kein Zweifel: Es sind schlimme Tage. Das sehen und hören immer wieder; von morgens bis abends. Fast jeden Tag wird auf der Titelseite der Zeitung vor irgendeiner Entwicklung gewarnt oder auf irgendeinen Missstand hingewiesen. Dabei bin ich schon dankbar dafür, dass mir früh am Morgen keine reißerische BILD-Schlagzeile in die Augen springt. Das brauche ich wirklich nicht. Schon die sachlichen Informationen lassen mich schwanken zwischen Trauer und Zorn, Mitleid und Unverständnis. 

Eigentlich reicht es völlig aus, nur über die Probleme in unserem Land informiert zu werden. Überall fehlt etwas, ist etwas marode. Da gibt es zu wenig von den einen, den Fachkräften und Arbeitskräften überhaupt. Und es wird mit großem Erfolg propagiert, es gebe zu viele von den anderen, den Migrantinnen und Migranten und den Asylsuchenden. Es gibt offenbar in vielen Medien in unserem Land und vielleicht auch bei dem einen oder anderen Politiker so etwas wie eine morbide Lust am Untergang. 

Doch das ist nicht alles. In vielen Regionen unserer Erde sieht es wirklich sehr schlimm aus. Spätestens abends in den Nachrichten wird mir in Filmsequenzen und Bildern vor Augen geführt, was ich am Tag oft schon gehört habe: Krankheit und Hunger und Krieg und Terror in der Welt. Hinter all dem stecken Menschen, die rücksichtslos ihre eigenen ganz persönlichen Interessen verfolgen. Für sie zählt das Leben anderer Menschen, zählen die Leben von Frauen und Männern und Kindern und all den anderen nichts, überhaupt nichts. Kollateralschaden ist das Unwort, das benutzt wird, wenn überhaupt über Opfer gesprochen wird. 

Warum ich dies alles in einer Andacht schreibe, in der Sie doch zurecht zumindest tröstliche, wenn nicht sogar mutmachende und zuversichtliche Worte erwarten können? Das schreibe ich, weil der christliche Glaube keine Schön-Wetter-Religion ist. Weil die schlimmen Zeiten nichts Neues sind! Weil es keine Lösung ist, Augen und Ohren verschließen zu wollen. Weil Urlaub und Ferien, Fußballmeisterschaften und Olympische Spiele ebenso wie Feste und Feiern in Springe mit seinen Ortsteilen – von mir aus auch das Oktoberfest – und hoffentlich auch Gottesdienste und Andachten und Konzerte und andere Kulturveranstaltungen lediglich Pausen oder Auszeiten sind, die wir dringend brauchen. Es sind Pausen oder Auszeiten – nicht weniger und nicht mehr. Da tritt der Alltag in den Hintergrund, aber er existiert weiterhin.

Schlimme Zeiten sind nichts Neues. Das weiß und sagt auch der Verfasser des Epheserbriefes. Und so schreibt er fast am Ende dieses Briefes das Folgende:

„Und schließlich: Werdet stark durch eure Verbundenheit mit dem Herrn. Lasst euch stärken durch seine Kraft.
Legt alle Waffen an, die Gott euch gibt. Dann könnt ihr dem Teufel und seiner Hinterlist widerstehen.
Denn unser Kampf richtet sich nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut. Er richtet sich gegen die Mächte und Gewalten, die Weltenherrscher, die diese Finsternis regieren. Ja, er richtet sich gegen die bösen Geister, die im Reich der Lüfte herrschen.
Deshalb sollt ihr zu allen Waffen greifen, die Gott euch gibt. Damit könnt ihr in den schlimmen Tagen Widerstand leisten. Und wenn ihr alles richtig zum Einsatz bringt, könnt ihr dem Angriff standhalten.
Also haltet stand! Tragt die Wahrheit als Gürtel um eure Hüfte und zieht die Gerechtigkeit als Brustpanzer an.
Und tragt an euren Füßen als Schuhe die Bereitschaft, die Gute Nachricht vom Frieden zu verkünden.
Was auch kommen mag: Ergreift als euren Schild den Glauben! Mit ihm könnt ihr alle brennenden Pfeile abwehren, die der Böse gegen euch schießt.
Nehmt als Helm eure Rettung in Empfang. Und lasst euch das Schwert geben, das der Heilige Geist euch schenkt: das Wort Gottes.“

Das klingt jetzt nicht tröstlich oder beruhigend, sondern viel mehr martialisch: „Legt alle Waffen an!“ Sie werden explizit genannt: ein Waffengürtel, ein Brustpanzer, Schild und Helm. Am Ende ist vom Schwert die Rede. Was bei näherem Hinsehen auffällt: Bis auf das Schwert handelt es sich um Ausrüstungsgegenstände, die schützen sollen. Über sie heißt es: „Legt alle Waffen an, die Gott euch gibt“. Diese Waffen von Gott sollen schützen – gerade jene Menschen, die eben kein dickes Fell haben. Menschen, denen es wehtut, wenn die „brennenden Pfeile“ von allen Seiten kommen. Die Pfeile der Ungerechtigkeit und des Unfriedens, des Ungeistes und des Unheils, der Unwahrheit und des Unglaubens. Dies ist eine Rüstung für die, die sich nicht wegducken, sondern aufrecht und wahrhaftig leben wollen. Ich kann sie nehmen und mich damit schützen und dann auch handeln, anstatt zu resignieren.

Die brennenden Pfeile kommen aus allen Richtungen. Es sind so viele. Und es lässt sich oft nicht erkennen, woher sie kommen oder wer sie abgeschossen hat. Sie kann man nicht sehen und anfassen, sie sind nicht aus Fleisch und Blut. Im Epheserbrief werden sie Mächte und Gewalten genannt, Weltenherrscher, die diese Finsternis regieren, böse Geister. Ich würde das vermutlich anders sagen. Doch Mächte, die mich, die uns, bedrohen, sind mir nur zu gut bekannt. Dabei fällt es immer schwerer, Unterscheidungen zu treffen. Doch bei der „Wahl der Waffen“ kann ich mich entscheiden. Zwei sind jetzt besonders wertvoll: Wahrheit und Gerechtigkeit. Denn Unwahrheit, Lüge und Fake News sind ebenso wie Ungerechtigkeit die Gegner, die unablässig ihre Pfeile abschießen. 

Der Verfasser des Epheserbriefes ist da ganz deutlich: Lasst euch stärken durch die Kraft Gottes. Legt alle Waffen an, die Gott euch gibt. Das bedeutet: Verlasst euch nicht auf eure eigene Kraft! Auf euch allein gestellt seid ihr dem Bösen nicht gewachsen! Setzt auf Gottes Kraft. Die gibt Gott dem, der sich auf ihn verlässt.

Darum geht es: Wahrheit gegen Unwahrheit, Gerechtigkeit gegen Ungerechtigkeit, Frieden gegen Unfrieden, Glauben gegen Unglauben, Rettung gegen Verderben und schließlich - der Geist Gottes gegen die Ungeister der Welt. 

Das alles sind große Worte, die hehre Ziele nennen. Sie scheinen immer weniger erreichbar zu sein. Doch wir können ihnen näherkommen, indem wir geduldig und zuversichtlich Schritt für Schritt darauf zuzugehen. Indem wir uns engagieren: vor Ort, in der Stadt, in dem Land, in dem wir leben. Auf der Suche bleiben nach dem Besten der Stadt und dem Besten des Landes und der Welt. Dabei sollten wir nicht zu schnell zufrieden sein mit dem, was da ist. Es gibt schlimme Tage und es gibt die Stunde der Wahrheit. Gottes eigene Rüstung sollen und dürfen Christinnen und Christen anziehen. Und sich mit dem Schwert wehren, das der Heilige Geist schenkt: das Wort Gottes. Das ist der Bezugspunkt in einer Welt, die immer unübersichtlicher und komplexer wird. Das Wort Gottes trägt uns. Und es drängt uns, mit den Waffen zu kämpfen, die Gott uns gibt. 

Jürgen-Peter Lesch

Andacht für die Woche vom 6. bis 12. Oktober 2024

Andacht für die Woche vom 6. bis 12. Oktober 2024
über die Epistel am Erntedankfest
2. Kor. 9, 6 – 15 
 
von Superintendent i. R. Christian Klatt 
 
„Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb.“ Dieser Satz aus der Epistel am Erntedankfest war früher oft im Gottesdienst bei den Abkündigungen zu hören. Wenn die Zweckbestimmung der Kollekte, die beim nächsten Lied eingesammelt werden sollte, abgekündigt und erläutert wurde, wurde gern dieser Satz hinzufügt: „Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb“, sozusagen als Aufmunterung an die Gemeinde, sich bereitwillig mit einer entsprechenden Spende an der Kollekte zu beteiligen. 
 
Heute hört man das so gut wie gar nicht mehr. Dabei stammt dieser Satz aus einem Abschnitt, in dem der Apostel Paulus sich seinerseits für eine Kollekte stark macht. Die christliche Gemeinde in Jerusalem war nämlich in finanzielle Schwierigkeiten geraten und konnte die Unterstützung ihrer armen Gemeindeglieder nicht mehr sicherstellen. Dies hatte sich herumgesprochen, und Paulus war fest entschlossen, in den von ihm gegründeten Gemeinden in Kleinasien und Griechenland für eine Unterstützung der Urgemeinde in Jerusalem zu werben. In mehreren seiner Briefe kommt er auf diese gemeinsame Kollekte zu sprechen.
 
So auch in unserer Epistel aus dem 2. Korintherbrief. Dabei beruft er sich nicht bloß auf das christliche Gebot der Nächstenliebe, das natürlich auch für die Kirchengemeinden untereinander gilt. Er erinnert die Korinther daran, dass sie selber von Gott reich gesegnet sind und „in allen Dingen allezeit volle Genüge“ haben, und er fährt dann fort: „Umso mehr seid ihr reich zu jedem guten Werk.“ Opferbereitschaft und Solidarität sind also ein Ausdruck der Dankbarkeit für die von Gott empfangenen Gaben. Und auch die, denen die Kollekte zugutekommt, werden nicht nur leiblich, sondern auch geistlich gestärkt, weil sie durch diese Hilfe die Gemeinschaft des Glaubens und die „überschwängliche Gnade Gottes“ erfahren.
 
Diese Gedanken werden nun auch uns am Erntedankfest ans Herz gelegt. Dieser Sonntag erinnert uns an das, was das ganze Jahr über an allen Tagen gilt: Wir leben von der „überschwänglichen Gnade Gottes“, der uns trotz mancher Einschränkungen Leben und Gedeihen, Gesundheit und Nahrung schenkt. Jeder Tag sollte von daher ein Danktag sein. Es ist gut, dass uns das Erntedankfest daran erinnert. Zugleich dürfen wir aber die Not unserer Mitmenschen nicht aus dem Blick verlieren. Deshalb wird in allen Gemeinden in jedem Gottesdienst auch eine Kollekte gesammelt. Am Erntedankfest ist sie in unserer Landeskirche für die Diakonie in Niedersachsen bestimmt, also für die vielen kirchlichen Einrichtungen und Beratungsstellen, in denen Menschen Rat und Hilfe finden. Darüber hinaus hilft das zentrale Diakonische Werk in Berlin mit seinem Spenden-Fonds „Katastrophenhilfe“ überall dort, wo Menschen durch Krieg, Hunger, Naturkatastrophen in Not geraten sind.
 
Unsere Epistel am Erntedankfest zeigt, dass die Diakonie, der Dienst am Nächsten, von Anfang an zum Wesen unserer Kirche dazugehört hat. Sie ist ein sichtbares Zeichen für die Dankbarkeit zu Gott, die Paulus am Schluss seiner Epistel in die Worte fasst: „Gott aber sei Dank für seine unaussprechliche Gabe!“
 
Ich wünsche Ihnen Gottes Segen und dankbare, hilfsbereite Herzen!
Ihr Christian Klatt

Andacht für die Woche nach dem 22. September 2024, dem 17. Sonntag nach Trinitatis

Brief an die Römer 10,9-17 „Die Rettung kommt durch den Glauben“
Verfasser: Dr. Martin Luther
(deutscher Theologe, Universitätsprofessor und Reformator, 15. und 16. Jahrhundert)

 Wenn du also mit deinem Mund bekennst: ‘Jesus ist der Herr!‘ Und wenn du aus ganzem Herzen glaubst: ‚Gott hat ihn von den Toten auferweckt! ‘dann wirst du gerettet werden.
 Denn aus dem Herzen kommt der Glaube, der gerecht macht. Und aus dem Mund kommt das Bekenntnis, das zur Rettung führt.
 So steht es ja in der Heiligen Schrift: ‘Wer an ihn glaubt, wird nicht zugrunde gehen.‘
 Das gilt ohne Unterschied für Juden und Griechen. Alle haben ein und denselben Herrn.
 Und der lässt alle an seinem Reichtum teilhaben, die ihn anrufen. Denn es heißt ja auch:
 ‚Jeder, der den Namen des Herrn anruft, wird gerettet werden.
 Aber wie kann man jemanden anrufen, an den man nicht glaubt? Oder wie kann man an jemanden glauben, von dem man nichts gehört hat? Und wie kann man  von jemandem hören, wenn es keine Verkündigung  von ihm gibt? Wie aber kann es eine Verkündigung geben, wenn niemand dazu ausgesandt wurde? –
 Gerade darüber steht ja in der Heiligen Schrift: ‘Willkommen sind die Boten, die Gutes verkünden!‘ Aber nicht alle haben auf diese Gute Nachricht gehört.
 So fragt schon Jesaja: ‚Herr, wer hat unserer Botschaft geglaubt?‘
 Also: Der Glaube kommt vom Hören auf die Botschaft. Die Botschaft aber wirkt durch den Auftrag,den Christus gegeben hat.
Römer 10,9-17 BasisBibel
 
Zitate aus der Vorrede von Martin Luther zum Römer-Brief aus dem Jahr 1522

Diese Epistel ist das rechte Hauptstück des Neuen Testaments / und das allerlauterste Evangelium / Welche wohl würdig und wert ist / dass sie ein Christenmensch / nicht allein von Wort zu Wort auswendig weiß sondern täglich damit umgeht / wie mit täglichem Brot der Seelen / denn sie kann nie zu viel und zu sehr gelesen oder betrachtet werden / und je mehr sie gehandelt wird desto köstlicher wird sie und besser schmeckt sie …

… keiner aus Herzens Grund Gottes Gesetz hält noch halten kann / Denn jedermann findet 
 bei sich selbst Unlust zum Guten und Lust zum Bösen. / Wo nun nicht freie Lust zum Guten ist  / da ist des Herzens Grund nicht am Gesetz Gottes / Da ist dann gewisslich auch Sünde 
 und Zorn verdient bei Gott / obgleich äußerlich viele gute Werke und ehrbares Leben scheinen

… denn ob du wohl auswendig das Gesetz mit Werken hieltest / aus Furcht der Strafe oder Liebe des Lohns / So tust du doch alles ohne freie Lust und Liebe zum Gesetz / sondern mit Unlust und Zwang wolltest lieber anders tun wenn das Gesetze nicht wäre / Daraus denn schließt sich dass du von Herzens Grund dem Gesetz feind bist

… ein solches Herz gibt niemand außer Gottes Geist / der macht den Menschen dem Gesetz gleich dass er Lust zum Gesetz  gewinnt von Herzen / und hinfort nicht aus Furcht oder Zwang sondern aus freiem Herzen alles tut

… der Geist aber macht ein frohes und freies Herz wie das Gesetz fordert / So kommen denn die guten Werke aus dem Glauben selber 

… ob nun wohl die Gaben und der Geist in uns täglich zunehmen und noch nicht vollkommen sind / dass also noch böse Lüste und Sünde in uns übrigbleiben / welche gegen den Geist streiten 

…  aber Glaube ist ein göttliches Werk in uns das uns umwandelt und neu gebärt aus Gott 
(Johannes.1) Und tötet den alten Adam / macht uns zu ganz anderen Menschen von Herzen Mut Sinn und allen Kräften und bringt den heiligen Geist mit sich. / O es ist ein lebendiges 
 geschäftiges tätiges mächtiges Ding um den Glauben / dass es unmöglich ist / dass er nicht ohne Unterlass Gutes wirken sollte

… aber weil wir an Christus glauben und des Geistes Anfang haben ist uns Gott so günstig und gnädig, dass er solche Sünde nicht achten noch richten will / 
 sondern nach dem Glauben in Christus mit uns fahren bis die Sünde getötet werde

… Glaube ist eine lebendige erwogene Zuversicht auf Gottes Gnade so gewiss, 
 dass er (Sankt Paulus) tausend Mal drüber stürbe / Und solche Zuversicht und Erkenntnis göttlicher Gnade macht fröhlich trotzig und freudig gegen Gott und alle Kreaturen /
 welches der heilige Geist tut im Glauben. / Daher wird jedermann  ohne Zwang willig und freudig, Gutes zu tun / jedermann zu dienen/  allerlei zu leiden Gott zu Liebe und zu Lob 
 der ihm solche Gnade erzeigt hat. / Also dass unmöglich ist Werk vom Glauben scheiden /
 ja genauso unmöglich wie Brennen und Leuchten vom Feuer geschieden werden mag /
 darum siehe dich vor deinen eigenen falschen Gedanken und unnützen Schwätzern /
 die vom Glauben und guten Werken klug sein wollen zu urteilen und sind die größten 
 Narren / bitte Gott dass er den Glauben in dir wirke sonst bleibst du wohl ewiglich ohne Glauben / du dichtest und tust was du willst oder kannst

… denn durch den Glauben wird der Mensch ohne Sünde und gewinnt Lust zu Gottes Geboten / Damit gibt er Gott seine Ehre und bezahlt ihn was er ihm schuldig ist
 
 … dieweil einem evangelischen Prediger gebührt am ersten / durch Offenbarung des Gesetzes und der Sünden alles zu strafen und zu Sünden zu machen / was nicht aus dem Geist und Glauben an Christo gelebt wird damit die Menschen zu ihrer eigenen Erkenntnis 
 und Jammer geführt werden / dass sie demütig werden und Hilfe begehren

… obgleich sie wissen und täglich erkennen dass ein Gott sei / so ist doch die Natur an ihr selbst außer der Gnade so böse / dass sie ihm weder dankt noch ihn ehrt      …  
 
 … also sind alle gute Werke nur äußerliche Zeichen / die aus dem Glauben folgen und beweisen / als die guten Früchte dass der Mensch schon vor Gott inwendig gerecht sei

…darum ist die Freiheit eine geistliche Freiheit die nicht das Gesetz aufhebt / sondern darreicht was vom Gesetz gefordert wird / nämlich Lust und Liebe damit das Gesetz gestillt wird und nicht mehr zu treiben und zu fordern hat

…. also finden wir in dieser Epistel aufs allerreichlichste was ein Christ wissen soll /
 nämlich was Gesetz / Evangelium / Sünde  / Strafe / Gnade / Glaube / Gerechtigkeit / Christus / Gott / gute Werke / Liebe / Hoffnung / Kreuz sei. Und wie wir uns gegen 
 jedermann / er sei fromm oder Sünder  / stark oder schwach / Freund oder Feind / und gegen uns selber halten sollen. / Dazu das alles mit Schriften trefflich gegründet / mit Exempeln seiner selbst und der Propheten bewiesen / dass nichts mehr hier zu wünschen ist. / Darum scheint es auch / als habe S. Paulus in dieser Epistel einmal in aller Kürze verfassen wollen /
 die ganze christliche und evangelische Lehre und einen Eingang bereiten / in das ganze Alte Testament. / Denn ohne Zweifel wer diese Epistel wohl im Herzen hat / der hat des Alten Testaments Licht und Kraft bei sich / Darum lasse sie ein jeglicher Christ ihm gemein und stetig in Übung sein. / Da gebe Gott Seine Gnade zu.

Anmerkung
 Der Brief des Paulus, aus dem die Epistel für den 17. Sonntag nach Trinitatis stammt, zeigt an vielen Stellen grundlegende theologische Erwägungen über das Heilswerk Gottes in Christus auf. Martin Luther und viele andere Theologen und Theologinnen haben den Inhalt des Römer-Briefes durchdacht, um zum Ausdruck zu bringen, welch ein Geschenk die Gnade ist, die Gott in Jesus dem glaubenden Menschen gibt.
 Ich habe diese Auslegung Martin Luthers für die neue Woche zugänglich gemacht, weil sie uns erinnert:
 es gibt nichts, was besser für ist, als das Heilswerk Gottes in Christus, das uns in Zeit und Ewigkeit
 mit Gott in Verbindung bringt und mit ihm in Verbindung hält. Also: Gott bringt die Beziehung von uns zu ihm in Ordnung. Davon können wir felsenfest ausgehen. Das stärkt somit unsere Hoffnung im Bereich des Glaubens.
 Diese starke Hoffnung wirkt sich auf unseren Alltag aus, der aktuell gerade nicht immer hoffnungsvoll ist.

Seien Sie behütet und zuversichtlich!
 Ihr Eckhard Lukow

Andacht für die Woche nach dem 15. September 2024, dem 16. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Leserin, lieber Leser,

manchmal sind klare und starke Worte erforderlich, um den Kopf freizubekommen und sich neu orientieren zu können. Solche Worte schreibt der alte und erfahrene Apostel Paulus an seinen jungen Mitarbeiter Timotheus:

Denn der Geist, den Gott uns geschenkt hat, lässt uns nicht verzagen. Vielmehr gibt er uns Kraft, Liebe und Besonnenheit. Schäme dich also nicht, als Zeuge für unseren Herrn aufzutreten. Und schäme dich auch nicht für mich, weil ich seinetwegen in Haft bin. Sei vielmehr bereit, mit mir für die Gute Nachricht zu leiden. Gott gibt dir die Kraft dazu. Er hat uns gerettet und dazu berufen, zu seinen Heiligen zu gehören. Das geschah nicht etwa aufgrund unserer Taten, sondern aus seinem eigenen Entschluss – und aus der Gnade, die er uns schon vor ewigen Zeiten in Christus Jesus geschenkt hat. Aber jetzt wurde diese Gnade offenbar durch das Erscheinen unseres Retters Christus Jesus. Er hat den Tod besiegt und durch die Gute Nachricht unvergängliches Leben ans Licht gebracht.
(2. Tim 1,7-10 – BasisBibel 2021)

Paulus schreibt das vor fast 2000 Jahren. Das waren andere Zeiten, könnten wir sagen. Doch so anders waren die Zeiten nicht, wenn man die Lage der Menschen bedenkt, die der Brief nennt. Mit Sorge wird der Apostel die Entwicklungen in der Weltpolitik gesehen haben. Da waren die charakterlichen Veränderungen in der Person von Kaiser Nero und die daraus resultierende politische Instabilität des Römischen Reichs sowie die damit zusammenhängende „Patriotisierung“. Da kam es zum Wiedererwachen der jüdischen Freiheitssehnsucht mit dem Ausbruch des Aufstands im Jahr 66 und seinen Folgen. Paulus hat das beobachtet und sich Gedanken über die Zukunft der (heiden-)christlichen Gemeinden gemacht.

Zu der Zeit saß er im Gefängnis und hat es lebendig nicht mehr verlassen, weil er hingerichtet wurde. Die Gemeindemitglieder wussten das, als sie den Brief lasen. Auch die Aufforderung an Timotheus, mit Paulus als Zeuge für Jesus Christus zu leiden, ist für seine Schwestern und Brüder damals nicht neu und nicht fremd. Denn sie wurden verfolgt, weil Christen als gefährlich galten. Eine Erfahrung, die wir in unserem Land nicht machen. Da gibt es eher die gelegentliche Scham bei dem Satz: „Ich bin Christ“. Auch sind wir nicht im Gefängnis. Doch es gibt das Gefangensein außerhalb von Mauern. Es ist das Gefangensein in Furcht und Ängsten. Denn der „Geist der Furcht“ – so übersetzt Martin Luther im ersten Satz – trägt alle möglichen Gesichter und hat die verschiedensten Gründe. 

Die heutigen Ursachen der Furcht, des Verzagens, erleben nicht allein Christen. Viele Befürchtungen teilen wir mit jenen unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger, die eine Kirche nur von außen kennen. Ursachen für eine verbreitete Furcht und den allgegenwärtigen Schrecken müssen wir nicht lange suchen: Es reicht ein Gang durch den Deister. Was ist da an Umweltschäden bereits sichtbar? Wie viele Bäume sind bereits vertrocknet? – Kraft und Besonnenheit sind da gefragt. 

Täglich bringen uns unterschiedliche Medien die schrecklichen Nachrichten darüber, wo überall kalte oder heiße Kriege auf dieser Welt herrschen. Da sind Liebe und Besonnenheit bitter nötig. Es reicht ein Blick in die Zeitung, uns immer neu unsicher zu machen und zweifeln zu lassen. Wer hat denn nun recht mit seinen Demonstrationen und Gegendemonstrationen und seinen Vorwürfen an Politikerinnen und Politiker? Wie finden wir uns in diesen Auseinandersetzungen zurecht? Was ist richtig und gut und was muss man beherzt eine Lüge nennen?

Vor 20 Jahren glaubten wir, das Internet brächte uns freie Informationen, mit denen wir uns ein klareres Bild von unserer Welt machen können! Und heute? Zu viele lesen dort nur noch, was sie in ihrer Meinung bestätigt, und nichts anderes! Zu viele resignieren, weil sie das alles doch nicht mehr begreifen! Vertreterinnen und Vertreter von Parteien greifen zu plakativen Sätzen, weil sie fürchten müssen, dass sorgfältige und ausführliche Argumente keine Wählerstimmen bringen. Allein Lärm und Streit scheinen die notwendige Aufmerksamkeit zu erzeugen. Man kann schon froh sein, wenn ein Wissenschaftler zu sagen wagt: „Das wissen wir nicht genau. Das muss erst noch besser erforscht werden. Darüber darf man – fair – streiten.“ Doch wie halte ich selbst Unsicherheiten und Widersprüche aus? Wie gehe ich damit um, dass ich nicht alles wissen und schon gar nicht alles verändern kann? Wollten wir aufzählen, wovor wir uns zu Recht fürchten, wir könnten ellenlange Listen anfertigen und würden immer noch nicht fertig damit. 

Was hilft dann aber? Genauer gefragt: Wer hilft? Wer ist in der Lage dazu? Wenn es dabei allein auf uns und unseren guten Willen ankäme, wie weit würde uns das führen? Die Frage muss offen bleiben, weil wir sie nicht wirklich beantworten können. Und wir müssen sie auch nicht wirklich beantworten. Denn so schreibt der Ältere, Paulus, an den Jüngeren, an Timotheus:
 Gott gibt dir die Kraft dazu. Er hat uns gerettet und dazu berufen, zu seinen Heiligen zu gehören. Das geschah nicht etwa aufgrund unserer Taten, sondern aus seinem eigenen Entschluss – und aus der Gnade, die er uns schon vor ewigen Zeiten in Christus Jesus geschenkt hat. 

Das ist die Basis für jede Aufforderung, Kraft, Liebe und Besonnenheit zu üben: Nur einer kann helfen, gerade dann, wenn wir äußerlich schwach sind wie Paulus im Gefängnis, oder uns  alles zu viel wird. Nur einer kann helfen und uns Kraft geben und Liebe und Besonnenheit, wenn unsere Stärke endet, oder wir uns selbst überschätzen. Doch angesichts der Wunden dieser Welt öffnet uns Gott die Augen für Wunder, die wir um uns herum und darüber hinaus erleben können. Denn das Chaos verschluckt uns nicht, sondern Rettung in Gefahr ist möglich, und wir dürfen auf sie hoffen. Die zentrale Antwort, die die ersten Christen gaben, bleibt auch unsere letzte Zuflucht. Der zweite Brief an Timotheus verweist vor 2000 Jahren auf Ostern, auf die Auferstehung Jesu:
 Aber jetzt wurde diese Gnade offenbar durch das Erscheinen unseres Retters Christus Jesus. Er hat den Tod besiegt und durch die Gute Nachricht unvergängliches Leben ans Licht gebracht 

Daran können und sollen wir uns festhalten. Wir müssen die Gefahren nicht leugnen oder Augen und Ohren vor ihnen verschließen. Denn sie sind nicht das Letzte. Der Letzte und zugleich der Erste ist der, der durch Leiden und Tod hindurch gegangen ist. An ihm hat Gott uns Menschen gezeigt, dass hinter aller bitteren Dunkelheit das Osterlicht aufscheint. Ihm gehen wir entgegen im Leben und im Tod. Von ihm geht die Kraft und die Liebe und die Besonnenheit aus – für uns alle.

Jürgen-Peter Lesch

Andacht für die Woche nach dem 8. September 2024, dem 15. Sonntag nach Trinitatis

1. Petr. 5,5 - 11

„Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch.“ Das ist ein Kernsatz aus der Epistel für diesen Sonntag; zugleich auch der Wochenspruch, der uns in der neuen Woche begleiten will. „Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch.“ Ich finde, dieser Satz ist ein schönes Beispiel dafür, wie lebensnah die Bibel ist. „Alle eure Sorge“ – drei Worte genügen, und sofort steht uns die ganze Palette der großen und kleinen Sorgen vor Augen, die uns täglich umtreiben und manchmal auch nachts nicht schlafen lassen. Sorgen, die uns persönlich betreffen. Aber auch Sorgen um das Klima, um den Frieden, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt, die nach den Landtagswahlen am vergangenen Sonntag nicht geringer geworden sind.
 
„Alle eure Sorge“ – ja, das ist ein Lebensthema. Das wird hier nicht verharmlost oder überspielt. Im Gegenteil, gleich im nächsten Satz werden die möglichen Gefahren mit deutlichen Worten angesprochen: „Euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge.“ Das klingt ein bisschen komisch, wie aus dem Märchenbuch. Aber der Verfasser des 1. Petrusbriefes bringt in der Sprache seiner Zeit genau auf den Punkt, was auch heute gilt: Das Leben auf dieser Erde ist und bleibt bedroht und gefährdet, und wir haben allen Grund, uns immer wieder Sorgen zu machen.
 
Doch nun wird uns hier nicht im Stile des alten Karnevalsliedes zugerufen: „Schütt die Sorgen in ein Gläschen Wein.“  Und es werden auch nicht die Worte des Volksliedes angestimmt: „Werft ab alle Sorge und Qual, fallera!“ Sondern: „Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch.“ Der griechische Urtext hat an dieser Stelle auch noch eine etwas andere Sinnrichtung: „Alle eure Sorge werft auf ihn, denn ihr liegt ihm am Herzen, ihr seid ihm wichtig.“ Im heutigen Sprachgebrauch könnte man sagen: Gott hegt eine ganz tiefe Empathie für euch, er ist euch in Liebe zugewandt, euer Schicksal ist ihm nicht gleichgültig, er ist um euer Leben, um eure Zukunft besorgt und sorgt für euch wie ein guter Vater, wie eine liebevolle Mutter. Der „Gott aller Gnade“ wird er in dieser Epistel auch genannt. Bei ihm sind unsere Sorgen in guten Händen. Besser gesagt: Bei ihm sind wir mit unseren Sorgen in guten Händen.
 
Zum Vertrauen werden wir also in dieser Epistel aufgerufen. Nicht zur Sorglosigkeit, aber zum Vertrauen. Zum Vertrauen darauf, dass Gott weiß, wie es um uns steht, und dass er auch weiß, was gut für uns ist. Das bedeutet nicht, dass sich alle Sorgen plötzlich in Luft auflösen und alles so wird, wie wir es uns wünschen. Ein christliches „Alles wird gut“ ist dieses Bibelwort nicht. Im Gegenteil, in unserer Epistel ist zum Schluss sehr deutlich von den Leiden und Anfechtungen die Rede, denen wir ausgesetzt sind. Es heißt zwar: „Ihr leidet eine kleine Zeit“, aber aus dieser kleinen Zeit kann ja manchmal ein langer Leidensweg werden. Da wird dann auch das Gottvertrauen auf eine harte Probe gestellt. Aber, davon ist der Verfasser dieser Epistel überzeugt: Gott wird uns immer wieder „aufrichten, stärken, kräftigen, gründen.“ Im Vertrauen auf ihn können wir unseren Weg gehen und gewissenhaft tun, was in unseren Kräften steht. Ohne ängstliches Sorgen, ohne Zögern und Zagen, sondern in der tapferen Gewissheit, dass Gott bei uns ist „am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“
 
Für die neue Woche wünsche ich Ihnen viel Vertrauen und Zuversicht.
Ihr Christian Klatt    

Andacht für die Woche nach dem 1. September 2024, dem 14. Sonntag nach Trinitatis

Römer 8, Vers 14-17
„Denn welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder.Denn ihr habt nicht einen Geist der Knechtschaft empfangen, dass ihr euch abermals fürchten müsstet; sondern ihr habt einen Geist der Kindschaft empfangen, durch den wir rufen: Abba, lieber Vater! Der Geist selbst gibt Zeugnis unserm Geist, dass wir Gottes Kinder sind. Sind wir aber Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi, da wir ja mit ihm leiden, damit wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden.“


Liebe Leserin, lieber Leser,

wir können von Gott nur in Bildern reden, weil unsere Worte dazu nicht ausreichen. Sein Wesen übersteigt unser Fassungsvermögen. Die Bibel spricht auch in Bildern des Alltags von Gott. Wir sind nicht Gottes Knechte oder Sklaven, wir sind seine Kinder und damit freie Menschen, schreibt Paulus im Römerbrief. Wir sind Gottes Erben und keine Gegenstände, mit denen Gott willkürlich umgehen kann.

Wir sind Gottes Kinder, er ist unser Vater. Was heißt das? Natürlich ist Gott nicht mein leiblicher Vater. Mein leiblicher Vater ist vor fast fünfzig Jahren gestorben. Aber Gott ist wie mein Vater, den ich sehr liebe und dem ich viel verdanke.

Wir sind Gottes Kinder. Wenn wir geboren werden, sind wir noch recht unfertig als Menschen. Wir müssen noch viel lernen: laufen lernen, sprechen lernen, ohne Windeln leben lernen. Wir sind auf wohlwollende, liebende Menschen angewiesen, die Zeit für uns haben, uns das fehlende beibringen. So auch im Glauben als Gottes Kinder. Wir sind angewiesen auf sein Wohlwollen, auf seine Liebe, auf seine Gnade. Darum taufen wir unsere Babys. Wir bitten Gott um seine Liebe zu diesem hilflosen Kind, um seinen Segen.

Aus unseren Babys werden zunehmend selbständige Menschen – und wir dürfen sie dabei begleiten. Sie entscheiden zunehmend selbst, welche Wege sie gehen. Das dauert Jahre und ist manchmal für sie und uns recht mühsam, besonders dann, wenn sie Wege gehen, die nicht unsere Wege sind. Doch sie bleiben unsere Kinder. So auch im Glauben als Kinder Gottes. Gott zwingt uns zu nichts. Er bietet an, er lädt ein, er freut sich über das, was uns gelungen ist. Er leidet mit uns an dem, was nicht gelingt, aber er zwingt uns nicht, genauso wenig wie wir Eltern unsere Kinder zu etwas zwingen können.

Irgendwann kommen für Eltern und Kinder richtig anstrengende Jahre: das pubertäre Chaos, das pubertäre Phlegma, die pubertären Launen. Nichts ist für die Kinder dann so peinlich wie die eigenen Eltern. Es soll Jugendliche geben, die keine solche Pubertät erleben, aber die sind deutlich in der Minderheit. Gibt es auch eine Pubertät im Glauben an Gott? Und ob es die gibt! Dann ist der Glaube an Gott von gestern. Was in der Bibel steht, stimmt nicht. Kirche ist doof. Doch auch unsere schwierigen Kinder bleiben unsere Kinder. Gott ist größer als menschliche Pubertät. Aber auch sie geht irgendwann vorbei.

Und wir sind immer noch Gottes Kinder. Danach werden wir erwachsen, haben selbst Kinder. Manchmal sind wir froh, dass wir unsere Eltern noch mal um etwas fragen können. Wir merken: Unsere Eltern waren nicht nur peinlich. Sie haben auch mehr Lebenserfahrung als wir. Als Erwachsene an Gott glauben ist etwas anderes als unser Kinderglaube. Unser Glaube als Erwachsene ist kritischer als unser Kinderglaube, auch mit Zweifel durchsetzt. Aber das Vertrauen zu Gott haben viele von uns mitgenommen. Es trägt immer noch.

Und dann werden wir auch alt, so wie ich. Meine Eltern sind inzwischen gestorben. Ich habe niemanden mehr, zu dem ich Mama oder Papa sagen kann. Manchmal bin ich deswegen ein wenig wehmütig und vermisse die Alten. Aber gerade jetzt tröstet es mich, dass ich sagen kann: Wir sind Gottes Kinder. Meine leiblichen Eltern ersetzt mir das nicht. Aber es ermutigt mich, meinen Weg weiter zu gehen.

Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit.
Wilhelm Niedernolte
Sup. i. R.
Eldagsen

Andacht für die Woche nach dem 18. August 2024, dem 12. Sonntag nach Trinitatis von Pfr.i.R. Jürgen-Peter Lesch

Liebe Leserin, lieber Leser,

„Der ist vom Saulus zum Paulus geworden“ – diese Redewendung verdeutlicht, dass jemand seine Meinung oder sein Leben von heute auf morgen grundlegend geändert hat. Sie bezieht sich auf ein Ereignis in der Apostelgeschichte (Apg 9,1-20). Doch anders als es der Ausdruck „vom Saulus zum Paulus“ nahelegt, geschieht dieser Wandel nicht plötzlich. Es benötigt mehr als drei Tage, bis die entscheidende Wende im Leben des Saulus vollzogen ist. Daran beteiligt sind Jesus selbst und eine weitere Person.

Alles beginnt damit, dass Saulus sich mit Begleitern auf den Weg nach Damaskus macht. Dort will er tun, was er als seine Lebensaufgabe versteht.

Saulus verfolgte immer noch die Jünger des Herrn und drohte ihnen mit Hinrichtung. Er ging zum Hohepriester und bat um eine schriftliche Vollmacht für die Synagogen in Damaskus. Er hatte vor, dort die Anhänger des neuen Weges aufzuspüren. Er wollte sie, Männer und Frauen, festnehmen und nach Jerusalem bringen.

Saulus nennt sich selbst im Rückblick auf sein Leben einen Eiferer. Er achtet sehr genau darauf, dass möglichst viele Weisungen der Tora eingehalten werden. Genauso wichtig ist ihm, dass der Tempel in Jerusalem das einzige Heiligtum der Juden ist und bleibt. Die Tora und der Tempel markieren für ihn die Grenze zwischen Israel und den anderen Völkern. Die jüdischen Gemeinden, die die Botschaft von Jesus Christus annehmen, zeigen dagegen schon früh eine Offenheit für Menschen aus anderen Völkern. Saulus möchte die Anhänger dieses „neuen Weges“ nach Jerusalem und wohl auch „zur Raison“ bringen. Doch dann geschieht etwas Unerwartetes.

Auf dem Weg nach Damaskus, kurz vor der Stadt, umstrahlte ihn plötzlich ein Licht vom Himmel. Er stürzte zu Boden und hörte eine Stimme, die zu ihm sagte: „Saul, Saul, warum verfolgst du mich?“ Er fragte: „Wer bist du, Herr?“ Die Stimme antwortete: „Ich bin Jesus, den du verfolgst. Doch jetzt steh auf und geh in die Stadt. Dort wirst du erfahren, was du tun sollst.“

Den Männern, die Saulus begleiteten, verschlug es die Sprache. Sie hörten zwar die Stimme, doch sie sahen niemanden. Saulus erhob sich vom Boden. Aber als er die Augen öffnete, konnte er nichts sehen. Seine Begleiter nahmen ihn an der Hand und führten ihn nach Damaskus. Drei Tage lang war Saulus blind. Er aß nichts und trank nichts.

In diesen drei Tagen ist Saulus hilflos und orientierungslos. Der eifernde Pharisäer, der sich mit aller Kraft dafür einsetzt, dass die Weisungen Gottes eingehalten werden, muss untätig bleiben. Hat er diese Zwangspause genutzt, um über die Frage nachzudenken: „Warum verfolgst du mich?“. Hat er seine eigenen Gründe erforscht, seine Motivation bedacht, seine Ziele in Frage gestellt? Was Saulus in diesen drei Tagen überlegt und geplant hat, darüber wird nichts gesagt. 

Vielleicht wäre es hilfreich, wenn wir uns selbst Pausen nehmen würden, um nicht immer sofort auf alles zu reagieren oder uns über etwas zu empören. Drei Tage Zeit nehmen, um nachzudenken und die eigenen Gründe und Ziele zu prüfen. Und erst dann reagieren, antworten, argumentieren. Vielleicht würde das viele unnötige Aufregungen und Konflikte vermeiden oder zumindest abschwächen.

Zurück nach Damaskus:

In Damaskus lebte ein Jünger namens Hananias. Dem erschien der Herr und sagte zu ihm: „Hananias!“ Hananias antwortete: „Hier bin ich, Herr!“ Der Herr sagte: „Steh auf und geh in die Gerade Straße. Dort sollst du im Haus von Judas nach Saulus aus Tarsus fragen. Er ist dort und betet. In einer Erscheinung hat er einen Mann namens Hananias gesehen. Der kam zu ihm und legte ihm die Hände auf, damit er wieder sehen konnte.“

Hananias antwortete: „Herr, ich habe schon viel von diesem Mann gehört. Er hat deinen Heiligen in Jerusalem viel Böses angetan. Und jetzt ist er mit einer Vollmacht von den führenden Priestern hierhergekommen. Er will alle festnehmen, die deinen Namen anrufen.“ Aber der Herr sagte zu ihm: „Geh nur hin! Denn gerade ihn habe ich mir als Werkzeug gewählt. Er soll meinen Namen bekannt machen – vor den Völkern und ihren Königen wie auch vor dem Volk Israel. Ich werde ihm zeigen, wie viel er leiden muss, weil er sich zu mir bekennt.“

Das ist bemerkenswert. Jesus erteilt seinen Auftrag an Saulus nicht direkt. Er wählt einen Boten, einen angesehenen Mann aus einer jüdischen Gemeinde. Einer der Gemeinden, in denen Saulus die finden wollte, die aus seiner Sicht vom rechten Weg abgekommen sind. Jesus erscheint Hananias, aber der lässt ihn nicht einmal ausreden. Er ahnt, welchen Auftrag er bekommen wird, und protestiert dagegen. Doch Jesus beruhigt ihn und erläutert, worum es gehen soll. Dieser Saulus soll wieder sehen können. Auch im übertragenen Sinn. Er wird den Auftrag Gottes erkennen können, der von nun an sein Leben bestimmt und erfüllt. Er soll den Namen von Jesus bekannt machen. 

Da machte sich Hananias auf den Weg und ging in das Haus. Er legte Saulus die Hände auf und sagte: „Saul, mein Bruder, der Herr hat mich gesandt – Jesus, der dir auf dem Weg hierher erschienen ist. Du sollst wieder sehen können und mit dem Heiligen Geist erfüllt werden.“ Sofort fiel es Saulus wie Schuppen von den Augen, und er konnte wieder sehen. Er stand auf und ließ sich taufen. Dann aß er etwas und kam wieder zu Kräften. Danach verbrachte Saulus einige Zeit bei den Jüngern in Damaskus. Er ging gleich in die Synagogen und verkündete dort: „Jesus ist der Sohn Gottes.“

Gott beruft einen Menschen in seinen Dienst – durch einen anderen Menschen. Das geschieht mit einer ebenso schlichten wie kraftvollen Geste. Hananias legt Saulus die Hände auf. Dem fällt es wie Schuppen von den Augen. Zugleich wird ihm die Gabe des Geistes übertragen. Saulus wird begeistert. Begeistert sieht er sein neues Leben, seine neue Lebensaufgabe vor sich. Er wird ein „Werkzeug Gottes“, ein Diener Gottes. Er soll und wird von nun an Jesus bekennen. Jetzt kann sich Saulus taufen lassen. 

Erstaunlich finde ich, auf welchen Umwegen die Bekehrung oder die Berufung des Saulus hier geschieht. Es beginnt mit einer Lichterscheinung und einem „blinden“ Auftrag. Dann kehrt für drei Tage Ruhe ein. Erst danach wird Saulus durch einen anderen Menschen vermittelt, was sein Auftrag ist. Es ist eigentlich ein bisschen enttäuschend, dass nicht Jesus oder Gott selbst dem Saulus noch einmal erscheint und ihn direkt beauftragt. 

Doch vielleicht ist es genau dies: Es macht keinen Sinn, auf den einen Auftrag zu warten, den Gott selbst uns direkt und mit großem Aufwand gibt. Gott wirkt durch Menschen auf uns ein. Er stellt uns dadurch in seinen Dienst, dass er uns Menschen sendet, die glaubhafte Zeugen seines Wirkens sind. Bei einer Begegnung mit ihnen kann es uns wie Schuppen von den Augen fallen. Wir können erkennen, was wichtig ist für uns selbst, für unser Leben und für das Leben auf unserer Erde.

Dass es immer wieder Begegnungen mit solchen Menschen gibt, wünsche ich uns allen.

Jürgen-Peter Lesch

PS: Erst später in der Apostelgeschichte wird auf den zweiten Namen des Saulus hingewiesen: „Saulus aber, der auch Paulus heißt, [war] mit Heiligem Geist erfüllt “ (Apg 13,9). Von dieser Stelle an ist nur noch von Paulus die Rede, und auch in seinen Briefen nennt er sich immer Paulus.

Andacht für die Woche vom 11. bis 17. August 2024 über die Epistel für den 11. Sonntag nach Trinitatis Eph. 2, 4 – 10 von Superintendent i. R. Christian Klatt

„Aus Gnade seid ihr selig geworden“ (oder wie es jetzt in der Lutherbibel 2017 heißt: „Aus Gnade seid ihr gerettet“) – gleich zweimal kommt diese Aussage in der Sonntagsepistel aus dem Epheserbrief vor. Es ist ein Kernsatz der Theologie des Apostels Paulus und seines Schülerkreises. Natürlich richtet er sich in erster Linie an die christliche Gemeinde damals wie heute. Aber darüber hinaus ist es ein gutes Wort für unsere Zeit, in der es oft ziemlich gnadenlos untereinander zugeht. 
In unserer Leistungsgesellschaft muss man sich ranhalten, wenn man beachtet und anerkannt sein will. Das fängt für die Kinder schon in der Schule an. Jetzt, wo die Ferien vorbei sind, geht es wieder um Aufgaben und Arbeiten, die erfüllt werden müssen und beurteilt werden. Auch die Eltern stehen in ihren Berufen unter hohem Leistungsdruck, der sie oftmals bis an den Rand ihrer Kräfte führt. Aber auch in anderen Lebensbereichen, beispielsweise im Sport, gilt: Die Leistung zählt. Wir haben es gerade bei den Olympischen Spielen in Paris wieder erlebt:  Wer oben auf dem Siegerpodest steht, bekommt nicht nur die Medaillen, sondern auch Jubel und Anerkennung, die anderen bestenfalls Mitgefühl. Und wir haben nicht nur Freudentränen gesehen, sondern auch bittere Tränen der Enttäuschung. 
Ja, die Leistung zählt. Dagegen ist im Prinzip auch nichts einzuwenden. Jeder Mensch hat von Natur aus Gaben und Fähigkeiten, um sie zu nutzen und das Beste aus sich herauszuholen. Was aber ist, wenn es einen Leistungseinbruch gibt, etwa aus Erschöpfung oder durch Überforderung oder wegen einer schweren Krankheit? Dann stellen sich schnell Selbstzweifel und Minderwertigkeitsgefühle ein. Ganz zu schweigen von denen, die von Geburt an oder durch Unfall stark eingeschränkt und dauernd auf fremde Hilfe angewiesen sind. 
 Wenn Leistung und Erfolg wirklich der Maßstab für den Wert eines Menschen wären, dann würden viele durch das Raster fallen. Manchmal vielleicht auch wir selber. In der Bibel wird uns zum Glück ein anderes, ein humanes Menschenbild vermittelt. Dafür ist der zitierte Satz aus der Sonntagsepistel ein gutes Beispiel. „Aus Gnade seid ihr selig geworden.“ „Gnade“ ist ein Wort der wertschätzenden Zuwendung, die Gott uns zuteilwerden lässt. Er beurteilt uns nicht nach unseren Erfolgen oder Misserfolgen, nicht nach unseren Verdiensten oder unserer Schuld. Sondern er zeigt „den überschwänglichen Reichtum seiner Gnade durch seine Güte gegen uns in Christus Jesus“, so formuliert es der Verfasser des Epheserbriefes in seiner Epistel. Jesus Christus – durch seine Worte und Taten hat er gezeigt, wie Gott zu uns Menschen steht: nicht wie ein penibler Buchhalter, der unsere Leistungen und Versäumnisse gegeneinander aufrechnet, sondern wie ein barmherziger Vater, der auf uns wartet, selbst wenn wir vieles in unserem Leben falsch gemacht haben und vieles schuldig geblieben sind.  
Früher gab es die Redensart „Dann gnade dir Gott!“ Das war eine drohende Warnung, nur ja nichts Falsches, nichts Unrechtes zu tun. Doch unser Bibelwort ist eine positive Zusage: Gott schenkt dir seine Gnade. Du bist ein wertvoller Mensch, weil er dich liebt und wertschätzt. Das gibt dir die Freiheit, auch selber gnädig, geduldig und weitherzig mit deinen Mitmenschen umzugehen. 
 Ich wünsche Ihnen eine gute neue Woche unter Gottes Gnade.
Ihr Christian Klatt       

Andacht für die Woche vom 4. August 2024 10. S.n. Tr. (Israelsonntag) Römer 11, 25-32

Ich will euch, Brüder und Schwestern, dieses Geheimnis nicht verhehlen, damit ihr euch nicht selbst für klug haltet: Verstockung ist einem Teil Israels widerfahren, bis die volle Zahl der Heiden hinzugekommen ist. Und so wird ganz Israel gerettet werden, wie geschrieben steht: »Es wird kommen aus Zion der Erlöser; der wird abwenden alle Gottlosigkeit von Jakob. Und dies ist mein Bund mit ihnen, wenn ich ihre Sünden wegnehmen werde.« Nach dem Evangelium sind sie zwar Feinde um euretwillen; aber nach der Erwählung sind sie Geliebte um der Väter willen. Denn Gottes Gaben und Berufung können ihn nicht gereuen. Denn wie ihr einst Gott ungehorsam gewesen seid, nun aber Barmherzigkeit erlangt habt wegen ihres Ungehorsams, so sind auch jene jetzt ungehorsam geworden wegen der Barmherzigkeit, die euch widerfahren ist, damit auch sie jetzt Barmherzigkeit erlangen. Denn Gott hat alle eingeschlossen in den Ungehorsam, damit er sich aller erbarme.
Röm 11,25-32

Liebe Leserin, lieber Leser,
Paulus argumentiert hier mit „einerseits und andererseits“: Einerseits hat das Volk Israel die Erwartungen Gottes nicht erfüllt, andererseits nimmt Gott nichts zurück von dem Versprechen, dass sie sein erwähltes Volk sind und bleiben werden; einerseits muss man von den Christen sagen, sie waren Gott ungehorsam, jetzt aber kann man sagen, sie haben  Gottes Barmherzigkeit gefunden.
Damit sind wir bei dem Kernthema des Paulus. Das eigentliche Thema des Paulus ist nicht das Verhältnis von Juden und Christen – ob das anstrengend ist oder eher entspannt - sondern das gemeinsame Thema für Juden und Christen an dieser Stelle ist: Der Ungehorsam der Menschen gegenüber Gott und die Barmherzigkeit Gottes. Beides gilt für beide: Der Anspruch Gottes auf Gehorsam gegenüber seinen Geboten und der Zuspruch seiner Barmherzigkeit. Darum: Ob Jude oder Christ, mit allen Unterschieden und Gegensätzen im Glauben – wir alle sind angewiesen auf Gottes Barmherzigkeit, wir leben von Gottes Barmherzigkeit. Wir können vor Gott nicht durch unsere guten Werke bestehen, die ja für sich genommen ein Segen für diese Welt sein können, nicht durch Leistungen und Erfolge, die für sich genommen unsere Welt menschlicher machen können, nicht einmal ein Bekehrungserlebnis bringt uns auf die sichere Seite Gottes, sondern allein seine Barmherzigkeit, seine Gnade, und nur seine Gnade, wie Luther immer wieder betont hat.
Barmherzigkeit Gottes, Gnade Gottes – interessiert das jemanden? Stellt irgendjemand innerhalb unserer Kirchengemeinden oder in unserer Gesellschaft ernsthaft die Frage von Martin Luther: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? Es werden Fragen gestellt, andere Frage: Wie bekomme ich ein sinnvolles Leben? Was kann ich tun, damit mein Leben nicht misslingt? Und wie können Gott und der Glaube an ihn und Jesus Christus mir dabei helfen, mein Leben zu bewältigen? Ich brauche die Hilfe Gottes, aber nicht die Barmherzigkeit Gottes.
Paulus schreibt den Christen in Rom und damit auch uns etwas anderes: Du musst dich vor Gott rechtfertigen für das, was du tust und was du nicht tust. Für deine Fehler kannst du dich aber gar nicht rechtfertigen, denn du hast ja durch die Gebote Gottes gewusst, was richtig und was falsch ist. Du kennst doch das sechste Gebot „Du sollst nicht ehebrechen“, und  hast deswegen genau gewusst, dass es falsch ist, mit deiner Nachbarin eine Affäre zu haben, obwohl du verheiratet bist. Du hast irgendwann einmal das achte Gebot gelernt: „Du sollst nicht lügen“ und hast doch deine Kollegin am Arbeitsplatz vorsätzlich gemobbt und ihr damit den beruflichen Aufstieg verbaut. Genauso gut kennst du das siebte Gebot: „Du sollst nicht stehlen“, trotzdem fährst du ein Auto, das 15 Liter Benzin auf 100 km verbraucht und stürzt mit vielen anderen zusammen durch deinen gigantischen Energiebedarf anderswo auf der Welt Menschen in Armut. Das weißt du, und tust es trotzdem. Dafür gibt es keine Rechtfertigung. Gott hat uns seine Gebote gegeben und wir übertreten sie häufig. Das sind manchmal keine Kleinigkeiten, manchmal bedroht das den Frieden in einer Region oder in der ganzen Welt.
Also ich kann mich bei Gott nicht entschuldigen, weder mit Hinweis auf meine Unkenntnis dessen, was richtig und falsch ist noch in dem Sinn, dass ich mir selbst meine Schuld vergebe, das kann nur Gott. Und nun kommt das Beste: das will er auch, weil er barmherzig ist, ein großes Herz für mich hat. Paulus: „Denn Gott hat alle in den Ungehorsam eingeschlossen, um allen seine Barmherzigkeit zu erweisen.“ Und seine Barmherzigkeit hat er durch Jesus Christus dokumentiert, wenn wir uns an Christus festhalten, können wir vor Gott bestehen, sagt Paulus, allerdings nur dann.
Ich weiß, das ist keine besonders beliebte Botschaft, und mancher mag fragen: Was soll denn das mit der Barmherzigkeit Gottes? Viel wichtiger ist die Barmherzigkeit unter den Menschen, dass Schwache gestärkt werden und Benachteiligte ihren Platz in unserer Gesellschaft finden. Ich sehe das anders, denn: zum einen ist unser Glaube als Christen und auch der Glaube der Juden deswegen zu einer Religion der Barmherzigkeit geworden, weil wir unseren Glauben auf einen barmherzigen Gott gründen. Hätten wir statt eines barmherzigen Gottes einen Kriegsgott, wären wir erheblich aggressiver zueinander. Natürlich weiß ich von Zeiten, wo der barmherzige Gott zu einem Kriegsgott gemacht worden ist; das hat bekanntlich jedes Mal mit einer Katastrophe geendet und war deswegen ein Irrweg. Unser Gott, den wir durch Jesus Christus kennen gelernt haben, ist ein Gott der Barmherzigkeit, kein Gott, der die Fehler nicht so genau nimmt oder mal ein Auge zudrückt, kein Gott, der uns so annimmt, wie wir sind – wie ich in fast jeder zweiten Predigt zu hören bekomme – sondern der uns durch Jesus Christus annimmt, obwohl wir so sind, wie wir sind. Das ist ein großer Unterschied.  Natürlich sieht er unsere Fehler, unsere fahrlässigen und unsere vorsätzlichen Fehlhandlungen und kommentiert sie auch gelegentlich mehr oder weniger wahrnehmbar, aber er lässt uns an unseren Fehlern nicht scheitern, eben weil er barmherzig ist.
Damit verbunden ist zum anderen sein Anspruch, dass auch wir barmherzig sind, eine Kultur der Barmherzigkeit unter uns lebendig halten. Diese Kultur der Barmherzigkeit werden wir nur aufrechterhalten können, wenn wir uns an dem Gott der Barmherzigkeit festhalten. Wer die Barmherzigkeit Gottes erfahren hat, kann auch zu seinen Mitmenschen barmherzig sein.
Und nun noch einmal die Frage: Sind wir auf die Barmherzigkeit Gottes angewiesen?
Erste Antwort: Ja, weil sie größer ist als unsere Fehler.
Zweite Antwort: Ja, weil unsere Gesellschaft sonst keine menschenwürdige Zukunft hat.
Dritte Antwort: Ja, weil Gott eines Tages meine Lebensbilanz mit mir durchgehen wird und sich dann sehr genau die Spalten unter „Soll“ und unter „Ist“ meiner Lebensbilanz ansehen wird, und weil ich dann nur deswegen mit der Differenz zwischen „Soll“ und „Ist“ zurechtkommen werde, wenn er barmherzig zu mir ist.
Wir sind auf Gottes Barmherzigkeit angewiesen.
Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit.
Ihr Wilhelm Niedernolte, Sup. i. R., Eldagsen

Andacht für die Woche nach dem 28. Juli 2024, dem 9. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Leserin, lieber Leser,
am Freitag wurden die Olympischen Sommerspiele 2024 in Paris eröffnet. Mehr als 10.000 Sportlerinnen und Sportler werden daran teilnehmen und sich in unterschiedlichsten Disziplinen miteinander messen. Es ist ein schöner Zufall – oder vielleicht auch nicht –, dass für diesen Sonntag ein biblischer Text ausgewählt wurde, der von einem Wettkampf handelt. Er stammt aus dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Philippi.

Paulus verwendet in seinen Briefen immer wieder Vergleiche aus dem Sport. Besonders deutlich wird dies in seinem ersten Brief an die Gemeinde in Korinth: „Ihr wisst doch: Im Stadion laufen zwar alle Läufer um die Wette, aber nur einer gewinnt den Siegespreis. Lauft so, dass ihr ihn gewinnt! Alle Wettkämpfer üben in jeder Hinsicht Verzicht. Sie tun es, um einen vergänglichen Siegeskranz zu gewinnen. Aber wir tun es für einen unvergänglichen Siegeskranz. So führt mein Wettlauf nicht ins Ungewisse und meine Fausthiebe gehen nicht in die Luft.“ (1. Kor 9,24-26). Offenbar war Paulus mit den Isthmischen Spielen, benannt nach dem Isthmus von Korinth, vertraut. Ob er selbst bei diesen Spielen zugesehen hat, ist jedoch nicht überliefert.
Kehren wir zurück zum Text aus dem Brief an die Gemeinde in Philippi. Paulus befindet sich in dieser Zeit im Gefängnis und blickt auf sein Leben und Wirken zurück. Er erinnert sich an die Zeit, als er als Saulus die jungen christlichen Gemeinden verfolgte. So schreibt er: 
„Alles, was mir damals als Vorteil erschien, sehe ich jetzt – von Christus her – als Nachteil. Ja wirklich: Ich betrachte es ausnahmslos als Nachteil. Dahinter steht die überwältigende Erkenntnis, dass Jesus Christus mein Herr ist! Verglichen mit ihm ist alles andere wertlos geworden, ja, in meinen Augen ist es nichts als Dreck! Mein Gewinn ist Christus. Zu ihm will ich gehören. Denn ich gelte nicht als gerecht, weil ich das Gesetz befolge, sondern weil ich an Christus glaube. Das ist die Gerechtigkeit, die von Gott kommt und deren Grundlage der Glaube ist. Ich möchte Christus erkennen und die Kraft seiner Auferstehung erfahren. An seinem Leiden möchte ich teilhaben – bis dahin, dass ich ihm im Tod gleich werde. Das alles geschieht in der Hoffnung, auch zur Auferstehung von den Toten zu gelangen. Ich möchte nicht behaupten, dass ich das alles schon erreicht habe oder bereits am Ziel bin. Aber ich laufe auf das Ziel zu, um es zu ergreifen. Denn ich bin ja auch von Christus Jesus ergriffen. Brüder und Schwestern, ich bilde mir wirklich nicht ein, dass ich es schon geschafft habe. Aber ich tue eines: Ich vergesse, was hinter mir liegt. Und ich strecke mich nach dem aus, was vor mir liegt. Ich laufe auf das Ziel zu, um den Siegespreis zu gewinnen: die Teilhabe an der himmlischen Welt, zu der Gott uns durch Christus Jesus berufen hat.“ (Phil 3,4b-14)
Die Parallele zum Sport, zum Wettkampf, steht ganz am Ende des Textes: „Ich vergesse, was hinter mir liegt. Und ich strecke mich nach dem aus, was vor mir liegt. Ich laufe auf das Ziel zu, um den Siegespreis zu gewinnen.“ Das Vergessen dessen, was hinter einer Sportlerin oder einem Sportler liegt, macht die Olympischen Spiele und jeden sportlichen Wettkampf so spannend. Es zählt nicht, was vorher war. Frühere Preise und Auszeichnungen spielen keine Rolle. Entscheidend ist, am Tag des Wettkampfs die Leistung abzurufen, die für einen Sieg nötig ist. Das gilt auch in der Phase der Play-offs bei Meisterschaften. Nach den Vorrunden ist jedes Spiel wie ein Endspiel.

Dass alle Leistungen vor diesen Spielen, vor den Wettkämpfen, nicht zählen, ist bedauerlich. Doch es bietet auch Chancen. Chancen für diejenigen, die sich vorher nicht profilieren konnten. Chancen für Überraschungen und glückliche Geschichten. Wichtig ist, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Wichtig ist, dem (Selbst-)Zweifel entgegenzutreten und die Hoffnung nicht zu verlieren. Das gilt auch für unser Leben im Glauben. Es ist interessant, dass der „alte“ Paulus diesen „Kampf“ immer noch kämpft. Zwar hat er sich von einem Gegner und Verfolger der Christinnen und Christen – von einem Saulus – zu einem Lehrer und Verfechter des Glaubens gewandelt. Er hat sich grundlegend verändert: „Alles, was mir damals als Vorteil erschien, sehe ich jetzt – von Christus her – als Nachteil.“ Er vertraut auf die Gerechtigkeit, die von Gott kommt. Das ist für ihn der Ausgangspunkt seiner Anstrengungen. Doch er ruht sich nicht auf diesem Wissen aus. Paulus schreibt: „Ich möchte Christus erkennen und die Kraft seiner Auferstehung erfahren.“ Und weiter: „Brüder und Schwestern, ich bilde mir wirklich nicht ein, dass ich es schon geschafft habe.“ Paulus ist immer noch unterwegs auf das Ziel hin. So wie wir es sind. Der christliche Glaube kann und soll immer wieder neu entdeckt und erkannt werden. Das kann durchaus zu einem Kampf werden, besonders wenn wir mit unseren Zweifeln „ringen“. Zweifel daran, ob unser Glaube uns trägt. Zweifel, wenn Krankheit, Leid oder der Tod in unser Leben treten. Zweifel, wenn all unsere Bemühungen für andere Menschen und für uns selbst vergeblich scheinen, ja, vergeblich sind. Eine Liebe verblasst, eine Hoffnung wird zerschlagen, ein Traum bleibt unerfüllt. Ein lieber Mensch stirbt, unsere Hoffnung auf Frieden wird begraben. Und es droht, dass wir die Opfer der Kriege, der Kämpfe und der Ungerechtigkeiten aus dem Blick verlieren, weil ihre Zahl immer größer und unüberschaubarer wird.
In solchen Momenten liegt es nah, aufzugeben. Es ist verlockend, die Augen und Ohren zu verschließen. Das ist menschlich. Doch genau dann ist es gut, sich bewusst zu machen, dass wir auf Gott vertrauen können. Wir sind in diesem Wettkampf nicht allein auf uns gestellt. Im gemeinsamen Glaubenslauf sind viele mit uns unterwegs. Manche direkt neben uns, etliche hinter uns und manche vor uns. Viele sehen wir nicht; doch sie sind uns verbunden im Glauben, in der Hoffnung, in der Liebe und im Gebet.
Noch einmal zurück nach Paris. „Ouvrons grand les jeux“ („Öffnen wir die Spiele weit“) ist das Motto dieser Olympischen Spiele. Es ist auch ein Wortspiel mit dem alltäglichen Ausdruck „Ouvrons grand les yeux“ („Öffnen wir die Augen weit“). Das wünsche ich uns allen: Die Augen weit zu öffnen und das Ziel nicht aus dem Blick zu verlieren. Das Ziel, von dem Paulus spricht: die Teilhabe an der himmlischen Welt, zu der Gott uns durch Christus Jesus berufen hat.
Jürgen-Peter Lesch

Andacht zur Epistel aus dem Brief an die Epheser, Kap. 5, 8-14 für den 8. Sonntag nach Trinitatis (21.7.2024) von Sup. i. R. Jürgen Flohr

8. Wandelt als Kinder des Lichts;
9.  die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit.
10. Prüft, was dem Herrn wohlgefällig ist,
11. und habt nicht Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis; deckt sie vielmehr auf.
12. Denn was von ihnen heimlich getan wird, davon auch nur zu reden ist schändlich.
13. Das alles aber wird offenbar, wenn's vom Licht aufgedeckt wird;
14. denn alles, was offenbar wird, das ist Licht. Darum heißt es: Wach auf, der du schläfst, und steh auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten.
 
Liebe Lesende,
 Als „Kinder des Lichts“ sollen wir durchs Leben gehen, schreibt der Verfasser des Epheserbriefs in der 1. Zeile unserer Verse. Aber fühlen wir selber uns denn so erleuchtet und leuchtend wie es diese Verse beschreiben? Manchmal erscheint es uns vielleicht schon so, wenn uns „ein Licht aufgegangen ist“; etwa, weil wir z.B. ein schwieriges Rechenproblem endlich gelöst haben oder wenn wir am Ende doch eingesehen haben, dass das Befolgen der Straßenverkehrsregeln tatsächlich allen Verkehrsteilnehmern dient oder wenn wir gelernt haben, zu glauben und zu verstehen, wieso Jesus Christus „das Licht für die Welt“ ist; denn er hat seinen Zeitgenossen gesagt und gezeigt, wie es mit Gottes Hilfe hell werden kann in ihrem Leben. Und dasselbe können heute auch wir erfahren, wenn  wir ihm glauben und versuchen, seinen Weg in unserem Leben mitzugehen.
 Aber es gibt eben auch Zeiten, in denen wir uns wie im Finstern fühlen und weit weg von jedem Licht. Das gilt etwa, wenn wir eine uns gestellte Aufgabe nicht erfüllen konnten, sei es im Beruf, in der Familie oder gegenüber einem Menschen, der meine Hilfe gebraucht hätte, dem ich aber nicht geholfen habe. Dann fühle ich mich schlecht, als Versager und hilflos, eben wie von Dunkelheit umgeben.     
Doch so muss es nicht bleiben; denn wir sind nie endgültig festgelegt auf das Misslingen, was gestern war. Wir können an jedem neuen Tag neu anfangen, es anders und besser zu versuchen mit dem Rechnen, mit dem Befolgen sinnvoller Regeln nicht nur im Verkehr, sondern auch im Leben, und auch mit dem Glauben an den Vater im Himmel, dessen Liebe Jesus uns gezeigt hat. Wir können es hell werden lassen in unserem Leben, wenn wir es neu versuchen mit dem Vertrauen auf Gott, mit dem Tun des Gerechten und mit der Liebe zur Wahrheit. 
Wir können das Böse meiden im Kleinen wie im Großen, auch wenn uns das manchmal vielleicht schwer fällt. Wir können versuchen, der Liebe Raum zu verschaffen in unserem Leben wie es unsere diesjährige Jahreslosung aus 
1. Korinther 16,14 rät: „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.“ Das ist kein leichter, aber ein guter und hilfreicher Ratschlag. Ihn zu befolgen gelingt uns gewiss nicht immer, aber er zeigt die richtige Richtung an, in der wir gehen können und sollen.
Ich glaube, dass wir oft ziemlich genau wissen, was richtig und was falsch wäre an den Gabelungen unseres Lebensweges und auch bei kleineren Entscheidungen im Alltag, was eben der Liebe dient und was nicht. Doch wir wählen zuweilen nicht den richtigen, sondern den falschen Weg, weil er uns einfacher, bequemer oder angenehmer erscheint. Jener falsche Weg aber führt am Ende in die Irre und ins Dunkel. 
 Also sollten wir jene falschen Wege meiden und besser dem richtigen Weg folgen, dem Weg der Liebe und des Lichts, den uns Christus zeigt, - auch dann, wenn dieser Weg uns am Anfang womöglich schwieriger und unbequemer vorkommt. Am Ende aber führt er ins Licht und macht froh.
Was der Verfasser des Epheserbriefs uns hier vorstellt und anrät, fordert eine Entscheidung und vielleicht auch eine Neuausrichtung unserer Lebensgestaltung, - hin zum Licht, das von Gott und von Christus ausgeht und weg vom Dunkel, weg von den „unfruchtbaren Werken der Finsternis“, weg vom Bösen, das uns in die Irre und ins Verderben führt. Von diesem todesähnlichen Schlaf der Gottesferne, von dem in Vers 14 die Rede ist, sollen wir aufwachen und sollen unseren Weg von Christus erhellen lassen; und dann sollen Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit aufscheinen in unserem Leben. 
Wäre es nicht den Versuch wert, dass wir uns auf die Aufforderung des Apostels neu einlassen oder den bereits eingeschlagenen Weg im Licht Jesu Christi fortsetzen? Die Chancen auf gute Erfahrungen sind groß. 
 Jürgen Flohr

Andacht für die Woche vom 14. bis 20. Juli 2024 über die Epistel für den 7. Sonntag nach Trinitatis Apg. 2, 42 - 47

„Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet. … Alle aber, die gläubig geworden waren, waren beieinander und hatten alle Dinge gemeinsam. Sie verkauften Güter und Habe und teilten sie aus unter alle, je nachdem es einer nötig hatte. Und sie waren täglich einmütig beieinander im Tempel und brachen das Brot hier und dort in den Häusern, hielten die Mahlzeiten mit Freude und lauterem Herzen und lobten Gott und fanden Wohlwollen beim ganzen Volk. Der Herr aber fügte täglich zur Gemeinde hinzu, die gerettet wurden.“
Beneidenswert, was Lukas in seiner Apostelgeschichte über die Anfänge der Christenheit zu berichten weiß. Eintracht, Harmonie, Gemeinschaft, Fürsorge – das waren die prägenden Kennzeichen der ersten christlichen Gemeinde in Jerusalem. Täglich waren sie einmütig beieinander: im Tempel zu Gottesdienst und Gebet, in ihren Häusern zu gemeinsamen Mahlfeiern und glaubensstärkender Gemeinschaft. Aber es war nicht bloß ein frommer Gebetsverein, sondern man erkannte auch die soziale Verantwortung füreinander. Wenn jemand in Not war, legten die anderen zusammen und teilten, was sie hatten, unter die Armen. Kurzum, es war ein enges und verbindliches Miteinander. Kein Wunder, dass sie, wie Lukas berichtet, beim ganzen Volk beliebt waren. Täglich kamen neue Menschen hinzu. Diese Gemeinschaft strahlte etwas aus, sie war lebendig, attraktiv und überzeugend.
Beneidenswert! Heute, so scheint es, bietet die Kirche ein ganz anderes Bild. Statt eines täglichen Zulaufs verzeichnen wir Jahr für Jahr erhebliche Verluste. Kirche hat für viele Menschen keine Bedeutung mehr. Nicht zuletzt aufgrund der unsäglichen Missbrauchsfälle kehren ihr viele aus Enttäuschung und Verärgerung den Rücken.
Das war am Anfang offenbar ganz anders. Freilich wissen wir durch die Briefe des Apostels Paulus, dass es in den Gemeinden durchaus nicht immer so harmonisch zuging, wie Lukas es hier schildert. Dennoch entnehme ich seinem Bericht zwei Hinweise, die mir auch für unsere Zeit wichtig zu sein scheinen: Eine lebendige, überzeugende Kirche zeigt sich in der Treue zum Gottesdienst und in der Verantwortung füreinander.
Einen täglichen Gottesdienst, wie damals, kriegen wir heute nicht mehr hin. Aber muss es so bleiben, dass die Treue zum Gottesdienst auch unter uns Christen so stark nachgelassen hat? Der Gottesdienst ist ja weder eine religiöse Pflichtübung noch eine überflüssige Veranstaltung. Vielmehr ist er eine heilsame Unterbrechung des Alltags. Wenn wir meinen, darauf verzichten zu können, täuschen wir uns. Wer nicht untergehen will in den täglichen Aufgaben und Ablenkungen, wer sich nicht abhängig machen will von den jeweiligen Trends und Meinungen, der braucht die Ausrichtung auf Gottes Wort, also auf das, was bleibt und Bestand hat und was uns stärkt und tröstet.
Und das zweite Kennzeichen einer überzeugenden Kirche ist die Verantwortung füreinander. Man hat diese Bibelstelle gelegentlich als „urchristlichen Kommunismus“ interpretiert: Privateigentum gibt es nicht mehr, aller Besitz soll dem Wohl aller dienen. Doch die ersten Christen strebten nicht eine gesellschaftspolitische Veränderung an. Was ihnen aber am Herzen lag, war die praktizierte Nächstenliebe und die Verantwortung und Fürsorge für die, die Hilfe brauchen. „Je nachdem es einer nötig hatte“, legten sie zusammen und teilten aus. Niemand sollte von einer ausreichenden Versorgung ausgeschlossen sein. Eine Praxis, die damals neu war und die den christlichen Gemeinden viel Sympathien eingebracht hat. Bis heute ist die Diakonie, der Dienst am Nächsten, ein zentrales Kennzeichen der Kirche und unser aller Aufgabe.
Treue zum Gottesdienst und Verantwortung füreinander – die Sonntagsepistel gibt uns, trotz ihrer etwas schöngefärbten Schilderung, gute Impulse für unser Christsein heute.
Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag und eine gute neue Woche.
Ihr Christian Klatt

Andacht für die Woche nach dem 30. Juni 2024, dem 5. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Leserin, lieber Leser,

von einem „Skandal“ spricht Paulus im Zusammenhang mit seiner Rede von der Guten Nachricht, dem Evangelium von Jesus Christus. Mit „Skandalon“ – das griechische Wort übersetzen wir oft mit Ärgernis oder Anstoß im Sinn von „Anstoß erregen“ – bezeichnet Paulus das Kreuz Christi. Wobei hier nicht die Verurteilung von Jesus und seine Hinrichtung am Kreuz gemeint ist. Paulus spricht über die Menschen, die nicht zu einer christlichen Gemeinde gehören. Für sie – für Juden wie für alle Völker – ist es ein Skandal, dass ein verurteilter und hingerichteter Mensch namens Jesus als Sohn Gottes und Messias verehrt wird. 
Diese Feststellung steht zusammen mit Gedanken über Dummheit und Weisheit, über Schwäche und Stärke im ersten Brief des Paulus an die Gemeinde in Korinth im 1. Kapitel. 

„Die Botschaft vom Kreuz erscheint denen, die verloren gehen, als eine Dummheit. Aber wir, die gerettet werden, erfahren sie als Kraft Gottes.
Denn in der Heiligen Schrift steht: »Ich will die Weisheit der Weisen auslöschen und von der Klugheit der Klugen nichts übrig lassen.«
Wo sind jetzt die Weisen, wo die Schriftgelehrten, wo die wortgewaltigen Redner unserer Zeit? Hat nicht Gott die Weisheit dieser Welt als Dummheit entlarvt?
Die Weisheit Gottes zeigt sich in dieser Welt. Aber die Welt hat ihn mit ihrer Weisheit nicht erkannt. Deshalb hat Gott beschlossen, durch die Torheit der Botschaft alle Glaubenden zu retten.
Die Juden wollen Zeichen sehen. Die Griechen suchen nach Weisheit.
Wir dagegen verkünden Christus, den Gekreuzigten: Das erregt bei den Juden Anstoß und für die anderen Völker ist es reine Dummheit.
Christus ist Gottes Kraft und Gottes Weisheit. Das verkünden wir allen, die berufen sind – Juden wie Griechen.
Denn was an Gott als dumm erscheint, ist weiser als die Menschen. Und was an Gott schwach erscheint, ist stärker als die Menschen.“

1. Korintherbrief, Kap 1,18-25

Paulus richtet seinen Brief an die Mitglieder der christlichen Gemeinde in Korinth. In dieser jungen Gemeinde gibt es ganz unterschiedliche Strömungen. Denn das Evangelium von Jesus Christus haben ihnen verschiedene Menschen verkündet. Es haben sich so einzelne Gruppen gebildet, die sich auf diese Prediger berufen. 

Paulus will diese Gruppen zusammenführen, indem er alle an das entscheidende Geschehen des Glaubens erinnert: Am Anfang der Botschaft von Jesus Christus steht seine Hinrichtung am Kreuz. Das, sagt Paulus, widerspricht all dem, was Menschen von einem Messias, einem König, einem Religionsstifter und -führer erwarten. 

Dieser Text ist so wichtig – und war für Martin Luther eine Grundlage seiner Lehre - , dass die Abhandlungen über ihn Bücherregale ohne Ende füllen. Damit kann ich es nicht aufnehmen. Daher greife ich einen Aspekt heraus, der mir wichtig geworden ist. Paulus fragt: „Hat nicht Gott die Weisheit dieser Welt als Dummheit (oder Torheit) entlarvt?“ Paulus fordert dazu auf, nicht danach zu handeln, was allgemein als klug oder weise bezeichnet wird. Er fordert dazu auf, unsere Wertbestimmungen zu überprüfen und in Frage zu stellen. Wir neigen dazu, unsere Maßstäbe an andere Menschen anzulegen; Kriterien, nach denen wir unser Leben als gelungen oder auch als misslungen bewerten. Unsere Klugheit fragt nach Effektivität. Sie fragt danach, ob sich unser Einsatz lohnt. So zu denken, ist in bestimmten Bereichen unseres Lebens sicher hilfreich. Doch im Leben der Menschen und in ihrem Zusammenleben gibt es noch andere Maßstäbe. Unsere „Weisheit“ bringt uns in die Gefahr, das zu übersehen, was sich nicht messen, quantifizieren oder optimieren lässt. Dabei können wir aus den Augen verlieren, was das Leben, was unsere Leben wertvoll macht und ihm einen Sinn gibt. Ich denke an die Menschen, die wir aus den Augen verlieren, weil sie in unserer durchorganisierten und auf Effizienz getrimmten Welt keine Stimme haben. Menschen , die schlicht das tun, was notwendig ist – ohne Aufhebens und ohne Klage. Da ist die Mutter, deren dreißigjährige behinderte Tochter an Krebs gestorben ist. Die zweite Tochter hat ihr Studium nicht abgeschlossen, ist abhängig geworden und fristet ein Dasein ohne Perspektiven. Dazu kommt: Diese Mutter wurde von ihrem Mann verachtet. Sie war eben ein schlichtes Gemüt, stand nicht auf seiner Stufe. Doch diese Frau hat sich nach ihren Kräften um andere bemüht – nicht nur um ihre beiden Töchter. Sie war für andere Menschen da, hat Anteil an ihren Schicksalen genommen, hat kleine Geschenke angefertigt. Ein schlichtes Gemüt, ein schlichtes Leben. Nicht mehr und nicht weniger. 

„Hat nicht Gott die Weisheit dieser Welt als Dummheit (oder Torheit) entlarvt?“ ist für mich eine Aufforderung, unsere Maßstäbe zu überprüfen. Das kritisch zu sehen, was uns als der Weisheit letzter Schluss angeboten wird. Dann können wir uns auf die Suche machen nach dem, was im Leben wirklich zählt. Was unser Leben ausmacht. Was wir brauchen, um das Leben auf unserer Erde lebenswert zu gestalten.

Die Botschaft vom Kreuz Jesu legt offen, was unsere Werte sind und was unsere Werte sein könnten und sollten. Es nimmt uns die scheinbare Sicherheit, fordert uns auf, letzten Endes nicht uns, sondern Gott zu vertrauen. Gott, der in Jesus Mensch geworden, gestorben und auferstanden ist, damit wir leben.

Es grüßt Sie herzlich
Jürgen-Peter Lesch 

Andacht zur Epistel aus Römer 12, 17-21 für den 4. Sonntag nach Trinitatis am 23.6.2024 von Sup. i. R. Jürgen Flohr

17  Vergeltet niemandem Böses mit Bösem.
   Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann.
18  Ist's möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.
19  Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes;
denn es steht geschrieben: 
   „Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.“
20  Vielmehr, „wenn deinen Feind hungert, so gib ihm zu essen; 
   dürstet ihn, so gib ihm zu trinken. 
Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln.“
21  Lass dich nicht vom Bösen überwinden,
   sondern überwinde das Böse mit Gutem.
 
Liebe Lesende,
 
wenn wir das so lesen, was Paulus hier schreibt, werden wir wohl sagen: Er hat recht!
der Apostel, aber seine Ratschläge sind schwer zu befolgen; manches davon erscheint
uns fast unmöglich im praktischen Leben umsetzbar zu sein.
     Wie und wo erleben wir den Umgang mit dem Bösen, der Rache, der Feindschaft hier und anderswo?
 
     Zum Thema „Vergeltung“ z.B. sagt der Volksmund: „Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil!“ oder: „wie du mir, so ich dir!“ 
     Und so verhalten die meisten Menschen sich dann ja auch, indem sie auf eine unfreundliche Anrede ein mindestens ebenso unfreundliche Antwort geben.
Oder machen Sie andere Erfahrungen?  Dass etwa 2 Autofahrer, die aneinander gefahren sind, sich nicht gegenseitig beschimpfen, sondern Verständnis zeigen und eine Verständigung suchen?  Doch, das gibt es schon, und das wäre doch der bessere Weg als aufeinander loszugehen!
 
Und dann rät Paulus dazu, wir sollen, soweit es an uns liegt, Frieden halten mit allen Menschen, und sollen die Rache für erlittenes Unrecht Gott überlassen.
     Aber liegt es nicht in der Natur des Menschen, dass er sich wehrt, wenn er angegriffen wird und dass er zurückschlägt, wenn er geschlagen wird? Doch, das ist wohl so; aber wir wissen auch, welche verheerenden Auswirkungen etwa die sogenannte Blutrache in gewissen Landstrichen hat, wo manche Großfamilien sich gegenseitig ausgerottet haben im Namen dieser Blut-Rache.
     Deshalb muss solch ein Teufelskreis der Rache unterbrochen werden durch Menschen, die einen Ausgleich suchen; und darum sollten Christen sich bemühen.
 
In Vers 20 dann fordert der Apostel von seinen römischen Mitchristen, sie sollen einem Feind zu essen und zu trinken geben, sollen ihn also am Leben erhalten anstatt ihn zu bekämpfen und zu vernichten. Paulus nimmt damit die Forderung Jesu auf, dass wir auch unsere Feinde lieben sollen. Das ist eine große Zumutung, und viele Menschen werden ihr widersprechen; - zumal, wenn es um eine Feindschaft zwischen Völkern geht wie zur Zeit gerade zwischen Russen und Ukrainern.
     Im persönlichen zwischenmenschlichen Bereich treffen wir seltener auf wirkliche Feindschaft. Wenn sie dort aber auftritt, sei es z.B. zwischen verfeindeten Nachbarn oder beruflichen Konkurrenten, dann kann ich mir schon vorstellen, dass man bei gutem Willen und ernsthaftem Bemühen um ein Ende solcher persönlichen Feindschaft einen Weg zur Verständigung der Kontrahenten suchen und finden kann auch wenn dies schwer fällt. 
 
Der letzte Vers unseres Briefabschnitts, Vers 21, fasst das Anliegen des Paulus in einem abschließenden Satz zusammen: „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“
Es geht hier um den Kampf  zwischen dem Guten und dem Bösen, die beide fast wie personifizierte Mächte angesprochen werden. Und wir als Leser werden aufgefordert, uns für eine der beiden Mächte zu entscheiden, nämlich für das Gute. Daher sollen wir uns nicht dem Bösen ergeben und uns nicht von ihm gefangen nehmen lassen, sondern uns auf die Seite des Guten stellen und mit seiner Hilfe das Böse überwinden. Dieser Kampf zwischen Gut und Böse ist in großen Dichtungen dramatisch geschildert worden; er kommt aber auch in unserem alltäglichen Leben vor, etwa bei der Entscheidung, ob ich einen mir unsympathischen Kollegen beim Chef anschwärze, oder ob ich den Kollegen trotz meiner Antipathie freundlich und fair zu behandeln versuche. Oder im politischen Bereich stellte sich vor ca. 100 Jahren in Deutschland die Frage, ob sich unsere Vorfahren einer erst später offensichtlich verbrecherischen Organisation wie der NSDAP anschließen sollten oder besser nicht, wenn sie eben nicht dem Bösen dienen wollten.
     Es ist eben leider nicht immer sogleich ersichtlich, was dem Bösen  und was dem Guten dient. Es hilft aber bei dieser Unterscheidung, sich an den 10 Geboten der Bibel zu orientieren sowie an der biblischen Regel „du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“.
 
Normalerweise leben wir ja im Alltag nach allgemeinen Regeln des menschlichen Miteinanders und versuchen, freundlich und friedlich miteinander auszukommen; und das gelingt ja zumeist auch ganz gut. Ab und zu aber gibt es Entscheidungssituationen, in denen wir uns fragen sollten, ob es mehr dem Guten oder dem Bösen dient, wenn wir z.B. einer bestimmten politischen Partei beitreten, einen problematischen beruflichen Auftrag übernehmen oder uns auf eine enge menschliche Beziehung einlassen.
     Nicht immer ist das Angenehme auch das Gute, und manchmal tarnt sich das Böse auch durch ein glänzendes Äußeres.  Unser Maßstab als Christinnen und Christen sind Jesu Leben und seine Botschaft; und im  Geiste Jesu Christi wollen wir versuchen, das Böse, wo es uns begegnet, mit Gutem zu überwinden.
 
Jürgen Flohr

Andacht für die Woche vom 16. bis 22. Juni 2024 über die Epistel für den 3. Sonntag nach Trinitatis 1. Tim. 1, 12 – 17

„Christus Jesus ist in die Welt gekommen, die Sünder selig zu machen.“ Das ist der Kernsatz der Epistel für den 3. Sonntag nach Trinitatis. Ein Kernsatz, oder wie es in der Lutherübersetzung unmittelbar zuvor heißt: „ein teuer wertes Wort“, das „gewisslich wahr“ ist. Christus macht die Sünder selig, er schenkt ihnen Gnade und Vergebung. Der Verfasser der Timotheusbriefe hebt die Bedeutung dieser zentralen Botschaft des christlichen Glaubens am Beispiel des Apostels Paulus hervor. In der Ich-Form schreibt er, dass Paulus als erster diese Rettung erfahren hat, und zwar bei seinem Bekehrungserlebnis vor Damaskus. Zuvor hatte Paulus die Christen verfolgt – im Text der Epistel wird er im Rückblick als ein „Lästerer, Verfolger und Frevler“ beschrieben  –, doch dann ist ihm „Barmherzigkeit widerfahren“, indem der auferstandene Christus ihm erschienen ist und ihn zum Apostel berufen hat. Dieses Damaskus-Erlebnis hat Paulus selbst als den entscheidenden Wendepunkt seines Lebens gesehen. Im 1. Korintherbrief (15, 9+10) schreibt er: „Ich bin nicht wert, dass ich ein Apostel heiße, weil ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe. Aber durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin.“
 
Was Paulus erlebt hat, wird nun durch die Sonntagsepistel uns allen zugesagt. „Christus Jesus ist in die Welt gekommen, die Sünder selig zu machen.“ Dieser Satz ist uns Christenmenschen mit seiner Aussage wohlvertraut. Aber ich könnte mir vorstellen, dass er auch Fragen und Stirnrunzeln hervorruft. Zur Zeit sind die Nachrichten mal wieder voll von bösen Taten und gefährlichen Entwicklungen: Ein Polizist wird niedergestochen, ein Kind wird getötet, sogenannte „Reichsbürger“ planen einen Umsturz des Staates, islamistische oder rechtsradikale Gruppen verbreiten Hass und Hetzerei, ganz zu schweigen von Krieg und Gewalt in vielen Teilen der Welt. Ja, viele „Sünder“ treiben ihr Unwesen. Da sind doch nicht Gnade und Barmherzigkeit das Gebot der Stunde, sondern da muss der Rechtsstaat mit Entschlossenheit und notfalls mit der Härte des Gesetzes eingreifen.
 
Aber dennoch darf bei allem Kampf gegen das Böse der Geist der Barmherzigkeit nicht verlorengehen. Das gilt für die politischen Auseinandersetzungen und für das staatliche Handeln. Es gilt aber auch für unser persönliches Verhalten im Umgang mit unseren Mitmenschen. Bei allem Streit und bei allem Kampf gegen das Unrecht: Niemand „ist des Teufels“, auch wenn es oft so scheint. Sondern wir alle sind Geschöpfe unseres Vaters im Himmel, und niemand ist von Artikel 1 des Grundgesetzes ausgeschlossen: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Und wer weiß: Vielleicht werden auch wir einmal dankbar sein, dass wir nicht vor einem unnachgiebigen Richter, sondern vor einem gnädigen Gott Rechenschaft über unser Leben ablegen müssen.
 
 „Christus Jesus ist in die Welt gekommen, die Sünder selig zu machen.“ In diesem Sinne und mit dieser Absicht hat Jesus gelebt, gepredigt und gehandelt, und so ist er auch gestorben. „Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun“, war eins seiner letzten Worte am Kreuz. Durch ihn ist in unserer zerstrittenen, verrückten Welt „die Gnade unseres Herrn reicher geworden“, wie es in der Sonntagsepistel heißt. So wollen wir im Vertrauen auf ihn trotz aller schlimmen Erfahrungen und Nachrichten den Geist der Barmherzigkeit bewahren und selber in diesem Geiste leben und handeln.
 
Mit Segenswünschen für die neue Woche,
Ihr Christian Klatt

Andacht für die Woche nach dem 2. Sonntag nach Trinitatis am 9. Juni 2024 zu Epheser 2, 17-22

Und Christus ist gekommen und hat im Evangelium Frieden verkündigt euch, die ihr fern wart, und Frieden denen, die nahe waren. Denn durch ihn haben wir alle beide in einem Geist den Zugang zum Vater. So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen, erbaut auf den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist, auf welchem der ganze Bau ineinandergefügt wächst zu einem heiligen Tempel in dem Herrn. Durch ihn werdet auch ihr mit erbaut zu einer Wohnung Gottes im Geist.
 Epheser 2, 17-22 (Epistel und Predigttext für den Sonntag)

Liebe Leserin, lieber Leser, 
Christus ist gekommen und hat das Evangelium vom Frieden verkündigt. Er hat das Evangelium euch gebracht, die ihr schon immer zur Kirchengemeinde gehört habt, aber auch denen, die erst spät zu euch gestoßen sind.
Was waren das für Menschen in Ephesus? Da gab es Christen, die waren vor ihrer Taufe Juden gewesen, genauso wie Jesus Zeit seines Lebens Jude war. Sie kannten Moses und die Propheten und die 10 Gebote.  Sie hielten die Reinheitsgebote, kochten koscher nach jüdischer Vorschrift und feierten den Sabbat, so wie sie es von Kindesbeinen an gelernt hatten. Sie waren zwar Christen, lebten aber jüdisch und meinten, das Christentum ist eine Variante des Judentums. Sie waren nahe dran, nahe an Jesus. Und dann gab es die anderen, die Heiden, die vor ihrer Taufe auch irgendwie religiös waren mit Hausgöttern und Tempeln für große und kleine Götter, aber keine Ahnung hatten von jüdischen Sitten und Gebräuchen, sich weder um koscheres Essen kümmerten noch um die Reinheitsgesetze. Das waren die Fernen. Und die trafen nun in den Kirchengemeinden aufeinander, die über lange Jahre geprägten Christen und die ganz neuen Christen.
Passiert das auch heute unter uns Christinnen und Christen? Wie ist das in unseren Gottesdiensten? Denen, die nahe dran sind, schon lange dabei sind, zu denen ich mich auch zähle, ist der traditionelle Gottesdienst lieb und wert. Da weiß ich, was ich habe, die Liturgie ist mir vertraut, sodass es keine unliebsamen Überraschungen gibt, wir singen Lieder, die sich seit Jahrhunderten bewährt haben, häufig höre ich auch eine  Predigt, die mich anspricht. Herz, was willst du mehr?! Ganz anders geht es oft denen, die nicht so nah dran sind, die nicht mit dem Gottesdienst aufgewachsen sind, die vielleicht erst als Erwachsenen dazu gekommen sind. Da höre ich Stimmen, die sagen: Meine Güte, ist der Gottesdienst langweilig! Man singt da ausländisch, und diese altmodischen Lieder hält ja keiner aus, und die Bibeltexte versteht nicht mal der Pastor. Das müsste alles viel flotter sein, mehr Bewegung, mehr Schwung, fetzige Lieder, und nicht so eine lange Predigt, höchstens 5 Minuten wie das Wort zum Sonntag im Fernsehen.
So unterschiedlich kann es in einer Gemeinde zugehen, so wie in Ephesus. Wie soll man damit umgehen? Mal einen traditionellen, mal einen modernen Gottesdienst feiern. Was rät Paulus? Er sagt: Entscheidend sind nicht eure Unterschiede, eure Nähe oder Distanz zur Tradition, entscheidend ist Christus und eure Nähe oder Distanz zu Christus. Christus ist  gekommen und hat das Evangelium vom Frieden verkündigt. Er hat das Evangelium euch gebracht, die ihr schon immer zur Kirchengemeinde gehört habt, aber auch denen, die erst spät zu euch gestoßen sind. Deswegen sind eure Unterschiede in eurer Prägung zweitrangig. Eure Unterschiede sind ein zu lösendes Problem. Das Evangelium gilt beiden Seiten.
Weiter: Deswegen haben beide Seiten durch Christus Verbindung, Zugang zu Gott. Deswegen seid ihr Fernen, die ihr nicht so vertraut seid mit der Kirche, mit ihrer Tradition und mit ihrer Liturgie und die ihr manchmal unter der Distanz leidet, deswegen, wegen Christus seid ihr keine Fremden in der Kirchengemeinde und seid nicht nur gastweise dabei, sondern ihr seid gleichberechtigte Mitbewohner der alt gedienten und bewährten Christen. Ihr seid gleichberechtigte Mitbewohner im Hause Gottes. Deswegen dürft ihr, ohne euch zu schämen, sagen, dass ihr die Gottesdienste langweilig findet und dürft andere Gottesdienste feiern, die euch mehr zusagen. Ihr dürft aber auch, ohne euch zu schämen, sagen, dass ihr die traditionellen Gottesdienste gut findet. Entscheidend für eure Gemeinden ist etwas anderes:  nämlich dass eure Gemeinde auf der Grundlage der Apostel und Propheten gebaut wird, auf dem Zeugnis des Alten Testaments (Propheten) und auf den Zeugnis des Neues Testaments (Apostel). Entscheidend ist weiter, dass Christus die Kirche zusammenhält wie der oberste Stein in  einem Kirchengewölbe, der verhindert, dass der ganze Bau, die ganze Gemeinde in sich zusammenfällt. Darum, ob ihre nun nahe dran seid oder eher distanziert, ob ihr Fremde seid oder alt Eingesessene, Christus braucht euch alle, damit er bei euch wohnen kann.
Liebe Gemeinde, es gibt heute viele Kirchenmitglieder, die eine Mischung aus Nähe und Distanz zu ihrer Kirche empfinden. Sie machen nur selten von den kirchlichen Angeboten Gebrauch, lassen aber ihre Kinder taufen und konfirmieren. Sie sind vielleicht sogar aus der Kirche ausgetreten, gehen aber Heilig Abend zum Gottesdienst und spenden für Brot für die Welt, sie halten von ihrem Pastor überhaupt nichts, machen aber mit in einer Bürgerinitiative zum Erhalt der Barockkirche in ihrer Nachbarschaft.  Aber geht denn das? Kann man auf Dauer in der Distanz bleiben zur Kirche, zum Evangelium, zu Gott? Muss man sich nicht irgendwann entscheiden, ob man richtig mitmachen will oder gar nicht? Unser Predigttext rechnet damit, dass es Christen in der Distanz gibt: Christus hat das Evangelium den Nahen und den Fernen gebracht. Auch die Fernen sind die Adressaten Christi. Auch sie können sich in Beziehung setzen zu Christus und tun das auch.
In einem neueren  Lied in unserem Gesangbuch wird die Gemeinde der Christen mit einem Schiff verglichen: Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt, fährt durch das Meer der Zeit. Auf einem Schiff bewegen sich ganz unterschiedliche Menschen. Da gibt es Passagiere, die haben viel Geld für ihre Reise bezahlt und erwarten eine entsprechende Gegenleistung. Dann gibt es die Mannschaft, den Kapitän, den 1., 2. Steuermann, den Maschinisten, den Koch und den Schiffsjungen und die Bedienung. Sie alle leben von dem Schiff und auf dem Schiff und haben ein ganz anderes Verhältnis zu ihrem Schiff  als die Passagiere, die nur eine begrenzte Zeit mitfahren. Dann gibt es noch die blinden Passagiere, die man gar nicht sieht, weil sie sich versteckt haben. Sie alle fahren mehr oder weniger gern mit, in mehr oder weniger gutem Wetter, in mehr oder weniger rauer See, in mehr oder weniger guter Laune. Aber für alle Passagiere des Schiffs und für alle Passagiere des Kirchenschiffs gilt in gleicher Weise der Kehrreim des Liedes: Bleibe bei uns Herr, denn sonst sind wir allein auf der Fahrt durch das Meer, o bleibe bei uns Herr.
Dafür zu sorgen, dass die Passagiere des Kirchenschiffs alle nach unserem Geschmack sind, ist nicht unsere Aufgabe, aber dass Christus mit an Bord ist, dass unser Tempel eine Wohnung Gottes ist, dafür haben wir sehr wohl zu sorgen, als Nahe oder als Ferne, als Distanzierte oder als Kerngemeinde. Konzentrieren wir uns also auf das Wesentliche.
 Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Zeit.
Wilhelm Niedernolte, Superintendent i.R., Eldagsen

Andacht für die Woche nach dem 1. Sonntag nach Trinitatis

"In der Liebe gibt es keine Furcht!"

Liebe Leserin, lieber Leser,

es gibt in der Bibel wunderbare Texte über die Liebe. Angefangen vom „Hohelied Salomos“ bis zum „Hohelied der Liebe“ im 1. Korintherbrief. Das schließt mit den Worten: „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen“ (1. Kor 13,13). 

Glaube und Liebe stehen hier nebeneinander. In der Epistel für den 1. Sonntag nach Trinitatis geht es darum, wie beides aufeinander bezogen ist und zusammengehört. Sie steht im ersten Brief des Johannes im 4. Kapitel:

„Wenn jemand bekennt: »Jesus ist der Sohn Gottes!«,
ist Gott mit ihm verbunden, 
und er bleibt mit Gott verbunden. 
Wir haben erkannt, dass Gott uns liebt, 
und haben diese Liebe im Glauben angenommen.
Gott ist Liebe.
Und wer in der Liebe lebt, ist mit Gott verbunden,
und Gott ist mit ihm verbunden.
Darin hat die Liebe bei uns ihr Ziel erreicht:
Am Tag des Gerichts werden wir voller Zuversicht sein. 
Denn wie Jesus Christus mit dem Vater verbunden ist,
so sind es auch wir in dieser Welt.
In der Liebe gibt es keine Furcht,
sondern die vollkommene Liebe vertreibt die Furcht.
Denn die Furcht rechnet mit Strafe.
Bei dem, der sich fürchtet,
hat die Liebe ihr Ziel noch nicht erreicht.
Wir lieben, weil er uns zuerst geliebt hat.
Wer behauptet: »Ich liebe Gott!«,
aber seinen Bruder und seine Schwester hasst,
ist ein Lügner.
Denn wer seine Geschwister nicht liebt, die er sieht,
kann Gott nicht lieben, den er nicht sieht.
Dieses Gebot hat uns Gott gegeben:
Wer ihn liebt, soll auch seine Geschwister lieben.“

1. Johannesbrief 4,15-21 – BasisBibel 2021

„Gott ist Liebe“ schreibt der Verfasser des ersten Johannesbriefes. Damit fokussiert er die Botschaft, die Jesus Christus in den Evangelien verkündet, wie in einem Brennglas. Von diesem Kern der Botschaft aus entfaltet er seine Gedanken über die Liebe Gottes. Er schreibt an junge christliche Gemeinden. Die stehen oft ebenso wie jüdische Gemeinden im römischen Reich unter der Beobachtung staatlicher Stellen. Es droht die Gefahr, dass zumindest gegen einzelne Gemeindemitglieder Anklage erhoben wird. Das kann geschehen, wenn sie nicht wie vorgeschrieben dem Kaiser huldigen. So gibt es Gemeindemitglieder, die gern dazu gehören wollen, aber lieber nicht offen darüber reden. 

Heute müssen Menschen bei uns keine Angst haben, als Christinnen und Christen erkannt zu werden. Doch von sich aus sagen, dass ich Christ bin, dass ich häufig oder gelegentlich zum Gottesdienst gehe, dass ich mich in einer christlichen Gemeinde engagiere – das ist keineswegs selbstverständlich. Dabei ist es nicht Furcht, die uns davon abhält, über unseren Glauben zu sprechen. Es sind wohl eher Unsicherheit oder Befangenheit oder auch – angesichts der Missbrauchsfälle und ihrer Vertuschung in den Kirchen – Schuldgefühle, die zu Fragen führen wie: Kann ich mit diesen Menschen über meinen Glauben sprechen? Ist das der richtige Ort und die richtige Zeit, religiöse Überzeugungen zu äußern? 

Der Verfasser des ersten Johannesbriefes macht jenen Mut, die Angst haben, sich offen zu Jesus Christus zu bekennen. Er schreibt: „Wenn jemand bekennt: ‚Jesus ist der Sohn Gottes!‘, ist Gott mit ihm verbunden, und er bleibt mit Gott verbunden“. Den Glauben bekennen, sich hineinnehmen lassen in die Botschaft von Jesus Christus und damit in die Liebe Gottes – das ist die Grundlage. Es geht darum, die gute Botschaft von Jesus Christus zu hören, sie in sich aufzunehmen und von ihr zu erzählen. Johannes wirbt dafür, sich in die Liebe Gottes hineinnehmen zu lassen. Diese Liebe ist ein Geschenk. Geschenke kann man annehmen. Man kann sie auch zurückweisen. Niemand ist gezwungen, sich auf die Liebe Gottes einzulassen. Sie ist und bleibt ganz unabhängig davon, ob wir sie wahrnehmen oder nicht.

Und die Liebe Gottes trägt eine Verheißung in sich: „In der Liebe gibt es keine Furcht, sondern die vollkommene Liebe vertreibt die Furcht“. Mehr noch: Das Ziel der Liebe ist, uns von der Furcht zu befreien. Das ist eine wunderbare Botschaft in einer Zeit, in der jeden Tag vor irgendeiner negativen Entwicklung, vor möglichen Verlusten und immer anderen Einschränkungen gewarnt wird. Furcht lähmt. Furcht macht mutlos. Furcht macht fantasie- und hoffnungslos. Und ja, jahrhundertelang haben christliche Kirchen einen Auftrag darin gesehen, den Gläubigen im wahrsten Sinn „die Hölle heißzumachen“. Das war falsch.

Aber es gibt doch Gebote, wird dann vielleicht eingewandt. Es gibt sie im Judentum wie im Christentum – und im Islam. Doch wenn man genauer hinschaut, lassen sich die Gebote auch als Weisungen verstehen. Nicht als Anweisungen, sondern als Hinweise. Hinweise wie: „Schaut her, so kann es gehen. So kann ein Zusammenleben der Menschen gelingen. Strebt nach Gerechtigkeit, strebt nach Frieden, strebt danach, die Schöpfung zu bewahren und die Schäden zu heilen!“ Das alles wird getragen vom Glauben daran und vom Vertrauen darauf, dass Gott seine Schöpfung liebt, dass Gott uns Menschen liebt.
Am Ende des Textes steht dann doch eine Weisung, ein Gebot. In ihr fasst der erste Johannesbrief die beiden Gebote zusammen, die wir aus den Evangelien kennen: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen, mit deiner ganzen Seele, mit deinem ganzen Denken und mit deiner ganzen Kraft. Und als Zweites kommt dieses dazu: Liebe deinen Mitmenschen wie dich selbst“, so heißt es dort. In einem Satz zusammengefasst steht hier: „Dieses Gebot hat uns Gott gegeben: Wer ihn liebt, soll auch seine Geschwister lieben.“

Lassen Sie uns das versuchen, liebe Leserin und lieber Leser. Dabei können wir die Furcht hinter uns lassen, dass wir versagen können. Unser Versagen ist ja aufgehoben in der Liebe Gottes. Und in der Liebe gibt es keine Furcht!

Jürgen-Peter Lesch 

Andacht für die Woche nach dem Pfingstsonntag

Apg. 2, 1 - 21

Mit Pfingsten hat alles angefangen. Und dieser Anfang war, wie Lukas in seiner Apostelgeschichte berichtet, überwältigend. Der Kreis der Jünger Jesu hatte sich in Jerusalem versammelt, da „geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Sturm …, und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt und wie von Feuer, und setzten sich auf einen jeden von ihnen.“ Eine übernatürliche Erscheinung also, die man heute vielleicht als eine „Audiovision“ bezeichnen würden. Im Bibeltext wird das aber sogleich so gedeutet, wie es die Jünger damals selbst empfunden haben: als eine Erscheinung des göttlichen Geistes: „Und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an zu predigen in anderen Sprachen, wie der Geist ihnen zu reden eingab.“ Pfingsten – das Fest des Heiligen Geistes!
 
Noch erstaunlicher aber ist die Wirkung auf die Menschenmenge, die aus Neugier sofort herbeieilte. Denn zum jüdischen Erntefest an diesem Tag waren viele Leute aus aller Herren Länder nach Jerusalem gekommen (in einer langen Liste zählt Lukas 17 verschiedene Völker und Herkunftsgebiete auf). Doch trotz der ganz unterschiedlichen Sprachen verstanden alle, was die Jünger sagten: „Wir hören sie in unsern Sprachen die großen Taten Gottes verkünden.“ Dieses „Sprachwunder“ löste natürlich höchste Verwirrung aus: „Sie entsetzten sich aber alle und waren ratlos und sprachen einer zu dem andern: Was will das werden? Andere aber hatten ihren Spott und sprachen: „Sie sind voll süßen Weins.“ Daraufhin ergreift Petrus das Wort und hält in aller Öffentlichkeit eine längere Predigt, in der er zu Beginn mit einem alten Wort des Propheten Joel das Geschehen dieses Tages als ein Handeln Gottes an seiner Menschheit deutet: „Ich will ausgießen von meinem Geist auf alles Fleisch.“  Die Predigt hatte offensichtlich Erfolg: Etwa 3000 Menschen ließen sich an diesem Tag taufen: die erste christliche Gemeinde. Pfingsten – der Beginn und das Fest der weltweiten Kirche!
 
In unseren Pfingstgottesdiensten erinnern wir an dies Ereignis. Aber das ist nicht ein nostalgischer Rückblick auf die glorreichen Anfänge. Sondern wir hoffen und bitten, dass Gott seinen Heiligen Geist auch in unserer Zeit und auch bei uns zur Wirkung kommen lassen möchte. Es ist ja, wie dieser Bericht aus der Apostelgeschichte zeigt, ein Geist, der über alle Grenzen der Völker und Sprachen hinweg Menschen im Glauben zusammenführt. Was wäre heutzutage wichtiger als dieser Geist der Verständigung und des Friedens?! Ständig erleben wir bis in die jüngsten Tage hinein das Gegenteil: Streit, Hass, Gewalt, Rücksichtslosigkeit, körperliche und verbale Übergriffe. Das ist verheerend für das Zusammenleben der Menschen und Völker. Gott will das nicht: „Ich will ausgießen von meinem Geist auf alles Fleisch.“ Niemand soll ausgeschlossen sein. Gottes Heil gilt allen Menschen. Daran wollen wir zu Pfingsten 2024 erinnern und uns selbst erinnern lassen
 
In einem neuen Pfingstlied, das noch nicht in unserem Gesangbuch steht, heißt es:

Komm, Heilger Geist, mit deiner Kraft,
die uns verbindet und Leben schafft.
Schenke uns von deiner Liebe, die vertraut und die vergibt.
Alle sprechen eine Sprache, wenn ein Mensch den andern liebt.
 
So möge es sein! Gesegnete Pfingsten!
Ihr Christian Klatt

Andacht für die Woche nach dem Sonntag Exaudi: Epheser 3, 14-21

Ich beuge meine Knie vor dem Vater, von dem jedes Geschlecht im Himmel und auf Erden seinen Namen hat, dass er euch Kraft gebe nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, gestärkt zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen, dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne. Und ihr seid in der Liebe eingewurzelt und gegründet,damit ihr mit allen Heiligen begreifen könnt, welches die Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe ist, auch die Liebe Christi erkennen könnt, die alle Erkenntnis übertrifft, damit ihr erfüllt werdet, bis ihr die ganze Fülle Gottes erlangt habt. Dem aber, der überschwänglich tun kann über alles hinaus, was wir bitten oder verstehen, nach der Kraft, die in uns wirkt, dem sei Ehre in der Gemeinde und in Christus Jesus durch alle Geschlechter von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.

Liebe Leserin. Lieber Leser,
Der diesen Brief schreibt, weiß was Not tut, was seine Adressaten brauchen: gestärkt zu werden durch Gottes Geist an dem inwendigen Menschen. Wie kann man das übersetzen? Vielleicht so, dass Gott an uns arbeitet. An unserer inneren Reife, an unserem festen Stand und Halt. Das brauchen wir tatsächlich und eigentlich immer. Dieser inwendige Mensch – er braucht  festen Halt. Er braucht Orientierung, er muss sich verwurzeln können. Daran erinnert der Briefschreiber die Epheser. Manchmal ist es einfach schlicht und ergreifend dran, sich zu erinnern, sich zu besinnen, wovon man lebt und das gut.  Der Mensch vergisst schnell, setzt vieles viel zu schnell als selbstverständlich voraus. So ticken wir damals wie heute. Hier ist es aber noch mehr: Ihr seid in der Liebe eingewurzelt und gegründet, damit ihr begreifen könnt, welches die Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe ist…so heißt es hier. Und damit wird das Bild vom inwendigen Menschen ins Äußere erweitert. Wer festen Stand hat, wer eingewurzelt ist in der Liebe, kann nach dem Briefschreiber begreifen, was jetzt dran ist. Es ist wie bei Jesus: Gott lieben und den Nächsten wie sich selbst, das ist das ganze Gesetz und die Propheten. Das hat Jesus oft den Leuten gesagt, die ihn gefragt haben: Wie kann ich denn selig werden? Gott lieben, den Nächsten, dich selbst. Das reicht. Wenn du das tust, wirst du wirst wissen, was du tun sollst.  Wenn er das tut, ist der Mensch ein echtes starkes Gegenüber – und das schon mitten in seiner Zerrissenheit, in seinen Schwächen. Er ist dann gestärkt, zu begreifen, wie Gott Breite, Länge, Höhe, Tiefe, alle Dimensionen unseres Lebens erfüllt, wie er sie ausfüllt, umhüllt. Umfassend. Es gibt keinen Ort in dieser Welt, an dem Gott nicht mehr ist. Das ist die Essenz von Christi Himmelfahrt: Er musste sich trennen aus seiner irdischen Präsenz, um überall sein zu können. Der Himmel ist überall. Das ist ein erster Schritt um zu begreifen, auch ich bin ein Teil davon. Dieser Geist erfüllt auch mich, erfüllt uns miteinander, was wir dann nächste Woche feiern. Dazu hat Jesus die ganze Breite, Länge, Höhe, Tiefe unseres menschlichen Lebens durchschritten. Dafür hat er Menschen geheilt an Leib und Seele, hat Gemeinschaft unter ihnen gestiftet, hat aufgedeckt, was an zerstörerischen Kräften unter uns unterwegs ist. Und hat uns aufmerksam für das gemacht, wo das Reich Gottes schon mitten uns ist, hat unseren inwendigen Menschen dafür aufmerksam gemacht, sensibel – und unsere Sehnsucht geweckt, dass wir danach trachten mögen. Die Sehnsucht auch nach der Dimension der Tiefe – sie zu erkennen und zu begreifen, das geht nur mit Gottes Hilfe.
Und nicht zuletzt kann man das vielleicht durchaus auch als Anspielung auf das Kreuz verstehen. Auf das Kreuz Jesu, dessen Balken sich in alle vier Richtungen strecken, in Breite, Länge, Höhe und Tiefe. Jesu Liebe scheut das Leiden nicht, sondern nimmt es auf sich und entzieht auf diese Weise den Kräften des Hasses und der Gewalt den Boden. In dieser Liebe sind wir eingewurzelt, sagt der Verfasser des Epheserbriefes. Und weil wir das sind, sind wir befähigt und beauftragt, den Kräften des Hasses und Gewalt den Boden entziehen. Leichter gesagt als getan. Es gibt keine Patentrezepte dafür. Außer dranzubleiben, immer wieder. Sich erinnern zu lassen an diesen Grund, auf dem wir stehen und von dem unser inwendiger Mensch seinen Halt bezieht. Von Gott in Liebe Eingewurzelte, das sind die Christen. Und darin fähig, zu erkennen, zu entscheiden, zu begreifen was Not tut. Gott, gib uns Kraft dazu, dass wir es auch tun: Exaudi!
Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit.
Wilhelm Niedernolte, Sup. i.R. Eldagsen

Andacht zum Evangelium aus Lukas 11, 5-13 für den So. Rogate am 5.5.2024 von Sup. i. R. Jürgen Flohr

5. Jesus sprach zu seinen Jüngern: Wer unter euch hat einen Freund und ginge zu ihm um Mitternacht und spräche zu ihm: Lieber Freund, leih mir drei Brote;
6. denn mein Freund ist zu mir gekommen auf der Reise, und ich habe nichts,was ich ihm vorsetzen kann,
7. und der drinnen würde antworten und sprechen: Mach mir keine Unruhe! Die Tür ist schon zugeschlossen und meine Kinder und ich liegen schon zu Bett; ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben.
8. Ich sage euch: Und wenn er schon nicht aufsteht und ihm etwas gibt, weil er sein Freund ist, so wird er doch wegen seines unverschämten Drängens aufstehen und ihm geben, so viel er bedarf.
9. Und ich sage euch auch: Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan.
10. Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan.
11. Wo bittet unter euch ein Sohn den Vater um einen Fisch, und der gibt ihm statt des Fisches eine Schlange?
12. Oder gibt ihm, wenn er um ein Ei bittet, einen Skorpion?
13. Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben zu geben wisst, wieviel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist geben denen, die ihn bitten!
 
Liebe Lesende,
diese Erzählung vom bittenden Freund führt uns in orientalische Lebenswirklichkeiten zur Zeit Jesu ein, die wir hierzulande so nicht kennen.
 Da ist am Anfang die Rede von einem Freund, der auf Reisen ist und überraschend zu Besuch kommt und das sogar mitten in der Nacht. Trotzdem gebietet im damaligen Israel die stark ausgeprägte Gastfreundschaft, dass der besuchte Hausherr dem unerwarteten Gast eine Mahlzeit vorsetzt. Weil der Hausherr aber offenbar keine Vorräte im Haus hat, geht er sofort zu einem befreundeten Nachbarn und will von diesem 3 (Fladen-) Brote leihen, um den Reisenden bewirten zu können. 3 Fladenbrote galten als Mahlzeit für einen Erwachsenen.
 So wie Jesu die Erzählung gestaltet, erwartet er von seinen Hörern, dass sie mit ihm fest damit rechnen, dass diese Bitte um die Brote Erfolg haben wird, damit der unerwartete Gast bewirtet werden kann, so schwierig sich das anlässt. Auf Jesu rhetorische Frage, ob der gebetene Freund die Bitte um Brot ablehnen könne, erwarten alle die Antwort: Der Gebetene muss helfen, - auch mitten in der Nacht.
 Auf diese für mich erstaunliche Erzählung folgt bei Lukas eine Aufforderung Jesu an seine Hörer, dass sie nämlich ähnlich handeln sollen wie der bittende Freund, - also bitten, suchen und anklopfen, und zwar bei Gott. Und Gott wird gewisslich helfen, sicherer noch als der gebetene Freund.
 Am Ende unserer Verse folgt ein einleuchtender Vergleich, der besagt: Wenn schon Menschen, die doch oft nicht gut sind, ihren Kindern gute Gaben geben, wieviel mehr wird der Vater im Himmel unser Bitten um seinen guten Geist erfüllen?
 Was sagt nun dieser Abschnitt aus dem Lukas-Evangelium uns? Ich denke, Jesus will uns lehren, dass wir dem Vater im Himmel so sehr vertrauen können und sollen, dass wir ihn um alles bitten dürfen, was wir brauchen, - sogar, dass er seinen Heiligen Geist in unser Leben hereinsendet, - dass wir also im Vertrauen auf Gottes Beistand getrost unseren Weg gehen können.
 Wir sind damit gefragt, ob wir uns auf Gottes Güte ebenso verlassen wollen wie der bittende Freund sich darauf verlässt, dass sein nächtlich gestörter Freund ihm trotz aller praktischen Schwierigkeiten helfen wird; denn „wer da anklopft, dem wird aufgetan“. Das soll eben nicht nur für den bittenden Freund gelten, sondern auch für uns, wenn wir Gott anrufen. Wollen wir uns darauf einlassen und es so machen wie dieser bittende Freund? 
Wollen wir bei Gott anklopfen im Gebet, Gott suchen mit Gefühl und Verstand und ihn dringend bitten, uns beizustehen mit seinem Geist auf unserem Lebensweg? 
Dann sollten wir nicht aufgeben, Gott zu bitten, auch wenn unser Bitten nicht gleich erhört wird? - unser Bitten etwa um ein Ende der Kriege in der Ukraine und im Gaza-Streifen und in anderen Weltgegenden, wo Menschen einander bekämpfen und töten?
 Jesus sagt, es lohnt sich, Gott dringend zu bitten, ihn mit Ernst zu suchen und bei ihm immer wieder anzuklopfen; denn er gibt, er lässt sich finden, er öffnet die Tür, - sogar in tiefster Nacht. Das wollen wir glauben und danach handeln und auch selber mitwirken an dem, was wir erbitten, so gut wir es vermögen. Das wäre es doch, was Jesus uns sagen will mit seiner Erzählung, und das sollten wir hören und beherzigen!  
 Jürgen Flohr

Andacht für die Woche nach dem 28. April 2024

„Singt dem Herrn ein neues Lied“

Am Anfang des Psalms 98 steht diese Aufforderung. Sie hat dem Sonntag seinen Namen gegeben: „Kantate“ - „singt!“ Und der Psalm fährt fort mit einer Begründung fürs Singen: Der Herr hat Wunder getan. Es ist ein Gesang zum Lobe Gottes. Ein Singen aus Freude über die Wunder der Schöpfung. Ein dankbares Jubeln darüber, dass Gott uns Menschen in seiner Schöpfung einen Ort gegeben hat, einen Ort zum Leben und Gestalten und Genießen.

Die Epistel für diesen Sonntag nimmt diesen Gedanken auf und führt ihn weiter. Sie steht im Brief an die Gemeinde in der Stadt Kolossä:

„Zieht nun an als die Auserwählten Gottes, als die Heiligen und Geliebten, 
herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld;
und ertrage einer den andern und vergebt euch untereinander, 
wenn jemand Klage hat gegen den andern; 
wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr!
Über alles aber zieht an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit.
Und der Friede Christi, zu dem ihr berufen seid in einem Leibe, 
regiere in euren Herzen; 
und seid dankbar.
Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen: 
Lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit; 
mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen.
Und alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, 
das tut alles im Namen des Herrn Jesus und dankt Gott, dem Vater, durch ihn.“
Kolosser 3,12-27 

Eine Aufforderung zum Lobgesang steht auch hier, doch nicht am Anfang des Abschnitts, sondern fast am Ende. Zuvor werden die Mitglieder der Gemeinde in Kolossä als die Auserwählten Gottes, als die Heiligen und Geliebten angesprochen. Das sind zweifellos große Worte, die an die Menschen in einer kleinen christlichen Gemeinde gerichtet werden. Ich frage mich: Würden wir uns das trauen? Würden wir uns in unsren Kirchengemeinden als die Auserwählten Gottes ansprechen, als seine Heiligen und Geliebten? Das kann ich mir zwar nur schwer vorstellen. Doch was spricht eigentlich dagegen? Dass wir Christinnen und Christen sind, ist nicht unser Verdienst. Das können wir gar nicht leisten. Vielmehr ist der Glaube ein Geschenk Gottes an uns. Wir können dies annehmen oder auch ablehnen. Doch auch wenn wir diese Gabe ablehnen, bleibt sie bestehen. Unsere Kraft und unser Wille können Gottes Zusagen an uns nicht ungeschehen machen. So weit reicht unsere Macht nicht. Gott sei Dank!

Das wird im Text deutlich. Das Auserwähltsein ist kein Privileg, es ist mit etlichen Bitten an die Auserwählten verbunden. Es geht um den Umgang miteinander. Denn Erbarmen und Geduld, Freundlichkeit, Demut und Sanftmut sind Grundlagen eines guten Zusammenlebens der Menschen. Gott selbst wird oft ganz ähnlich charakterisiert: Er ist barmherzig und gnädig, geduldig und von großer Güte. Und ebenso soll sich Gottes Zuwendung zu uns Menschen wiederfinden lassen im Verhalten der Menschen untereinander. So wie er uns Menschen vergibt, können wir einander vergeben. Vergebung aber ist, so denke ich, kein einseitiges gnädiges Handeln. Vergebung hat Konsequenzen. Da ist das Verständnis des Vergebenden für das Handeln, das Fehlermachen des anderen Menschen, dem er vergibt. Und da ist die Einsicht, dass Vergebung kein billiges Geschenk ist, sondern die Aufforderung, den angerichteten Schaden so weit wie möglich zu heilen und überdies das eigene Verhalten zu bedenken und zu ändern. All das, sagt der Kolosserbrief, ist nur möglich auf der Grundlage einer besonderen Liebe. Der Liebe, mit der Gott uns Menschen begegnet.

Zwei Wünsche schließen sich an. Beide sind mit der Aufforderung zur Dankbarkeit verbunden: Seid dankbar und singt dankbar. Zweimal steht dabei Christus im Mittelpunkt: der „Friede Christi“ und das „Wort Christi“. Es ist die Erinnerung daran, dass Jesus Christus gekommen ist, um uns Menschen den Frieden Gottes zu bringen. Ein Friede, der nicht mit Gewalt daherkommt. Sondern ein Friede, der mit Demut und Sanftmut kommt. Diese Worte könnten so verstanden werden, dass Gewalt und Unterdrückung einfach hingenommen werden. Doch in beiden Worten steckt der „Mut“. Mut, dahin zu gehen, wo Menschen leiden, wo ihnen Leid zugefügt wird. Mut, einen Schlag sanft aufzufangen und ihn auf diese Weise abzuwehren, statt zurückzuschlagen. 

Damit das möglich ist, brauchen wir immer wieder das Wort Christi. Nicht als ein Besitz, über den wir verfügen könnten. Sondern als Wort, das unter uns wohnt, das lebendig ist, über das wir immer wieder nachdenken und miteinander sprechen. Dieses Wort Christi wird auch lebendig im Gesang: in Psalmen und Hymnen, in Lob- und Trostliedern. In Liedern, in denen wir unsere Freude und Zuversicht ebenso wie unsere Trauer und unser Leid vor Gott bringen und zugleich miteinander teilen können. Darum also heißt es: Kantate - singt!

Der Text schließt mit einem weiteren Wunsch:
„Und alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen des Herrn Jesus und dankt Gott, dem Vater, durch ihn.“
Dem ist nichts hinzuzufügen.

Jürgen-Peter Lesch 

Andacht für die Woche nach dem 21. April 2024

Epistel für den Sonntag Jubilate Apg. 17, 22-34

Die Epistel für den Sonntag Jubilate stammt nicht, wie sonst üblich, aus einem der Briefe des NT, sondern aus der Apostelgeschichte des Lukas. Sie berichtet von einer Predigt, die der Apostel Paulus auf dem Areopag, einem bedeutenden Areal griechischer Philosophie, Kultur und Gerichtspflege in Athen, gehalten hat. Unter seinen Zuhörern, so berichtet es Lukas, waren denn auch einige Philosophen, die ihn zuvor als „Schwätzer“ verspottet hatten.
 
Bei einem Rundgang durch die Stadt waren dem Apostel die vielen Tempel für die verschiedenen Gottheiten antiker Religion aufgefallen. Ja, er hatte auf einem Altar auch die Inschrift „Dem unbekannten Gott“ gelesen – sozusagen eine vorsorgliche Widmung, um nur ja keine Gottheit zu vergessen. An diese Beobachtungen knüpft Paulus an und setzt sich in positiver Würdigung und zugleich in kritischer Abgrenzung mit den philosophischen und religiösen Gedanken seiner Zeit auseinander – eine Aufgabe, die ja auch uns gestellt ist: Daß wir unseren christlichen Glauben mit dem Gedankengut unserer Zeit ins Gespräch bringen!
 
Aus dieser Areopag-Rede will ich nur einige Gedanken hervorheben: 
Gott hat uns Menschen das Leben geschenkt und dazu bestimmt, dass wir ihn suchen sollen. Und das ist nicht ein vergebliches Unterfangen; denn „fürwahr, er ist nicht ferne von einem jeden unter uns.“ Vielleicht erinnern sich einige, dass dieser Satz 1989, dem Jahr der politischen Zeitenwende, die Jahreslosung war, und zwar im Wortlaut der Einheitsbibel: „Keinem von uns ist Gott fern.“ In der Tat haben wir damals in dieser geschichtlichen Stunde gespürt, wie nahe Gott uns und unserer Welt in seinem Walten ist. Paulus ergänzt diese Gewissheit mit den Worten: „Denn in ihm leben, weben und sind wir.“ Das ist ein Satz, der fast ein wenig philosophisch klingt; tatsächlich greift Paulus hier Gedanken aus der griechischen Philosophie auf, die doch aber auch für unseren durch die biblische Schöpfungsgeschichte geprägten Glauben wichtig sind. Wenn wir unser Leben als ein Geschenk Gottes verstehen, dann sind wir auch dazu gerufen, dass wir „in ihm leben und weben und sind“, will sagen: dass wir unsere Beziehung zu Gott immer wieder suchen und pflegen: im Gebet und im Hören auf sein Wort. Und zwar nicht bloß als religiöse Pflichtübung, sondern als eine Lebenspraxis, die vom Glauben an Gott geprägt ist.
 
Paulus schließt seine Predigt mit dem Hinweis auf die Auferweckung Jesu, die damals wie heute das Fundament christlichen Glaubens ist. Für die Zuhörer auf dem Areopag war aber damit die Veranstaltung schlagartig erledigt. Denn das Stichwort „Auferstehung von den Toten“ löste bei den meisten nur Unverständnis und Spott aus. Überraschend ist das nicht. Denn die Osterbotschaft widerspricht jeder Vernunft und Erfahrung. 
 
Doch gerade dies ist so großartig an der Osterbotschaft: Sie ist der große Widerspruch Gottes gegen den Tod. Gott schenkt das Leben, und er bewahrt das Leben auch über den Tod hinaus. Mitten in unserer Welt mit all ihren Bedrohungen, Gefahren und chaotischen Zuständen ist er als ein Gott des Lebens „fürwahr nicht ferne von einem jeden unter uns“, sondern bei uns „am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“ Das gibt uns Mut  und Kraft, dass auch wir das Leben schützen und dem Leben dienen, wo es uns möglich ist.
 
Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Osterzeit voller Hoffnung und Zuversicht.
Ihr Christian Klatt       

Andacht für die Woche nach dem 14. April 2024

Denn ihr wart wie irrende Schafe; aber ihr seid nun umgekehrt zu dem Hirten und Bischof eurer Seelen. (1. Petrusbrief Kapitel 2 Vers 25)
 
Liebe Leserin, lieber Leser,
der Sonntag dieser Woche ist in evangelischer Tradition der Sonntag vom guten Hirten. Jesus sagt von sich: Ich bin der gute Hirte. Der Psalm für diesen Sonntag, der 23. Psalm, beginnt mit den Worten; Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Im Episteltext für diesen Sonntag aus dem 1. Petrusbrief wird Jesus als Hirte und Bischof beschrieben. Doch was bedeuten diese Bilder?
Der 23. Psalm gibt Auskunft.
Die Aufgabe des Hirten ist die  Führung: Er führt mich zum frischen Wasser und auf rechter Straße.
Eine weitere Aufgabe des Hirten ist die Versorgung: Mir wird nichts mangeln, er weidet mich auf grüner Aue.
Schließlich gehört zum Amt des Hirten (und des Bischofs) der Schutz: Du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.
Wer sind heute die Akteure in der Wahrnehmung des Hirtenamtes in der Kirche, in unserer Gesellschaft?
Das lateinische Wort für „Hirte“ ist bekanntlich „Pastor“. Viele Pastorinnen und Pastoren tun sich schwer mit dem Bild vom Hirten. Wollen wir unsere Gemeinde wirklich führen? Will und soll ein Pastor Direktor der Gemeinde oder Vorgesetzter von Mitarbeitenden sein? Lieber wollen sie Entwicklungsprozesse moderieren, begleiten.  In der Kirchengemeindeordnung heißt es: Pfarramt und Kvirchenvorstand leiten gemeinsam. Das führt manchmal zu Unklarheiten, zur Verwirrung.  In einem Handwerksbetrieb ist meistens klar, wer das Sagen hat. Bei der Kirche ist das nicht immer so klar. Der Herr ist mein Hirte – heißt: Die Kirche muss geleitet werden. Wir spüren zunehmend, dass diese Dimension des Hirtenamtes dringend nötig ist in unserer Kirche, damit bei aller behaupteten und gewollten Augenhöhe zwischen Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen in unserer Kirche Entwicklungen und Entscheidungen auch zügig voran kommen und wir uns vom strukturellen Durcheinander nicht lähmen lassen;
Und die andere Dimension: Versorgung.  Wollen wir versorgen und versorgt werden? Manche Gemeinden sehen das so. Die Landeskirche muss uns versorgen, mit Pfarrstellen, mit Gemeindehäusern, mit Geld für die Gemeindearbeit. Seit einigen Jahren kann die Landeskirche diese Versorgungsmentalität immer weniger bedienen, weil weniger Geld und Personal zur Verfügung steht. Darum spricht man lieber von einer Beteiligungskirche. Das bedeutet, dass sich viele Gemeindemitglieder ehrenamtlich an ihrer Kirche beteiligen. Aber auch finanzielle Beteiligung ist gemeint.
Und die dritte Dimension des Hirtenamtes: Der Schutz.  Wollen wir in der Kirche schützen? Ja!  Schutz der Schwachen, Verantwortung für große und kleine Menschen, die die Verantwortung für sich selbst nicht wahrnehmen können, oder noch nicht oder nicht mehr. Die Kirche bietet Schutz. Davon sind wir bisher immer ausgegangen, darum haben Kirchen und Einrichtungen von Kirchen immer großes Vertrauen genossen. Und nun müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass diese Schutzbedürftigkeit von Menschen auch missbraucht worden ist von kirchlichen Mitarbeitern. Das ist für die Opfer schlimm, bei einigen Opfern für ihr ganzes Leben. Das ist auch für unsere Kirchen schlimm, denn das verletzt das Zentrum unseres kirchlichen Auftrags. Menschen zu schützen ist die Kernkompetenz der Kirchen, und ist es immer gewesen. Und es reichen wenige Missbrauchsgeschichten, um die ganze Kirche in Verruf zu bringen. Zum Hirtenamt Gottes und damit zum Hirtenamt der Kirche gehört der Schutz.
 
Möge es so sein und wieder werden wie in dem Episteltext dieses Sonntags beschrieben: Denn ihr wart wie irrende Schafe; aber ihr seid nun umgekehrt zu dem Hirten und Bischof eurer Seelen.
 
Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit.
 
Wilhelm Niedernolte, Eldagsen
Sup. i.R.

Andacht für die Woche nach dem 07. April 2024

Unser Glaube lebt!

Der 1. Brief des Petrus beginnt mit den Worten:
„Petrus, Apostel von Jesus Christus.
An alle Menschen, die Gott erwählt hat und die in der Fremde verstreut leben: 
 in Pontus, Galatien, Kappadozien, in der Provinz Asia und in Bithynien.
Eure Erwählung geschieht durch den Heiligen Geist, der euch zu Heiligen macht.
So hatte Gott es vorherbestimmt. Denn er wollte, dass ihr sein gehorsames Volk werdet – reingewaschen durch das Blut von Jesus Christus.
Ich wünsche euch Gnade und Frieden in immer größerem Maß! 
Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus.
In seiner großen Barmherzigkeit hat er uns neu geboren.
Denn er hat uns eine lebendige Hoffnung geschenkt, weil Jesus Christus von den Toten auferstanden ist.
Es ist die Hoffnung auf ein unvergängliches Erbe, das rein ist und nie seinen Wert verliert.
Das hält Gott im Himmel für euch bereit, und er bewahrt euch durch seine Macht. Ihr sollt durch den Glauben gerettet werden. Das wird am Ende der Zeit offenbart werden.
Darüber könnt ihr euch freuen. Aber es ist trotzdem nötig, dass ihr jetzt noch eine kurze Zeit leidet. Denn ihr werdet auf verschiedene Arten geprüft werden.
Dadurch soll sich zeigen, ob euer Glaube echt ist. Denn er ist wertvoller als vergängliches Gold, das im Feuer gereinigt wird.
Dafür werdet ihr Lob, Herrlichkeit und Ehre erhalten, wenn Jesus Christus wieder erscheint.
Ihr liebt ihn, obwohl ihr ihn nicht gesehen habt.
Ihr glaubt an ihn, obwohl ihr ihn jetzt nicht seht.
Deshalb könnt ihr jubeln in unaussprechlicher Freude, die schon von der künftigen Herrlichkeit erfüllt ist. So erreicht ihr das Ziel eures Glaubens: 
eure endgültige Rettung.“

1. Petrus 1,1-9 – Übersetzung in der BasisBibel

Liebe Leserin, lieber Leser,

eigentlich bin ich kein Fußballfan. Aber in der letzten Woche habe ich mich doch ein wenig für Fußball interessiert. Das Halbfinale im DFB-Pokal zwischen Fortuna Düsseldorf und Bayer Leverkusen stand an. Da wir viele Jahre in Düsseldorf gelebt hatten, machte sich ein wenig Lokalpatriotismus bei mir bemerkbar. So schaute ich genauer hin. Vor dem Spiel wurden Bilder aus der Düsseldorfer Altstadt gezeigt. Dort hatten Fans ein Plakat aufgehängt, auf dem stand: „Unser Glaube lebt“. 

Nun hat die Düsseldorfer Mannschaft ziemlich deutlich gegen die aus Leverkusen verloren. Das wird viele Fans enttäuscht haben. Doch ich hoffe, dass sie nicht ihren Glauben an die Mannschaft verloren haben. Denn genau das zeichnet ja einen echten Fan aus – und unterscheidet ihn vom Hooligan - , dass er zu seiner Mannschaft steht, gerade dann, wenn sie nicht gewinnt, sondern mehr oder minder glorreich verliert.

Als ich das Plakat der Düsseldorfer Fußballfans sah, hatte ich eine Idee. Vielleicht sollten wir diesen Spruch über die Türen unserer Kirchen hängen. Und zwar sowohl innen wie außen. Damit wir auf dem Weg in die Kirche und dann aus dem Gottesdienst oder einer anderen Veranstaltung in kirchlichen Räumen heraus diese Gewissheit mitnehmen: „Unser Glaube lebt“. Auch in den Mühen des Alltags, in den täglichen Sorgen und bei all dem Geschehen auf unserer Erde, das uns die Sprache raubt, soll und kann es dabei bleiben: „Unser Glaube lebt“.

Dabei sind wir nicht auf Gewinnen oder Verlieren angewiesen. Das Spiel ist schon lange entschieden. Davon ist der Verfasser des 1. Petrusbriefes überzeugt. Und davon will er die Christinnen und Christen in den vielen kleinen Gemeinden überzeugen: in Pontus, Galatien, Kappadozien, in der Provinz Asia und in Bithynien. Was ihn so sicher macht, und was auch uns sicher machen kann, ist die Überzeugung: Jesus Christus ist von den Toten auferstanden. 

Dadurch werden uns neue Möglichkeiten geschenkt; neue Möglichkeiten in unserem Leben und für unser Leben. Bei der Auferstehung geht es ja nicht nur um das, was nach unserem Tod geschieht. Viel eher geht es um das, was sich in unserem Leben verändern kann. Wir sollen durch den Glauben gerettet werden. Nicht erst nach unserem Tod, sondern in unserem Leben, hier und jetzt. Der Verfasser des Briefes weiß, dass das nicht einfach ist. Dass es nie einfach sein wird. Er schreibt: „Aber es ist trotzdem nötig, dass ihr jetzt noch eine kurze Zeit leidet“. Er wählt den Vergleich mit Gold, das im Feuer geprüft oder geläutert wird.  Erst bei der Läuterung im Feuer wird das Gold sichtbar, das im Erz verborgen war. Manchmal zeigt sich erst in den Niederlagen, was das heißt: „Unser Glaube lebt!“

Durch Leid und Schmerz, durch Sorge und Verzweiflung soll uns der Glaube an den auferstandenen Jesus Christus tragen. Im Brief heißt es dazu: „Ihr liebt ihn, obwohl ihr ihn nicht gesehen habt. Ihr glaubt an ihn, obwohl ihr ihn jetzt nicht seht“. Das ist die Schwierigkeit, doch zugleich das Besondere unseres Glaubens. Wir können Siege oder Niederlagen sehen. Wir können uns darüber freuen oder darunter leiden. Doch getragen werden wir immer von der Zusage: „Ihr könnt jubeln in unaussprechlicher Freude, die schon von der künftigen Herrlichkeit erfüllt ist. So erreicht ihr das Ziel eures Glaubens: eure endgültige Rettung.“ Wir haben dieses Versprechen Gottes, das in der und durch die Auferstehung von Jesus Christus bestätigt worden ist. Denn „in seiner großen Barmherzigkeit hat er uns neu geboren“. Darum gilt für uns Christinnen und Christen, was Hans-Dieter Hüsch von sich gesagt hat: „Ich bin vergnügt, erlöst, befreit. Gott nahm in seine Hände meine Zeit, mein Fühlen, Denken, Hören, Sagen, mein Triumphieren und Verzagen, das Elend und die Zärtlichkeit“.

Das heißt es, denke ich, wenn wir sagen: „Unser Glaube lebt!“
Jürgen-Peter Lesch 

Andacht zur Epistel für den Ostersonntag (31.3.2024) aus dem 1. Brief des Paulus an die Korinther, Kapitel 15, 1-11 von Sup. i. R. Jürgen Flohr

1. Korinther 15, 1-11 
1. Ich erinnere euch, Brüder und Schwestern,
  an das Evangelium, das ich euch verkündigt habe, das ihr auch angenommen habt, in dem ihr auch fest steht,
2. durch das ihr auch selig werdet, wenn ihr's so festhaltet, wie ich es euch verkündigt habe; es sei denn, dass ihr's umsonst geglaubt hättet.
3. Denn als Erstes habe ich euch weitergegeben, was ich auch empfangen habe: dass Christus gestorben ist für unsere Sünden nach der Schrift;
4. und dass er begraben worden ist; und dass er auferweckt worden ist am dritten Tage nach der Schrift;
5. und dass er gesehen worden ist von Kephas, danach von den Zwölfen.
6. Danach ist er gesehen worden von mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal, von denen die meisten noch heute leben, einige aber sind entschlafen.
7. Danach ist er gesehen worden von Jakobus, danach von allen Aposteln.
8. Zuletzt von allen ist er auch von mir als einer unzeitigen Geburt gesehen worden.
9. Denn ich bin der Geringste unter den Aposteln, der ich nicht wert bin, dass ich ein Apostel heiße, weil ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe.
10. Aber durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin. Und seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen, sondern ich habe viel mehr gearbeitet als sie alle; nicht aber ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist.
11. Ob nun ich oder jene; so predigen wir, und so habt ihr geglaubt.
 
Liebe Lesende, 
Am Osterfest kommen wir her vom Karfreitag, von dem tiefdunklen Tag, an dem wir an den schrecklichen Tod Jesu am Kreuz denken. Zu diesem Tag passen leider viele Nachrichten unserer Tage nur zu gut:
Etwa die Berichte vom grausamen Krieg in der Ukraine, der nun schon mehr als 2 Jahre dauert und für den kein Ende zu sehen ist; die erschreckenden Bilder aus Israel und Gaza vom grässlichen Terror der Hamas am Anfang, von den tödlichen Vergeltungsschlägen der israelischen Truppen und ihren vielen Opfern und von der drohenden Hungersnot im Gaza-Streifen. Weitere Probleme auch in unserem Land und in der weiten Welt ließen sich aufzählen. Sie alle zeigen, dass sich die Menschen seit der Zeit Jesu nicht sehr verändert haben. Immer noch lassen sie sich aufhetzen gegen die, die zum Guten raten und gegen die, die den Weg der Liebe gehen wollen. Doch viele Menschen folgen leider eher den Demagogen und denen, die nach Macht gieren. 
Gleichwohl aber folgt auf den Karfreitag der Ostertag, und Jesus Christus ist nicht im Tode geblieben, sondern auferweckt worden zu neuem Leben von Gott. Deshalb gibt es Hoffnung gegen den Tod und über den Tod hinaus für uns, die wir auf Gott vertrauen und Jesus nachfolgen wollen.
Davon schreibt der Apostel Paulus in seinem Brief an die Gemeinde in Korinth. Er schreibt von der guten Botschaft, die er den Menschen in Korinth verkündigt hat, auf die sie gehört und die sie angenommen haben und an der sie nun festhalten, nämlich der guten Botschaft von Jesus Christus. Ihn hat Gott zum Volk Israel und dann auch zu allen Menschen gesandt, damit sie hören und beherzigen, was unsere diesjährige Jahreslosung so kurz und treffend ausdrückt: „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe!“
Das hat Jesus gelehrt und vorgelebt, und daran sollen auch wir uns halten, so gut wir es vermögen. Und diesen Lebensinhalt Jesu hat Gott zu Ostern bestätigt und beglaubigt durch Jesu Auferweckung von den Toten. 
Darüber freuen wir uns als Anhängerinnen und Anhänger Jesu. Darum feiern wir Ostern und können das auch tun in aller Freude und Freiheit: denn Jesus lebt, und wir sollen und wollen auch leben. Deshalb sollen wir uns auch nicht mehr allzu sehr niederdrücken lassen von all dem Dunklen und Schlimmen und Traurigen, das wir erfahren; denn es gibt trotz alledem doch auch Gutes und Schönes und Erfreuliches in unserem Leben, das sich ebenfalls aufzählen ließe wie zum Beispiel:
Schöne und friedliche Gegenden auf unserer Erde, liebevolle Familien, freiheitliche Gesellschaften wie die unsere in Deutschland, wo niemend hungern muss. Hier haben wir die Möglichkeit, unseren christlichen Glauben zu leben und auch anderen Menschen davon zu erzählen, und wir können als christliche Gemeinden auch Feste feiern wie Ostern. Das ist doch Grund zur Freude trotz all der Probleme, die uns umgeben und die wir keineswegs leugnen wollen. Aber wir wollen gleichwohl das Fest der Auferstehung Jesu Christi fröhlich feiern und davon etwas mitnehmen in die folgende Zeit!  Dann können wir hoffen, dass auch die Dunkelheiten heller werden und dass wir durch Dunkel und Helligkeit hindurch mutig unseren Weg gehen können mit Gottes Hilfe. 
 Jürgen Flohr

Andacht für die Karwoche vom 24. bis 30. März 2024 über die Epistel für den Sonntag Palmarum Phil. 2, 5 – 11 von Superintendent i. R. Christian Klatt

Die Epistel für den Sonntag Palmarum ist ein Christuslied, das Paulus schon vorgefunden und mit wenigen Änderungen übernommen hat, als er seinen Brief an die Gemeinde in Philippi schrieb. Es besteht aus zwei Strophen. Die erste beschreibt Jesu Weg zu den Menschen:
Er, der in göttlicher Gestalt war,
hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein,
sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an,
ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt.
Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode,
ja zum Tode am Kreuz.
Das war also ein Weg der Erniedrigung, der „Entäußerung“. Sein göttliches Wesen vor aller Zeit gab Jesus auf und wurde Mensch in der dienenden Gestalt eines Knechtes – eine Erniedrigung in freier Entscheidung und im Gehorsam gegenüber dem Willen Gottes. Dieser Weg führte ihn zum Tode – „ja zum Tode am Kreuz“, fügt Paulus hinzu; denn der Tod am Kreuz war eine besonders schändliche, entwürdigende Hinrichtung. 
Doch damit war der Weg Jesu nicht zu Ende. Die zweite Strophe beginnt nun allerdings nicht mit einem "Dennoch", sondern mit einem „Darum“. 
Darum hat ihn auch Gott erhöht
und hat ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist,
dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie,
die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind,
und alle Zungen bekennen sollen,
dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes des Vaters.
Inhaltlich beschreibt diese zweite Strophe das, was zu Ostern geschehen ist. Doch das wird nicht mit dem Wort „Auferstehung“, sondern mit dem Wort „Erhöhung“ gedeutet. Gott hat Jesus wieder zu göttlicher Herrlichkeit erhöht, die ihm schon vor aller Zeit zu eigen war. Somit ist der Weg der Erniedrigung, der mit dem Kreuzestod endete, als Weg des Heils, der Erlösung, des Friedens bestätigt worden. 
Das soll nun auch auf unser Leben positive Auswirkungen haben. Deshalb stellt Paulus diesem Christuslied eine Ermahnung voran: „Seid so unter euch gesinnt, wie es der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht.“ Zur „Gemeinschaft in Christus“ gehören wir durch unsere Taufe. Und das ist nicht bloß ein Konfessionsmerkmal, sondern begründet auch eine neue Lebenshaltung. Dass wir uns so verhalten und so miteinander umgehen, dass wir als Menschen erkennbar sind, die zu Christus gehören: aufeinander achten, einander dienen, im Frieden miteinander leben. Und das nicht nur in unserem persönlichen Umfeld, sondern auch weltweit. Das wäre ein glaubwürdiges Bekenntnis, „dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes des Vaters.“

Ich wünsche Ihnen Gottes Segen für die Stille Woche und das Osterfest.
Ihr Christian Klatt

Andacht für die Woche Woche nach Judika

Hebräer 5, 7-9 Epistel für den Sonntag Judika 2024
Und er (Jesus) hat in den Tagen seines irdischen Lebens Bitten und Flehen mit lautem Schreien und mit Tränen vor den gebracht, der ihn aus dem Tod erretten konnte; und er ist erhört worden, weil er Gott in Ehren hielt. So hat er, obwohl er der Sohn war, doch an dem, was er litt, Gehorsam gelernt. Und da er vollendet war, ist er für alle, die ihm gehorsam sind, der Urheber der ewigen Seligkeit geworden
 
Liebe Leserin, lieber Leser,
An Jesus sind dem Hebräerbriefschreiber drei Dinge besonders wichtig:
Jesus ist Mensch
1. Jesus ist Mensch, kein Übermensch. Er schreit, er weint, er fleht. Er ist kein Superman, sondern am Ende seiner Kraft. Er schämt sich seiner Tränen nicht, er ist schwach, er ist angefochten.
Der Hebräerbrief nimmt die Sprache alttestamentlicher Beter auf. Die Klagepsalmen klingen an. Es ist seine Erinnerung an jene Nacht in Gethsemane, in der Jesus im Gebet mit Gott ringt.
Der Jesus in den Evangelien leidet eher still. Lukas schreibt lediglich von Schweißperlen wie Blutstropfen, und ein Schrei entringt sich erst dem Gekreuzigten.
Der Hebräerbriefschreiber aber lässt keinen Zweifel: Jesus war Mensch. Zu jeder Zeit einer von uns. Sein Schrei in Gottes, aber auch in unseren Ohren.

Jesus, unser Bruder
2. Dann ist da Jesus, wie er sich zum Gehorsam durchkämpft. Nicht irgendwelchen Menschen, sondern Gott gegenüber. Dessen Weg ist für Jesus ganz offenbar nicht hell erleuchtet, sondern in tiefem Dunkel.
Jesus geht den Weg nach Golgatha nicht in der Gewissheit, dass er am Ostertag als der strahlende Sieger über allem steht. Und wenn vielleicht doch, hat ihm das den Gang ans Kreuz zumindest nicht erleichtert. Jesus geht in das Leid mit allen seinen Konsequenzen. Er durchleidet an jeder Faser seines Körpers, was jetzt kommt.
Hat er bis jetzt den Auftrag Gottes so ausgeführt, dass er sein Leben bestimmt hat, führt er ihn jetzt so aus, dass er sein Sterben bestimmt. War es bis jetzt Leidenschaft, wird es jetzt Leiden. War es bis hierher erfüllte Kür, wird es jetzt grausame Pflicht.
Der Mensch Jesus muss sich dazu durchringen. Er kürzt den Weg nicht ab. Er entzieht sich nicht durch Flucht, er bringt sich nicht selbst um, er steigt nicht durch ein großes Wunder lächelnd vom Kreuz.
Er sieht die Katastrophe auf sich zukommen. Er geht durch die Erniedrigung, er stirbt in der Folter. Jesus entzieht sich nicht dem Leid, Jesus leidet. Das bleibt ihm nicht erspart. Er folgt dem Weg in das Dunkel, den Gott ihn gehen lassen will. Er lernt, Gott gehorsam zu sein.

Jesus – unser Vorbild
Und schließlich 3.:
 Jesus ist nicht nur menschlich nah, nicht nur Vorbild. Über ihm liegt der Glanz Gottes. Er ist vollkommen.
Was ihn vollkommen machte? Auch dass er leidet, wie er leidet. Dass er diesen Weg nicht ablehnt, sondern geht. Dass er das Sterben von Gott nimmt wie er das Leben von Gott genommen hat. Dass er nicht meint, er müsse vom Leiden verschont bleiben, nur weil er Gott so nah ist. Weil er in der Katastrophe an der Liebe Gottes bleibt: „In deine Hände befehle ich meinen Geist.“
Genau hierin entsteht eine Erhörung der Schreie: Aus dem Bitten und dem Flehen erwächst ein Jesus,  der im Gehorsam gegen Gottes Willen das Opfer seines Lebens bringt. Auch wenn er sein Leiden fürchtet wie jeder Mensch das Leiden fürchtet: Jesus geht diesen Weg, der überraschend Gott zur Ehre und den Menschen zum Heil wird.
Er, der sich geopfert hat, ist von Gott zum Erlöser, zum Urheber des Heils geworden. Wer Gott gehorsam ist, weil Jesus gehorsam war, geht nicht verloren. Die ihm folgen, folgen ihm ins Heil.

Jesus – unser Heiland
Jesus ist Bruder, Vorbild, Heiland. So, wie die meisten von uns hier um Verstehen ringen, hat der Schreiber des Hebräerbriefes um die Worte gerungen, die er aufgeschrieben hat. Es ist keine leichte Kost, eher eine Zumutung.
Und doch kommt es uns nah, weil es uns erinnert, warum Jesus Christus unser Herr ist und kein anderer.
Bleiben Sie behütet
Wilhelm Niedernolte
Superintendent i.R.
Eldagsen

Andacht für die Woche nach dem 10. März 2024 - Trost und Ermutigung

Liebe Leserin, lieber Leser,

der Apostel Paulus schreibt an die christliche Gemeinde in der griechischen Stadt Korinth und auch an die kleinen Hausgemeinden in ihrer Umgebung:

Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes, der uns tröstet in aller unserer Bedrängnis, damit wir auch trösten können, die in allerlei Bedrängnis sind, mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden von Gott. Denn wie die Leiden Christi reichlich über uns kommen, so werden wir auch reichlich getröstet durch Christus. Werden wir aber bedrängt, so geschieht es euch zu Trost und Heil; werden wir getröstet, so geschieht es euch zum Trost, der sich wirksam erweist, wenn ihr mit Geduld dieselben Leiden ertragt, die auch wir leiden. Und unsre Hoffnung steht fest für euch, weil wir wissen: Wie ihr an den Leiden teilhabt, so habt ihr auch am Trost teil.

                                                                                                                                                   1. Kor 1,3-7 – Lutherbibel 2017
Zehnmal ist in diesen kurzen Abschnitt am Beginn des Briefes von „Trost“ oder „trösten“ die Rede. Das höre ich zwar gern angesichts all der Verzweiflung, die bei mir und bei vielen Menschen von Tag zu Tag wächst. Verzweiflung angesichts all der Not und der Gewalt, angesichts des Krieges in der Ukraine und ganz besonders angesichts dessen, was Menschen einander in Israel und in Gaza antun. Da sind die Bilder von Toten und Verletzten, Hungernden und Dürstenden, Verzweifelten und Hoffnungslosen. Und von Tag zu Tag wächst die Furcht davor, dass auf allen Seiten Hass und Wut immer größer werden und damit ein friedliches Zusammenleben in einer völlig ungewissen Zukunft kaum möglich sein wird. 

Aber reicht das aus: Von Trost reden? Ist „Trost“ nicht zu wenig? „Trost“ und „trösten“ erinnern stark an „vertrösten“, an ein: „halte durch, es wird schon irgendwann besser werden“. Wer von einem Trostpflaster spricht, meint etwas, was nicht wirklich hilft, sondern eher beruhigen soll: ein Stück Schokolade oder ein Glas Wein. Auch der Begriff Trostpreis macht es nicht besser, denn man weiß, dass ein Trostpreis für diejenigen gedacht ist, deren Leistung eigentlich keinen Preis verdient hat. Nur in den verneinenden Formen klingt noch etwas von der ursprünglichen Ernsthaftigkeit und Kraft des Wortes mit. Wenn etwas „trostlos“ ist - eine Landschaft oder gar eine Lebenssituation -, oder wenn jemand „untröstlich“ ist, weil er z. B. durch ein Unglück einen geliebten Menschen verloren hat, dann ist das nichts Harmloses oder Verniedlichendes. Dann werden wir daran erinnert, dass Trost geradezu lebensnotwendig sein kann.

Das Ernsthafte im Wort begegnet auch in der ersten Frage des Heidelberger Katechismus, der wichtigsten Bekenntnisschrift der reformierten Christen: „Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben? Dass ich mit Leib und Seele im Leben und im Sterben nicht mir, sondern meinem getreuen Heiland Jesus Christus gehöre.“

Damit bekommt das Wort eine neue Richtung. Das Deutsche „Trost“ hat viel mit dem englischen „trust“ – „Vertrauen“ gemein. Um Vertrauen geht es in dieser grundlegenden Frage des Heidelberger Katechismus. Dies meint Paulus, wenn er von Trost spricht. Vertrauen in Jesus Christus. Sein Vertrauen hat einen Grund. So beginnt der Brief mit einem Lob: „Gelobt sei Gott“. Das steht nicht allein. Paulus ergänzt: „Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus“. Das Lob Gottes ist begründet in der Guten Nachricht von Jesus Christus. Weil Gott in Jesus Christus Mensch geworden ist, in seinem Handeln wie in seinen Worten, gilt ihm das Lob von Paulus. Die Worte und Taten von Jesus spenden Paulus Trost. Das gilt, so schreibt er, in allen Bedrängnissen – immer wieder, dauerhaft. Wir sagen eher: in aller Not, in allem, was uns bedroht. 

Paulus geht noch weiter. Er schreibt: „Gott …, ermutigt uns in all unserer Not. Und so können auch wir anderen Menschen in ihrer Not Mut machen. Wir selbst haben ja ebenso durch Gott Ermutigung erfahren“ (Übersetzung nach der BasisBibel). Paulus bereitet die Adressaten seines Briefs darauf vor, dass es nötig sein wird, einander ein Trost zu sein und einander zu trösten. Einander ein Trost sein – manchmal reicht es schon aus, wenn ein anderer Mensch einfach nur da ist. Er muss gar nichts sagen oder tun. Einfach nur da sein – bei uns. Vielleicht uns bei der Hand nehmen. Ohne Worte. Einfach so. Manchmal braucht es auch Worte des Trostes. Worte, die Trauer oder Schmerz nicht wegwischen oder überspielen, sondern ernst nehmen. Es geht darum, hinzuschauen und der Empathie Raum zu geben. Das braucht oft Zeit. Doch dann kommt der Punkt, an dem aus dem Trost Ermutigung werden kann und soll. Das ist die dritte Bedeutung des Wortes: Ermutigung, Mut machen, einander dabei helfen, mutig zu werden. Es gibt das Wort „Lebensmut“ – Mut zum Leben. Mut, der uns befähigt, dem Leid und dem Schmerz und der Verzweiflung nicht die Oberhand zu lassen. Es geht nicht um den Mut der Verzweiflung, sondern um den Mut, der aus Vertrauen wächst. Vertrauen, das auf Glauben beruht. Glaube an Gott, den Vater unseres Herrn Jesus Christus. 

Wir brauchen Ermutigung, die wir für uns selbst entdecken und in anderen wecken.

Das wünsche ich Ihnen,
Ihr Jürgen-Peter Lesch

Andacht für die Woche nach dem 03. März 2024

Liebe Lesende!
Wir stellen unsere Wochenandachten noch einmal um. Wir haben in den letzten Jahren zuerst über die Wochensprüche geschrieben und dann über die Wochenpsalmen, über die Wochenlieder und über die sonntäglichen Evangelien.
Jetzt nun sind die Episteln dran, von denen es ebenfalls für jeden Sonntag eine gibt; das sind Abschnitte aus den Briefen im Neuen Testament unserer Bibel. Heute ist das wie oben zu sehen ein Stück aus dem Brief an die Gemeinde in Ephesus, das lautet wie folgt:
 
1. „ Ahmt Gott nach als geliebte Kinder
2.   und wandelt in der Liebe,
wie auch Christus uns geliebt hat und hat sich selbst für uns gegeben als Gabe und Opfer, Gott zu einem lieblichen Geruch.
3. Von Unzucht aber und jeder Art Unreinheit oder Habsucht
  soll bei euch nicht einmal die Rede sein, wie es sich für die Heiligen gehört,
4. auch nicht von schändlichem Tun und von närrischem oder losem Reden,
  was sich nicht ziemt, sondern vielmehr von Danksagung.
5. Denn das sollt ihr wissen, dass kein Unzüchtiger oder Unreiner oder Habsüchtiger    - das ist ein Götzendiener – ein Erbteil hat im Reich Christi und Gottes.
6. Lasst euch von niemandem verführen mit leeren Worten; denn um dieser Dinge     willen kommt der Zorn Gottes über die Kinder des Ungehorsams.
7. Darum seid nicht ihre Mitgenossen.
8. Denn ihr wart früher Finsternis; nun aber seid ihr Licht in dem Herrn.
Wandelt als Kinder des Lichts;
9. die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit.“
  
Diese Verse beginnen mit der Aufforderung „wandelt in der Liebe!“
Das klingt ganz ähnlich wie die diesjährige Jahreslosung „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.“ Beide Sätze fordern uns auf, dass wir als Christinnen und Christen der Liebe Geltung und Raum verschaffen sollen, so gut wir es können. 
     Diesem Grundsatz werden die meisten von uns sicher zustimmen und also feststellen: So soll es sein, dass Liebe herrscht unter uns Menschen - so wie Jesus Christus uns das vorgelebt hat. Nach ihm sollen auch wir selber uns richten, so will es Gott, und so ist es richtig! Damit ist eigentlich alles Wesentliche gesagt, und so könnte der Briefabschnitt mit dem 2. Vers bereits schließen.
 
     Doch das tut er nicht, sondern der Verfasser spricht sich nun noch ausführlich und deutlich aus gegen Unzucht und Habsucht, gegen schändliches Tun und gegen lose Reden, die sich nicht gehören. 
Warum tut er das?  Weil offenbar viele Menschen auch unter Christen eben nicht liebevoll miteinander umgehen; sondern ganz im Gegenteil mißbrauchen sie einander auch unter kirchlichen Mitarbeitern, wie wir inzwischen wissen, die Menschen gieren nach Geld,  führen unmoralische Reden und handeln zuweilen auch so. Dies prangert der Apostel an und warnt eindringlich vor solchem Verhalten. Was er uns wohl schreiben würde?
     Die Empfänger des Briefes sollen nicht wieder zurückfallen in das falsche Leben, das sie früher als Heiden geführt haben. Damals lebten sie in der Finsternis, jetzt aber im Licht Gottes; und nun sollen sie auch als Kinder des Lichts wandeln, also in Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit glauben, leben und handeln.
 
     Können dies alles auch wir Heutigen uns gesagt sein lassen, wo wir doch unter ganz anderen Verhältnissen und in völlig anderen Zeiten leben?  Ich meine schon; denn finster erscheint uns doch vieles auch in unseren Tagen. Denken wir nur an den Krieg in der Ukraine, an das schreckliche Gegeneinander zwischen Israelis und Palästinensern oder an die täglichen Probleme im eigenen Land. 
     Darum denke ich schon, dass auch wir diese Zusagen und Forderungen des Epheser-Briefes hören und beherzigen sollten. Denn wir verstehen uns doch ebenfalls als Gottes geliebte Kinder und wollen in seiner Liebe leben und diese Liebe weitergeben an die Menschen in unserer Umgebung, so gut wir es vermögen.
     Dabei kann es uns durchaus helfen, auf die Ermahnungen des Apostels zu hören; denn spielt nicht der Egoismus leider eine recht große Rolle auch in unserer Gesellschaft und auch unter Christen. Ein liebevoller und verständnisvoller Umgang untereinander hingegen ist wohl eher selten. Es scheint deshalb durchaus angebracht, dass wir einmal kritisch sichten, wie wir denn in der Familie, im Freundeskreis, in der Nachbarschaft und im Berufsalltag miteinander umgehen und ob dort Liebe und Gerechtigkeit herrschen oder ganz andere Gewohnheiten. Wäre es deshalb nicht nötig, dass wir uns öfter einmal in die Rolle der anderen hineindenken und überlegen, was ihnen gut täte?  Und wenn wir dann feststellen, wo unser bisheriges Verhalten nicht in Ordnung war, dann wäre es an der Zeit, unser Handeln neu auszurichten und nicht mehr vor allem dem Eigennutz zu dienen, sondern der Mitmenschlichkeit.
 
     Wäre eine solche Neuausrichtung unseres Lebensweges nicht eine gute Idee für diese Zeit vor Karfreitag und Ostern, für diese Passionszeit, in der wir an Jesu Leiden gedenken und dann seinen Sieg über Tod und Teufel feiern?
     Diese Frage, ob unser Leben in die richtige Richtung läuft, stellt uns die heutige Epistel, und wir sollten sie ehrlich beantworten; und sollten dann überlegen, ob wir so weiterlaufen wollen wie bisher oder die Richtung verändern müssen.
     Was und wer soll in Zukunft unser Denken und Handeln bestimmen? - die Liebe Christi oder andere Götter wie z.B. das Geld oder mein Egoismus? Soll es also hell werden und bleiben in meinem Leben oder dunkel? Das fragt uns der Verfasser unseres Briefabschnitts. Wie antworten wir?
 
Jürgen Flohr

Andacht für die Woche nach dem 25. Februar 2024

Evangelium für den Sonntag Reminiscere
Joh. 3, 14 - 21
 
von Superintendent i. R. Christian Klatt 
 
16 Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.
17 Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet würde.
 
Diese beiden Verse sind Kernsätze aus einem längeren Gespräch zwischen Jesus und dem frommen Pharisäer Nikodemus, der „bei Nacht“ gekommen war. Gespräche zu nächtlicher Stunde haben es oft in sich. Im Schutz der Dunkelheit und der Stille bleiben sie nicht an der Oberfläche, sondern gehen in die Tiefe. So auch hier. Nikodemus hatte von Jesus gehört, von seiner Predigt und von seinen Wundertaten, und das hatte sein Interesse geweckt, ja, es hatte ihn in der Tiefe seiner Seele berührt. „Du bist von Gott gekommen“, spricht Nikodemus Jesus an, „denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm.“
 
Und so entwickelt sich ein Gespräch, in dem Jesus sich zu erkennen gibt. Die oben zitierten Verse zeigen: Er weiß sich von Gott gesandt, damit niemand verloren geht, sondern alle Welt gerettet wird. Wie Nikodemus auf diese Worte Jesu reagiert hat, wird nicht berichtet. Doch ohne Wirkung sind sie offenbar nicht geblieben. Wenig später ergreift er nämlich in einer erregten Debatte unter den Pharisäern Partei für Jesus, wenn auch nur mit formal rechtlichen Argumenten. Und nach der Hinrichtung Jesu, bei der Grablegung des Leichnams, taucht Nikodemus im Bericht des Evangelisten Johannes überraschend wieder auf und beteiligt sich mit kostbaren Salben und Ölen an der Einbalsamierung – zweifellos ein Zeichen seiner Ehrerbietung und Dankbarkeit aus der damaligen Begegnung bei Nacht.
 
Doch nun werden uns diese Worte Jesu als Sonntagsevangelium, als frohe Botschaft für unsere Zeit verkündigt. Sie wollen uns Hoffnung und Lebensmut geben, und beides haben wir dringend nötig. Denn zunehmend haben wir den Eindruck, dass unsere Welt nicht nur gerichtet, sondern zugrunde gerichtet wird. Wir erleben brutale Kriege und Zerstörungen im Nahen Osten und in der Ukraine. Auch auf unseren Straßen und im Internet machen sich Hass und Menschenverachtung breit. Der Klimawandel verursacht trotz aller Bemühungen immer öfter verheerende Schäden. Und viele, oft massive, Störungen im öffentlichen Leben rufen ein Gefühl der Verunsicherung und der Sorge hervor. Von den persönlichen Schicksalen, die vielen Menschen das Leben schwer machen, ganz zu schweigen.
 
Konkrete Lösungen für all diese Probleme finden wir in der Bibel nicht. Aber die Zusage, dass Gott uns und unsere Welt nicht verloren gibt. Dafür hat Jesus mit seinem Leben und Sterben gebürgt. Und so können wir im Geiste Jesu, im Geiste seiner Liebe und seines Friedens, mit Klarheit und Verstand daran arbeiten, dass unsere Welt eine verlässliche Zukunft hat und dass niemand verlorengeht. Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ 
 
Ich wünsche Ihnen eine gute Woche mit Gottes Schutz und Geleit auf allen Wegen und bei allem Tun.
Ihr Christian Klatt        

Andacht für die Woche nach dem 18. Februar 2024

Mt 4, 1-11 Versuchung Jesu (Evangelium für den Sonntag Invokavit 2024)
Da wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, damit er von dem Teufel versucht würde. Und da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn. Und der Versucher trat herzu und sprach zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden. Er aber antwortete und sprach: Es steht geschrieben (5. Mose 8,3): »Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.«

Da führte ihn der Teufel mit sich in die heilige Stadt und stellte ihn auf die Zinne des Tempels 6und sprach zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab; denn es steht geschrieben (Ps 91,11-12): »Er wird seinen Engeln für dich Befehl geben; und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.« Da sprach Jesus zu ihm: Wiederum steht auch geschrieben (5. Mose 6,16): »Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.«

Wiederum führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit und sprach zu ihm: Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest. Da sprach Jesus zu ihm: Weg mit dir, Satan! Denn es steht geschrieben (5. Mose 6,13): »Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.« Da verließ ihn der Teufel. Und siehe, da traten Engel herzu und dienten ihm.
 
Liebe Leserin, lieber Leser,
Jesus wird in die Wüste geführt und fastet. Fasten ist eine kleine Wüstenstrecke, der freiwillige Verzicht auf etwas Entbehrliches. Sein Fasten brachte ihm – wie auch noch heute den Menschen, die fasten – eine Entlastung des Körpers, eine Öffnung der Seele und eine Leichtigkeit des Geistes. Frage: Wird durch Fasten das Leben besser oder angenehmer? Antwort: Nicht unbedingt. Die Seele öffnet sich nicht nur für himmlische und segensreiche Einflüsse, sondern ist auch offen für das Gegenteil. Fasten kann auch die kritische Wahrnehmung der Welt verringern, kann Versuchungen bringen, die am Ende mehr schaden als nützen.
Da trat der Versucher an Jesus heran, nachdem er vierzig Tage lang in der Wüste gelebt und gefastet hatte, und sprach: Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden. Welche Versuchung ist das? Das ist die Versuchung der Maßlosigkeit, der Gier. Je mehr er hat, je mehr er will, nie schweigen seine Sorgen still. Wir haben  in den letzten Jahren erlebt, wozu Gier und Maßlosigkeit führen können. Menschen wie du und ich bringen das Geld, was sie im Moment nicht brauchen, auf die Sparkasse und sind zufrieden mit geringen Zinsen. Andere haben allen Ernstes geglaubt, es gäbe Aktien, die brächten 25% Rendite in einem Jahr. In ihrer Gier nach so hoher Rendite haben viele übersehen, dass auch das Risiko deutlich höher ist. Auch die Gier setzt die kritische Wahrnehmung der Realität herab. Aus Steinen Brot machen, aus  Aktien zweistellige Renditen erzielen – das ist eine große Versuchung, die Versuchung der Gier. Jesus widersteht dieser Versuchung, indem er das Gesetz des Mose zitiert: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht. Brot ist wichtig zum Leben, Aktien sind wichtig zum Geldkreislauf, aber sie sind nur Mittel zum Leben, sie sind nicht das Leben selbst. Das Leben kommt von Gott, aus seinem Mund. Er hat die Welt durch sein Wort erschaffen, als er sagte: Es werde! Davon leben wir zu allererst. Erst danach kommt das Brot.
Zweite Versuchung. Der Teufel sagt: Bist du Gottes Sohn, so stürz dich herab von der höchsten Stelle des Tempels in Jerusalem. Dir kann ja nichts passieren, denn Gottes Engel werden dich auffangen, wie es im 91. Psalm heißt. Hier treffen wir auf die Versuchung der Unverletzlichkeit. Solche Versuchung kenne ich auch, dass ich mir in meiner Phantasie vorstelle: Mir kann keiner etwas anhaben. Und wenn mir einer dumm kommt, dann werde ich es ihm schon zeigen. Eine große Versuchung: Unverletzlich sein zu wollen. Bei uns hat sich diese Versuchung in eine schöne Maske gegeben: Die Maske der Gesundheit. Die Versuchung lautet: Ich lebe gesund, damit mir Krankheiten nichts anhaben können. Der Versucher will uns glauben machen: Ernähre dich gesund, treibe Sport, nimm die richtigen Medikamente – am besten die teueren Medikamente von unserer Firma – dann kann dir keine Krankheit etwas anhaben, dann wirst du quasi unverletzlich. Dass die Politik in unserem Land die Kosten für das Gesundheitswesen nicht in den Griff bekommt, hat auch damit zu tun, dass wir der Versuchung erliegen, unverletzlich sein zu wollen, alle Medikamente und alle ärztlichen Leistungen jederzeit zur Verfügung haben zu wollen, was sehr aufwändig und auch teuer ist. Dabei wissen wir genau:  Wir sind nicht unverletzlich, und auch der gesündeste und bis ins hohe Alter fitte Mensch entgeht nicht seinem Tod.
Jesus widersteht auch hier der Versuchung der Unverletzlichkeit unter Rückgriff auf das Gesetz des Mose, wenn er sagt: Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen. Er hat uns als verletzliche Menschen geschaffen, und bei aller Sorgfalt mit uns selbst bleiben wir verletzlich.
Und nun die letzte Versuchung Jesu in der Wüste nach vierzigtägigem Fasten. Der Teufel sagt zu ihm: Ich will dir alle Reiche der Welt geben, wenn du vor mir niederfällst und mich anbetest. Das ist die Versuchung der Macht, hier der politischen Macht. Alle halbwegs selbstkritischen Politikerinnen und Politiker sagen, dass Macht auch eine Versuchung werden kann, nämlich die Versuchung, die Macht behalten zu wollen, um für die eigenen Ziele weiter arbeiten zu können, aber auch, um die damit verbundenen Vorteile wie ein eigenes Büro, einen eigenen Chauffeur mit Dienstwagen und häufiges Erscheinen in Zeitungen und Fernsehen nicht zu verlieren. Wir können uns glücklich schätzen, in einem demokratischen Land zu leben, in dem Macht immer nur für begrenzte Zeit vergeben wird, und in dem man sehr sensibel reagiert, wenn ein bekannter Politiker mit seiner Familie im Flugzeug 1. Klasse fliegt zum Preis für die 2. Klasse. So etwas bleibt nicht verborgen und wird korrigiert, und das ist auch gut so.

Jesus widersteht auch bei dieser Versuchung, und zwar in verschärfter Form, indem er den Teufel zum Teufel jagt und unter Hinweis auf das Gesetz des Mose: Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen. Wenn Gott das Machtmonopol inne hat, wenn er der Allmächtige ist, dann sind wir nicht allmächtig und müssen nicht allmächtig sein und auch nicht allmächtig sein wollen, und können uns von unseren zerstörerischen Allmachtsphantasien verabschieden.
Da verließ ihn der Teufel, und die Engel traten zu ihm und dienten ihm. Man kann also den Teufel in die Flucht schlagen, muss nicht allen Versuchungen erliegen. Jesus kehrt gestärkt aus der Wüste, aus dem Ort der Stille,  zurück, diesem Lebensfeindlichen Raum, der auch ein Ort der Freiheit und der Entscheidung ist. Er beruft seine Jünger und beginnt sein heilendes Werk.

Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit.

Wilhelm Niedernolte, Eldagsen
Sup.i.R.

Andacht für die Woche nach dem 11. Februar 2024

„Was bleibt, stiften die Liebenden“ (Jörg Zink)

Liebe Leserin, lieber Leser, 

es ist soweit: Der Karneval erreicht am Rosenmontag seinen Höhepunkt. Aber am Aschermittwoch ist „alles vorbei“. Christen feiern am Sonntag „Estomihi[1]“ etwas anders: Ihr Blick richtet sich auf die Passionszeit, auf das Leiden und Sterben von Jesus Christus. Manche und mancher mag meinen, dass die Zeiten ernst genug sind und ein weiteres Nachdenken über Leid und Tod gar nichts bewirkt. Doch ein Perspektivwechsel kann nützlich sein. Der Blick auf Jesu Weg von Galiläa nach Jerusalem kann dazu beitragen, unsere Situation, Fragen und Probleme anders zu sehen.

Die folgende Erzählung steht im Evangelium nach Markus. Sie beginnt mit einer Frage. Jesus ist mit seinen Leuten unterwegs bei der Stadt Cäsarea Philippi. Jesus hatte gesagt: „Wer sagen die Leute, dass ich sei?“ Schließlich hatte Petrus geantwortet: „Du bist der Christus!“ Für Petrus war jetzt alles gut. Doch es geht weiter: 

Jesus fing an, die Jünger zu lehren: Der Menschensohn muss viel leiden und verworfen werden von den Ältesten und den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen. Und er redete das Wort frei und offen. Und Petrus nahm ihn beiseite und fing an, ihm zu wehren. Er aber wandte sich um, sah seine Jünger an und bedrohte Petrus und sprach: Geh hinter mich, du Satan! Denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist. 

Und er rief zu sich das Volk samt seinen Jüngern und sprach zu ihnen: Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben behalten will, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird’s behalten. Denn was hilft es dem Menschen, die ganze Welt zu gewinnen und Schaden zu nehmen an seiner Seele? Denn was kann der Mensch geben, womit er seine Seele auslöse? Wer sich aber meiner und meiner Worte schämt unter diesem ehebrecherischen und sündigen Geschlecht, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln.

Mk 8,31-83 – Lutherbibel 2017

Eben noch hatte Petrus gesagt: „Du bist der Christus!“ und nun handelt er sich die größte denkbare Kritik von Jesus ein. Petrus hatte versucht, mit Jesus unter vier Augen zu sprechen. Jetzt wendet der sich weg, sieht seine Jünger an, droht Petrus und sagt: „Geh weg von mir, du Satan!“ Aus dem getreuen Jünger wird der Widersacher. Für Petrus bricht eine Welt zusammen. Für ihn war Jesus der Christus, der Messias. Ein mächtiger Mann, der im Auftrag Gottes handelt; der die Macht und Herrlichkeit des Reiches von König David wiederherstellt. Und jetzt sprach „sein“ Christus davon, dass er getötet werden würde. Alle Erwartungen, die Petrus in Jesus gesetzt hatte, zerspringen und hinterlassen eine große Leere.

Jesus spricht weiter. Jetzt wendet er sich an „alles Volk“. Er sagt denen, die seinen Weg gehen wollen, um was es geht: sich selbst verleugnen, sein Kreuz auf sich nehmen und ihm nachfolgen. Er spricht vom Leben behalten, vom Leben verlieren und Leben gewinnen. Die Begründung ist eine Frage: „Denn was hilft es dem Menschen, die ganze Welt zu gewinnen und Schaden zu nehmen an seiner Seele?“

Mein erster Gedanke ist: Sind die, die alles tun, um ihre eigene Macht zu festigen und sich alle Menschen gefügig zu machen, seelenlose, ja entseelte Menschen? Verzichten sie auf Gefühle und Verantwortung, weil beides ihren Vorhaben und Zielen im Weg steht? Und nehmen sie uns dadurch jede Möglichkeit, mit unserer Trauer und unserem Schmerz zu ihnen durchzudringen? 

Doch der Satz hat im Zusammenhang mit dem, was Jesus sagt, eine andere Bedeutung. Jesus will die Menschen, die ihm nachfolgen, auf das vorbereiten, was sie erwarten müssen. Sich selbst verleugnen und sein Kreuz auf sich nehmen, das ist kein Selbstzweck. Jesus macht deutlich, dass er um all das weiß. Er weiß um die Bedrohungen für die, die versuchen, seine Gute Botschaft als Maßstab zu nehmen. Die beseelt sind von der Botschaft der Liebe, des Verzeihens und der Barmherzigkeit. Am Ende steht ein Versprechen, eine Verheißung von Jesus: „Jeder, der sich zu mir vor den Menschen bekennt, zu dem wird sich auch der Menschensohn vor den Engeln Gottes bekennen“. Der Menschensohn kennt den Weg des Leides, der Verzweiflung, des Tötens und Mordens. All das hat nicht das letzte Wort, denn Jesus, der Christus, ist auferstanden. 

Der Evangelist Markus schreibt diese Erzählung, diese Worte von Jesus nieder in einer Zeit, als der römische Feldherr und Kaiser zusammen mit seinem Sohn Titus Jerusalem erobert und den Tempel Jahwes endgültig zerstört hat. Markus weiß, dass sie ihre Truppen um die Stadt Cäsarea Philippi aufgestellt haben. Von dort sind sie aufgebrochen, um gegen die aufständischen Juden zu kämpfen und sie zu vernichten. Markus sieht die beiden Gruppen, die nach Jerusalem hinaufziehen, vor seinem geistigen Auge: Da sind Vespasian und Titus mit dem Trupp von 60.000 schwer bewaffneten Soldaten. Da ist Jesus mit der Schar seiner Jüngerinnen und Jünger. Der große Trupp bringt Leid und Tod und Vernichtung. Es bleiben Trümmer und ein steinerner Titus-Bogen in Rom. Die andere Gruppe bringt Hoffnung und Zuversicht, Mitleid und Liebe. All das bleibt. Gar nicht reden müssen wir von den Tausenden Kirchen und Gemeindehäusern, von den Schulen und Krankenhäusern und Heimen etc. 

Die Not der Menschen, ihre Angst und ihre Sorgen - Jesus kennt sie. Er spricht sie offen an. Es bleibt nichts verborgen, es wird nichts beschönigt. Kein Schulterklopfen, kein „Kopf hoch“. Stattdessen die Zusage Jesu: Was du erlebst, berührt mich. Was du hoffst, sehe ich. Du bist mit all dem, was dich bewegt und angeht, nicht allein. In einer alten Übersetzung aus Psalm 68 heißt es: „Gelobt sei Gott alle Tage, der sich mit uns beladet. Er ist ein Gott unsers Heils“. Gott lädt sich uns mit allen unseren Lasten auf - welch ein Trost.

Jürgen-Peter Lesch


[1]Der Sonntag „Estomihi“ ist der letzte der „Vorpassionszeit“ zwischen Weihnachts- und Passionszeit. Der Name ist lateinisch und heißt übersetzt „sei mir“. Es sind Worte aus der lateinischen Übersetzung des Wochenpsalms 31: „Sei mir ein starker Fels und eine Burg, dass du mir helfest“.

Andacht für die Woche nach dem 04. Februar 2024

Lukas 8, 4-9 + 11-15

4. Als eine große Menge beieinander war und sie aus jeder Stadt zu Jesus eilten,
  sprach er durch ein Gleichnis: 
5. Es ging ein Säemann aus zu säen seinen Samen.
Und indem er säte, fiel einiges an den Weg und wurde zertreten, 
  und die Vögel unter dem Himmel fraßen's auf.
6. Und anderes fiel auf den Fels;
  und als es aufging, verdorrte es, weil es keine Feuchtigkeit hatte.
7. Und anderes fiel mitten unter die Dornen;
  und die Dornen gingen mit auf und erstickten's.
8. Und anderes fiel auf das gute Land;
  und es ging auf und trug hundertfach Frucht.
Da er das sagte, rief er: Wer Ohren hat zu hören, der höre!
9. Es fragten ihn aber seine Jünger, was dies Gleichnis bedeute.
11. Er aber sprach: Das ist das Gleichnis:
Der Same ist das Wort Gottes.
12. Die aber an dem Weg, das sind die, die es hören; danach aber kommt der Teufel
  und nimmt das Wort von ihren Herzen, 
  damit sie nicht glauben und nicht selig werden.
13. Die aber auf dem Fels sind die: 
Wenn sie es hören, nehmen sie das Wort mit Freuden an.
 Sie haben aber keine Wurzel; eine Zeit lang glauben sie, 
  und zu der Zeit der Anfechtung fallen sie ab.
14. Was aber unter die Dornen fiel, sind die, die es hören
  und gehen hin und ersticken unter den Sorgen, 
  dem Reichtum und den Freuden des Lebens und bringen keine Frucht zur Reife.
15. Das aber auf dem guten Land sind die, die das Wort hören und behalten
  in einem feinen guten Herzen und bringen Frucht in Geduld.
 
Liebe Lesende,
 
ein Gleichnis wird uns hier von Jesus erzählt. Im Bild vom vierfachen Ackerfeld erklärt er, wie der ausgebrachte Samen sich dort auswirkt, wohin er fällt, nämlich höchst unterschiedlich. Das zeigen uns die verschiedenen Auswirkungen der Ackerflächen deutlich.
 
Beim ersten Hören verstehen die Jünger und vielleicht auch wir Leser nicht so recht, was Jesus uns mit diesem Gleichnis sagen will. Daher wird seine Bedeutung in den Versen 11 bis 18 erklärt:
     Der Same steht für Gottes Wort; die 4 verschiedenen Ackerflächen stehen für vier Gruppen von Menschen, die dieses Wort hören, die aber sehr unterschiedlich darauf reagieren.
     Die ersten hören das Wort, lassen sich aber ablenken von scheinbar Wichtigerem und von Bösem. Sie nehmen die Botschaft des Wortes nicht an.
     Die zweite Gruppe ist zuerst begeistert von dem, was sie hört. Doch die Begeisterung ist kurzlebig; anderes drängt sich in den Vordergrund, und diese Menschen wenden sich wieder ab von Jesu Botschaft.
     Die dritte Gruppe hört wohl, was Jesus ihnen sagen will; aber bald melden sich andere Themen, Sorgen und Freuden; Jesu Worte treten in den Hintergrund und spielen keine Rolle mehr im Leben dieser Menschen.
     Die Vertreter der letzten Gruppe schließlich hören Jesus wirklich zu und bewahren das, was er sagt, in Ihren Herzen. Sie nehmen es ernst und versuchen danach zu leben. So befruchtet Jesu Wort ihren Lebensweg und macht diese Menschen froh und frei und zuversichtlich.
 
Was bedeutet die Begegnung mit diesem Gleichnis nun für uns?
   Das sagt sehr schön und einprägsam der alte Nachtwächterruf für die 4. Stunde aus.
Er lautet: Hört, ihr Leut und lasst euch sagen; unsre Uhr hat 4 geschlagen. Vierfach ist das Ackerfeld. Mensch, wie ist dein Herz bestellt?
      Wir selbst sind angefragt von diesem Gleichnis. Nicht umsonst ruft Jesus aus: „Wer Ohren hat, zu hören, der höre!“ Wo ordnen wir selber uns ein in diesem Gleichnis? Zu welcher Gruppe von Hörern gehören wir?
   Und wenn wir uns ehrlich in einer der ersten 3 Gruppen erkennen, warum wechseln wir dann nicht zur 4. Gruppe? - zu denen, die hören und behalten und Frucht bringen.
      Wäre es nicht besser für uns, dem Wort Jesu zu folgen? 
    -und uns zu entfernen etwa vom manchmal verführerischen Bösen wie es z.B. der Nationalsozialismus war?
    -oder vom christlichen Strohfeuer, das schnell verbrennt und dann verlöscht wie z.B. bei Jugendlichen, die begeisterte Helfer bei einer Jugendfreizeit waren, denen dann aber die regelmäßige Gruppenarbeit langweilig wird.
    -oder von all dem, was uns ablenkt vom Weg mit Jesus und was doch nur in die Irre führt wie etwa bei manchen Menschen die bedingungslose Jagd nach dem Geld?
 
     Wäre es nicht besser für uns und für die Menschen um uns herum, wenn wir die Botschaft Jesu ernst nähmen und sie annähmen und unseren Weg nach ihr auszurichten versuchten? - in der Richtung, die die diesjährige Jahreslosung angibt, wenn sie uns auffordert: „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe!“ (1. Korinther 16,14).
     Das ist gewiss nicht einfach, und es braucht Geduld und Durchhaltevermögen und immer wieder neue Anläufe, solch ein Leben und Handeln in Liebe. Doch es gibt keinen anderen Weg, wenn die Menschen auf unserer Erde in Frieden und Freundschaft miteinander leben sollen und nicht gegeneinander.
     Deshalb lohnt es sich,  auf Jesus Christus zu hören und unseren Weg mit ihm zu gehen!
 
Jürgen Flohr

Andacht für die Woche nach dem 28. Januar 2024

„Die Verklärung Jesu“  Mt. 17, 1 - 9

Jesus nahem mit sich Petrus und Jakobus und Johannes, dessen Bruder, und führte sie allein auf einen hohen Berg. Und er wurde verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie das Licht. Und siehe, da erschienen ihnen Mose und Elia; die redeten mit ihm. Petrus aber antwortete und sprach zu Jesus: Herr, hier ist gut sein! Willst du, so will ich hier drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elia eine.
Als er noch so redete, siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke. Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören!
Als das die Jünger hörten, fielen sie auf ihr Angesicht und fürchteten sich sehr. Jesus aber trat zu ihnen, rührte sie an und sprach: Steht auf und fürchtet euch nicht! Als sie aber ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand als Jesus allein.
Und als sie vom Berge hinabgingen, gebot ihnen Jesus und sprach: Ihr sollt von dieser Erscheinung niemandem sagen, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist.
 
Eine sonderbare Geschichte ist das, die uns als Evangelium für den letzten Sonntag der Epiphaniaszeit gegeben ist. Auf einem hohen Berg wird Jesus vor den Augen seiner drei engsten Jünger „verklärt“ (der griechische Urtext spricht von einer „Metamorphose“, einer Verwandlung). Eine Lichterscheinung umgibt ihn, auf seinem Gesicht liegt ein heller, sonnendurchfluteter Glanz, Mose und Elia, zwei Gestalten aus jüdischer Überlieferung, kommen hinzu, schließlich wird alles von einer „lichten Wolke“ überschattet, aus der heraus die Stimme Gottes zu hören ist. Die drei Jünger sind begeistert und zugleich maßlos erschrocken. Sie kannten ihren Herrn bislang nur als schlichten Wanderprediger und Wunderheiler. Hier erscheint er ihnen plötzlich als die Lichtgestalt, wie sie nach damaliger jüdischer Vorstellung am Ende der Zeit aus Gottes himmlischem Reich erscheinen würde. Petrus möchte diese großartige „Vision“ (so der Ausdruck in der lateinischen Bibel) am liebsten festhalten; deshalb sein Wunsch, drei Hütten zu bauen. Aber dann ist die ganze Erscheinung so schnell wieder vorbei, wie sie gekommen ist. „Als sie aber ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand als Jesus allein.“ Und der ermahnt sie, zunächst niemandem davon etwas zu sagen.
 
In der Tat: eine sonderbare Geschichte, wie sie in den Evangelien nicht noch einmal vorkommt. Es ist für uns schwer nachvollziehbar, was sich dort auf dem Berg damals wirklich ereignet hat. Immerhin bestätigt diese „Verklärung“ die Botschaft, die schon bei Jesu Taufe zu hören war: Dieser Mensch ist der Sohn Gottes, der in Vollmacht des himmlischen Vaters redet und handelt. Darum ergeht an die Jünger die klare Ansage: „Den sollt ihr hören!“ Und genau das ist die Botschaft, die dies Sonntagsevangelium auch uns vermitteln will. Wir haben eine solche lichtvolle Erscheinung Jesu nicht erlebt und sollen auch nicht auf ein solches Wunder warten. Aber: „Den sollt ihr hören!“ Die Worte und Taten Jesu sind uns im Neuen Testament überliefert, und sie haben nichts von ihrer Bedeutung und Aktualität verloren: „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.“ „Selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen.“ „Seid barmherzig, wie auch euer himmlischer Vater barmherzig ist.“ Jesu Worte sind das Gebot der Stunde in unserer von so viel Leid und Streit zerrissenen Welt. Wenn wir auf sie hören und danach auch leben und handeln, dann kann auch unter uns etwas aufleuchten von dem Licht des Friedens, das mit Jesus in unserer Welt erschienen ist.
 
Ich wünsche Ihnen eine gute Woche unter Gottes Schutz und Segen. 
Ihr Christian Klatt  

Andacht für die Woche nach dem 21. Januar 2024

Matthäus 8,5-13 - Hauptmann von Kapernaum 

Liebe Leserin, lieber Leser,
Mit dieser Geschichte des Hauptmann von Kapernaum beschreibt der Evangelist Matthäus das Verhältnis Gottes zu seinem Volk Israel. Das Volk Israel ist Gottes erwähltes Volk und bleibt Gottes erwähltes Volk. Allerdings hat es sich geweigert, das Erbe Gottes anzutreten, Jesus von Nazareth als den Messias Gottes anzuerkennen. Darum hat Gott den Kreis  seiner Erben erweitert zu einer Erbengemeinschaft. Die Christen sind als Erwählte Gottes zum Volk Israel hinzugekommen. Das ging zuerst auch ganz gut, die Christen versammelten sich mancherorts sogar in den Synagogen der Juden, aber im Laufe der zeit kam es zu Spannungen, die immer größer wurden. Wir kennen die belastete Geschichte zwischen Christen und Juden – bis in die jüngste Vergangenheit.
Den Beginn dieser Erweiterung der Erbengemeinschaft beschreibt die Geschichte, die  die wir unter der Überschrift kennen: Der Hauptmann von Kapernaum. Da kommt ein Offizier der römischen Besatzungsmacht zu Jesus, was an sich schon sehr ungewöhnlich bis anstößig war. Juden verkehrten damals nicht mit Heiden, schon gar nicht mit diesen feindlichen Heiden. Der Hauptmann war wahrscheinlich ein römischer Zenturio, wie wir ihn aus den Geschichten von Asterix und Obelix kennen. Ein Zenturio ist, wie der Name schon sagt, ein Befehlshaber über etwa hundert Soldaten. Der kommt zu Jesus, dem jüdischen Wunderheiler, von dem er schon so viel Gutes gehört hat, schildert ihm sein Problem und macht auch gleich einen Lösungsvorschlag. Und Jesus wendet sich ihm zu, so als sei er jemand aus seinem eigenen erwählten Volk und kein Fremder oder gar ein Feind.
Welches Problem hat der römische Zenturio nun mitgebracht? Herr, mein Knecht liegt zu Hause und ist gelähmt  und leidet große Qualen, sagt er.  Durch diese Worte erfahren wir einiges über den Glauben des Hauptmanns. Er redet Jesus mit „Herr“ an, und das ist nicht so wie Herr Meier von nebenan, sondern er sagt zu Jesus „Kyrios“, und das ist das Kyrios, mit dem die Christen Jesus als den Herrn der Welt anreden. Der heidnische Offizier bekennt Jesus als den Herrn der Welt und nicht seinen Cäsar in Rom, wie es üblich gewesen wäre. Das ist schon überraschend, und auch Jesus ist überrascht, wenn er sagt: Also ehrlich, soviel Glauben wie bei diesem Heiden habe ich bei keinem Menschen in Israel gefunden.
Und das andere, was wir erfahren, ist etwas über das Verhältnis des Hauptmanns zu seinem Knecht. Der Evangelist Johannes spricht an dieser Stelle von seinem Kind. Beides ist richtig übersetzt: Knecht oder Kind. Gemeint ist wahrscheinlich sein Bursche, ein Offizier hat einen Burschen, einen persönlichen Gehilfen. Und dem will er helfen, dessen Qualen, welche Qualen auch immer das gewesen sein mögen, rühren ihn an. Er leidet mit. Heute spricht man gern von der Fürsorgepflicht eines Vorgesetzten. Also: Der Hauptmann von Kapernaum ist ein Mensch mit Gottvertrauen und ein sensibler Vorgesetzter, und deswegen ist er Jesus hochwillkommen, auch wenn er nicht zum auserwählten Volk Gottes gehört.
Jesus bietet ihm an, mit ihm zu kommen und seinen Burschen gesund zu machen. So macht er es sonst auch. Er spricht mit den Kranken oder berührt sie. Dabei geht es Jesus nicht nur um die körperlichen Symptome und Gebrechen, sondern auch um das Seelenheil der Menschen, darum spricht er die Kranken oft auf ihren Glauben an, auf ihre Gottesbeziehung. Das aber setzt eine persönliche Inaugenscheinnahme der Patienten voraus. Jesus bietet dem Hauptmann an, mit ihm zu kommen. Doch der Hauptmann wehrt bescheiden ab: Das muss doch nicht sein, und das geht ja auch nicht, dass du als Jude in mein heidnisches Haus kommst. Sprich nur ein Wort, so wird mein Bursche gesund. Er denkt, die Sache mit Jesus und den Krankheiten ist genauso wie mit ihm und seinen Soldaten, eigentlich ganz einfach. Wenn er seinen Soldaten befiehlt: Links um und ohne Tritt Marsch! Dann fangen seine Soldaten nicht an zu diskutieren, sondern dann machen sie Links um und ohne Tritt Marsch, einfach deswegen, weil es sein Befehl ist. So soll Jesus das auch machen, meint der Hauptmann. Er soll einen deutlichen Befehl geben, und schon ist das Problem erledigt, ist der Kranke gesund. Zack! Zack! Jesus soll die ganze Welt erlösen, aber zack! Zack!
Es gibt Menschen, gerade auch in christlichen Gruppen, die genau das von Jesus erwarten. Sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund, oder meine Ehefrau, oder mein Sohn, den die Ärzte von der Krebsstation nach Hause entlassen haben, weil er austherapiert ist, weil die Ärzte nichts mehr für ihn tun können. Sprich nur ein Wort, Jesus, und er wird gesund, egal, was die Ärzte sagen.
Jesus spricht eben nicht immer das heilende Wort wie beim Knecht vom Hauptmann von Kapernaum, und wir müssen es ertragen, dass auch Menschen mit viel Gottvertrauen an unheilbaren Krankheiten sterben.
Oder sterben Menschen mit Gottvertrauen anders als Menschen ohne Gottvertrauen? Es könnte doch auch sein, dass unser Blick auf unsere Krankheiten durch Gottvertrauen verändert wird, sodass wir sehen: wir sterben nicht am Herzinfarkt, am Schlaganfall, an Krebs oder bei einem Verkehrsunfall, sondern dann, wenn unsere Zeit auf dieser Welt beendet ist, worauf wir wenig Einfluss haben, und dass dann, wenn unsere Zeit zu Ende geht, der Tod in Gestalt einer dieser Krankheiten kommt oder von Gott geschickt wird, um uns abzuholen. Dieser veränderte Blick auf unsere Krankheiten macht die Erfahrung unseres Todes möglicherweise nicht viel leichter, aber wir müssen wegen der offenen Fragen, auf die wir keine Antwort bekommen und die uns so wehtun, nicht in Panik geraten. Sprich nur ein Wort, so werde ich gesund. Und dann fügen wir hinzu: wenn du dieses Wort nicht sprichst, warum auch immer, dann reich mir deine Hand, damit ich dich auch dann nicht verliere.
Der Hauptmann von Kapernaum hat Vertrauen zu Jesus, und Jesus macht seinen Burschen gesund, aus der Ferne, mit seinen heilenden Worten. In dieser Geschichte ist es so, aber es ist nicht immer und überall so.
Der Evangelist Matthäus erzählt diese Heilungsgeschichte nicht nur wegen der Heilung, sondern hauptsächlich deswegen, um uns Christen deutlich zu machen: Die Erbengemeinschaft Gottes ist größer als man denkt. Das Evangelium und der Glaube an Jesus Christus breiten sich aus, überschreiten nationale und kulturelle Grenzen, entwickeln sich in unvermutete Richtungen. Wir Christen in Europa sind nur ein Teil der weltweiten Christenheit, und manchmal müssen wir feststellen: die weltweite Christenheit stellt sich teilweise in ihren Gottesdiensten und in ihrer Theologie so dar, dass uns die Haare zu Berge stehen. Vieles ist uns recht fremd. Und doch gehören auch sie zur weltweiten Gemeinde der Christen. Ich vermute, wir werden uns noch wundern, wer da alles aus Osten und Westen kommen und mit Abraham und Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tische sitzen wird, wie Jesus sagt. Und wenn wir dann ausgiebig gestaunt haben werden über die Vielfalt, werden wir glücklich sein, wenn auch für uns ein Platz an diesem Tisch sein wird.
 
Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit
 
Wilhelm Niedernolte
Sup. i, R.
Eldagsen

Andacht für die Woche nach dem 14. Januar 2024

Johannes 2, 1-11

1. Am dritten Tage war eine Hochzeit zu Kana in Galiläa, und die Mutter Jesu war da.
2. Jesus aber und seine Jünger waren auch zur Hochzeit geladen.
3. Und als der Wein ausging, spricht die Mutter Jesu zu ihm:
Sie haben keinen Wein mehr.
4. Jesus spricht zu ihr: Was habe ich mit dir zu schaffen, Frau?
          Meine Stunde ist noch nicht gekommen.
5. Seine Mutter spricht zu den Dienern: Was er euch sagt, das tut.
6. Es standen aber dort sechs steinerne Wasserkrüge                                                                     
    für die Reinigung nach jüdischer Sitte, und in jeden gingen zwei oder drei Maß.
7. Jesus spricht zu ihnen: Füllt die Wasserkrüge mit Wasser!                                                       
    Und sie füllten sie bis obenan.
8. Und er spricht zu ihnen: Schöpft nun und bringt's dem Speisemeister!
       Und sie brachten's ihm.
9. Als aber der Speisemeister den Wein kostete, der Wasser gewesen war,
         und nicht wusste, woher er kam – die Diener aber wussten's, 
         die das Wasser geschöpft hatten -, 
10. ruft der Speisemeister den Bräutigam und spricht zu ihm:
        Jedermann gibt zuerst den guten Wein und, wenn sie trunken sind, den
        geringeren;du aber hast den guten Wein bis jetzt zurückgehalten.
11. Das ist das erste Zeichen, das Jesus tat. Es geschah zu Kana in Galiläa,
      und er offenbarte seine Herrlichkeit. Und seine Jünger glaubten an ihn.  
 
 
Liebe Lesende!
 
Das ist eine interessante, lebendige, fröhliche Erzählung, die aber auch verwunderliche Elemente zeigt. 
     Von einer Hochzeit wird erzählt, zu der auch die Mutter Jesu sowie Jesus selbst und seine Jünger eingeladen waren.
     Das zeigt, das Jesus teilgenommen hat am normalen Leben seiner Mitmenschen in Galiläa, - auch an Festen und Feiern. Selbst eine aktuelle Verlegenheit der Feiernden ist ihm nicht gleichgültig. Als der Wein zur Feier ausgeht, sorgt Jesus für neuen Wein in großer Menge und guter Qualität. (Fachleute schätzen das Fassungsvermögen der 6 Wasserkrüge auf insgesamt 500 bis 700 Liter)
 
     Jesus feiert mit den Feiernden und freut sich mit den Fröhlichen. Dabei lässt er gleichzeitig etwas durchscheinen von seiner Vollmacht und von seiner Herrlichkeit und gibt so ein Zeichen davon durch die Verwandlung von Wasser in Wein.
     Eine Hochzeit steht in der Bibel oft als Bild für die erwartete Heilszeit, und der Wein steht für ein Leben in Fülle und Freude. Beides ist mit Jesu Kommen angebrochen, und darauf  weist uns diese Erzählung von der Hochzeit zu Kana mit ihrem wunderbaren Verlauf hin.
 
     Eine sehr schöne Geschichte, wird nun mancher denken, doch was sagt sie mir und heute?  Ich erlebe solche Wunder nicht, und mir begegnet auch kein Jesus.
Zudem lebe ich in einer gänzlich anderen Welt und Zeit als sie diese Erzählung schildert. Heutzutage treiben uns Angst und Sorge um wegen der Kriege in der Welt, wegen der Klimaveränderung, wegen der heftigen politischen Probleme auch in unserem Land, ganz zu schweigen von persönlichen Belastungen wie Krankheiten, Geldsorgen oder Streit in der Familie. Da ist uns nicht nach Feiern und Fröhlichkeit zumute, - trotz Weihnachtszeit und Sylvester-Feuerwerk.
 
     Ich denke, wir können solche Gedanken und Gefühle gut nachvollziehen in diesen Tagen. Trotzdem sollten wir uns nicht zu sehr davon niederdrücken lassen, sondern uns lieber von unserer Erzählung aus dem Neuen Testament ansprechen lassen und bedenken, was sie uns sagen will: Dass nämlich der auferstandene lebendige Jesus Christus an unserer Seite stehen will in unserem ganz normalen Leben, am Alltag und am Feiertag und dass wir ihm vertrauen können wie einem guten Freund, der aber gleichzeitig Gottes Liebe und Gottes Macht verkörpert.
     Deshalb dürfen wir nun so glauben und leben und handeln als ginge Jesus ganz praktisch an unserer Seite und nähme uns an seine Hand; denn er will uns ja begleiten auf unserem Weg und uns die richtige Richtung zeigen.
 
     Es ist aber nicht immer leicht, den als richtig erkannten Weg dann auch zu beschreiten, wenn es z.B. bedeutet, dass ich meinen Egoismus beiseite schieben muss, um etwa einem Freund zu helfen oder um der Frau bei der Hausarbeit zur Seite zu stehen. Und das sind nur die kleinen alltäglichen Möglichkeiten, richtig zu handeln. Von den größeren Fragen nach verantwortlichen Taten berichten die Zeitungen jeden Tag, z.B. im Zusammenhang mit dem Hochwasser und der Hilfsbereitschaft, die es ausgelöst hat. 
Lassen wir uns also nicht überwältigen von den Problemen und Ängsten unserer Zeit, sondern versuchen wir, mit Gottes Hilfe getrost auch ins Jahr 2024 hineinzugehen. Und lassen wir uns von Jesu Vorbild anregen, uns auch am Leben zu freuen und es bei Gelegenheit mit den Feiernden zu feiern. Dann ist auch der manchmal schwierige Alltag leichter zu bewältigen im Vertrauen auf Gottes Beistand. Solchen Mut zur Zuversicht wünscht Ihnen und sich selber
 
Ihr Jürgen Flohr

Andacht für die Woche nach dem 6. Januar 2024 Epiphaniasfest

„Die Weisen aus dem Morgenland“ und „die Heiligen Drei Könige“

Da Jesus geboren war zu Bethlehem in Judäa zur Zeit des Königs Herodes, siehe, da kamen Weise aus dem Morgenland nach Jerusalem und sprachen: Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, ihn anzubeten. 
Als das der König Herodes hörte, erschrak er und mit ihm ganz Jerusalem, und er ließ zusammenkommen alle Hohenpriester und Schriftgelehrten des Volkes und erforschte von ihnen, wo der Christus geboren werden sollte. Und sie sagten ihm: In Bethlehem in Judäa; denn so steht geschrieben durch den Propheten (Micha 5,1): »Und du, Bethlehem im Lande Juda, bist mitnichten die kleinste unter den Fürsten Judas; denn aus dir wird kommen der Fürst, der mein Volk Israel weiden soll.«
Da rief Herodes die Weisen heimlich zu sich und erkundete genau von ihnen, wann der Stern erschienen wäre, und schickte sie nach Bethlehem und sprach: Zieht hin und forscht fleißig nach dem Kindlein; und wenn ihr's findet, so sagt mir's wieder, dass auch ich komme und es anbete.
Als sie nun den König gehört hatten, zogen sie hin. Und siehe, der Stern, den sie hatten aufgehen sehen, ging vor ihnen her, bis er über dem Ort stand, wo das Kindlein war. Da sie den Stern sahen, wurden sie hocherfreut und gingen in das Haus und sahen das Kindlein mit Maria, seiner Mutter, und fielen nieder und beteten es an und taten ihre Schätze auf und schenkten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe. Und da ihnen im Traum befohlen wurde, nicht wieder zu Herodes zurückzukehren, zogen sie auf einem andern Weg wieder in ihr Land.
Matthäus 2,1-12

Liebe Leserin, lieber Leser!

Seit dem dritten Advent geht mir ein kaum bekanntes Weihnachtslied nicht aus dem Kopf. Das liegt vielleicht daran, dass ich den Titel bis jetzt nicht richtig verstanden hatte. „A la Berline Postiljon“ lautet er. Das Lied stammt von einer ziemlich mitgenommenen Musikkassette mit Weihnachtsliedern. Herman van Veen hat sie im Jahr 1995 aufgenommen. Er singt das alte flämische Lied auf Deutsch (https://www.youtube.com/watch?v=lK6BCXh_Zyo)  – allerdings ist die Zeile „a la Berline Postiljon“ nicht übersetzt. Inzwischen weiß ich, was sie bedeutet. Doch davon später. 
Der Rest des Textes ist dagegen sehr gut verständlich. Es geht um die Heiligen Drei Könige und deren Weg zur Krippe; ein Sternsänger-Lied also, an dessen Ende die Bitte um eine Gabe steht. Die erste Strophe lautet:

„Wir kommen von Osten,
 wir kommen von fern,
 a la Berline Postiljon.
 Wir sind die drei Könige
 mit einem Stern,
 a la Berline Postiljon.
 Und in die Knie geh'n wir sonst nie, 
 wir sind drei Königskinder, 
 nun macht uns schon die Türen auf, wir warten drauf.“

Neben der Zeile „a la Berline Postiljon“, die in jeder Strophe zweimal gesungen wird, lautet der Refrain: 

„Und in die Knie geh'n wir sonst nie, 
 wir sind drei Königskinder, 
 nun macht uns schon die Türen auf, wir warten drauf.“

Dass ein Mensch „in die Knie geht“ kann ganz unterschiedliche Ursachen haben. Er kann überlastet sein, überlastet im konkreten wie im übertragenen Sinn. Überlastet - so fühlen sich gegenwärtig viele von uns. Die Advents- und Weihnachtszeit aber, die doch Zeit und Raum für Entspannung und Erholung bringen soll, war für viele eine anstrengende, ja sogar zermürbende Zeit. Viele Menschen litten und leiden unter dem Hochwasser in unserem Land. Und viele litten und leiden darunter, dass die Kriege immer weiter gehen und weiterhin Menschen andere Menschen verletzen und töten. Dazu kommen persönliche Belastungen: Angst vor oder Leiden unter einer Krankheit, Sorgen in der Familie, in der Schule oder am Arbeitsplatz, Unsicherheit über manche wirtschaftliche und politische Entwicklungen in unserem Land und weltweit. Da kann man schon „in die Knie gehen“.
Doch es gibt auch ein ganz anderes „in die Knie gehen“. So wie es die Weisen aus dem Morgenland vor dem Jesuskind getan haben. Oder wie wir es tun, wenn wir uns mit einem Kind unterhalten. Wenn wir uns nicht zu ihm hinabbeugen, sondern auf Augenhöhe mit ihm sprechen, mit ihm spielen oder singen, uns anhören, was es bewegt und uns sagen will. Das ist ein bewusstes in die Knie gehen. Es bedeutet: Ich will die Welt aus einer anderen Perspektive sehen. Ich will mich nicht größer machen als andere. Ich will auch die kleinen Dinge, die kleinen Wunder sehen und mich darüber freuen. In die Knie gehen ist dann eine ganz bewusste Entscheidung.

Zurück zu den Sternsingerinnen und Sternsingern. In diesem Jahr sammeln sie unter dem Motto „Gemeinsam für unsere Erde – in Amazonien und weltweit“. Dabei geht es um den respektvollen Umgang mit Mensch und Natur - respektvoll, also auf Augenhöhe und nicht von oben herab. Es geht darum, sich gemeinsam mit Partnern vor Ort gegen Brandrodung, Abholzung und rücksichtslose Ausbeutung von Ressourcen einzusetzen. Und es geht um Widerstand gegen die Zerstörung der Lebensgrundlagen der einheimischen Bevölkerung der südamerikanischen Länder Amazoniens.
Das Sternsingerlied von Herman van Veen, das mir immer noch im Ohr ist, macht deutlich: Manchmal ist es erforderlich und richtig, in die Knie, aufs Knie zu gehen. Vor der Krippe Jesu haben Menschen gekniet und dabei erfahren, dass Größe und Macht nicht alles sind, dass sie auf die Dauer nicht das Leben bestimmen können. Das kann uns Mut dazu machen, selbst ab und zu aufs Knie zu gehen, die Welt aus einer anderen Perspektive zu sehen und schließlich gerade den Menschen, die so oft und gern übersehen werden, auf Augenhöhe zu begegnen.
Dazu schenke uns Gott in dem vor uns liegenden Tagen des neuen Jahres seines guten  Geist.
Ihr 
Jürgen Peter Lesch

Die Übersetzung von „a la Berline Postiljon“ trägt nicht wirklich zum Verständnis des Liedtextes bei. Die „Berline“ ist eine Kutsche besonderer Bauart. „A la Berline Postiljon“ ist eine typische populäre Ausformulierung des französischen „à la berline, postiljon“, was „zu/mit deiner Berliner Kutsche, Kutscher“ bedeutet. Die Sternsingerinnen und Sternsinger kommen in diesem Lied also mit einer Kutsche. Das ist so verwirrend wie die gesamte Entstehungsgeschichte des Liedes.
Viel interessanter ist die Veränderung der Weisen oder Magier aus dem Morgenland hin zu drei Königen, die dann die Namen Caspar, Melchior und Balthasar tragen. Später wird zwischen ihnen differenziert. Der junge Caspar vertritt als Schwarzer Afrika; der greise Melchior ist geschmückt wie ein europäischer König; Balthasar steht in den besten Jahren und repräsentiert den asiatischen Kontinent. Die Heiligen Drei Könige lassen sich auch als die drei biblischen Rassen (Semiten, Hamiten und Jafetiten, die Nachfahren der Söhne Noahs, nämlich Sem, Ham und Jafet) typisieren. Am Ende wurden, so heißt es, die Gebeine der Heiligen Drei Könige im Kölner Dom zur Ruhe gebettet. Doch wenn man den Schrein genau betrachtet, sieht man, dass sich zu den drei Königen ein vierter gesellt hat. 
Bei allen nachbiblischen Veränderungen und Erweiterungen geht es immer um die zentrale Botschaft der Erzählung aus dem Evangelium nach Matthäus: Die heidnischen Völker, für die stellvertretend die Weisen oder Könige stehen, kommen zu Jesus. Ebenso sollen auch am Ende der Zeiten die Völker der Welt zum Zion kommen. 

Andacht zum Jahreswechsel über die Jahreslosung 2024

„Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.“ (1. Kor. 16, 14)
 
von Superintendent i. R. Christian Klatt
 
Die Jahreslosung für 2024 aus dem 1. Korintherbrief ist ein kurzes, klares Wort der Ermahnung. Sie ruft uns zur Liebe als Leitbild für unser Leben und Handeln. Paulus selbst preist die Liebe im berühmten 13. Kapitel seines Briefes neben dem Glauben und der Hoffnung als die größte Tugend und ethische Kraft. Insofern überrascht es nicht, dass diese Jahreslosung eine der zentralen biblischen Forderungen an unser menschliches und mitmenschliches Verhalten ausspricht. 
 
Passt sie aber auch in die harten Realitäten unserer Welt? Unser Zusammenleben mit unseren Mitmenschen ist doch oft von ganz anderen Empfindungen geprägt. Da gibt es immer wieder, manchmal auch völlig zurecht, Ärger, Zorn, Gereiztheit, Misstrauen. Und im öffentlichen Leben von Politik und Gesellschaft herrschen meistens ganz andere Umgangsformen: Streit und Auseinandersetzungen bis hin zu Diffamierungen und Anfeindungen. Nicht nur der Umgangston ist härter und rauer geworden; die Hemmschwelle zu Hass und Gewalt schwindet; und selbst die „Liebe“ ist, sogar in der Kirche, nicht vor Missbrauch gefeit. 
 
All diese schlimmen Entwicklungen und Zustände sprechen jedoch nicht gegen unsere Jahreslosung, sondern vielmehr für ihre Notwendigkeit. „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.“ Das bedeutet ja nicht, daß wir mit jedermann in völliger Harmonie und Sympathie leben sollen. Ärger muss ausgesprochen und Streit ausgetragen werden. Und wo Böses geschieht, müssen klare Grenzen gesetzt und Konsequenzen vollzogen werden. Aber der Geist der Liebe darf dabei nicht verloren gehen. Die Herzen dürfen nicht verhärten, sondern sollen barmherzig bleiben. Die Liebe, von der die Jahreslosung redet, ist nicht ein naives, unkritisches Gefühl, aber sie bewahrt den Respekt vor der Person und die Achtung der Menschenwürde und dient dem Wohlergehen der Gemeinschaft in Familie, Staat und Gesellschaft.
 
Im 1. Korintherbrief steht die Jahreslosung nicht isoliert, sondern ist die letzte in einer Reihe von fünf Mahnungen. Ich zitiere nach der uns bekannten Lutherbibel; als Jahreslosung stammt der Wortlaut aus der sogenannten Einheitsbibel: „Wachet, steht im Glauben, seid mutig und seid stark! Alle eure Dinge lasst in der Liebe geschehen!“ Christliche Liebe steht also im Kontext unseres Glaubens, der uns wachsam, stark und mutig werden läßt in der Hinwendung zu unseren Mitmenschen. Und sie ist gegründet in der Liebe Gottes, die er uns in der Person Jesu Christi, in dem Kind in der Krippe, in dem Heiland der Welt geschenkt hat. Von daher ist Liebe trotz aller schlimmen Nachrichten, trotz aller bösen Machenschaften, trotz aller chaotischen Zustände in unserer Welt keine Utopie, sondern eine Verheißung, die sich in unserem Verhalten und Handeln positiv auswirken will.
 
„Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe“ – ich finde, das ist ein wichtiges Bibelwort für das neue Jahr. Es will uns nicht überfordern, aber jeden Tag daran erinnern und dazu ermahnen, dass wir der Liebe Gottes durch unser Tun Raum geben und dadurch die Welt hier und da ein wenig menschlicher und friedlicher machen. Dazu helfe uns Gott!
 
Ich wünsche Ihnen ein gutes, behütetes, friedvolles Jahr 2024 unter Gottes Schutz und Segen!
 Ihr Christian Klatt   

Andacht für die Woche vom 24.12.23

Liebe Leserin, Lieber Leser,
es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging … Da machte sich auf auch Joseph mit seiner Verlobten Maria, die war schwanger. Nach mühsamer Reise landen sie schließlich in einem Viehstall. Maria bringt ihren Sohn zur Welt. Und aus Ermangelung eines Kinderbettes legt sie ihr Kind in eine Futterkrippe. Und nun sitzen und stehen die Eltern an der Krippe und freuen sich über ihren Sohn, so wie sich die meisten Eltern über ihre neugeborenen Kinder freuen, die  das neue Lebewesen in ihrer Familie betrachten, darüber staunen, dass alle Gliedmaßen, alle Finger und Zehen komplett vorhanden sind. Und sie versprechen ihrem Baby in ihrem Herzen, es immer liebzuhaben, zu ihm zu stehen, egal, was kommt, es zu beschützen und zu begleiten; wenn es sein muss, ihr Leben zu riskieren für dieses kleine Wesen. Maria und Joseph freuen sich.
Aber sie sind nicht die einzigen an der Krippe. Auf Bildern, die die Weihnachtsgeschichte darstellen, sehen wir fast immer auch Tiere, einen Ochsen und einen Esel. Der Evangelist Lukas schreibt nichts von Ochsen und Eseln. Wie kommen die Tiere in die Weihnachtsgeschichte? Darauf geben verschiedene Ausleger verschiedene Antworten. Die einen sagen: In einen damaligen Stall gehören Ochsen und Esel, Kühe und Schafe. Und Maler haben sicher gemeint: Ein paar Tiere runden das Bild ab, machen es lebendig. Bibel kundige Ausleger weisen dagegen gern darauf hin, was Gott durch den Propheten Jesaja über sein Volk gesagt hat: (Jesaja 1,3) „Ein Ochse kennt seinen Herrn und ein Esel die Krippe seines Herrn, aber Israel kennt's nicht, und mein Volk versteht's nicht.“ Wie auch immer, für uns, für mich gehören Ochse und Esel an die Krippe des Jesuskindes.
Wer steht noch an der Krippe? Natürlich die Hirten, die draußen auf dem Feld die Botschaft vom neu geborenen Heiland zuerst erfahren haben. Sie kommen als erste, um das Kind anzubeten. Das sind Leute, denen man wohl seine stinkenden Schafe in Obhut gibt, die man aber nicht gern in seiner Nähe hat, unkultivierte Leute mit schlechten Manieren. Schon hier zeigt sich etwas, das sich durch das ganze spätere Leben dieses Kindes zieht, seine Nähe und Liebe zu solchen Leuten, über die man die Nase rümpft, die am Rande der Gesellschaft stehen. Jesus nennt sie später die Mühseligen und Beladenen, oder er nennt sie seine geringsten Brüder und Schwestern. Die Nähe zu solchen Menschen zeigt sich häufig gerade in der Weihnachtszeit, und trifft oft auf unsere Hilfsbereitschaft, auf unsere Spendenbereitschaft. Wir sehen das Elend in der Welt und es rührt uns an. Die Hirten in der Weihnachtsgeschichte stehen als erste an der Krippe und huldigen dem Kind. Wir huldigen dem Kind heute, indem wir unser Herz für solche Menschen öffnen. Unser Glaube an das Kind in der Krippe von Bethlehem hilft uns persönlich zum Leben. Es öffnet uns aber auch die Augen und die Hände und das Portemonnaie für die, die auf der Schattenseite stehen, die als erste an der Krippe Jesu stehen
Doch weiter: Wer steht noch an der Krippe? Natürlich die drei Weisen aus dem Morgenland. Was sind das für Menschen? Weise, also kluge Menschen, vielleicht Wissenschaftler. Wir haben einen Stern gesehen, sagen sie. Vielleicht sind sie Sternenkundige, Astronomen oder Astrophysiker. Der Evangelist Matthäus beschreibt sie als Magioi, also Magier, die über geheimes Wissen verfügen. In unserer Vorstellung und in vielen Krippenspielen sind es Könige, heilige drei Könige, denen noch heute der 6. Januar als Feiertag gewidmet ist. Wo ihr Königreich liegt, erfahren wir nicht. Sie kommen aus dem Osten, vielleicht aus Indien, vielleicht aus Afghanistan. Interessanter als das zu wissen sind die Geschenke, die sie mitbringen: Gold, Weihrauch und Myrrhe, kostbare Dinge, die sich nur wirklich Reiche leisten können. Die stehen auch an der Krippe des Jesuskindes. Die Frohe Botschaft, dass Gott in diesem Kind in die Welt gekommen ist, gilt also nicht nur den Hirten, sondern auch den Weisen, den Klugen, den Magiern. Denen, die, anders als die Hirten, viel Aufmerksamkeit und Bewunderung bekommen, die über hinreichend Geldmittel verfügen, die sich alles leisten können, was ihr Herz begehrt. Zu denen kommt Gott auch in die Welt. Denn auch denen gilt die Botschaft des Engels auf dem Feld: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden. Diese Botschaft gilt auch denen, die über Macht verfügen, die darüber bestimmen können, ob Gas geliefert wird und Öl und Strom, die Einfluss darauf haben, ob die Aktienkurse an der Börse steigen oder fallen, die die Macht haben, Kriege zu beginnen oder Kriege zu beenden,  Waffen zu liefern oder Waffen nicht zu liefern. Die sind auch gemeint, wenn es um die Ehre Gottes und um den Frieden in der Welt geht.
Die drei Könige stehen an der Krippe Jesu. Wer noch?
Fehlt noch jemand? Auf Bildern und bei Darstellungen vonKrippen sieht man gelegentlich einen Engel. Oft schwebt er über dem Stall und ist von einem Strahlenkranz umgeben. Ob es sich dabei um den Engel handelt, der den Hirten die Frohe Botschaft gebracht hat, ist nicht bekannt, aber sehr wohl denkbar. Der Engel und mit ihm die himmlischen Heerscharen verkünden die zentrale Botschaft. Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen. So kennen wir die vertraute Übersetzung von Martin Luther. Wenn Menschen Gott die Ehre geben, werden sie in Frieden leben und es wird ihnen wohl ergehen, sie werden Wohlgefallen haben. Also der Friede auf Erden ist nicht nur Gottes Sache, sondern auch das Werk von gutwilligen Menschen, von Menschen, die in der Lage sind, Kriege und Konflikte zu beenden, nicht nur einen Waffenstillstand zu erreichen, sondern nachhaltigen Frieden zu schaffen, was mit Waffen und immer mehr Waffen allein nicht möglich sein wird. Das verkündet der Engel und mit ihm die himmlischen Heerscharen. Und darum gehört der Engel auch an die Krippe.
Wer gehört noch dorthin?
Es gab auch Menschen und gibt sie bis heute, die sich weigern, an die Krippe zu treten und die Botschaft und das Gebot vom Frieden zu hören, die Kriegstreiber, die Ausbeuter, die, die ganze Völker ins Elend stürzen, die ihre Macht für eigene Zwecke missbrauchen. Für sie, so hoffe und so glaube ich, wird aus der Krippe Jesu irgendwann der Richterstuhl Christi werden, vor dem sie sich verantworten müssen. So wie wir es in unserem Glaubensbekenntnis sagen: Er wird wiederkommen, zu reichten die Lebenden und die Toten. Wenn die Bibel von Gottes Gericht spricht, meint sie zweierlei: Gottes Gericht heißt, dass er den Benachteiligten Recht schaffen wird, ihnen zu ihrem Recht verhelfen wird. Und Gottes Gericht heißt für die Kriegstreiber und Ausbeuter, dass er sie bestrafen wird. Wie, das wissen wir nicht, denn das ist allein Gottes Sache. Aber er wird sie bestrafen. Das hoffe ich, und das glaube ich. Sonst wäre mir das Elend, das Menschen einander wissentlich und vorsätzlich einander antun, nicht erträglich. Das Kind in der Krippe ist eben nicht nur das liebe kleine süße Jesulein in seinem Krippelein beim Öchslein und beim Eselein, sondern auch Christus, der Weltenrichter.
Und was ist mit uns? Stehen wir auch an der Krippe Jesu? Wir mit unserem Kummer über einen geliebten Menschen, den wir verloren haben? Wir mit den Lasten unseres Alltags in unserem Beruf und in unserer Familie? Wir mit unseren besorgten Blicken auf die Zukunft unserer Welt? Stehen wir auch an der Krippe oder sind wir unterwegs zur Krippe?
 
Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Zeit
Wilhelm Niedernolte, Sup. i.R.
Eldagsen 

Andacht für die Woche nach dem 17. Dezember 2023 (3. Advent)

„Ein jegliches hat seine Zeit – ein jegliches braucht seine Zeit“

Liebe Leserin, lieber Leser!

Die Adventszeit ist eine Zeit der Erwartung, des Wartens, des Geduldhabens. Doch ich beobachte bei mir, dass es mir zunehmend schwerer fällt, Geduld zu haben. Ich falle immer häufiger auf die vielen Nachrichten herein, die gerade jetzt mein E-Mail-Postfach füllen. Da lese ich z.B. „Ho Ho Ho - Ihr Paket kommt bald“. Zehn Minuten später werde ich aufgefordert, „das Paket live“ zu „verfolgen“. Als es ankommt, stellt sich heraus: Das „Paket“ war lediglich ein DIN-A5 Umschlag mit Relief-Postkarten. Viel Wind um sehr wenig. Gut und gerne kann ich auf diese Nachrichten verzichten.

Das ist nur ein harmloses Beispiel. Doch es ist ein Beispiel dafür, wie sehr wir uns daran gewöhnt haben, dass Wünsche schnell, sehr schnell erfüllt werden. Bestelltes muss „postwendend“ geliefert werden. Und fast immer wird auch schnell geliefert. Vielleicht soll uns das darüber hinwegtrösten, dass anderes unglaublich lange dauert, und Veränderungen viel mehr Zeit brauchen als gedacht. So ist in der letzten Woche die 28. UN- Klimakonferenz (COP) beendet worden. Doch Weltklimakonferenzen gibt es seit 1979, die erste UN-Konferenz hat 1995 in Berlin stattgefunden. Seit über 50 Jahren wissen wir, dass das Klima von uns Menschen beeinflusst wird. Doch für die erforderlichen Veränderungen in unserem Verhalten brauchen wir offenbar Zeit. 

Vieles hat sich beschleunigt, vieles braucht mehr Zeit als gedacht und gewünscht. Wir Menschen sind dazwischen eingespannt. Wir gewinnen Zeit und wir verlieren Zeit. Leider gewinnen wir häufig Zeit in weniger wichtigen Bereichen und verlieren dort Zeit, wo es schneller gehen müsste. In dieser Situation bieten sich die Adventswochen und besonders die Adventssonntage an, darüber nachzudenken, wie wir mit Zeitgewinn und mit Zeitverlust, mit Ungeduld und Gelassenheit angemessen umgehen können. Wir können den Advent nutzen, zunächst zurückzuschauen und dann nach vorne zu schauen. Und im Rückblick manches zu entdecken, was uns Mut gibt, neue Hoffnung zu schöpfen.

In der Weihnachtsgeschichte schaut Zacharias, der Vater Johannes des Täufers, zunächst zurück und dann nach vorn. Seine Frau Elisabeth hat ihr gemeinsames Kind zur Welt gebracht. Nun geht es darum, wie es heißen soll. Verwandte und Nachbarn sind sich einig: Der Junge soll heißen wie der Vater: Zacharias. Doch Elisabeth sagt: Nein, er soll Johannes heißen. Also wird der Vater gefragt. Er ist allerdings stumm seit dem Augenblick, in dem ihm der Engel Gabriel im Tempel erschienen war. Der Engel hatte ihm und seiner Frau – beide waren hochbetagt, heißt es – die Geburt eines Sohnes angekündigt und gesagt, dieser Sohn solle Johannes heißen. Der Name stammt aus dem Hebräischen und bedeutet: Gott hat sich erbarmt.

Zacharias kann nicht sprechen; er schreibt den Namen auf. Während sich noch alle wundern und rätseln: „Was wird aus diesem Kindlein werden?“, beginnt Zacharias zu sprechen. Was er sagt, klingt wie ein Psalmwort. Es wird das „Benedictus“ genannt, denn so lauten die ersten Worte im Lateinischen: „Benedictus Dominus“:

„Gelobt sei der Herr, der Gott Israels! 
Denn er hat besucht und erlöst sein Volk und hat uns aufgerichtet ein Horn des Heils (s.u.) im Hause seines Dieners David – wie er vorzeiten geredet hat durch den Mund seiner heiligen Propheten – ,
dass er uns errettete von unsern Feinden und aus der Hand aller, die uns hassen,
und Barmherzigkeit erzeigte unsern Vätern und gedächte an seinen heiligen Bund,
an den Eid, den er geschworen hat unserm Vater Abraham, uns zu geben, dass wir, erlöst aus der Hand der Feinde, ihm dienten ohne Furcht unser Leben lang in Heiligkeit und Gerechtigkeit vor seinen Augen.
Und du, Kindlein, wirst Prophet des Höchsten heißen. Denn du wirst dem Herrn vorangehen,
dass du seinen Weg bereitest und Erkenntnis des Heils gebest seinem Volk in der Vergebung ihrer Sünden, durch die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes, 
durch die uns besuchen wird das aufgehende Licht aus der Höhe,
auf dass es erscheine denen, die sitzen in Finsternis und Schatten des Todes,
und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens.

(Lk 1, 68-79 - Lutherbibel 2017. Ein Horn ist Zeichen der Macht. Der Text lässt sich übertragen mit: Er hat uns einen starken Retter gesandt.)

Zacharias beginnt mit einem Lob Gottes. Das ist die Grundlage, die Basis, für alles, was danach kommt. Danach erinnert Zacharias an die Geschichte Gottes mit den Menschen: an den König David, der als Messias wiederkommen soll, an die Botschaften der Propheten und an den Bund zwischen Gott selbst und Abraham mit seinen Nachkommen. Zacharias spricht wiederholt von den Errettungen der Israeliten vor ihren Feinden. Dieses wiederholte Retten ist jedoch kein Selbstzweck. Es geht um ein Leben in Rechtschaffenheit und Gerechtigkeit. Dann richtet Zacharias den Blick nach vorn. Sein Sohn Johannes wird den Weg von Jesus vorbereiten. Er wird die Menschen aus ihrer Lethargie reißen, sie darauf hinweisen, dass sie ihr Leben nicht in Finsternis verbringen müssen, sondern vom lebensbringenden Licht Gottes überstrahlt werden. So können sich die Menschen auf den Weg machen, Frieden zu schaffen. Darauf läuft das Lied des Zacharias hinaus. Herausgeholt werden aus der Finsternis und sich auf den Weg zum umfassenden Frieden, zum Schalom, machen. 

Der Rückblick auf die lange Geschichte Gottes mit den Menschen, die Erinnerung an seinen Bund mit Abraham und den Israeliten, das Wissen um die Verheißungen der Propheten und des Messias – all das macht Zacharias Mut, nach vorne zu schauen. Vielleicht sollten wir uns gerade jetzt im Advent Zeit nehmen und darauf zurückschauen, was bei vielen Problemen und gegen alle Schwierigkeiten erreicht worden ist. Wir haben aufgehört, vom gerechten Krieg zu reden, und fangen an, uns um gerechten Frieden zu bemühen. Es gab Hoffnungszeichen wie den Westfälischen Frieden und Vereinbarungen wie die Haager Landkriegsordnung und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Und als man im Jahr 1979 anfing, intensiv über die Folgen eines Klimawandels nachzudenken, erschien ein globaler Temperaturanstieg von mehr als 4° Celsius ganz unvermeidbar. Was erreicht worden ist, sind nur Anfänge. Um in den Bildern der Bibel zu bleiben: Ja, die Finsternis bedroht uns immer wieder. Das Licht scheint manchmal hell, manchmal sehr gedämpft und manchmal droht es zu verlöschen. Auf dem Weg des Friedens stolpern wir oft und fallen auch einmal hin. Doch wir wissen seit langem, wohin wir gehen wollen. Christinnen und Christen stehen dabei nicht über den Dingen. Sie leiden wie andere Menschen auch – vielleicht sogar mehr, weil sie sich nicht damit zufrieden geben können und wollen, wie die Verhältnisse sind. Doch Christinnen und Christen müssen nicht alle Kraft und allen Mut aus sich selbst schöpfen. Sie sehen Gott in seiner Geschichte mit den Menschen. Gott, der da war und der da ist und der da sein wird. Christinnen und Christen können auf die Zukunft vertrauen, wie es Zacharias gesagt hat: Durch die herzliche Barmherzigkeit Gottes wird das aufgehende Licht über uns scheinen und unsere Füße auf den Weg des Friedens richten.

Ihr Jürgen-Peter Lesch 

Andacht für die Woche nach dem 10. Dezember 2023 (2. Advent)

Lukas 21, 29-33
von Sup. i. R. Flohr
 
29. Jesus sprach zu seinen Jüngern und sagte ihnen ein Gleichnis:
Seht den Feigenbaum und alle Bäume an:
 30. wenn sie jetzt ausschlagen und ihr seht es,
   so wisst ihr selber, dass der Sommer schon nahe ist.
31. So auch ihr: Wenn ihr seht, dass dies alles geschieht,
  so wisst, dass das Reich Gottes nahe ist.
32. Wahrlich, ich sage euch:
  Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis es alles geschieht.
33. Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte werden nicht vergehen.
34.  
 
Liebe Lesende,
 
Jesus erklärt mit diesem Gleichnis vom Feigenbaum seinen Jüngern, welche Bedeutung sein Kommen für seine Zeitgenossen hat; und wir Heutigen können hinzufügen, dass dieses Nahe-Kommen des Gottesreiches die ganze Welt betrifft.
     So wie man am Feigenbaum, wenn er ausschlägt und grün wird, erkennen kann, dass der Sommer naht, so können die Jünger und auch alle anderen Menschen am Wirken Jesu in Wort und Tat erkennen, dass die Heilszeit nahe ist, dass der Messias vor der Tür steht, dass es an der Zeit ist, ihm zu glauben und ihm nachzufolgen.
     
     Das galt damals für die Jünger; und es gilt heute  für uns, - trotz all der Probleme und Schrecken, die uns in der heutigen Wirklichkeit begegnen; und das sind ja wahrhaftig viele.
Trotzdem ist Adventszeit. Trotzdem warten wir auf das Christfest und bereiten uns vor auf die Feier der Geburt Jesu. Als Christinnen und Christen bedeutet das für uns nicht nur, Geschenke zu besorgen, Kerzen anzuzünden und Weihnachtsfeiern zu organisieren; sondern wir hoffen auf die erneute Ankunft Jesu Christi in unseren Herzen und in unseren Familien, in unseren Kirchen und unseren Häusern. Denn es soll dort überall hell werden vom Licht der Heiligen Nacht, das mit Jesus in die Welt gekommen ist und das auch zu uns kommen will, jedes Jahr von neuem.
     Eine fröhliche und unbelastete Advents- und Weihnachtzeit zu feiern fällt wohl vielen in diesem Jahr nicht leicht, weil eben so viele aufregende und erschreckende Nachrichten auf uns eindringen. Das fängt an bei den Kriegen in der Ukraine und im Heiligen Land; es geht weiter mit den wirtschaftlichen und politischen Problemen im eigenen Land und reicht bis hin zu den weltweiten Bedrohungen durch den Klimawandel.
 
     Trotz alledem ist in Jesus Gottes Heil für uns und für die ganze Welt erschienen. Daran glauben wir, darauf vertrauen wir, und darum  feiern wir Jesu Geburt und 
 seine Ankunft, seinen Advent auch bei uns; denn dieses Vertrauen auf Gottes Interesse an uns Menschen und auf seine Liebe zu jedem und jeder Einzelnen von uns gibt uns Mut und Durchhaltevermögen auch in Nöten und Schwierigkeiten. Wir sind als Glaubende nicht allein mit unseren Sorgen, sondern wir können sie Gott sagen im Gebet, und er wird uns trösten und kräftigen, - z.B. wenn wir krank sind oder wenn wir eine schwere Aufgabe vor uns haben. 
     Der letzte Vers unseres Gleichnisses stellt Jesu Wort und Botschaft in einen umfassenden und zeitübergreifenden Zusammenhang: „Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte werden nicht vergehen.“ Jesu Worte werden hier als unvergänglich bezeichnet, als Worte, die alles andere überdauern, sogar das Verschwinden von Himmel und Erde. 
Auf ihn, in dem Gottes Reich uns Menschen  nahe kommt, vertrauen wir, und wir bereiten uns im Advent darauf vor, dass er auch zu uns kommt, in alle Dunkelheiten dieser Tage hinein, und dass er sie hell macht. Das kann vielleicht durch eine anrührende Musik geschehen oder durch eine unerwartete menschliche Begegnung oder in einem schönen Gottesdienst.
        Eine solche wirkliche Erhellung wünsche ich uns allen in dieser Zeit!

Andacht für die Woche nach dem 03. Dezember 2023 (1. Advent)

"Jesu Einzug in Jerusalem" Mt. 21,1-9

Das Evangelium für den 1. Advent scheint ein wenig aus der Zeit zu fallen. Denn mit dem  Einzug Jesu in Jerusalem lassen alle vier Evangelisten die Passionsgeschichte beginnen. Und so ist dies das  Sonntagsevangelium nach dem Evangelisten Johannes am Beginn der Karwoche, am Sonntag Palmarum.
 
Doch schon seit alter Zeit wird dieser Bericht auch zu Beginn der Adventszeit als Evangelium gelesen, diesmal nach dem Evangelisten Matthäus. Denn „Advent“ heißt ja auf Deutsch „Ankunft“, Ankunft des Herrn. Und damit ist nicht nur ein historischer Rückblick gemeint, wie Jesus damals in Jerusalem eingezogen ist. Das ist ja zunächst mal eine recht eigenartige Szene. Nicht mit Ross und Wagen, sondern auf einem Esel sitzend, reitet Jesus in die Stadt ein und wird dort von einer Menschenmenge mit großem Jubel begrüßt. „Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn!“ Sie sehen in ihm trotz seiner bescheidenen Aufmachung offenbar den von Gott gesandten Messias, mit dem nun, so hoffen sie, eine neue Zeit des Heils und des Friedens anbrechen würde. 
 
Matthäus greift diese Erwartungen auf und rückt sie gleichzeitig zurecht. Er zitiert eine alte Verheißung des Propheten Sacharja (9, 9): „Sagt der Tochter Zion (also der Stadt Jerusalem) : Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel.“ Als „sanftmütig“ hatte sich Jesus selbst in seinem sogenannten „Heilandsruf“ bezeichnet, den Matthäus auch in seinem Evangelium zitiert (11, 29): „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid: Ich will euch erquicken; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig.“ Der Prophet Sacharja hatte den kommenden König mit anderen, aber ähnlichen Worten beschrieben: Er sei arm und ein Gerechter und ein Helfer
 
In Erinnerung an dieses Prophetenwort wählt Jesus offenbar bewusst diese bescheidene, armselige Aufmachung. Auf einem Esel, dem Arbeitstier des kleinen Mannes, zieht er in die Stadt ein. Er präsentiert sich nicht als ein glanzvoller Herrscher, der Macht ausüben will. Sondern er stellt sich mit den Menschen in ihrer Armut und Not auf eine Stufe und will Beistand, Hilfe und Recht gewähren. 
 
Und so wird dieser adventliche Ruf zu einer starken, tröstlichen, ermutigenden Ansage auch für unsere Zeit, die weltweit von so viel Not und Elend geprägt ist: „Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer.“ Das ist zugleich der Wochenspruch für den 1. Advent. Er will uns innerlich aufrichten und stark machen zu einem Leben in der Zuwendung, Fürsorge und Hilfe für unsere Mitmenschen.
 
So grüße ich Sie mit der Bitte unseres Adventsliedes (EG 1, 5) und wünsche Ihnen eine gesegnete Zeit:  „Komm, o mein Heiland Jesu Christ, meins Herzens Tür dir offen ist.“
 
Ihr Christian Klatt 

Andacht für die Woche nach dem 26. November 2023 (Ewigkeistsonntag)

Jesus sprach: Das Himmelreich gleicht zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen und gingen hinaus, dem Bräutigam entgegen. Fünf aber von ihnen waren klug und fünf töricht. Die, welche töricht waren, nahmen ihre Lampen und nahmen kein Öl mit sich; die Klugen aber nahmen Öl in ihren Gefäßen samt ihren Lampen. Als aber der Bräutigam auf sich warten ließ, wurden sie alle schläfrig und schliefen ein. Um Mitternacht aber entstand ein Geschrei: Siehe, der Bräutigam! Geht hinaus, ihm entgegen! Da standen alle jene Jungfrauen auf und machten ihre Lampen fertig. Die törichten aber sprachen zu den klugen: Gebt uns von eurem Öl, denn unsere Lampen verlöschen. Die klugen aber antworteten und sagten: Nein, dann würde es für uns und für euch nicht genug sein; geht lieber zum Kaufmann und kauft für euch selbst. Als sie aber hingingen, zu kaufen, kam der Bräutigam, und die bereit waren, gingen mit ihm hinein zur Hochzeit; und die Tür wurde verschlossen. Später aber kamen auch die übrigen Jungfrauen und sagten: Herr, Herr, tu uns auf! Er aber antwortete und sprach: Wahrlich, ich sage euch: Ich kenne euch nicht. So wacht nun, denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde. (Matthäus 25, 1-13)

 
Liebe Leserin, lieber Leser,

Die kahlen Bäume strecken ihre nackten Äste in den Novemberhimmel. Auf dem Straßenpflaster klebt das feuchte Laub. Im trüben Licht dieser Tage kreisen unsere Gedanken um Sterben und Tod. Den Totensonntag begehen wir und denken an unsere Toten. Den Ewigkeitssonntag begehen wir und fragen über den Tod hinaus: Was trägt uns wirklich? Unser Leben ist endlich – und was folgt? Wen haben wir verloren in diesem Jahr? An wessen Grab haben wir gestanden? Für viele ist solches Erleben noch ganz frisch, die Trauer noch nicht zur Ruhe gekommen.

Doch nicht eine Beerdigung, sondern eine Hochzeitsfeier wird uns im Evangelium des heutigen Sonntags vor Augen gestellt. Jesus erzählt ein Gleichnis vom Reich der Himmel. Und er fasst dieses Reich, in dem aller Abstand zwischen Gott und den Menschen überwunden ist, wie so oft in das Bild einer Hochzeitsfeier. Wie bei jedem gelungenen Fest kommt es ganz besonders auf die Vorbereitung an. Die Rede ist von zehn jungen Frauen, die im Haus der Braut auf den Bräutigam warten. Mit ihm zusammen wollen sie die Braut auf dem Weg zum Haus des Bräutigams begleiten. Dort wird das Hochzeitsfest stattfinden. Festlich soll der Zug werden. Nur diejenigen können mitgehen, die eine brennende Fackel tragen.

Der Bräutigam lässt auf sich warten, aber die Fackeln brennen schon. Allmählich ist das Öl in den Gefäßen aufgebraucht. Die einen haben vorgesorgt, die anderen nicht. Die einen können nachfüllen, die andern schauen ins Leere. Jetzt wäre Teilen angesagt. Doch Teilen hilft hier nichts. Wenn das Öl nicht für alle reicht, würden beim Teilen alle Fackeln zu kurz brennen. Dann wären am Ende alle Fackeln finster, bevor der Hochzeitszug am Ziel ist. Das wäre ein schlechtes Zeichen, ein böses Omen für die junge Ehe. Es mag ja möglich sein, fünftausend hungrige Münder zu sättigen, indem man ein paar Brote und einige Fische unter ihnen teilt. Aber wo das Fest erleuchtet werden soll, hilft es nichts, wenn alle Fackeln vor der Zeit zum Erlöschen kommen. Die klugen Jungfrauen haben Recht, wenn sie nicht teilen. Wer nicht vorgesorgt hat, muss selbst für Nachschub sorgen.

Natürlich stellen wir uns schnell auf die Seite der klugen Jungfrauen. Wir wollen dazu gehören. Wir sorgen rechtzeitig vor. Wir wollen das Entscheidende nicht verpassen. Auch in Glaubensdingen soll das gelten.

Unser Mitgefühl mit den törichten Jungfrauen, denen das Öl fehlt, ist nicht gespielt. Wir kennen die Rolle. Wie oft fehlt es uns am Öl. Wir wollen brennen, aber wir können nicht. Wir sollen leuchten, aber es will nicht gelingen. Wir sollen andern den Weg zeigen, aber kennen ihn selbst nicht. Wir wissen, dass wir besser auf die Ölvorräte unseres Lebens achten müssen. Wir brauchen Zeiten, in denen wir wieder lernen, die Hoffnung zu hüten und mit dem Gott des Lebens zu rechnen. Diese Novembertage sind solche Zeiten. Es sind Zeiten, in denen wir an die denken, deren Leben zu Ende ging. Es sind Tage, an denen uns die eigene Sterblichkeit bewusst wird.

Wir brauchen die Novembertage, die kahlen Bäume, die nassen Blätter am Boden. Es ist töricht, das Empfinden dieser Tage durch voreiligen Weihnachtsglanz zu überdecken.  Nur wer die Erfahrung der Endlichkeit aushält, kann sich am Licht des Gottesfriedens freuen. Nur wer vor der Dunkelheit nicht flieht, kann die Helle des Lichts schauen.

Mitten im Leben bin ich vom Tod umgeben. Aber mitten im Tod weiß ich mich vom Leben umfangen. Denn der Bräutigam kommt. In seinem Licht ist jeder Tag kostbar, der uns geschenkt wird. Der Tod lähmt nicht mehr. Die Trauer bindet uns nicht mehr die Hände. Mit offenen Händen nehmen wir unsere Tage als kostbares Geschenk, weil wir von ihrer Begrenztheit wissen.

Dieser Sonntag stellt uns alle vor die Vertrauensfrage. Was ist unser wichtigster Halt im Leben und im Sterben? Dem Tod halte ich nur stand, wenn ich mich auf eine Kraft verlasse, die mir meine Lebens- und Todesangst gemeinsam überwinden hilft. Es geht um einen Glauben auf Leben und Tod. Meiner Angst vor dem Sterben tritt ein Vertrauen auf Gott entgegen, der mein ganzes Dasein, mein Leben und mein Sterben hält und trägt.

Wohin der Tod auch kommt - Gott ist immer schon da. Und wo Gott ist, da ist das Leben. Deshalb ist der Tod kein „hoffnungsloser Fall“, weil ich immer in der Liebe Gottes geborgen bleibe. Auch ohne mein Zutun. Und so sind auch unsere Verstorbenen durch Jesus Christus - durch sein Sterben und Auferstehen - in der selben Liebe Gottes geborgen, die auch uns Lebende umfängt.

Mag kommen, was will: Gott wird bei uns sein: mit seiner Hilfe, auf die wir trauen können, mit seiner Zusage, in Christus verbürgt, mit seinem Wort, das nicht vergeht. Aber dennoch: Seid wachsam und bereitet euch auch darauf vor. Denn ihr wisst weder Zeit noch Stunde.

 
Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit.
Wilhelm Niedernolte
Superintendent i.R,
Eldagsen

Andacht zum Evangelium für den 22. Sonntag nach Trinitatis am 5.11.2023 aus Matthäus 18, 21 – 35 von Sup. i. R. Flohr

21  Petrus trat zu Jesus und sprach zu ihm: Herr, wie oft muss ich denn meinem Bruder, der an mir sündigt, vergeben? Ist' s genug siebenmal?
22 Jesus sprach zu ihm: Ich sage dir: nicht siebenmal, sondern siebzigmal siebenmal.
23 Darum gleicht das Himmelreich einem König, der mit seinen Knechten abrechnen wollte.
24 Und als er anfing abzurechnen, wurde einer vor ihn gebracht, der war ihm zehntausend Zentner Silber schuldig.
25 Da er's nun nicht bezahlen konnte, befahl der Herr, ihn und seine Frau und seine Kinder und alles, was er hatte, zu verkaufen und zu zahlen.
26 Da fiel der Knecht nieder und flehte ihn an und sprach: Hab Geduld mit mir; ich will dir's alles bezahlen.
27 Da hatte der Herr Erbarmen mit diesem Knecht und ließ ihn frei und die Schuld erließ er ihm auch.
28 Da ging dieser Knecht hinaus und traf einen seiner Mitknechte, der war ihm hundert Silbergroschen schuldig;
und er packte und würgte ihn und sprach: Bezahle, was du schuldig bist!
29 Da fiel sein Mitknecht nieder und bat ihn und sprach: Hab Geduld mit mir; ich will dir's bezahlen.
30 Er wollte aber nicht, sondern ging hin und warf ihn ins Gefängnis, bis er bezahlt hätte, was er schuldig war.
31 Als nun seine Mitknechte das sahen, wurden sie sehr betrübt und kamen und brachten bei ihrem Herren alles vor, was sich begeben hatte.
32 Da befahl ihn sein Herr zu sich und sprach zu ihm:  Du böser Knecht! Deine ganze Schuld habe ich dir erlassen, weil du mich gebeten hast;
33 hättest du dich da nicht auch erbarmen sollen über deinen Mitknecht, wie ich mich über dich erbarmt habe?
34 Und sein Herr wurde zornig und überantwortete ihn den Peinigern, bis er alles bezahlt hätte, was er schuldig war.
35 So wird auch mein himmlischer Vater an euch tun, wenn ihr nicht von Herzen vergebt ein jeder seinem Bruder. 
 
Liebe Lesende,
 
ein schwieriges Thema, das Jesus hier anspricht:  Die Vergebung von Schuld. Sie fällt uns nämlich ziemlich schwer, solche Vergebung. Wenn ein anderer Mensch mich beleidigt oder gar betrogen hat,so bin ich böse auf ihn und möchte ihm das Unrecht heimzahlen, das er mir angetan hat! Oder sind wir doch bereit, auch Bosheiten zu vergeben? - wie wir es im Vater-Unser versprechen, wenn wir Gott bitten: Vergib uns unsere Schuld wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.  
 Der Jünger Petrus war dazu bereit, zu vergeben, wie wir aus seinem Gespräch mit Jesus erfahren. Er war sogar bereit, dem Menschenbruder siebenmal zu vergeben, was mir eine beachtliche moralische Leistung zu sein scheint. Doch Jesus genügt das nicht. Er will mit seiner Antwort „ nicht siebenmal, sondern siebzig mal siebenmal“ die Aufrechnerei der zwischenmenschlichen Bosheiten überhaupt beenden und zur grundsätzlichen Vergebungsbereitschaft aufrufen.
 Zur Begründung und Erklärung erzählt er das oben zitierte Gleichnis. Alle Aspekte dieser Beispielerzählung kann ich hier nicht ausführlich auslegen, aber auf die entscheidenden Punkte möchte ich hinweisen:
Die Summe, die der 1. Knecht dem König schuldet, ist riesig und im Grunde unbezahlbar; nach heutigem Geld käme man auf ca. 3 Milliarden Euro. Dagegen ist die Summe, die der Mitknecht dem 1. Knecht schuldet, gering. Es wäre der 500000. Teil dessen, was der 1. Knecht dem König schuldig war.
Diesem 1. Knecht wird vom König auf seine flehentliche Bitte hin die Riesenschuld erlassen. Von seinem Mitknecht aber fordert er dessen kleine Schuld erbarmungslos ein und lässt ihn sogar in Schuldhaft nehmen.
Das empört verständlicherweise die anderen Mitknechte, und sie melden dies dem Herrn. Daraufhin wird der König zornig über den 1. Knecht, der die ihm erwiesene große Gnade so gar nicht weitergeben will an seinen Mitknecht, und der Herr bestraft den 1. Knecht hart.
 
 Was bedeutet diese Erzählung für uns?
Mit dem König ist gewiss Gott gemeint (s. Vers 35), der uns Menschen unsere große Schuld ihm gegenüber vergeben will; der aber auch erwartet, dass wir nun den Mitmenschen ihre kleine Schuld uns gegenüber ebenfalls vergeben. Und da geht es nicht mehr um Geld, sondern um Bosheiten zwischen Menschen, um kleinere und größere Untaten. Diese sollen wir vergeben so wie der Vater im Himmel uns unsere Schuld vergeben will, wenn wir ihn darum bitten.
 Sind wir dazu bereit?
Im allgemeinen sind wir Menschen dazu eben nicht bereit, sondern wir beharren auf Vergeltung, wenn jemand mir gegenüber schuldig geworden ist. So ist das leider oft, - im persönlichen Bereich, im Beruf, im Geschäftsleben und zwischen Völkern. Wir erfahren jeden Tag davon, - angefangen beim Streit zwischen Nachbarn bis hin zum Krieg im Nahen Osten. Unselig und uferlos ist dieses „Wie du mir, so ich dir!“, und wenn nicht eine Seite mit Vergebung und Versöhnung beginnt, hört das Vergelten und das Töten nicht auf.
Deshalb sollten wir auf Jesus hören und wenigstens in unserem Umfeld versuchen, mit dem Vergeben zu beginnen. Vielleicht breitet es sich dann aus, das Verständnis füreinander und die Nächstenliebe, die wir alle so nötig brauchen. Vielleicht wird sogar das gesellschaftliche Klima freundlicher, und die Völker kommen zu gegenseitigem Verständnis und Frieden wie wir es in Europa seit 70 Jahren erlebt hatten. Beginnen wir also mit dem Verzeihen dort, wo wir es können. Das wäre es, was Jesus von uns fordert!
 
Jürgen Flohr
Andacht für die Woche vom 29. Oktober bis 4. November 2023
über das Evangelium des 21. Sonntags nach Trinitatis: 
„Vom Vergelten und von der Feindesliebe“ Mt. 5, 38 – 48 
 
von Superintendent i. R. Christian Klatt
 
„Auge um Auge, Zahn um Zahn” – das Sonntagsevangelium aus der Bergpredigt Jesu beginnt mit diesem Rechtssatz aus alter Zeit, der in unserem Sprachgebrauch immer noch sehr präsent ist. Als am 7. Oktober der barbarische Überfall der Hamas auf jüdische Siedlungen stattgefunden hatte, kündete der Verteidigungsminister Israels einen vernichtenden Gegenschlag an, der diese Terrormiliz ein für alle Mal auslöschen sollte - eine verständliche Reaktion der Vergeltung. Doch seitdem dreht sich die Spirale der Gewalt weiter, der auf beiden Seiten viele unschuldige Zivilisten zum Opfer fallen. „Auge um Auge, Zahn um Zahn?“ Auch „Leben um Leben“ gehörte in diese alte Reihe! „Wo soll das enden?“ titelte die ZEIT vor wenigen Tagen.
 
Jesus hält mit einem deutlichen „Aber“ dagegen: „Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Bösen.“ Und er unterstreicht das mit drei Beispielen aus dem Alltag, die schon für sich eine ziemliche Zumutung darstellen. Erst recht, wenn man das auf das öffentliche Leben in Staat und Gesellschaft überträgt. Da muss doch das Böse deutlich in die Schranken gewiesen werden! Mit Recht und Gesetz und, wenn nötig, auch mit Gewalt. Und doch wissen wir aus Erfahrung, dass der Keim des Bösen letztlich nur mit tapferer Geduld und entschlossenem Vertrauen erstickt werden kann. Darauf zielen die Worte Jesu ab: dass wir dem Bösen, soweit es an uns liegt, keinen Raum geben. Oder mit den Worten des Apostels Paulus: „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“ Im konkreten Alltag des Lebens gewiss immer wieder eine ziemliche Herausforderung!
 
Noch ein zweites Mal fordert Jesus uns mit einem deutlichen „Aber“ heraus: „Ihr habt gehört, dass gesagt ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen.“ Die Feinde lieben? Will man das den Israelis nach diesen dramatischen Anschlägen vorhalten? Kann man es von den Terroristen überhaupt erwarten? Und wie steht es mit uns? Jesus kritisiert, dass wir in der Regel nur die lieben und nur mit denen freundlich umgehen, die uns ihrerseits Gutes tun, die zu uns gehören, die uns sympathisch sind. Aber, so sagt er, das ist doch nichts Besonderes! So verhalten sich doch alle, auch die, die von Gott nichts wissen. Gott aber geht mit euch Menschen ganz anders um: „Euer Vater im Himmel lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.“ Diese Weitherzigkeit Gottes ist für Jesus das Leitbild für unseren Umgang untereinander, auch mit denen, die es uns schwer machen.
 
Und so schließt dieses Sonntagsevangelium mit der Mahnung: „Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist.“ Das klingt sehr anspruchsvoll. Denn in Wirklichkeit ist ja niemand von uns ohne Fehl und Tadel. Vollkommenheit ist im biblischen Sprachgebrauch aber keine moralische Kategorie, sondern ein Wort für eine ganzheitliche, ungeteilte Beziehung. Der Evangelist Lukas spricht an dieser Stelle von Barmherzigkeit: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.“ Das Vertrauen auf Gottes Barmherzigkeit und ein barmherziger Umgang mit unseren Mitmenschen – das will Jesus uns ans Herz legen. So könnte ein Weg zum Frieden in der Welt beginnen. Die konkreten Schritte, Verhandlungen und Entscheidungen sind dann noch schwierig genug, aber nicht ohne Hoffnung.
 
Bleiben Sie behütet und zuversichtlich in diesen dunklen Zeiten!  
Ihr Christian Klatt 

Andacht für die Woche nach dem 22. Oktober 2023 (20. Sonntag nach Trinitatis)

„Vom liebevollen Umgang miteinander“

Evangelium nach Markus 10,2-16

Es kamen Pharisäer zu Jesus und fragten ihn: „Darf sich ein Mann von seiner Frau scheiden lassen?“ Damit wollten sie Jesus auf die Probe stellen.
Jesus antwortete: „Was hat euch Mose vorgeschrieben?“
Da sagten die Pharisäer: „Mose hat erlaubt, dass ein Mann seiner Frau eine Scheidungsurkunde ausstellt und sie wegschickt.“
Jesus erwiderte: „Nur weil ihr euer Herz gegen Gott verschlossen habt, hat Mose euch dieses Gebot gegeben. Aber vom Anfang der Welt an hat Gott die Menschen als Mann und Frau geschaffen.
Deshalb verlässt ein Mann seinen Vater und seine Mutter und verbindet sich mit seiner Frau. Die zwei sind dann eins mit Leib und Seele. Sie sind also nicht mehr zwei, sondern ganz eins. Was Gott so verbunden hat, das soll der Mensch nicht trennen.“
Zu Hause fragten ihn die Jünger noch einmal danach. Jesus sagte zu ihnen: „Wer sich von seiner Frau scheiden lässt und eine andere heiratet, der begeht Ehebruch gegenüber der ersten. Ebenso gilt: Wenn sich eine Frau von ihrem Mann scheiden lässt und einen anderen heiratet, begeht sie Ehebruch.“
Einige Leute brachten Kinder zu Jesus. Sie wollten, dass er ihnen die Hände auflegte.
Aber die Jünger wiesen sie schroff zurück. Als Jesus das merkte, wurde er zornig und sagte zu ihnen: „Lasst doch die Kinder zu mir kommen, hindert sie nicht daran! Denn für Menschen wie sie ist das Reich Gottes da.
Amen, das sage ich euch: Wer sich das Reich Gottes nicht wie ein Kind schenken lässt, wird nie hineinkommen.“ Dann nahm er die Kinder in die Arme, legte ihnen die Hände auf und segnete sie.

(BasisBibel 2021)

Liebe Leserin, lieber Leser!

Im Evangelium für diesen Sonntag werden zwei unterschiedliche Seiten von Jesus dargestellt. Da ist auf der einen Seite der gesetzestreue, der klare und offenbar unbeirrbare Jesus. Auf die Frage von einigen Pharisäern, ob ein Mann sich von seiner Frau scheiden lassen darf, stellt er zunächst eine Gegenfrage. So müssen sie selbst die Weisung zitieren, die im fünften Buch Mose steht. Dort ist geregelt, wie zu verfahren ist, wenn ein Mann sich von seiner Frau trennen will. Es ist genau das: eine Verfahrensregel. In seiner Antwort macht Jesus das deutlich: Weil es Menschen nicht immer gelingt, mit der Ehe als Schöpfungsgabe Gottes richtig umzugehen, gibt es die Möglichkeit der Scheidung. Weil Menschen nur Menschen sind und Fehler machen, ist in der Tora diese Möglichkeit vorgesehen. 

Den Pharisäern ging es offenbar um Rechtsfragen. Doch Jesus geht es nicht um Rechtsfragen, ihm geht es um Gottes gute Schöpfungsordnung. Gott hat sie, die Menschen, von Anfang an als männlich und weiblich erschaffen. Jesus zitiert aus dem zweiten Buch Mose: Deshalb verlässt ein Mann seinen Vater und seine Mutter und verbindet sich mit seiner Frau. 

Darum geht es Jesus. In seiner Schöpfung hat Gott von Anfang an den Menschen als Mann und Frau geschaffen. Und Jesus ergänzt: „Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden“. Er macht deutlich, dass es in einer Ehe, in einer Partnerschaft um mehr geht als um einen Rechtsakt. Diese Beziehung zwischen zwei Menschen ist eingeordnet in die Schöpfung Gottes. „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei“, heißt es im ersten Buch Mose. Aufgefallen ist mir, dass weder im ersten Buch Mose noch in dem Zitat Jesu von Mann und Frau die Rede ist. Sowohl im Hebräischen als auch im Griechischen steht dort: „männlich und weiblich“. Vielleicht interpretiere ich zu viel in diese Wortwahl, wenn ich vermute, dass sich Partnerschaft und Ehe nicht allein auf die Verbindung von Mann und Frau beziehen. Klar ist allerdings, dass eine andere Form der Ehe damals nicht im Blick war. Jede Ehe stand unter der Verheißung, Nachkommen zu haben. Heute sehen wir das anders, wobei der Wunsch nach Kindern in fast allen Beziehungen, seien es Ehe oder Partnerschaft, eine wesentliche Rolle spielt.

Auf die Nachfrage der Jünger erläutert Jesus, dass Ehebruch dann vorliegt, wenn ein Ehepartner den Ehebund verlässt und sich mit einem anderen verehelicht. Jesus schließt hier nicht jegliche Scheidung oder Trennung aus, sondern er äußert sich gegen einen Bruch der fortbestehenden ersten Ehe durch erneute Heirat. Dabei ist hier davon die Rede, dass sowohl der Mann wie auch die Frau sich nach dem Gesetz scheiden lassen können.

Dass die Jünger noch einmal nachfragen, als sie mit Jesus allein sind, mach deutlich, wie schwer das schon damals war: Ein Leben lang mit einem Ehepartner zusammenbleiben. Da ist die in der Schöpfung angelegte Verbindung zweier Menschen. Doch die Verhältnisse, die sind nicht so – damals wie heute. Eigentlich müssten zwei Menschen, die sich voller Liebe und Freude dazu entschlossen haben, ein gemeinsames Leben zu gestalten, doch für immer zusammenbleiben. Aber das war auch damals schwierig und ist heute vielleicht noch schwieriger. Doch nicht nur das Zusammenbleiben kann schwierig und unter Umständen schmerzhaft sein, auch die Trennung bringt, selbst wenn sie wie eine Befreiung ist, Sorge und Schmerz mit sich. Zwar werden in Deutschland mehr als ein Drittel aller Ehen wieder geschieden, doch die Zahl sagt nichts darüber aus, wieviel Not und Schmerz im Einzelfall damit verbunden sind. Da gibt es diese vielen Verletzungen, die ein Mensch dem anderen im Verlauf des Scheidungsgeschehens zufügen kann. Da gibt es den Schmerz darüber, sich in einem anderen Menschen getäuscht zu haben. Die Frage, ob er oder sie schon immer so war. Ob ich es einfach nicht gemerkt habe, nicht merken wollte, wie sie oder er war, sich vehalten und mich behandelt hat. Da gibt es die Frage, ob sie oder er sich erst im Verlauf der Zeit, im Zusammenleben mit mir verändert hat. Sind die Eigenschaften, die ein Zusammenleben immer schwerer gemacht haben, erst nach und nach ans Licht gekommen? Habe ich erst nach und nach entdecken können, dass dieser Mensch anders ist, als ich ihn mir vorgestellt oder vielleicht nur gewünscht habe? Dazu kommt die Sorge um die Kinder. Wie erleben sie die Trennung? Wie können wir als Eltern weiterhin für sie sorgen? Was wird für sie das Bestmögliche sein? Wie werden sie sich entscheiden? Wie wird sich die Trennung auf ihr späteres Leben auswirken?

Ich denke, dass in dem Text ganz bewusst die Erzählung über die Segnung der Kinder durch Jesus angeschlossen ist. Kinder leiden beim Scheitern einer Beziehung ganz besonders. Oft wissen sie nicht, wohin sie gehören oder für wen sie sich entscheiden sollen. Manchmal fürchten sie, der Grund für eine Trennung zu sein. Oder sie machen sich Vorwürfe, weil sie doch dafür hätten sorgen müssen, dass ihre Eltern zusammenbleiben. 

Wenn es um Kinder geht, zeigt sich eine andere Seite von Jesus. Da ist der liebevolle und fürsorgliche Mann, der den Kindern seine ganze Zuneigung widmet. Der sie in Schutz nimmt und verteidigt gegen seine Jünger, die sie fortschicken wollen. Jesus hat ein offenes Herz, offene Augen und offene Arme für die Kinder. Er sagt: Lasst diese Kinder doch so sein, wie sie sind. Ermöglicht es ihnen, ihr eigenes Leben zu leben. Sie sind offen für das Leben, unbefangen und frei. Das sollt ihr sehen und akzeptieren. Doch denkt daran, wie gefährlich es ist, wenn ihr diese Offenheit ausnutzt, wenn ihr versucht, Kinder zu beeinflussen und auf eure Seite zu ziehen. Tut alles dafür, dass sie ihr eigenes Leben finden und gestalten können. Sie sollen möglichst unbelastet und frei ihren Weg gehen. 

Jesu Zuwendung gilt besonders den Kindern. Doch sein letzter Satz „Amen, das sage ich euch: Wer sich das Reich Gottes nicht wie ein Kind schenken lässt, wird nie hineinkommen“ richtet sich an die Jüngerinnen und Jünger, an alle Erwachsenen, an uns. Das Reich Gottes ist ein Geschenk an uns Menschen. Gottes Schöpfungsordnung ist ein Angebot an alle. Wir versuchen, dazu Gebote und Weisungen zu formulieren. Das kann eine Hilfe für uns sein, aber auch eine Einschränkung. Es besteht sogar die Gefahr, dass unser Blick auf Gottes Schöpfung, auf Gottes Liebe zu uns als seine Geschöpfe, durch diese Gebote und Weisungen verstellt wird. Sie mögen erforderlich sein, „weil wir unser Herz gegen Gott verschlossen haben“. Doch wenn wir es öffnen – oder besser gesagt – es mit Gottes Hilfe geöffnet wird, können wir auf einschränkende Gebote und Weisungen verzichten. Wir sind dann getragen und bewahrt durch die Liebe Gottes, die in Jesus Christus unter uns neu lebendig geworden ist.

Dass Sie etwas von dieser Liebe Gottes, die in seiner gesamten Schöpfung lebt und wirkt, sehen, hören und spüren können, wünsche ich Ihnen für heute und für alle kommenden Tage.

Ihr Jürgen-Peter Lesch

Pfr. im Ruhestand

Andacht für die Woche nach dem 15. Oktober 2023 (19. Sonntag nach Trinitatis)

Markus 2, 1-12

Und nach etlichen Tagen ging Jesus wieder nach Kapernaum; und es wurde bekannt, dass er im Hause war. Und es versammelten sich viele, sodass sie nicht Raum hatten, auch nicht draußen vor der Tür; und er sagte ihnen das Wort. Und es kamen einige, die brachten zu ihm einen Gelähmten, von vieren getragen. Und da sie ihn nicht zu ihm bringen konnten wegen der Menge, deckten sie das Dach auf, wo er war, gruben es auf und ließen das Bett herunter, auf dem der Gelähmte lag. Da nun Jesus ihren Glauben sah, sprach er zu dem Gelähmten: Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben. Es saßen da aber einige Schriftgelehrte und dachten in ihren Herzen: Wie redet der so? Er lästert Gott! Wer kann Sünden vergeben als Gott allein? Und Jesus erkannte alsbald in seinem Geist, dass sie so bei sich selbst dachten, und sprach zu ihnen: Was denkt ihr solches in euren Herzen? Was ist leichter, zu dem Gelähmten zu sagen: Dir sind deine Sünden vergeben, oder zu sagen: Steh auf, nimm dein Bett und geh hin? Damit ihr aber wisst, dass der Menschensohn Vollmacht hat, Sünden zu vergeben auf Erden – sprach er zu dem Gelähmten: Ich sage dir, steh auf, nimm dein Bett und geh heim! Und er stand auf und nahm sogleich sein Bett und ging hinaus vor aller Augen, sodass sie sich alle entsetzten und Gott priesen und sprachen: Wir haben solches noch nie gesehen

Liebe Leserin, lieber Leser,
ich lese diese Geschichte  als Geschichte vom Tragen und getragen werden.
Wer trägt wen? Zunächst: Der Gelähmte wird von vier Männern getragen, vielleicht von vier Freunden oder von vier Verwandten. Gut, wenn man im Bedarfsfall solche Menschen hat, die bereit sind zum Tragen, die auch stark genug dazu sind. In unserem Land werden Menschen, die in einer vergleichbaren Situation wie der Gelähmte in der Geschichte mit Jesus sind, auch getragen, zumindest finanziell mitgetragen. Das ist gut so, das ist gewollt und das soll auch in Zukunft so bleiben. Was sich staatlich und finanziell nicht organisieren lässt, ist die menschliche Zuwendung, dass der Kummer des Gelähmten und die Trauer über seine Situation mitgetragen wird, dass Menschen ihn besuchen, ihn nicht in seiner Wohnung verkümmern lassen. Darüber musste sich der  Gelähmte nicht beschweren. Er hatte Freunde, die ihn trugen. Aber es gibt Schwierigkeiten.
Die vielen Menschen, die Jesus zuhören, sind so von seinen Worten gefesselt, dass sie die akute Notfallsituation gar nicht wahrnehmen. Sie unterlassen das Nächstliegende, nämlich eine Rettungsgasse zu bilden, so wie man es bei uns auf der Autobahn erleben kann, wenn vor uns ein Unfall passiert ist und Polizei und Notarzt schnell zu den Verletzten gelangen müssen. Viele sind so fasziniert von dem Geschehen und so beschäftigt damit, ein Video zu drehen mit ihrem Smartphone, dass sie vergessen, eine Rettungsgasse zu bilden. Ähnlich bei Jesus. Die Menschen sind so fasziniert von seinen Worten, dass sie für das, was um sie herum passiert, keinen Blick mehr haben. Und dieses Nichtwahrnehmen ihrer Umgebung versperrt den Weg zu Jesus.
Die vier Freunde jedoch sind vier handfeste Kerle. Sie lassen sich nicht beirren von den widrigen Umständen. Denn sie haben nur das eine Ziel, dass ihr Freund geheilt wird. Dazu müssen sie sich zu diesem Wanderprediger Jesus durchkämpfen, der in ihrem Ort Kapernaum Station macht. Dazu steigen sie auf das Dach des Hauses und graben sogar ein Loch in das Lehmdach. Sie machen die Erfahrung: Jemanden tragen kann ganz schön anstrengend sein. Nächstenliebe erfordert manchmal Ausdauer und Phantasie. Darüber verfügen sie; und wir erfahren noch etwas in einer kleinen Nebenbemerkung. Sie tragen ihren Freund nicht nur auf der Matte. Sie tragen ihn auch mit ihrem Glauben. Wir lesen: „Als nun Jesus ihren Glauben sah…“. Gemeint ist der Glaube der Träger. Der Glaube der vier Männer hat den Gelähmten seiner Heilung nähergebracht. Sicher können sie nicht stellvertretend für ihren Freund glauben, aber sie können „um ihn herum“ glauben, so wie meine Eltern um mich herum geglaubt haben und ein Netz des Vertrauens zu Gott und zu mir selbst um mich herum geknüpft haben, ein Netz aus Liedern und Gebeten, aus Forderung und Förderung, ein Netz, das ich erst viel später gespürt habe und heute noch spüre. Eltern können nicht stellvertretend für ihre Kinder glauben, aber sie können ihre Kinder ihren Glauben spüren lassen.
Tragen und getragen werden. Wie geht es weiter? Jesus sagt zu dem Gelähmten: „Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.“ Das führt zu Irritationen bei den Schriftgelehrten, bei den Theologen, bei denen, die sich von Berufs wegen mit Sünden und Sündenvergebung auskennen und wissen, dass nur Gott Sünden vergeben kann. Jesus nimmt diese Irritationen in Kauf, weil ihm etwas anderes wichtig ist. Er will dem Gelähmten sagen: Auch ich trage dich. Ich trage deine Sünden. Ich trage deine Gottesferne. Ich bin die Brücke über dem Abgrund, über dem Sund, der dich von Gott trennt. Gott kommt über diese Brücke zu dir. Geh Du aber auch über diese Brücke zu Gott. Dir sind deine Sünden vergeben, weil Gott diese Ferne überwunden hat.
„Und er stand auf, nahm sein Bett und ging alsbald hinaus vor aller Augen.“ Aus dem Getragenen wird ein Träger. Er trägt sein Bett, seine Matratze, was immer es gewesen sein mag. Er trägt den Hinweis auf seine frühere Lähmung für alle sichtbar mit sich, so wie auch wir unsere Vergangenheit, unsere Lebensgeschichte mit uns tragen. Aber er steht auf seinen eigenen Füßen, er geht aufrecht, mit seinem Bett, mit seiner belastenden Vergangenheit. Ab jetzt bestimmt er, wohin sein Weg ihn führt. Er ist nicht mehr abhängig von seinen Trägern.
Liebe Gemeinde, ich muss zugeben, ich sehe mich lieber bei den Trägern als bei dem, der getragen wird. Und ich lebe gern in einem Land, das solche Trägerqualitäten gegenüber fremden Menschen entwickelt hat. Ich möchte stark sein, damit ich andere tragen kann, so wie ich meine kleinen Kinder getragen habe, so wie ich Menschen in unübersichtlicher Situation getragen habe. Das hilft den Menschen und das fühlt sich gut an.  Aber das andere werde ich wohl auch noch lernen müssen, mich tragen zu lassen, dann, wenn meine eigenen Füße mich nicht mehr tragen werden. Ich sehe Menschen in meiner Umgebung, die dazu bereit wären. Nur: Werde ich dazu bereit sein? Ich hoffe es sehr, denn eins ist unausweichlich: Es wird der Tag kommen, an dem ich mich mit Sicherheit tragen lassen muss, ein allerletztes Mal, von drei Menschen auf meiner rechten Seite und drei auf meiner linken. Bis es aber soweit ist, gibt es noch viel zu tragen. Ich bin dazu bereit. Bis es soweit ist, möchte ich aber auch gelernt haben, mich tragen zu lassen.
 
Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit.
Wilhelm Niedernolte
Superintendent i.R.
Eldagsen

Andacht für die Woche nach dem 8. Oktober 2023 (18. Sonntag nach Trinitatis)

„Reichtum und Nachfolge“
 
Verfasser: Dietrich Bonhoeffer (aus: Nachfolge, geschrieben 1937 -
 hier gekürzt)

Markus 10, 17-27: Reichtum und Nachfolge
Und als er hinausging auf den Weg, lief einer herbei, kniete vor ihm nieder 
 und fragte ihn: Guter Meister, was soll ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe?     
     Aber Jesus sprach zu ihm: Was nennst du mich gut? Niemand ist gut als 
 der eine Gott. 
Du kennst die Gebote: »Du sollst nicht töten; du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht falsch Zeugnis reden; du sollst niemanden berauben; du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren.« 
Er aber sprach zu ihm: Meister, das habe ich alles gehalten von meiner Jugend auf.
     Und Jesus sah ihn an und gewann ihn lieb und sprach zu ihm: Eines fehlt dir. Geh hin, verkaufe alles, was du hast, und gib’s den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm, folge mir nach! 
Er aber wurde betrübt über das Wort und ging traurig davon; denn er hatte viele Güter.
Und Jesus sah um sich und sprach zu seinen Jüngern: Wie schwer werden die Reichen in das Reich Gottes kommen! 
Die Jünger aber entsetzten sich über seine Worte. Aber Jesus antwortete wiederum und sprach zu ihnen: Liebe Kinder, wie schwer ist’s, ins Reich Gottes zu kommen!
     Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme. 
Sie entsetzten sich aber noch viel mehr und sprachen untereinander: Wer kann dann selig werden? 
Jesus sah sie an und sprach: Bei den Menschen ist’s unmöglich, aber nicht bei Gott; denn alle Dinge sind möglich bei Gott.

 Dietrich Bonhoeffer schreibt
 zu diesem Evangelium vom 18. Trinitatis-Sonntag
 in einem Buch mit dem Titel „Nachfolge“‘
 im Jahre 1937 wie folgt

 
Die Frage des Jünglings nach dem ewigen Leben ist die Frage nach dem Heil, sie ist die einzig ernste Frage schlechthin. (...) 
Der Ruf in die Nachfolge bekommt auch hier keinen anderen Inhalt als Jesus Christus selbst, die Bindung an ihn, die Gemeinschaft mit ihm. Aber nicht schwärmerische Verehrung eines guten Meisters, sondern Gehorsam gegen den Sohn Gottes ist die Existenz des Nachfolgenden. ...
Als Jesus vom reichen Jüngling freiwillige Armut forderte, da wusste dieser, dass es hier nur Gehorsam oder Ungehorsam gab. ...
Würde Jesus Christus durch die Heilige Schrift heute zu einem von uns so sprechen, so würden wir wohl folgendermaßen argumentieren: Jesus befiehlt etwas ganz Bestimmtes, das ist wahr. Wenn aber Jesus befiehlt, dann soll ich wissen, dass er niemals gesetzlichen Gehorsam fordert, sondern dass er nur eines von mir will, nämlich dass ich glaube. Mein Glaube aber ist nicht gebunden an Armut oder Reichtum oder ähnliches, vielmehr kann ich im Glauben beides, arm und reich sein. Nicht darauf kommt es an, dass ich keine Güter habe, sondern dass ich die Güter so habe, als hätte ich sie nicht, und dass ich innerlich von ihnen

frei bin, dass ich mein Herz nicht an meinen Reichtum hänge. Also Jesus sagt etwa: Verkaufe deine Güter! 
 Jesus meint aber: Nicht darauf kommt es in Wahrheit an, dass du das nun auch äußerlich vollziehst, vielmehr sollst du die Güter ruhig behalten, aber du sollst sie haben, als hättest du sie nicht. Hänge dein Herz nicht an die Güter. Unser Gehorsam gegen das Wort Jesu würde also darin bestehen, dass wir den einfältigen Gehorsam als gesetzlich gerade verweigern, um dann „im Glauben“ gehorsam zu sein. Damit unterscheiden wir uns vom reichen Jüngling. ... Er trennte sich von Jesus und gewiss hat diese Aufrichtigkeit größere Verheißung als eine Scheingemeinschaft mit Jesus, die auf dem Ungehorsam beruht.

Und weiter schreibt Bonhoeffer in demselben Werk 
 „Nachfolge“ an anderer Stelle:

Billige Gnade ist der Todfeind unserer Kirche. Unser Kampf heute geht um die teure Gnade. Billige Gnade heißt Rechtfertigung der Sünde und nicht des Sünders. Weil Gnade doch alles allein tut, darum kann alles beim alten bleiben…
 Teure Gnade ist das Evangelium, das immer wieder gesucht, die Gabe, um die gebeten, die Tür, an die angeklopft werden muss. Teuer ist sie, weil sie in die Nachfolge ruft, Gnade ist sie, weil sie in die Nachfolge Jesu Christi ruft. 
 Luther hatte gelehrt, dass der Mensch auch in seinen frömmsten Wegen und Werken vor Gott nicht bestehen kann, weil er im Grund immer sich selbst sucht. Er hatte in dieser Not die Gnade der freien und bedingungslosen Vergebung aller Sünden im Glauben ergriffen. Luther wusste dabei, dass ihm diese Gnade ein Leben gekostet hatte und noch täglich kostete; denn er war ja durch die Gnade nicht dispensiert von der Nachfolge, sondern erst recht in sie hineingestoßen.
 Wenn Luther von der Gnade sprach, so meinte er sein eigenes Leben immer mit, das durch die Gnade erst in den vollen Gehorsam Christi gestellt worden war. Er konnte gar nicht anders von der Gnade reden, als eben so. Dass die Gnade allein es tut, hatte Luther gesagt, und wörtlich so wiederholten es seine Schüler, mit dem einzigen Unterschied, dass sie sehr bald das ausließen und nicht mitdachten und sagten, was Luther immer selbstverständlich mitgedacht hatte, nämlich die Nachfolge, ja, was er nicht mehr zu sagen brauchte, weil er ja immer selbst als einer redete, den die Gnade in die schwerste Nachfolge Jesu geführt hatte. Die Lehre der Schüler war also unanfechtbar von der Lehre Luthers her, und doch wurde diese Lehre das Ende und die Vernichtung der Reformation als der Offenbarung der teuren Gnade Gottes auf Erden. Aus der Rechtfertigung des Sünders in der Welt wurde die Rechtfertigung der Sünde und der Welt. Aus der teuren Gnade wurde die billige Gnade ohne Nachfolge. Folge der zu billig erworbenen Gnade?

Andacht für die Woche nach dem 1. Oktober 2023 (17. Sonntag nach Trinitatis)

Markus 8,1-9

Als wieder eine große Menge da war und sie nichts zu essen hatten,
rief Jesus die Jünger zu sich und sprach zu ihnen:
Mich jammert das Volk, denn sie harren nun schon drei Tage bei mir aus 
und haben nichts zu essen.
Und wenn ich sie hungrig heimgehen ließe, 
würden sie auf dem Wege verschmachten; denn einige sind von ferne gekommen.
Seine Jünger antworteten ihm: 
Woher nehmen wir Brot hier in der Einöde, dass wir sie sättigen?
Und er fragte sie: Wie viele Brote habt ihr? Sie sprachen: Sieben.
Und er gebot dem Volk, sich auf die Erde zu lagern.
Und er nahm die sieben Brote, dankte, brach sie 
und gab sie seinen Jüngern, dass sie sie austeilten, 
und sie teilten sie unter das Volk aus.
Sie hatten auch einige Fische;
und er sprach den Segen darüber und ließ auch diese austeilen.
Und sie aßen und wurden satt.
Und sie sammelten die übrigen Brocken auf, sieben Körbe voll.
Es waren aber etwa viertausend; und er ließ sie gehen.
 
 
Liebe Lesende,
 
Am 1. Oktober ist Erntedanktag! Das ist ein Tag, der traditionell in unseren Gemeinden ausführlich gefeiert wurde, - mit reichlichen Erntegaben auf dem Altar und mit vielen Gottesdienstteilnehmenden voller Dankbarkeit und Freude.
        Das ist alles weniger geworden in letzter Zeit. Die Menschen nehmen es eher als gegeben hin als früher, dass sie genug zu essen und zu trinken haben sowie ein Dach über dem Kopf und ein monatliches Einkommen. So etwas gilt weithin als selbstverständlich; denn man findet: Das steht uns doch zu!
        Doch tut es das wirklich?
Es gibt Gegenden auf unserer Erde, da ist dies alles keineswegs selbstverständlich; da herrschen Hunger und Obdachlosigkeit, und die Menschen wissen nicht, wie es morgen weitergehen soll; wovon sie leben und wo sie wohnen sollen. 
Insofern wäre ein wenig mehr Dankbarkeit bei uns schon angebracht dafür, dass es uns doch vergleichsweise ziemlich gut geht.
Stattdessen aber finden viele von uns immer noch und immer wieder allerlei Gründe zum Klagen und Schimpfen.
 
Wenn wir nun auf unsere Evangelienlesung schauen, so hatte auch die Menschenmenge, die Jesus gefolgt war und ihm zugehört hatte, nichts zu essen und war hungrig. Sie befanden sich aber in der Einöde, in unbesiedeltem Gebiet; da gab es nichts zu essen oder zu kaufen. Was also tun?
        Sieben Brote und einige Fische fanden sich; - für 4000 Leute!
Trotzdem lässt Jesus diese austeilen, „und sie aßen und wurden satt.“ Es blieben sogar noch 7 Körbe mit den eingesammelten Brocken übrig.
        Ein Wunder der Speisung und Sättigung für sehr viele Menschen in eigentlich aussichtsloser Lage! Wie war das möglich?
Diese für uns so spannende Frage wird vom Evangelisten Markus nicht erörtert. Er schreibt nur, dass die Menschen Jesus leid taten und dass er sie speiste, weil er es vermochte; denn es ging von ihm eine große Wunderkraft und Segenfülle aus; und die kam von Gott.
 
Was sagt uns das am heutigen Erntedanktag? Es sagt uns, dass Jesus nicht nur gepredigt und von Gottes Vaterliebe erzählt hat; sondern er hat auch Hungernde gespeist. Er hat für geistlich-seelische Nahrung gesorgt und auch für Brot.
        Deshalb sollen auch wir Christinnen und Christen mit den Menschen um uns herum über Gott sprechen und von Jesus erzählen, sollen mit anderen unser Leben und unseren Glauben bedenken. 
        Aber wir sollen nach Kräften auch für den Lebenunterhalt sorgen, - für uns selber und für unsere Familien, sollen uns um die Freunde und um die Nachbarn kümmern und auch um die anderen Menschen  in unserem Land. 
        Aber wir wollen eben auch an die übrigen Menschen in aller Welt denken, - an die, die unsere Hilfe brauchen, weil es ihnen schlecht geht:
z.B. an die, die durch Dürre oder Überschwemmungen ihr Land verloren haben;
z.B. an die, die unter dem Klimawandel leiden, so dass ihre Böden nicht mehr  ausreichende Erträge bringen;
z.B. an die, die kein Land besitzen, das sie bebauen könnten.
         Ihnen wollen wir helfen etwa durch die Unterstützung von „Brot für die Welt“; denn diese Einrichtung hilft mit ihren Projekten bei der Ernährungssicherung der Menschen in der 3. Welt. 
 
Und warum sollen wir das tun, uns um Fremde kümmern, die unter uns oder auch ganz weit weg wohnen? Wir sollen und wollen ihnen helfen, weil diese Hilfe nötig gebraucht wird, weil Jesus sie vorgemacht hat und weil es richtig ist, Bedürftigen beizustehen.
 
Deshalb zum Schluss: Danken, Feiern und Helfen, das wäre doch ein guter Dreiklang für das Erntedankfest; finden Sie das nicht auch?
 
Jürgen Flohr

Andacht für die Woche nach dem 24. September 2023 (16. Sonntag nach Trinitatis)

„Die Auferweckung des Lazarus“  Joh. 11, 1 - 45
 
von Superintendent i. R. Christian Klatt
 
„Die Auferweckung des Lazarus“ ist eine der erstaunlichsten Geschichten im Neuen Testament. Lazarus liegt im Sterben. Seine Schwestern Martha und Maria schicken nach Jesus in der Hoffnung, dass er ihrem Bruder noch helfen könne. Jesus, obwohl nicht weit von ihrem Dorf entfernt, zögert sein Kommen unbegreiflicherweise hinaus. Als er schließlich ankommt, ist Lazarus schon seit vier Tagen tot und längst begraben. Aber Jesus lässt sich zur Grabhöhle führen. Als er die Begleiter auffordert, das Grab zu öffnen, ist Martha entsetzt, weil ja der Prozess der Verwesung schon im Gange ist. „Herr, er stinkt schon!“ ruft sie aus. Jesus aber hebt die Augen zum Himmel, spricht ein Gebet zu Gott und ruft dann „mit lauter Stimme“: „Lazarus, komm heraus!“ Und tatsächlich: „Der Verstorbene kam heraus“, noch mit den Leichentüchern umhüllt, die Jesus ihm dann abnehmen lässt. Der Evangelist Johannes (nur er erzählt diese Geschichte) beendet seinen Bericht mit den Worten: „Viele von denen, die sahen, was Jesus tat, glaubten an ihn.“
 
Das fällt uns, zugegebenermaßen, in diesem Falle schwer. Wir sind damals nicht dabei gewesen. Zu unglaublich klingt das, was uns da berichtet wird. 
 
Doch die Frage nach dem Glauben stellt sich in diesem Evangelium nicht erst am Schluss, sondern schon, bevor das Wunder geschehen ist. Als Jesus ins Dorf kommt, geht Martha ihm entgegen und spricht ihn sogleich mit traurigen und vorwurfsvollen Worten an: „Herr, wärst du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben. (Dieselben Worte wenig später von Maria.) Jesus aber sagt: „Dein Bruder wird auferstehen.“ Darauf Martha: „Ja, ich weiß, am Jüngsten Tage.“ Das ist noch lange hin. Kann diese Hoffnung auf eine ferne Zukunft ein Trost in der gegenwärtigen Trauer sein? 
 
Jesus aber will ihr jetzt Trost zusprechen und sagt: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe.“ Ich stelle mir vor, dass Jesus die Martha mit diesen Worten gleichsam in die Arme nimmt: „Ich bin doch da! Ich bin bei dir! Ich verstehe deine Trauer und deinen Schmerz. Aber ich sage dir und deinem Bruder das Leben zu. Das Leben, das nicht mit dem Tod endet, sondern in Gottes Hand bleibt in alle Ewigkeit.“ Martha hat das offenbar verstanden. Lazarus liegt noch im Grabe, aber Jesus ist da, der von Gott gesandte Herr des Lebens. Diese Gewissheit tröstet sie: „Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommt.“ 
 
Zu diesem Glauben will uns das Sonntagsevangelium rufen. Es weist uns hin auf den, der durch seine Auferstehung zu Ostern selber dem Tode die Macht genommen hat. Die Auferweckung des Lazarus ist nicht ein sensationelles Wunder, das wir bestaunen sollen, sondern ein „Zeichen“ (so nennt es der Evangelist Johannes), ein Zeichen für die Vollmacht Jesu, dem auch wir vertrauen können. Dass einer aus dem Grab wieder herauskommt, haben wir nicht erlebt und werden es auch nicht erleben. Ob das für Lazarus damals ein Glück war, wird nicht berichtet. Über kurz oder lang ist er ja wieder, und diesmal endgültig, gestorben. Und auch uns allen steht das noch bevor. 
 
Ja, es ist eine Welt des Todes, in der wir leben. Sofern Krieg, Hunger und Katastrophen die Ursachen sind, dürfen wir uns damit nicht abfinden. Denn Gott hat das Leben geschenkt, damit wir es schützen und bewahren, solange und soweit wir es können. Aber am Ende dürfen wir im Vertrauen auf Jesus mit dem Wochenlied (EG 115, 6) singen und bekennen:
Jesus lebt! Nun ist der Tod / mir der Eingang in das Leben.
Ihr Christian Klatt

Andacht für die Woche nach dem 17. September 2023 (15. Sonntag nach Trinitatis)

„Vom Sorgen und vom Suchen“

Evangelium nach Matthäus 6,25-34 

Jesus sprach: Darum sage ich euch: Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung? Seht die Vögel unter dem Himmel an: Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel kostbarer als sie? Wer ist aber unter euch, der seiner Länge eine Elle zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt? Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: Sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen. Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird: Sollte er das nicht viel mehr für euch tun, ihr Kleingläubigen? Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden? Nach dem allen trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft. Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen. Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.

(Lutherbibel 2017)

Liebe Leserin, lieber Leser!
Im Jahr 1956 schrieb Ingeborg Bachmann das Gedicht „Reklame“:
Wohin aber gehen wir
ohne sorge sei ohne sorge
wenn es dunkel und wenn es kalt wird
sei ohne sorge
aber
mit musik
was sollen wir tun
heiter und mit musik
und denken
heiter
angesichts eines Endes
mit musik
und wohin tragen wir
am besten
unsre Fragen und den Schauer aller Jahre
in die Traumwäscherei ohne sorge sei ohne sorge
was aber geschieht
am besten
wenn Totenstille
eintritt

Reklame, Werbung übertönt „heiter und mit Musik“ die Sorgen. Sie zerreißt existentielle Fragen nach dem Sinn und nach dem, was am Ende sein wird. Fast 70 Jahre nachdem Ingeborg Bachmann dieses Gedicht geschrieben hat, ist Werbung allgegenwärtig. Sie ist einerseits subtiler geworden. Sie zielt auf die Bedürfnisse des Einzelnen, die sich aus seinen Klicks in sozialen Medien ergeben. Sie ist andererseits plakativer und vor allem lauter geworden. Noch immer aber trägt sie die Botschaft mit sich: Sei ohne Sorge. Nun stärker in der Richtung: Wir befreien dich von deinen Sorgen, mit unseren Produkten und Angeboten entsorgen wir alles, was dich belastet. 

Bei aller Kritik an den Versprechungen der Werbeindustrie – solche kleinen „Entsorgungen“ sind wichtig. Es sind kleine Ablenkungen von der Vielzahl der täglichen Sorgen. Und davon gibt es zurzeit immer mehr. Da sind die persönlichen Sorgen in der Beziehung, in der Familie, in der Schule, am oder um den Arbeitsplatz. Die Sorge um Sicherheit und Gesundheit. Die Sorge darum, wie und in welche Richtung sich unsere Gesellschaft und unser Wirtschaftssystem entwickeln kann oder eben auch nicht.

Dazu kommen die Sorgen um die Menschen, die unter Kriegen und Kriegsfolgen leiden. Und die Sorgen um jene, die den Folgen der Klimakrise ganz besonders ausgesetzt sind. Menschen, die unter den großen Bränden, die in den letzten Wochen auf mehreren Kontinenten gelitten haben und noch leiden. Menschen, die von Katastrophen aufgrund unvorstellbarer Regenmengen und Überschwemmungen betroffen sind. Menschen, denen ein Erdbeben alles genommen hat.

Es gibt wirklich viele Gründe, sich Sorgen zu machen. Weil die vielen Sorgen uns den Mut und die Kraft und die Zuversicht nehmen können, brauchen wir kleine und große Entsorgungen, kleine und große Atempausen. Das können Feste und Feiern sein, Theater- und Musikveranstaltungen. Alles, was mit Kunst zu tun hat. Ist doch Kunst der Versuch, durch Töne, Bilder, Worte die Wirklichkeit aussehender zu machen als Verlockung zum Lebenbleiben. Es geht nicht darum, die Sorgen zu vergessen. Es geht vielmehr darum, sie zumindest zeitweise in den Hintergrund treten zu lassen, um Kopf und Körper, Geist und Gemüt frei zu bekommen, damit wir neue Kraft, frischen Mut und farbige Zuversicht schöpfen können.

Darum geht es in den Worten der Bergpredigt. Jesus wendet sich hier zunächst an seine Jüngerinnen und Jünger. Er spricht zu denen, die mit ihm unterwegs sind. Für die sind die Sorgen um Essen und Trinken und Kleidung wichtig. Ein Dach über dem Kopf ist schön, aber nicht dringend nötig. Jesus bringt es auf einen Satz: Das Leben ist mehr als die Nahrung und der Leib ist mehr als die Kleidung. „Sorgt euch nicht“ sagt Jesus sechsmal in diesem kurzen Text. Sorgt euch nicht, sondern sucht! Er sagt: „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen“. Hier nimmt er zwei Bitten aus dem Vaterunser auf: „Dein Reich komme, dein Wille geschehe!“ 

Jesus richtet seine Worte hier nicht mehr nur an seine Jüngerinnen und Jünger, sondern an und alle, die wir versuchen, ihm nachzufolgen. Sorgt nicht, sondern sucht! Sucht danach, wie ihr mithelfen könnt, dass Gottes Reich kommt. Sucht danach, Gottes Gerechtigkeit einen Weg in unserer Gesellschaft zu bahnen. Verharrt nicht in der Sorge, sondern sorgt stattdessen für alle, die eurer Fürsorge bedürfen. Sorgt für die Hungernden und Dürstenden, die Nackten und Schutzbedürftigen, die Obdach- und Wohnungslosen, die Kranken und die Sterbenden. Sucht nach den Verzweifelten und Mutlosen, sucht nach denen, denen ihre Sorge die Luft zum Atmen nimmt. Versucht, etwas dazu beizutragen, dass für alle diese Menschen gesorgt werden kann. Und vergesst dabei nicht, auch für euch selbst zu sorgen. Sucht also auch nach dem, was euch guttut. Lasst euch dabei nicht von den Alltagssorgen überwältigen. 

Ich schließe mit einigen Gedanken von Martin Luther zu unserem Text:

„Unser Leben haben wir immer in die zwei Stücke geteilt: erstlich den Glauben, der das Wesen ausmacht, darnach die Liebe. Der eine geht auf Gott, die andere geht auf den Nächsten. So führt ein Christenmensch ein doppelt Leben. Das eine sieht man nicht: das ist der Glaube, den sieht Gott allein. Das andere sieht man: das ist die Sorge, die aus der Liebe kommt. Diese Sorge ist befohlen; die Sorge aus Glauben aber ist verboten. 

Erstlich soll ich also glauben, dass ich einen Gott habe. Wenn ich aber glaube, dass Gott für mich Sorge trägt, dann kann ich mich nicht um mich selber sorgen. … Die Sorge aber, die aus der Liebe kommt, ist befohlen. Da soll ich die Güter wohl gebrauchen, die Gott gegeben hat. … Immer eins ums andre. Gott sorgt für alles, das ist die Sorge Gottes, die man glaubt. Aber dass ich dafür sorge, wie andre kriegen, was vorhanden ist an Gütern, das ist die Sorge der Liebe. … Gott spricht: arbeite, sorge nicht, ich will dir’s geben. Wenn er’s gegeben hat, dann sorge du, dass du’s recht austeilst, nicht, dass du es hast, sondern dass deine Familie und andere es haben.“

(D. Martin Luthers Evangelien-Auslegung, Bd. 2, Das Matthäus-Evangelium, hrsg. E. Mühlhaupt, Göttingen4, 1973, S 186f.)

Ich wünsche Ihnen, dass Sie etwas von Gottes Fürsorge spüren und erfahren können.
Ihr Jürgen-Peter Lesch

Pfr. im Ruhestand

Andacht für die Woche nach dem 10. September 2023 (14. Sonntag nach Trinitatis)

„Die zehn Aussätzigen“
Verfasser: Dr. Martin Luther
 (aus: Martin Luther,Evangelium von den zehn Aussätzigen, verdeutscht und ausgelegt“
 aus dem Jahr 1521 - hier gekürzt)

Evangelium des Lukas 17,11-19 (Lutherbibel 2017)
Und es begab sich, als er nach Jerusalem wanderte, dass er durch das Gebiet zwischen Samarien und Galiläa zog. Und als er in ein Dorf kam, begegneten ihm zehn aussätzige Männer; 
die standen von ferne und erhoben ihre Stimme und sprachen: Jesus, lieber Meister, erbarme dich unser!
 Und da er sie sah, sprach er zu ihnen: Geht hin und zeigt euch den Priestern! Und es geschah, als sie hingingen, da wurden sie rein.
 Einer aber unter ihnen, als er sah, dass er gesund geworden war, kehrte er um
 und pries Gott mit lauter Stimme und fiel nieder auf sein Angesicht  zu Jesu Füßen und dankte ihm. Und das war ein Samariter.
Jesus aber antwortete und sprach: Sind nicht die zehn rein geworden? Wo sind aber die neun?
Hat sich sonst keiner gefunden, der wieder umkehrte, um Gott die Ehre zu geben, als nur dieser Fremde?
Und er sprach zu ihm: Steh auf, geh hin; dein Glaube hat dir geholfen.

Dieses ganze Evangelium ist eine einfache und leichte Historie und Geschichte, 
 die nicht vielen Auslegens bedarf. Aber wie einfach die auch ist, so groß ist das Exempel, 
 das uns darin angezeiget wird. In den Aussätzigen lehrt es uns glauben, in Christus lehrt es uns lieben. Nun ist aber Glauben und Liebe das ganze Wesen eines christlichen Menschen,wie ich oft gesagt habe.
 Der Glaube empfängt, die Liebe gibt. Der Glaube bringt den Menschen zu Gott, die Liebe bringt ihn zu den Menschen. Durch den Glauben lässt er sich von Gott wohltun, durch die Liebe tut er den Menschen wohl. Denn wer da glaubt,  der hat alle Dinge von Gott und ist selig und reich.
 Darum braucht er hinfort nichts mehr, sondern alles, was er lebt und tut, ordnet er seinem Nächsten zunnutz und zugut und tut demselben durch die Liebe wie Gott ihm getan hat durch den Glauben, als wenn er Gutes von oben schöpfte durch den Glauben  und nach unten gäbe durch die Liebe…Diese zwei Stücke, den Glauben und die Liebe, lasst uns nu in Christus und den Aussätzigen sehen.

Zu ersten ist die Natur des Glaubens, dass er sich steif  auf die Gnade Gottes verlässt.
 und eine zweifellose gute Meinung und Zuversicht zu ihm schöpft und denkt, Gott werde ihn ansehen und nicht lassen. Denn wo solche Meinung und Zuversicht nicht ist, da ist kein rechter Glaube, kein rechtes Gebet noch Suchen nach Gott. Wo er aber ist,  da macht er kühn und mutig, 
 dass der Mensch seine Not frei vor Gott hinzulegen und mit Ernst Hilf zu bitten wagt …
 Darum ists nicht genug, wenn du glaubst, es sei ein Gott und viele Worte betest, 
 sondern siehe hier an den Aussätzigen, wie der Glaube gestaltet sein soll 
 und ohne alle Meister recht fruchtbar beten lernt. Du siehst hier, dass die Aussätzigen 
 eine gute Meinung von Christus und eine tröstliche Zuversicht  zu ihm gefasst haben 
 und fest von ihm erwarten, er werde sie gnädig ansehen …Der rechte Glaube 
 aber zweifelt nicht am rechten, guten, gnädigen Willen Gottes, darum ist sein Gebet stark 
 und fest wie der Glaube, so dass Lukas nicht umsonst die drei Stücke von ihm sagt: sie liefen ihm entgegen, sie standen und sie erhoben ihre Stimme…Mit den dreien  ist ihr starker Glaube gepriesen und uns zum Exempel vorgehalten.
 
Die andere Art des Glaubens ist, dass er nicht wissen noch zuvor darüber versichert sein will,
ob er gnadenwürdig sei und erhört werde. So tun die Zweifler, die nach Gott greifen
 und ihn versuchen
 wie ein Blinder nach der Wand tappt, so tappen sie auch nach Gott und wollten ihn gern zuvor fühlen und gewiss haben, dass er ihnen nicht entlaufen könne. Denn sage mir: wer hat diesen Aussätzigen Brief und Siegel dafür gegeben, dass Christus sie erhören werde? Wo ist hier das Empfinden und Fühlen seiner Gnade? Wo ist Kundschaft, Wissenschaft oder Sicherheit von seiner Gnade? Nichts davon ist hier. Was ist hier? Ein frei Ergeben und fröhlich Wagen auf seine unempfundene, unversuchte, unerkannte Güte.
 Da sind keine Fußstapfen, darinnen sie spüren könnten, was er tun wolle, sondern allein seine bloße Güte wird angesehen und macht in ihnen solch Vermuten und Wagen, er werde sie nicht lassen. Woher aber hatten sie Erkenntnis seiner Güte? Ohne Zweifel aus dem Gerücht und Wort:
 sie hatten viel Gutes von ihm gehört, aber doch noch nie selbst empfunden. Denn Gottes Güte muss durchs Wort verkündet und so unversucht auf sie gebaut werden.
 
Die dritte Art des Glaubens ist, dass er kein Verdienst vorträgt…Der Glaube weiß von lauter Unverdienst und verlässt sich bloß auf die bloße, unverdiente Güte Gottes.Denn der Glaube mag kein Werk noch Verdienst neben sich leiden. So ganz und gar ergibt, wagt und schwingt er sich
in die Güte Gottes hinein, zu der sich alles Guten versieht. Vor dieser Güte kann er seine Werke
 und Verdienste nicht beachten .. Das beweisen diese Aussätzigen hier sehr fein, die ohn alles Verdienen sich der Gnade zu Christus versehen. Was hätten sie ihm auch Gutes zuvor getan?
 Hatten sie ihn doch nie gesehen, geschweige ihm gedient.  Außerdem waren sie aussätzig.
 Er hätte nichts mit Ihnen und sie nichts mit ihm zu tun haben können.Darum stehen sie auch von fern, weil sie ihre Unwürdigkeit wohl erkennen. So steht auch der Glaube fern von Gott und läuft ihm doch entgegen… Denn er erkennt, dass er nichts hat, worauf er sich verlassen kann als seine hochberühmte und ausgerufene Güte.
 Darum sieh hier zu: wenn Gott am fernsten scheint, so ist er am nächsten.

Dr. Martin Luther, 1521

Andacht für die Woche nach dem 3. September 2023 (13. Sonntag nach Trinitatis)

„Der barmherzige Samariter“  Lk. 10, 25 – 37 
 von Superintendent i. R. Christian Klatt
 
Der barmherzige Samariter, von dem Jesus in seinem Gleichnis erzählt, ist eine der bekanntesten Figuren im Neuen Testament. Auch da, wo man von der biblischen Überlieferung kaum noch etwas weiß, ist er ein Begriff, geradezu der Inbegriff für Humanität und Nächstenliebe. In einer Welt, die heute wie damals voller Gewalt und Bosheit, voller Vorurteile und Gleichgültigkeit ist, steht dieser Samariter als ein leuchtendes Beispiel für Mitmenschlichkeit, Barmherzigkeit und Hilfsbereitschaft vor uns. 
 
Dabei tut er eigentlich gar nichts Besonderes, aber mit großer Selbstverständlichkeit tut er genau das Richtige, nämlich das, was nötig ist. Er sieht einen Menschen am Wegesrand liegen, der ausgeraubt und schwer verletzt worden ist. Während zwei andere, noch dazu gottesfürchtige Männer einfach vorübergegangen sind, lässt sich ausgerechnet der Samariter, ein Fremder, anrühren von dieser Not, die ihm zu Herzen geht. „Als er ihn sah, jammerte er ihn“, heißt es im Gleichnis, „und er ging zu ihm, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie ihm, hob ihn auf sein Tier und brachte ihn in eine Herberge und pflegte ihn.“ Und für die weitere Pflege und Betreuung gibt und verspricht er noch einen finanziellen Beitrag, bevor er weitergeht. Genau das meint Barmherzigkeit: sich anrühren lassen und helfen und das tun, was möglich ist, und sogar noch ein wenig darüber hinaus.
 
Dafür ist dieser namenlose, aber weltbekannte Samariter ein leuchtendes Beispiel. Und er ist, Gott sei Dank, kein Einzelfall geblieben. Sein Beispiel hat Schule gemacht und weitergewirkt bis in unsere Zeit. Eine Hilfsorganisation, der Arbeiter-Samariter-Bund, bezieht sich in ihrem Namen ausdrücklich auf dieses Gleichnis. Daneben gibt es die großen Wohlfahrtsverbände, die vielen Einzelinitiativen und zahllose Privatpersonen, die von langer Hand oder spontan zur Stelle sind, wenn Menschen in Not geraten. In vielen Kirchen wird jetzt am 3. September der Sonntag der Diakonie gefeiert, für den diese Geschichte vom barmherzigen Samariter nicht nur der klassische Bibeltext ist, sondern auch ein bleibender Impuls.
 
Denn Jesus beendet sein Gleichnis mit der Aufforderung: „Geh hin und tu desgleichen!“ Das ist die Antwort an den, der ihn mit Blick auf das Gebot der Nächstenliebe damals gefragt hatte: Wer ist denn mein Nächster? Jesus antwortet ihm: Frag nicht: Wer ist mein Nächster?, sondern sieh zu, wem du selbst ein Nächster werden kannst. Mach es wie dieser Samariter: Halte die Augen offen und halte dein Herz bereit, geh nicht achtlos vorüber, laß dich anrühren und ansprechen, schau, wo du gebraucht wirst, und zögere nicht, das zu tun, was in deinen Kräften steht. „Geh hin und tu desgleichen!“ 
 
Ziehen wir bei diesem Appell die Köpfe ein oder drehen uns verlegen zur Seite? Nächstenliebe ist ja ein schönes Wort, aber sie kann auch anstrengend sein. Manchmal fühlen wir uns selber wie ausgebrannt und haben genug mit unseren eigenen Sorgen und Lasten zu tun, anstatt uns auch noch um andere zu kümmern. Aber was wäre, wenn wir selber mal am Boden lägen und froh wären, wenn ein Samariter vorbeikäme?! Jesus will uns nicht überfordern, aber er ruft uns auf seinen Weg der Liebe, damit die Barmherzigkeit Raum gewinnt in unserer oft so trostlosen Welt.
 
Bleiben Sie behütet und zuversichtlich, und halten Sie die Augen offen, und das Herz noch mehr!
Ihr Christian Klatt

Andacht für die Woche nach dem 27. August 2023 (12. Sonntag nach Trinitatis)

Von offenen Ohren und freier Rede

Und als Jesus wieder fortging aus dem Gebiet von Tyrus, kam er durch Sidon an das Galiläische Meer, mitten in das Gebiet der Zehn Städte. Und sie brachten zu ihm einen, der taub war und stammelte, und baten ihn, dass er ihm die Hand auflege. 
Und er nahm ihn aus der Menge beiseite und legte ihm die Finger in die Ohren und spuckte aus und berührte seine Zunge und sah auf zum Himmel und seufzte und sprach zu ihm: Hefata!, das heißt: Tu dich auf! 
Und sogleich taten sich seine Ohren auf, und die Fessel seiner Zunge wurde gelöst, und er redete richtig.
Und Jesus gebot ihnen, sie sollten's niemandem sagen. Je mehr er's ihnen aber verbot, desto mehr breiteten sie es aus. Und sie wunderten sich über die Maßen und sprachen: Er hat alles wohl gemacht; die Tauben macht er hören und die Sprachlosen reden.

Evangelium nach Markus, Kap 7,31-37

Liebe Leserin, lieber Leser,

Jesus legt Hand an. Jesus legt Hand an, um einen Menschen zu heilen. Einer, der taub ist und nur stammeln kann. Er hat eine „taube Zunge“. Er kann sich selbst nicht hören, kann nicht richtig artikulieren, kann sich nicht verständlich machen. 

Dieser Mensch wird von anderen zu Jesus hingebracht. Wer diese „sie“ sind, die ihn zu Jesus bringen, wird nicht gesagt. Sind es Verwandte, seine Eltern, seine Geschwister? Sind es Freunde und Freundinnen? Und wenn ja, wie ist diese Freundschaft entstanden? Wie sieht sie aus, die Freundschaft zwischen einem tauben Menschen, der kaum reden kann, der stammelt, und anderen, die reden und hören, singen oder schreien oder flüstern können – all die Nuancen der Sprache beherrschen, die das Reden und Hören so reich machen. 
Welche Menschen auch immer den Tauben zu Jesus bringen: Sie wollen sich nicht damit abfinden, dass er taub ist und nur stammeln kann. Sie haben großes Interesse daran, mit ihm reden zu können, seine Stimme zu hören, zu hören, was er ihnen zu sagen hat. Sie haben Interesse an diesem Menschen. Er soll nicht nur bei Ihnen sein, stumm, scheinbar unbeteiligt, sondern zu ihnen gehören, ganz dazugehören. „Dazugehören“ – dieses Verb macht deutlich, worum es bei einer Gruppe geht: um das gemeinsame Hören. Und vielleicht hoffen die, die den Tauben bringen, sogar, eines Abends mit ihm am Ufer des Sees Genezareth zu sitzen und gemeinsam alte und neue Lieder zu singen.

Jesus fragt nicht lange. Er sieht, um was es den Menschen geht. Er führt den Tauben beiseite. Was nun geschieht, ist nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Jesus berührt den Kranken. Er legt ihm die Finger in die Ohren. Und er streicht ein wenig von seinem Speichel auf die Zunge des Stammlers. Was uns ziemlich unhygienisch erscheint, ist in der Antike nichts Ungewöhnliches. Dem Speichel wurden sowohl heilende als auch Unheil abwehrende Kräfte zugeschrieben. Deutlich wird bei diesem Geschehen: Dass Jesus dem Kranken ganz nahe kommt, ihn berührt, ist für die Heilung ganz entscheidend. Für mich heißt das: Wer einem anderen Menschen helfen will, der muss ihm nahe kommen – körperlich oder auch geistig. Der muss sich darum bemühen, ihn und seine Situation zu verstehen, ja, versuchen, sich in ihn hineinzudenken. Es geht einerseits um ein gutes Einfühlungsvermögen, anderseits aber auch um eine klare Distanz. Die andere, der andere ist nicht wie ich. Ich kann versuchen, mich in sie, in ihn emotional hineinzuversetzen. Doch das hat Grenzen, die der andere Mensch und ich selbst wahrnehmen und respektieren müssen.

Weiter in der Erzählung von der Heilung des Tauben. Es zeigt sich, dass Jesus die Kraft zu heilen nicht aus sich allein hat. Der Blick zum Himmel; das ist wie ein Gebet: „Mit Gottes Hilfe“, hören und sagen wir selbst manchmal, wenn es um unerwartete oder unbegreifliche Hilfe aus schweren und gefährlichen Situationen geht. Dann sagt Jesus nur „Hefata!“. Das ist aramäisch, die Sprache, die Jesus selbst gesprochen hat. In dieser Situation hören wir sozusagen Originalton. 

„Tu dich auf“ – das richtet sich nicht nur an die Ohren und den Mund des kranken Menschen. Es geht um den ganzen Menschen. Öffne deine Ohren und gebrauche deine Stimme. Zunächst vor allem: Öffne deine Ohren. Wir würden heute wohl sagen: Hör dich um, hör genau hin! Hör nicht nur auf das, was dir in den Kram passt, was deiner Meinung entspricht. Hör auch das andere, hör die Meinung anderer Menschen, denk darüber nach und tu sie nicht einfach ab. 

Zum Hören kommt das Reden. Das offene Wort. Manchmal sprechen Menschen davon, dass sie anderen eine Stimme geben wollen; Menschen, die ungehört bleiben oder sich selbst nicht äußern. Das  kann gut gemeint sein. Es kann aber auch darum gehen, die eigene Meinung als die vieler anderer dastehen zu lassen. Den Stummen, den Ungehörten eine Stimme geben: Dabei kann es letztlich nicht darum gehen, für sie zu sprechen. Sondern vielmehr alles dafür zu tun, dass sie selbst sich äußern, dass sie selbst sprechen können. 

Was dann geschieht, ist alltäglich. Jesus fordert die Menschen auf, nichts von dem zu sagen, was sie gesehen haben. Und das führt – wie immer – dazu, das davon erst recht erzählt wird. Am Ende heißt es: „Er hat alles wohl gemacht!“ Das erinnert an die Schöpfungsgeschichte im ersten Buch Mose, der Genesis: „Und Gott sah alles, was er gemacht hatte, und siehe, alles war sehr gut.“ „Er hat alles wohl gemacht“. Wenn das die Menschen hier sagen, hoffen sie, dass es mit und durch Jesus wieder so sein soll: Alles ist sehr gut. Eine weitere Erinnerung an die Geschichte Gottes mit den Menschen schwingt dann in den Worten mit: „Die Tauben macht er hören und die Sprachlosen reden!“ Das erinnert an Worte aus dem Buch des Propheten Jesaja über das Kommen des Messias: „Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden.“ 

Diese Hoffnung erfüllt sich in der Erzählung an einem Menschen. Diese Hoffnung hat mit Jesus Christus neue Nahrung bekommen. Diese Hoffnung kann uns tragen auch und grade in unserer oft hoffnungsarmen Gegenwart.

So wünsche ich Ihnen ein hoffnungsfrohes und fröhliches Andreasfest und eine gesegnete Woche.
Jürgen-Peter Lesch
Pfarrer im Ruhrstand

Andacht für die Woche nach dem 20. August 2023 (11. Sontag n. Trinitatis)

Jesus sagte aber zu einigen, die überzeugt waren, fromm und gerecht zu sein, und verachteten die andern, dies Gleichnis:Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um  zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner.  Der Pharisäer betete bei sich selbst so: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme.
Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig!
Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.
 
Liebe Leserin, lieber Leser,
diese Geschichte steht unter der Überschrift:  „Hochmut und Demut“. Das sind auf den ersten Blick verstaube Begriffe. Für „Hochmut“ haben wir immerhin noch ein Sprichwort: „Hochmut kommt vor dem Fall“. Aber wo kommt bei uns der Begriff „Demut“ vor. Vielleicht bei unserem Hund, wenn wir ihn rufen und ihn zwingen, eine Demutsgeste vor uns zu machen. Demut ist bei uns eher negativ besetzt. Demut ist die Sache von Losern oder von Opfern, aber nicht für uns, meinen wir manchmal. In der Bibel ist „Demut“ ein positiver Begriff, Hochmut dagegen ein negativer. Gott erwartet von seinem Volk, dass es demütig vor ihm ist, dass es seine Macht anerkennt und nach seinen Geboten handelt, auch wenn sie manchmal unbequem sind. Hochmut bedeutet in der Bibel, dass die Menschen Gott vom Thron stoßen und sich an seine Stelle setzen wollen.  Unser Wort „Demut“ leitet sich ab vom althochdeutschen Wort „Dienemut“. Ich entwickle aus freien Stücken den Mut zum Dienen, mich einer guten Sachen, mich Gott unterzuordnen, aus freien Stücken, weil ich es für richtig halte, weil es meinem Leben Ziel und Inhalt gibt. Jesus erzählt in seiner Beispielgeschichte von dem Hochmut des Pharisäers, der Gott dafür dankt, dass er ein so toller Kerl ist, und der Gott mit dieser Art der Selbstwahrnehmung nicht überzeugen kann. Und von dem Zöllner, der sich vor Gott demütigt, als er sagt: Gott sei mir Sünder gnädig. Und der mit dieser Haltung Gottes Wohlwollen erwirbt.
Wo erleben wir die Gnade der Demut in unserem Leben? Ich erinnere mich an meine Zeit als junger Mann, so Mitte zwanzig: Das Abitur in der Tasche, ein einigermaßen erfolgreicher Theologiestudent, mit einer tollen Freundin, der späteren Ehefrau. Ich war gesund, Essen und Trinken schmeckte. Ich konnte gut schlafen. Was sollte mir schon passieren? Ich hatte mein Leben im Griff. Und dann wurde ich zum ersten Mal Vater, war mächtig stolz auf unsere Tochter. Nach zwei Wochen kamen Mutter und Kind nach Haus. Und dann kam die erste Nacht zu Haus. Ich war gerade in meiner ersten Tiefschlafphase. Da hörte ich merkwürdige Geräusche aus dem Kinderzimmer. Das klang ein bisschen wie eine heisere Krähe. Bald wurde mir klar: Das war keine Krähe, das war meine Tochter, die ihre Flasche Milch haben wollte. Also raus aus dem warmen Bett, hinein in die kalte Küche, Baby auf den Arm genommen, Flasche im Flaschenwärmer gewärmt. Baby gefüttert, aufs Bäuerchen gewartet, Windel wechseln konnte unterbleiben, Baby und mich selbst wieder hingelegt, weitergeschlafen nach etwa 45 Minuten Unterbrechung. Die erste Nacht fand ich das noch ganz spannend, die zweite auch, die zwanzigste Nacht nicht mehr. Bin ich deswegen im warmen Bett in der ersten Tiefschlafphase liegen geblieben? Natürlich nicht. Ob mir das angenehm war oder nicht, war in dem Moment völlig unerheblich. Alle Eltern mit Babys wissen, wovon ich schreibe. Das Kind hatte Hunger, und das war allemal wichtiger als mein Schlaf, genauso wie für meine Frau, mit der ich mich dann abgewechselt habe. Ich habe mich unter das Verlangen meines Kindes gedemütigt, und würde es heute wieder tun, denn auf solcher Demut lag Segen. Ich habe von allen meinen Kindern Demut gelernt, und dafür bin ich ihnen sehr dankbar. Meine Kinder haben mir diese Lektion erteilt: Wer solche elterliche Demut nicht aufbringt oder aufbringen will, nach dem Motto: Ich bin jetzt erst Mal dran, der und die sollte besser ohne Nachwuchs bleiben, weil er und sie ihren Kindern die lebensnotwendige Gnade der Demut vorenthält.
Die Gnade der Demut hilft uns nicht nur zwischen Gott und uns oder im Umgang von uns Menschen miteinander. Sie ist auch die Voraussetzung für den Frieden in der Welt.
Adressaten der Beispielgeschichte Jesu sind „einige, die sich anmaßten, fromm zu sein und verachteten die andern“. Jesus lobt den Pharisäer.  Er ist ein Vorbild wegen seiner Demut vor Gott: Gott sei mir Sünder gnädig, sagt er. Jesus deutet seine Beispielgeschichte so: Wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden, und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden. So ist es bei Gott.
Im Kindergottesdienst und im Religionsunterricht wurden wir dazu verleitet, uns mit einem von beiden zu identifizieren, natürlich mit dem Zöllner, wegen seiner Demut vor Gott. Das kann ich heute so nicht mehr nachvollziehen. Realistischerweise muss ich im letzten Drittel meines Lebens einsehen: Ich war und bin beides, mal Zöllner, mal Pharisäer.
Mal bin ich überheblich gegenüber denen, die nicht dasselbe geschafft haben wie ich, obwohl sie einen viel günstigeren finanziellen und gesellschaftlichen Start in ihrem Leben hatten als ich. Wenn sie sich angestrengt hätten und nicht so chaotisch gewesen wären, ginge es ihnen besser als es ihnen geht, denke ich manchmal. Dann wieder bin ich auch unsicher bei denen, die erfolgreicher sind als ich, intelligenter und einflussreicher.

Ich bin zugleich Pharisäer und Zöllner, bin mir meiner Sache sicher und denke: Eigentlich muss Gott mit mir zufrieden sein, denn ich bemühe mich wirklich, nicht nur ein anständiges Leben zu führen, sondern auch die Verantwortung zu tragen, die er mir gegeben hat. Dann wieder denke ich: Wird Gott mit mir zufrieden sein, wenn er am Ende meiner Tage Bilanz zieht?
Ich bin zugleich Pharisäer und Zöllner. Und ich möchte, dass sich die beiden miteinander vertragen, denn ich brauche beide, den Pharisäer in mir, der mich nach Gott fragen lässt in einer gottlosen Welt und nach seinem Willen handeln lässt, und ich brauche den Zöllner in mir, damit der Lebensbaum des Pharisäers nicht in den Himmel wächst.
Beide brauchen aber nicht nur einander, sie haben auch Angst voreinander. Der Pharisäer hat die Angst, die Kontrolle über sein Leben zu verlieren, von anderen abhängig zu werden, fremdbestimmt zu werden, Einfluss und Macht zu verlieren, die Welt auf ihren Untergang zutreiben zu sehen. Darum strengt er sich an, bringt Leistung, verlässt sich nur auf sich selbst, macht Karriere, damit seine Angst vor dem Scheitern nicht zu groß wird. Solchem Pharisäer sagt der Zöllner: Hab keine Angst. Gott sei dir Sünder gnädig. Du kannst dein Leben und die Welt nicht vor dem Untergang bewahren, du musst es aber auch nicht, denn Gott wird es tun. Also entspann dich; freue dich, dass du etwas leistest und lass es damit gut sein.
Der Zöllner in mir hat dagegen die Angst, sich auf eine Position festzulegen, eindeutig zu sein. Er fühlt sich in seinen Zweifeln eigentlich ganz wohl, denn wenn er sich nicht festlegt, muss er auch nichts tun, und wenn er nichts tut, kann er auch nichts falsch machen, und wenn er nichts falsch macht, kann er auch Karriere machen. Also lieber abwarten. Solchem Zöllner sagt der Pharisäer: Hab keine Angst vor der Eindeutigkeit. Gott sei dir Sünder gnädig. Er hat dir das Leben gegeben und dir die Verantwortung dafür übertragen. Ordne dein Chaos, bring Linie und Zielorientierung in dein Leben.
Pharisäer und Zöllner brauchen einander, denn beide möchten gerechtfertigt in ihr Haus gehen, möchten vor Gott, vor sich selbst und vor der Welt bestehen können, möchten mit ihren Ängsten umgehen können. Jesus beginnt seine Geschichte mit den Worten: „Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten.“ Beide suchen und brauchen Gottes Nähe, genau so wie wir, seien wir nun Pharisäer oder Zöllner oder beides. Gott hat uns versprochen, sich von uns finden zu lassen. Das ist unser Glaube.
Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit.
 
Wilhelm Niedernolte, Eldagsen
Sup. im Ruhestand

Andacht für die Woche nach dem 13. August 2023 (10. Sontag n. Trinitatis)

Markus 12, 28-34

28. Einer der Schriftgelehrten, der ihnen zugehört hatte, wie sie miteinander stritten, trat zu Jesus. Als er sah, dass er ihnen gut geantwortet hatte, fragte er ihn:
Welches ist das höchste Gebot von allen?
29. Jesus antwortete: Das höchste Gebot ist das:                       
 „Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein,
30. und du sollst den Herren, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit all deiner Kraft.“
31. Das andere ist dies: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“
Es ist kein anderes Gebot größer als diese. 
32. Und der Schriftgelehrte sprach zu ihm: 
Ja, Meister, du hast recht geredet! Er ist einer, und ist kein anderer außer ihm; 
33. und ihn lieben von ganzem Herzen, von ganzem Gemüt und mit aller Kraft, und seinen Nächsten lieben wie sich selbst, das ist mehr als alle Brandopfer und Schlachtopfer.
34. Da Jesus sah, dass er verständig antwortete, sprach er zu ihm: Du bist nicht fern vom Reich Gottes.
 
 Liebe Lesende,
 
Wir lesen in unserem Abschnitt aus dem Markus-Evangelium vom Gespräch eines Schriftgelehrten mit Jesus, bei dem es um das höchste Gebot geht. Der jüdische Theologe fragt Jesus danach, Jesus antwortet mit einer ausführlichen Fassung des 1. Gebotes und ergänzt dies durch das Gebot der Nächstenliebe; sein Gesprächspartner stimmt ihm voll zu, und Jesus beendet den Dialog, indem er seinerseits die gemeinsame Überzeugung bestätigt. Es herrscht also zwischen beiden eine große Einigkeit darin, wie man glauben und leben soll.
 
     Was aber heißt das nun für uns und unsere heutige Alltagspraxis?
Der Glaube an Gott, gar die Liebe zu ihm ist heute vielen Menschen in unserem Lande fremd geworden. Sie sind gewohnt, sich nur an das zu halten, was sie sehen, fühlen, anfassen können. Glaube, Liebe und Hoffnung sind vielen von ihnen zu wenig greifbar und handfest; daher ist ihnen die Bedeutung und Wirkung solcher Überzeugungen und Gefühle weitgehend abhanden gekommen.
     Andererseits wird die Liebe unter uns Menschen von Schlagern, Filmen und Büchern in den höchsten Tönen besungen und beschworen, obwohl keineswegs alle Männer und Frauen solche große Liebe erleben und in ihren Lobpreis einstimmen könnten. Man denke nur daran, dass ein Drittel aller Ehen in Deutschland geschieden werden und dass auch die Liebe zwischen Geschwistern manchmal in Gleichgültigkeit oder gar Hass umschlagen kann.
     Und wie ist es dann erst mit unserer Liebe zu Gott, den wir uns kaum vorstellen können und dessen Wirken wir zumeist nur mittelbar erleben? 
Auch unser Gebet als eine Kontaktaufnahme mit Gott ist doch zunächst einmal unser Versuch, den Vater im Himmel zu erreichen; und die Antwort darauf erfolgt ebenfalls selten unmittelbar, sondern ist eben eine Sache unseres Erlebens und unseres Gefühls.
     Beten ist für die Einen sehr wichtig und eine große Lebenshilfe; die Anderen erfahren es so, als spächen sie ins Leere; die Dritten versuchen das Beten erst gar nicht, weil sie nicht an Gott glauben können oder wollen. Wie also steht es unter uns mit der Liebe zu Gott?
     
     Und schließlich bleibt da noch die Frage nach der Nächstenliebe, der Liebe zum Mitmenschen: Von ihr würden wohl viele Menschen hierzulande sagen, dass meine Hilfe für den Menschen neben mir schon sehr wichtig und nötig wäre wie umgekehrt ebenso seine Hilfsbereitschaft mir gegenüber. Unser Zusammenleben wäre erheblich leichter und müheloser, wenn uns allen die anderen Menschen ebenso wichtig wären wie wir selbst uns wichtig sind.
Doch so ist es leider keineswegs. Wir denken eben meist zuerst an uns selbst und dann vielleicht noch an unsere Familie und an Freunde; aber danach hört die Liebe oft auf. Die Hilfsbedürftigen im Lande oder gar die in fernen Ländern sind unseren Herzen eher fern, oft jedenfalls und trotz aller Spendenbereitschaft, - oder nicht?
 
     Wenn ich so eine verbreitete Haltung zum biblischen Doppelgebot der Liebe einigermaßen zutreffend beschrieben habe, so ist die Bilanz ziemlich ernüchternd; denn zu vielen von uns würde Jesus wohl kaum sagen: „Du bist nicht fern vom Reich Gottes.“ 
     
     Was aber sollen wir dann nun tun und bedenken?
Vielleicht sollten wir unserem Vertrauen auf Gott und mehr zutrauen als wir es oft tun, mag unser Glaube uns nun schwächer oder stärker vorkommen. Womöglich ist unser Lebensweg und seine Ausrichtung stärker von Gottes Güte bestimmt und getragen als wir es ahnen oder wahrhaben wollen. Möglicherweise vertrauen wir auf Gottes Führung insgeheim mehr als wir es selber realisieren oder erkennen, und vielleicht rechnen wir mit Gottes Liebe und Freundlichkeit doch stärker als wir es zugeben würden. Könnte dies alles zutreffen?
Dann sollten wir uns dieses nicht ganz bewusste Vertrauen auf den himmlischen Vater selbst eingestehen und es für unser alltägliches Leben nutzbar machen. Wir könnten dann tatsächlich darauf bauen, dass Gott unseren Weg begleitet und oft auch leitet, - dass Er dich und mich liebt und unsere Mitmenschen auch.
Deshalb sollten wir dann auch versuchen, diese Nächsten und Fernsten ebenfalls wahrzunehmen und ihnen hilfreich zu begegnen, so gut wir es vermögen.
     Das klingt nun wie ein hoher Anspuch. Es ist aber auch eine große Chance auf gegenseitige Hilfsbereitschaft unter uns Menschen, seien sie vertraut oder fremd, nett oder weniger nett.
 Lasst uns also versuchen, als Gottes Kinder und daher untereinander wie gute Geschwister zu leben, - so wie Jesus es vorgemacht hat.
 
Jürgen Flohr

Andacht für die Woche vom 6. bis 12. August 2023

Über das Evangelium des 9. Sonntags nach Trinitatis:
„Vom Schatz im Acker und der kostbaren Perle“ Mt. 13, 44-46

Jesus sprach zu seinen Jüngern:
Das Himmelreich gleicht einem Schatz, verborgen im Acker, den ein Mensch fand und verbarg; und
in seiner Freude geht er hin und verkauft alles, was er hat, und kauft den Acker.
Wiederum gleicht das Himmelreich einem Kaufmann, der gute Perlen suchte, und da er eine
kostbare Perle fand, ging er hin und verkaufte alles, was er hatte, und kaufte sie.
Jesus wusste, was Menschen gerne hören: Geschichten vom großen Glück. Ganz unverhofft findet
jemand einen Schatz, wohl einen Tonkrug mit Gold- und Silbermünzen, vergraben in einem Acker,
den er als Knecht (oder als Pächter?) bewirtschaftet. Oder ein anderer, der mit Perlen handelt,
findet plötzlich, wonach er immer schon auf der Suche war: ein seltenes und überaus kostbares
Stück. Zwei Menschen, die unerwartet das große Los gezogen haben. Umsonst fällt ihnen das zwar
nicht zu; sie müssen schon einiges investieren, um in den Besitz des grandiosen Fundes zu
kommen. Jeder „verkauft alles, was er hat“ – die für solche Geschichten typische Übertreibung
unterstreicht die große Freude und Begeisterung der glücklichen Finder, die wir nur allzu gut
nachempfinden können.

Das große Los, der wunderbare Schatz – in der Regel bleibt das nur ein schöner Traum. Das wusste
Jesus natürlich auch. Und doch greift er mit diesem Doppelgleichnis die Sehnsucht und die Suche
nach dem großen Glück auf. Er verurteilt das hier nicht, aber er stellt etwas anderes daneben:
„Das Himmelreich gleicht einem Schatz“, der uns dankbar, froh und glücklich macht. Genauso,
wie die beiden materiellen Schätze aus dem Gleichnis, und doch ganz anders.

Das Himmelreich ist nicht, wie man meinen könnte, eine ferne Größe, die erst im Jenseits auf uns
wartet. Sondern mit dem Himmelreich meint Jesus, dass wir schon jetzt, in unserem irdischen
Leben, von den guten Mächten des Himmels und der Gnade Gottes umschlossen und getragen
sind. „Das Reich Gottes, das Himmelreich, ist mitten unter euch“, hat Jesus an anderer Stelle
gesagt (Lk. 17, 21) und hat das selbst mit seinem Leben und Sterben bezeugt. Diese Gewissheit des
Glaubens ist ein geistlicher Schatz, der im Unterschied zu allen irdischen Gütern nicht vergänglich
ist; ein Reichtum der Seele, der auch in dunklen Zeiten des Lebens Kraft und Hoffnung schenkt.
Es sei niemandem missgönnt, wenn er oder sie mal einen Glückstreffer landet, wie das in dem
Sonntagsevangelium erzählt wird. Doch Jesus will unsere Herzen und Sinne auf das Himmelreich
richten, auf die Gegenwart Gottes in unserem Leben. Das wäre für uns persönlich, aber auch für
unsere Gesellschaft im ganzen ein Gewinn. Anstelle einer maßlosen Gier nach immer mehr Macht
und Fortschritt und Reichtum, mit der wir die Natur und das Klima zunehmend zerstören, würden
wir dankbar die Lebensgrundlagen schützen und bewahren, die Gott uns mit seiner Schöpfung
schenkt. Und anstatt selber vom großen Glück zu träumen, würden wir die Vielen nicht vergessen,
die schon glücklich wären, wenn sie wenigstens ein Dach über dem Kopf oder eine tägliche
Mahlzeit hätten. Durch unser Verhalten und unsere Lebensweise können wir helfen, dass hier und
da ein Stück Himmel auf Erden sichtbar wird, wie Jesus es uns verheißen hat.

Ich wünsche Ihnen „viel Glück und viel Segen“ zum Sonntag und für die neue Woche.
Ihr Christian Klatt

Andacht für die Woche nach dem 30.07.2023 (8. Sontag n. Trinitstis)

Andacht für die Woche vom 30. Juli bis 5. August 2023
 von Pfr.i.R. Jürgen-Peter Lesch


Ihr seid das Salz der Erde. Wenn nun das Salz nicht mehr salzt, womit soll man salzen? Es ist zu nichts mehr nütze, als dass man es wegschüttet und lässt es von den Leuten zertreten.


Ihr seid das Licht der Welt. Es kann die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein. 


Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter; so leuchtet es allen, die im Hause sind. 


So lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen. 

Evangelium nach Matthäus, Kap 5,13-16


Liebe Leserin, lieber Leser,


Das ist schon ein besonderes Geschehen, das im Evangelium nach Matthäus im fünften Kapitel berichtet wird.


Der Anfang allerdings ist nicht außergewöhnlich. Jesus spricht zu einer Menschenmenge. Sie wird groß gewesen sein, denn Jesus ist auf eine Anhöhe, auf den Berg, wie es im Griechischen heißt, gestiegen. Von dort aus spricht er zunächst über jene Verheißungen Gottes, die wir als die Seligpreisungen kennen. 


Ob die Leute dort etwas mit diesen Seligpreisungen anfangen können, wissen wir nicht. Sicher, wenn sie offene Augen und Ohren haben, dann kennen sie die unterschiedlichen Menschen, von denen Jesus spricht. Sie sehen sie über die Straßen ziehen, die geistlich Armen, die wir heute als Bettelmönche bezeichnen würden. Sie kennen Menschen und gehören vielleicht selbst dazu: Trauernde, die Leid tragen. Sie wissen von sanftmütigen, milden, um Ausgleich bemühte Menschen. Und sie haben Menschen vor Augen, die nach Gerechtigkeit hungern und dürsten. Sie kennen jene, die barmherzig sind und sich über andere erbarmen. Ihnen sind wahrscheinlich Menschen mit „reinem Herzen“ begegnet, die oft als naiv beschimpft werden. Sie erleben, dass Menschen sich immer wieder und gegen viele Widerstände um Frieden mühen. Und wenn sie nicht wegschauen, können sie die Verfolgten und die Geschmähten sehen. 


Nach diesen Worten wird Jesus persönlicher. Er spricht nun die Leute direkt an: Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und allerlei Böses gegen euch reden und dabei lügen. Seid fröhlich und jubelt; es wird euch im Himmel reichlich belohnt werden. Denn ebenso haben sie die Propheten verfolgt, die vor euch gewesen sind.


Wenn Jesus jetzt vom reichlichen Lohn im Himmel spricht, dann merkt sicher die eine oder der andere von den Jüngerinnen und Jüngern, dass sie nun im Besonderen gemeint sind. Sie, die mit Jesus unterwegs sind, unterwegs in eine ungewisse Zukunft. Sie können ja nicht wissen, was auf sie zukommen wird. Sie haben keine Ahnung davon, wie ihre Geschichte mit Jesus enden und dann neu und ganz anders anfangen wird. 


Bevor die Menschen noch lange darüber nachdenken können, spricht Jesus weiter:


Ihr seid das Salz der Erde. Wenn nun das Salz nicht mehr salzt, womit soll man salzen? Es ist zu nichts mehr nütze, als dass man es wegschüttet und lässt es von den Leuten zertreten.


Ihr seid das Licht der Welt. Es kann die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein. 


Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter; so leuchtet es allen, die im Hause sind. 


So lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen. 


Das sind Gedanken, die – leicht abgewandelt – in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen sind. Vor allem die Formulierung „sein Licht unter den Scheffel stellen“ wird gern verwendet. Und das, obwohl der Scheffel, ein Hohlmaß von ca. 8,7 Litern, heute kaum noch bekannt ist. Doch was der Satz meint, ist immer noch klar: Da verbirgt jemand seine Fähigkeiten, seine Talente und seine Kenntnisse. Er traut sich nicht, offen und klar zu sagen, was er gelernt hat, was er kann, welche Ideen und Fantasien in ihm stecken. Das ist im Alltag, im alltäglichen Umgang miteinander, vor allen Dingen schade. Wirklich schlimm wird es zum Beispiel dann, wenn es um die Bewerbung für eine Arbeitsstelle geht. Es ist immer noch so, dass Frauen in einem Vorstellungsgespräch nachdenklicher sind, ihre eigenen Fähigkeiten weniger offensiv darstellen und sie immer wieder in Beziehung setzen zu dem Erwartungsprofil. Frauen sind häufig kommunikativer, wollen Teil einer Gemeinschaft sein. Und das kann dazu führen, dass sie ihre eigenen Bedürfnisse, Wünsche und Hoffnungen hintanstellen. Sie stellen eben ihr Licht unter den Scheffel.


Dagegen versuchen vor allem Männer in solchen Situationen, ihr Licht leuchten zu lassen. Wobei dieses Licht nicht immer die hellste Kerze auf der Torte sein muss. Mit einem Selbstbewusstsein, das nicht unbedingt in ihren Fähigkeiten und in ihrem Wissen begründet ist, lassen sie das, was sie für ihr Licht halten, leuchten vor den Leuten. 


Sein Licht unter den Scheffel stellen oder sein Licht vor den Leuten leuchten lassen – diese Worte sind von Jesus anders gemeint, als sie üblicherweise gebraucht werden. Es geht nicht um eine Bewerbung. Es geht nicht darum, selbstbewusst aufzutreten. Es geht um einen Auftrag von Jesus an seine Jüngerinnen und Jünger, einen Auftrag an alle, die sich zu Jesus Christus bekennen und in seiner Nachfolge leben wollen. Es ist ein Auftrag an uns in unseren Gemeinden.


Jesus sagt: Stellt dieses euer Licht nicht unter einen Scheffel. Das ist sinnloses Tun, dummes Zeug. Lasst euer Licht leuchten vor den Leuten. Lasst es leuchten, indem ihr tut, was euch von Anfang an ans Herz gelegt worden ist. Tut, was ich euch in diesem Sinn gelehrt habe: Hungrige speisen, Durstigen zu trinken geben, Fremde aufnehmen, Nackte kleiden, Kranke besuchen und zu den Gefangenen hingehen. 


Salz und Licht - das entspricht Reden und Handeln. Salz sein heißt, sich einmischen mit Worten. Licht sein bedeutet, sich tatkräftig für andere Menschen, für die Tiere und Pflanzen, für die gesamte Schöpfung einzusetzen. Nicht weil es einfach wäre. Nicht weil es üblich ist. Nicht weil wir dazu besonders befähigt wären. Sondern weil wir dazu beauftragt sind. Weil wir einen Auftrag haben. Dabei geht es nicht darum, etwas zu sagen oder zu tun und danach gut da zu stehen. Sondern weil wir von Gott ohne Wenn und Aber angenommen sind, können wir diesen Auftrag übernehmen. Das macht es uns nicht automatisch leichter. Das schützt uns nicht vor Verzweiflung und Furcht. Dagegen hilft uns, uns immer wieder selbst und einander an die Botschaften über und die Zusagen von Jesus Christus zu erinnern. Am Anfang heißt es: Fürchtet euch nicht! Am Ende hören wir die Worte Jesu: Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.


Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Woche.


Jürgen-Peter Lesch

Andacht für die Woche nach dem 23.07.2023 (7. Sontag n. Trinitstis)

Liebe Leserin lieber Leser,
in Johannes 6, 35 lesen wir:
Jesus sprach: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; 
und wer an mich glaubt, den wird nie mehr dürsten.
Brot ist unser wichtigstes Grundnahrungsmittel. Wir Deutschen sind wahrscheinlich sogar 
Weltmeister im Brotbacken und im Brotverzehr. Bei uns gibt es mindestens 300 Brotsorten, 
wahrscheinlich noch viel mehr. Wir lieben Lebensmittel, und ganz besonders lieben wir unser
Brot. 
Brot spielt auch in der Bibel eine große Rolle. Jesus sagt: 
Ich bin das Brot des Lebens.
 Spielt 
dieses Brot auch in unserem Glauben eine Rolle? Ich bin wie das Brot des Lebens, das euch 
nachhaltig sättigt. Es gibt viele verschiedene Brotsorten. Es gibt viele verschiedene 
Lebenswege. Und es gibt verschiedene Arten, an Jesus zu glauben. Die Art, wie ein Mensch 
glaubt, mit welchen Bildern er sich Gott vorstellt, wie er oder sie seinen oder ihren Glauben 
lebt, hat zu tun mit dem, was er auch sonst glaubt, hofft, liebt.
Ich vermute, das Brot, das es bei uns schon am längsten gibt, ist das Gersterbrot, ein  
Roggenmischbrot. In meiner Kindheit gab es sogar reines Roggenbrot. Das Roggenmischbrot 
schmeckt solide, vielleicht ein bisschen langweilig. Man wird davon gut satt. Keine 
Geschmacksexplosion, aber ganz okay. Zuverlässig eben wie seit Jahrzehnten. So ähnlich 
schmeckt auch der Glaube mancher Christen. Ich kenne solche Roggenmischbrot – Christen. 
Vielleicht gehöre ich manchmal auch zu ihnen. Sie haben sich ihren Kinderglauben bewahrt.  
Gott ist für sie der Schöpfer, der die Welt weise geordnet hat. Diese Ordnung hat ihren Sinn, 
sie hat sich bewährt. Man soll sie nicht ändern. Roggenmischbrotchristen lieben den 
traditionellen Gottesdienst ohne Schnickschnack, sie lieben die Choräle von Paul Gerhardt. 
Befiehl du deine Seele ... haben sie vor 60 Jahren gelernt und singen es noch heute, und zwar 
gern. Die Predigt soll nicht zu kompliziert sein, soll sie in ihrem Glauben bestätigen und 
Nahrung für die kommende Woche sein und ihre Seele satt machen. Jesus sagt diesen 
Roggenmischbrot – Christen: Das ist völlig in Ordnung. Du musst dich dafür nicht 
rechtfertigen. Ich bin das Brot für dein Leben. Und du hast recht: ich bin der gute Hirte, früher
und heute. Ich bin für dich wie ein Roggenmischbrot.
Daneben gibt es Menschen, Christen, die den Genuss lieben. Nichts ist schlimmer für sie als 
die tägliche Langeweile. Sie trinken nicht nur einfach Wein, sondern ihren Lieblingswein 
eines bestimmten Jahrgangs aus einer Gegend, in der sie schon Urlaub gemacht haben, und 
dessen Winzer sie persönlich kennen. Sie essen auch nicht nur einfach Brot, sondern sie 
kaufen es bei einem Biobäcker in einem 20 km entfernten Ort. Der macht so wunderbare 
Müslibrötchen, „so etwas hast du noch nicht gegessen“. Sie genießen ihr Leben in einer 
Weise, dass man neidisch werden kann.  In die Kirche gehen sie nur, wenn sie etwas Schönes 
erleben wollen, ein Konzert z.B. Gottesdienste besuchen sie eher nicht, das ist ja doch immer 
dasselbe, und das mögen sie nicht. Überhaupt mögen sie es nicht, wenn es traurig wird, wie 
die Gottesdienste am Karfreitag. Zu Beerdigungen gehen sie nur im äußersten Notfall. 
Müslibrötchen-Christen. Sie genießen ihr Leben und ihren Glauben. Ich nenne sie so mit 
allem Respekt. Denn Müslibrötchen sind wunderbar, wohlschmeckend für Leib und Seele. 
Und sie haben recht damit: unser Leben ist doch auch schön. Oft scheint doch auch die Sonne.
Jesus sagt zu ihnen: Du bist völlig okay. Ich bin wie ein Müslibrötchen deines Lebens. 
Schließlich und nicht zuletzt gibt es Menschen, Christen, die weder Roggenmischbrot noch 
Müslibrötchen essen, sondern Brot und Brötchen von gestern und vorgestern, weil sie sich das
frische Brot nicht leisten können oder leisten wollen. Brötchen von gestern sind oft zäh oder 
trocken. Warum essen sie Brot von gestern? Sie müssen ihre finanziellen Mittel sehr gut 
kalkulieren, die Trockenbrot - Christen. Und irgendwie kommen sie auch über die Runden. 
Sie sind berechtigt, bei der Tafel einzukaufen, was ihr Leben erleichtert, manchmal aber auch 
unangenehm ist. Urlaub ist für sie kein Thema. Dafür reicht das Geld nicht. Höchstens für 
eine Dauerkarte im Freibad. Kirche ist für sie auch kein Thema. Die kann ihnen auch nicht 
helfen, meinen sie. Immerhin durfte der Sohn umsonst mit zur Konfirmandenfreizeit. Gerade 
zu diesen Trockenbrot – Christen sagt Jesus: Ich bin das Brot des Lebens. Ich bin das Brot für
dein Leben. Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch 
erquicken. Bei mir seid ihr hoch angesehen. Ich habe Respekt vor euch, davor, wie ihr mit 
eurer Situation umgeht. Ich möchte, dass ihr eure Würde nicht verliert, gerade bei knappem 
Budget.
Jesus, das Brot des Lebens, das Roggenmischbrot, das Müslibrötchen, das Trockenbrot. 
Ist damit alles in Ordnung? Soll das immer so bleiben? Muss der mit dem trockenen Brot sein
Leben lang trockenes Brot essen? Sie kennen den Satz: Jesus nimmt jeden so an, wie er ist. Er
gibt ihm das, was er zum Leben braucht. Das ist bei verschiedenen Menschen sehr 
unterschiedlich. Entscheidend ist, dass sie an ihn glauben und von ihm ihr Lebensbrot 
beziehen. Jesus nimmt jeden so an, wie er ist. Das ist eine Wahrheit des Glaubens, aber nur 
die halbe Wahrheit. Der zweite Teil der Glaubenswahrheit lautet: Er lässt keinen so, wie er 
ist. Er erwartet vielmehr von uns, dass wir uns an seinem Vorbild orientieren, kurzfristig, 
mittelfristig oder langfristig. Und das bedeutet für sein Bild vom Brot: Wer zu ihm kommt 
und bei ihm bleibt, muss nicht und darf vielleicht auch gar nicht sein Leben lang immer 
dieselbe Brotsorte essen, sondern darf und soll auch anderes Brot probieren. Der mit dem 
Roggenmischbrot kann erkennen: Vielleicht sollte ich mal ein Müslibrötchen probieren, etwas
flexibler werden in der Wahrnehmung anderer Menschen, anderer Christen. Vielleicht wäre 
das ein Zugewinn an Lebensqualität, an Freiheit von meinen Grenzen. Und der mit dem 
Müslibrötchen könnte das trockene Brot probieren und erkennen: Es gibt auch das 
Unangenehme, das Belastende, das Traurige, nicht nur meine Leichtigkeit und den Genuss. 
Das könnte meiner Leichtigkeit mehr Bodenhaftung verleihen. 
Liebe Gemeinde, wenn ich zum Bäcker gehe oder in den Backshop, habe ich die Auswahl 
zwischen fünf oder sieben Brotsorten. Ich finde da meine Lieblingssorte, die ich immer essen 
werde, aber auch andere Sorten, die mich neugierig machen. Wenn ich in unsere 
Kirchengemeinden sehe, entdecke ich noch mehr Sorten von Christen, Menschen, die nach 
meinem Geschmack sind, aber auch andere. Das finde ich gut. Uns alle verbindet das Wort 
Jesu: Ich bin das Brot des Lebens. Ich bin das Brot für dein Leben. So soll es bleiben. 

Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit
Wilhelm Niedernolte, Eldagsen
Sup. i.R.

Andacht für die Woche vom 16. bis 22. Juli 2023 von Sup.i.R. Jürgen Flohr

Matthäus 28, 16-20

16. Die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, wohin Jesus sie beschieden hatte. 
17. Und als sie ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder; einige aber zweifelten.
18. Und Jesus trat herzu, redete mit ihnen und sprach:
     Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. 
19. Darum gehet hin und lehret alle Völker: 
Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes
20. und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe.
Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.
 
 
Liebe Lesende,
 
diese Verse stehen am Schluss des Matthäus-Evangeliums. Der Evangelist hat sie als letzte Rede Jesu an seine Jünger formuliert, als Vermächtnis des Christus an seine Nachfolger und Nachfolgerinnen und damit an uns alle, die wir uns Christen nennen.
        Christus spricht von der Vollmacht, die Gott ihm gegeben hat, und er spricht in Vollmacht gegenüber den Jüngern. Er gibt ihnen einen großen und wichtigen Auftrag:
Sie sollen losgehen und alle Völker das lehren, was er selbst die Jünger gelehrt und ihnen vorgelebt hat. Sie sollen die Menschen taufen im Namen des Dreieinigen Gottes; und er, Christus, will bei ihnen sein und ihnen beistehen bis ans Ende der Welt.
        Einen gewaltigen Auftrag und ein beflügelndes Versprechen bekommen hier die Jünger, und sie haben es angenommen und ausgeführt. Die Ausbreitung des Christusglaubens im Römischen Reich und in der ganzen Welt zeugen davon.
        „Einige aber zweifelten“ lesen wir in Vers 17. Und  Andere zweifeln heute daran, was dieser sogenannte Taufbefehl Jesu für uns im Jahr 2023 bedeutet. Ob wir z.B. Andersgläubige wie Muslime oder Buddhisten oder Nichtglaubende  heutzutage zum Christentum bekehren sollen wie das lange Zeit als selbstverständlich geboten galt. Die christliche Mission unter Juden etwa wird seit einigen Jahren von vielen evangelischen Landessynoden offiziell abgelehnt, weil die Juden bereits an den Gott der Bibel glauben. An Jesus Christus als Gottes letztes Wort an alle Menschen aber glauben sie eben nicht, und das bleibt ein Streitpunkt zwischen Juden und Christen.
 
        Wie sollen wir es dann also mit diesem Vermächtnis Jesu halten, von dem unsere Verse berichten? 
        Ich denke, wir sollten weiterhin unsere Kinder taufen lassen, ihnen von Jesus und seiner Botschaft erzählen und uns selber nach seiner Lehre richten; - also Gott vertrauen und unseren Nächsten lieben wie uns selbst , so gut wir es vermögen und aus der Bibel lernen, wie Glauben und Leben sich verbinden können.
 
        Dabei brauchen wir ja nicht wie zuweilen früher aggressiv unter Nichtchristen zu missionieren, sondern wir können in einen fruchtbaren Dialog über den richtigen Weg zum wahren Leben eintreten mit Andersgläubigen wie das hier und dort bereits geschieht, z.B. im „Haus der Religionen“ in Hannover oder im jüdisch-christlichen Dialog.
 
         Für mich persönlich höre ich in diesen Versen vom Ende des Matthäus-Evangeliums besonders gern die Zusage, dass Christus alle Tage bei uns sein will bis ans Ende, und das tröstet mich in all den Problemen, die uns heute umtreiben; - wie etwa der Krieg in der Ukraine, der immer bedrohlicher werdende Klimawandel oder die politischen Streitigkeiten auch in unserem Land. Dies alles treibt uns doch um und macht uns Sorgen. Deshalb kann es uns Mut machen, wenn wir von Christus hören, dass er alle Tage bei uns sein und uns begleiten will.   Daran können wir uns  halten und so trotz aller Schwierigkeiten mutig nach vorn gehen im Vertrauen auf den Dreieinigen Gott.
 
Jürgen Flohr

Andacht für die Woche vom 09. bis 15. Juli 2023 von Sup.i.R. Christian Klatt

„Der Fischzug des Petrus“ Luk. 5, 4 – 11

Jesus sprach zu Simon: „Fahre hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus!“ Und Simon antwortete und sprach: „Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen; aber auf dein Wort hin will ich die Netze auswerfen.“
Und als sie das taten, fingen sie eine große Menge Fische, und ihre Netze begannen zu reißen. Und sie winkten ihren Gefährten, die im andern Boot waren, sie sollten kommen und ihnen ziehen helfen. Und sie kamen und füllten beide Boote voll, so dass sie fast sanken. 
Da Simon Petrus das sah, fiel er Jesus zu Füßen und sprach. „Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch.“ Denn ein Schrecken hatte ihn erfasst und alle, die mit ihm waren, über diesen Fang, den sie miteinander getan hatten …
Und Jesus sprach zu Simon: „Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fangen.“ Und sie brachten die Boote ans Land und verließen alles und folgten ihm nach.
 
Dieser Bericht vom Fischzug des Petrus am See Genezareth klingt wie eine unglaubliche Wundergeschichte: Nach einer vergeblichen Ausfahrt bei Nacht, von wo die Fischer normalerweise erfolgreich zurückkehren, fangen sie entgegen aller Erfahrung am nächsten Tag so viele Fische, dass die Netze zu reißen beginnen und die Boote  fast sinken. Doch dies erstaunliche Wunder ist nur der äußere Rahmen für das, was sich zwischen Jesus und Simon Petrus abspielt. Es sind nur wenige Worte, die sie miteinander wechseln. Aber sie bewirken, dass sich das Leben des Petrus von Grund auf ändert. 
 
„Aber auf dein Wort hin …“ – dieser Entschluss des Petrus leitet die entscheidende Wende ein. Er hatte, so erzählt es Lukas, erst kurz zuvor erlebt, wie seine hochkranke Schwiegermutter von Jesus geheilt wurde. Nun fasst er Vertrauen und tut, wozu Jesus ihn auffordert, obwohl er als erfahrener Fischer davon nicht überzeugt sein konnte. Umso größer ist am Ende sein Erstaunen. Der riesige Erfolg löst jedoch nicht Begeisterung aus, sondern maßloses Erschrecken. „Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch.“ Natürlich war Petrus kein Dieb oder Gauner. Aber er begreift, dass hier nicht das Glück oder der Zufall, sondern Gottes Macht in sein Leben eingegriffen hat. Darüber kann er nur erschrecken: Wer bin ich denn, dass mir so etwas passiert ist?!
 
Die Antwort Jesu zeigt, dass es hier tatsächlich nicht um ein sensationelles Wunder geht, sondern um den Anruf Gottes im Leben eines Menschen. „Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fangen.“ Gott ruft Petrus in seinen Dienst. Von nun an wird er ein Jünger Jesu sein und als Apostel den Menschen das Evangelium verkündigen. Nicht mehr die Fische aus ihrem Lebensbereich des Wassers herausfangen, sondern Menschen für das Leben gewinnen. Das nämlich meint dieses Wort „Menschen fangen“ im wörtlichen Sinne des griechischen Urtextes: „Menschen für das Leben gewinnen.“ 
 
Und so wird diese alte Geschichte aus der Biographie des Petrus zu einem Impuls für unser Leben. Gott ruft Menschen in seinen Dienst. Mitten im Alltag des Lebens, auch in Augenblicken der Enttäuschung, wo wir nur noch müde und erschöpft sind, wie Petrus damals am Ufer des Sees nach erfolgloser Nacht. Gott spricht uns an: durch die Worte der Heiligen Schrift, durch die Begegnung mit anderen Menschen, durch die kleinen und großen Wunder in unserem Leben. Dafür wollen wir bereit sein – „Auf dein Wort hin …“
 
Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag und eine gute neue Woche.
Ihr Christian Klatt 

Andacht für die Woche vom 02. bis 08. Juli 2023 von Pfr.i.R. Jürgen-Peter Lesch

Lukas 6,36-42

Jesus sprach: Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. 

Und richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben.
Gebt, so wird euch gegeben. Ein volles, gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß wird man in euren Schoß geben; denn eben mit dem Maß, mit dem ihr messt, wird man euch zumessen.
Er sagte ihnen aber auch ein Gleichnis: 
Kann denn ein Blinder einem Blinden den Weg weisen? Werden sie nicht alle beide in die Grube fallen?
Ein Jünger steht nicht über dem Meister; wer aber alles gelernt hat, der ist wie sein Meister.
Was siehst du den Splitter in deines Bruders Auge, aber den Balken im eigenen Auge nimmst du nicht wahr? 
Wie kannst du sagen zu deinem Bruder: Halt still, Bruder, ich will dir den Splitter aus deinem Auge ziehen, und du siehst selbst nicht den Balken in deinem Auge? Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge, danach kannst du sehen und den Splitter aus deines Bruders Auge ziehen.

Lutherbibel 2017

Liebe Leserin, lieber Leser,

schon in den ersten Worten aus der sogenannten Feldrede im Evangelium nach Lukas wird deutlich, dass sich die Aufforderung, barmherzig zu sein, nicht an alle Menschen richtet. Denn sie wird damit begründet, dass der Vater, Gott selbst, barmherzig ist. Dass sich Menschen über das Leid, die Not und die Angst der anderen erbarmen, ist beileibe nicht selbstverständlich. Die Begründung für ein solches Denken und Handeln leitet Jesus aus den Eigenschaften her, mit denen Gott in den Schriften, die wir „Altes Testament“ nennen, immer wieder beschrieben wird. Eine besonders eindrückliche Stelle steht im Buch Exodus, dem 2. Buch Mose. Auf dem Berg Sinai sieht Mose Gott an sich vorüberziehen. Da ruft er aus: „Herr, Herr, Gott, barmherzig und gnädig und geduldig und von großer Gnade und Treue.“ (2. Mose/Exodus 34,6). „Barmherzig, gnädig und geduldig“ sind die Attribute Gottes, die immer wieder genannt werden. Wobei die Übersetzung „geduldig“ das hebräische Wort nur ungenau wiedergibt. Besser wäre es übersetzt mit „langmütig“, denn wörtlich heißt es „langsam zum Zorn“. Eine Formulierung, die sich im Brief des Jakobus wiederfindet: „Ein jeder Mensch sei schnell zum Hören, langsam zum Reden, langsam zum Zorn“ (Jak 1,19). Das wäre wohl ein Rat, der heute gar nicht oft genug beherzigt werden könnte, denke ich.

Doch zurück zur Barmherzigkeit, diesem altertümlichen Wort, das uns eher in der Abwandlung „erbärmlich“ begegnet. Wird jemand heute als erbärmlich bezeichnet, dann ist das vor allem als Beschimpfung gemeint. Ursprünglich war die Bedeutung eine ganz andere. Ein erbärmlicher Mensch ist jemand, der Erbarmen und Mitleid braucht. Diese Bedeutung ist veraltet, wie es im „Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache“ heißt. Barmherzigkeit passt nicht recht in unsere Zeit, in der „erbärmlich“ zum Schimpfwort geworden ist, und der Wert eines Menschen vor allem danach bemessen wird, was er leistet oder was er zu leisten scheint. In der aus Konkurrenten Gegner und aus Gegnern Feinde gemacht werden. In der es viel weniger darum geht, eigene Stärken zu entwickeln, sondern vielmehr darum, andere zu schwächen oder ihre Schwächen besonders herauszustellen. 

Die Botschaft von Jesus ist ganz anders: Richtet nicht und verdammt nicht, sondern vergebt. Seid nicht kleinlich, sucht nicht ständig nach eurem Vorteil, sondern seid großzügig, gönnt auch anderen das, was ihr euch selbst gönnt. Nur wenige Verse vorher steht im Evangelium die „Goldene Regel“: „Wie ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, so tut ihnen auch!“ (Lk 6,31). Immanuel Kant hat diese Regel ausgeformt zum kategorischen Imperativ. Bekannter und gebräuchlicher ist sie in der negativen Formulierung: „Was du nicht willst, das man dir tu‘, das füg‘ auch keinem anderen zu“. Das ist nun wirklich der kleinste gemeinsame Nenner. Doch auch dafür liefert der Text aus dem Lukasevangelium einen Hinweis: Der Maßstab, den ihr an andere anlegt, wird auch für euch gelten.

Am Ende des Textes gibt es eine weitere Begründung für die Barmherzigkeit und zugleich dagegen, andere Menschen als erbärmlich herabzuwürdigen. Es geht um den sprichwörtlichen „Balken im Auge“. Den Balken im eigenen Auge, den wir nicht sehen wollen, während uns der Splitter im Auge des anderen umtreibt. Wie leicht empören wir uns über einen solchen „Splitter im Auge“ eines anderen Menschen, über seine aus unserem Blickwinkel falsche Sicht, seine vermeintliche Uneinsichtigkeit und Sturheit. 

Die Botschaft von Jesus mahnt uns, den Blick zunächst auf uns selbst zu richten. Genauer darauf zu achten und danach zu fragen, was unsere Blicke lenkt, aus welcher Perspektive wir etwas beurteilen. Barmherzigkeit bedeutet hier wohl, genauer hinzusehen, mit dem Herzen zu sehen. Nicht nur mit den Augen, nicht nur mit dem Verstand, sondern auch mit dem Herzen hinzusehen auf die anderen Menschen, ihre Sorgen und Ängste, ihr Leid und ihre Krankheiten, ebenso aber auf ihre Hoffnungen, Träume und Wünsche. Ebenso hinzusehen auf Tiere und Pflanzen; ja, die gesamte Schöpfung in den Blick zu nehmen. 

Ist das nicht zu viel von uns verlangt? Ja, ich denke schon. Doch das ist kein Grund dafür, es nicht mit der Barmherzigkeit immer wieder zu versuchen. Dabei werden wir vermutlich wieder und wieder scheitern. Dass wir dennoch die Versuche nicht aufgeben, barmherzig zu sein, dazu ermutige uns ein Wort aus den Psalmen: „Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte“ (Psalm 103,8).

Jürgen-Peter Lesch

Andacht für die Woche vom 25. Juni bis 01. Juli 2023 von Sup.i.R. Wilhelm Niedernolte

Lukas 15, 11-32

Dann sagte Jesus: »Ein Mann hatte zwei Söhne. Der jüngere sagte zum Vater: ›Vater, gib mir den Teil der Erbschaft, der mir zusteht.‹ Da teilte der Vater seinen Besitz unter den Söhnen auf.
Ein paar Tage später machte der jüngere Sohn seinen Anteil zu Geld und wanderte in ein fernes Land aus. Dort verschleuderte er sein ganzes Vermögen durch ein verschwenderisches Leben.
Als er alles ausgegeben hatte, brach in dem Land eine große Hungersnot aus. Auch er begann zu hungern. Da bat er einen der Bürger des Landes um Hilfe. Der schickte ihn aufs Feld zum Schweinehüten. Er wollte seinen Hunger mit den Futterschoten stillen, die die Schweine fraßen.
Aber er bekam nichts davon.
Da ging der Sohn in sich und dachte: ›Wie viele Arbeiter hat mein Vater und sie alle haben reichlich Brot zu essen. Aber ich komme hier vor Hunger um. Ich will zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe Schuld auf mich geladen – vor Gott und vor dir. Ich bin es nicht mehr wert,dein Sohn genannt zu werden. Nimm mich als Arbeiter in deinen Dienst.‹
So machte er sich auf den Weg zu seinem Vater. Sein Vater sah ihn schon von Weitem kommen
und hatte Mitleid mit ihm. Er lief seinem Sohn entgegen, fiel ihm um den Hals und küsste ihn.
Aber sein Sohn sagte zu ihm: ›Vater, ich habe Schuld auf mich geladen – vor Gott und vor dir.
Ich bin es nicht mehr wert, dein Sohn genannt zu werden.‹ Doch der Vater befahl seinen Dienern:
›Holt schnell das schönste Gewand aus dem Haus und zieht es ihm an. Steckt ihm einen Ring an den Finger und bringt ihm Sandalen für die Füße. Dann holt das gemästete Kalb her und schlachtet es: Wir wollen essen und feiern! Denn mein Sohn hier war tot und ist wieder lebendig. Er war verloren und ist wiedergefunden.‹ Und sie begannen zu feiern.
Der ältere Sohn war noch auf dem Feld. Als er zurückkam und sich dem Haus näherte, hörte er Musik und Tanz. Er rief einen der Diener zu sich und fragte: ›Was ist denn da los?‹ Der antwortete ihm: ›Dein Bruder ist zurückgekommen! Und dein Vater hat das gemästete Kalb schlachten lassen,
weil er ihn gesund wiederhat.‹ Da wurde der ältere Sohn zornig. Er wollte nicht ins Haus gehen.
Doch sein Vater kam zu ihm heraus und redete ihm gut zu. Aber er sagte zu seinem Vater:
›Sieh doch: So viele Jahre arbeite ich jetzt schon für dich! Nie war ich dir ungehorsam. Aber mir hast du noch nicht einmal einen Ziegenbock geschenkt, damit ich mit meinen Freunden feiern konnte. Aber der da, dein Sohn, hat dein Vermögen mit Huren vergeudet. Jetzt kommt er nach Hause, und du lässt gleich das gemästete Kalb für ihn schlachten.‹
Da sagte der Vater zu ihm: ›Mein lieber Junge, du bist immer bei mir. Und alles, was mir gehört,
gehört auch dir. Aber jetzt mussten wir doch feiern und uns freuen: Denn dein Bruder hier war tot
und ist wieder lebendig. Er war verloren und ist wiedergefunden.‹
(Übersetzung: Basisbibel)
 
 
Liebe Leserin, lieber Leser,
 Da lässt sich einer – der jüngere Sohn – das Erbe auszahlen, geht weit weg, verliert dort das
 Geld durch Unvernunft und pure Dummheit, besinnt sich, kehrt heim, der Vater nimmt ihn in
 die Arme und feiert ein Fest. Immer wieder eine schöne Geschichte.
 Aber fast zu vertraut, um uns noch anzurühren. Eine Geschichte mit erhobenem Zeigefinger
 und bewunderndem Staunen vorzulesen: Innerlich verbucht unter: Toll, so ein barmherziger
 Vater, der verzeihen und vergessen kann. Und: So sollte man auch nicht leben wie der Sohn,
 der jüngere, der so genannte „verlorene Sohn“. „Der dumme und überflüssige Sohn“, so würde wohl der ältere Sohn diese Geschichte überschreiben. Sein Erbe zu Lebzeiten fordern – was für ein Affront gegenüber einem freundlichen Vater. Und dann tobt er sich aus bis das Geld weg ist, schmeißt das sauer verdiente Geld irgendwelchen Leuten in den Rachen – das ist doch das allerletzte – nur weil er von zu Hause weg will, aber noch nichts von Verantwortung weiß.
 Aus der Sicht des älteren Bruders, des Vernünftigen, Bedächtigen, ist die einzig gute Situation
 vermutlich die Schweine-Szene, in der sein Bruder endlich die Quittung bekommt für seine
 Entscheidung zu gehen. Mit ein bisschen oder vielleicht auch reichlich Schadenfreude sieht
 der große Bruder, den kleinen, den Chaoten am Ende, im Dreck – gerechte Strafe! Nach
 menschlichem Ermessen hat er es nicht anders verdient. Und was macht sein Vater?  Überwältigt und glücklich ist er über seinen Sohn, dass er lebt und zurück ist. Er trägt ihn auf Händen, rollt ihm den roten Teppich aus, überschüttet ihn mit Liebe, dass der Ältere schier platzt vor Eifersucht und Neid. Bei aller grundsätzlichen Sympathie für ihn, den treuen und braven, das findet der Evangelist Lukas dann doch auch nicht gut. Alle sollen sich doch freuen über den zurückgekehrten Sohn!
 Der Vater – so unfassbar barmherzig – richtet ein großes Fest aus – Happy-end – mit einer
 kleinen Belehrung für den großen aber kleinherzigen Sohn. Und natürlich vor allem einer
 großen Belehrung für den Kleinen für seiner anfangs so großen Klappe. „Vom verlorenen
 Sohn“ – mit dem Titel dieser Geschichte wurde in der Auslegungsgeschichte leider auch oft
 eine moralisch-pädagogische Aussage verbunden: mach keinen Mist! Bleibe bei deinen
 Eltern! Geh nicht zu weit weg! Keine Experimente! Keine Extra-Touren! Arbeite brav, aber
 pass auf, dass Du nicht so neidisch wirst wie Dein großer Bruder.
 Diese Auslegung bereitet mir Unbehagen. Auch der Titel „Vom verlorenen Sohn“. Wie wäre es mit „Vom mutigen Sohn“! Immer zu Hause zu bleiben, nie etwas Aufmüpfiges tun – kann da nicht auch einfach Angst hinter stehen, Feigheit, fehlender „Mumm“? Der Jüngere hatte den Mut zu einem eigenen Weg und zu seiner Entscheidung. Vielleicht war es auch nicht Mut, sondern Sturheit, Bockigkeit?
 Jesus will mit der Erzählung dieser Geschichte sagen: Der Vater – also Gott - respektiert den
 Weg des Jüngeren genauso wie das Bleiben des Älteren. Von Anfang an versucht er ihn nicht
 zu ändern und davon abzubringen. Gott will ihn nicht von Erfahrungen abhalten, die der
 Mensch für absolut wichtig hält. Gott lässt seine Geschöpfe die eigenen Wege gehen. Da
 muss nichts normiert sein oder standardisiert oder von vornherein bewertet oder abgewertet.
 Doch bevor wir diese Geschichte zurück in die Schatzkiste der Gleichnisse Jesu legen, will
 ich doch eine wichtige Mahnung aus diesem Text noch mal aufgreifen. Beide Söhne
 beschäftigt die Frage: Was machen wir mit dem Erbe unseres Vaters?
 Da spricht Jesus sich ganz klar gegen das Verhalten des jüngeren Sohnes aus. So sehr von
 Gott als dem Vergebenden gesprochen wird – natürlich wird der Mensch von Gott wieder
 angenommen – aber sein Tun war nicht in Ordnung. Das wird ganz klar in dem Gleichnis: mit
 dem Anvertrauten des Vaters hätte er nicht so umgehen dürfen, mit dem Erbe ist sorgfältig
 umzugehen. Wenn wir die Symbolik einmal (vom Geld weg) entfalten und die Rede Jesu in
 unsere Zeit holen – was ist das Erbe von Gott, was hat er geschaffen und anvertraut?
 „Unser Leben“ ist uns gegeben von Gott!
 Wie gehen wir damit um? Verausgaben wir uns wie der jüngere Sohn? Verschwenden wir Zeit
 mit Unvernunft und Dummheit? Als würde es kein Ende geben? Verbringen wir unser Leben
 brav und hart arbeitend wie der ältere Sohn und sind dann doch am Ende irgendwie ein
 bisschen enttäuscht? Und sehen mit ein bisschen oder ein bisschen mehr Schadenfreude, dass
 andere die Quittung für ihr Handeln bekommen, auf die Nase fallen und manchmal im Dreck
 sitzen?
 Welches andere Erbe haben wir von Gott? Die Schöpfung, diese Welt – wie gehen wir damit
 um?  In ihrer Mehrheit verhalten sich die Menschen wie der jüngere Sohn. Und in der Hinsicht passt der Name dann doch wieder „Vom verlorenen Sohn“. Der war selber schuld, dass er am Ende
 hungerte und verzweifelt war. So werden wir da sitzen und sind selber schuld an Erntekatastrophen und tropischen Temperaturen. Der „verlorene Sohn“ kommt zur Besinnung: als er ganz unten ist, wacht er auf. Vielleicht gab es in ihm dann doch noch immer verborgen die Sehnsucht nach dem Vater, nach Gott und das Wissen, sich von ihm auch innerlich entfernt zu haben – und dass er diesen
 Lebenswandel nicht gutheißen kann. Vielleicht ist der anvertraute Glaube noch nicht ganz
 weg. Vielleicht weiß er immer noch auswendig: „Barmherzig und gnädig ist Gott, geduldig
 und von große Güte.“ Jedenfalls kehrt er um, geht zu Gott zurück – und erlebt das unvorstellbar Schöne: geöffnete Arme. So ist Gott.
 Dass ein anderer Mensch noch eine Liste von Anklagepunkten in der Tasche hat und sauer ist
 – auch klar. Und trotzdem ist es der Bruder. Wenn der jüngere Sohn die geöffneten Arme
 genossen hat – vielleicht geht dann die Geschichte so weiter: er sucht seinen großen Bruder,
 findet ihn wütend irgendwo in einem Schuppen und sagt: Mensch, wie ist unser Vater? Wie ist
 Gott? Gnädig und barmherzig ist er, geduldig und von große Güte. Und wir? Wir sind doch
 sein Abbild! Bitte öffne auch du deine Arme.
 
 
Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Zeit.
 
Wilhelm Niedernolte, Sup. i. R.
Eldagsen

Andacht für die Woche vom 18. bis 24. Juni 2023 von Sup.i.R. Jürgen Flohr

Lukas 14,15 - 24

15. Einer, der mit zu Tisch saß, sprach zu Jesus: Selig ist, der das Brot isst im Reich Gottes!
16. Jesus sprach: Es war ein Mensch, der machte ein großes Abendmahl und lud viele dazu ein.
17. Und er sandte seinen Knecht aus zur Stunde des Abendmahls, den Geladenen zu sagen: Kommt, denn es ist schon bereit! 
18. Da fingen sie alle an, sich zu entschuldigen.
Der erste sprach zu ihm: Ich habe einen Acker gekauft und muss hinausgehen und ihn besehen; ich bitte dich, entschuldige mich.
19. Und ein anderer sprach: Ich habe fünf Joch Ochsen gekauft und ich gehe jetzt hin, sie zu besehen; ich bitte dich, entschuldige mich.
20. Wieder ein anderer sprach: Ich habe eine Frau geheiratet; darum kann ich nicht kommen.
21. Und der Knecht kam zurück und sagte das seinem Herrn. 
Da wurde der Hausherr zornig und sprach zu seinem Knecht: Geh schnell hinaus auf die Straßen und Gassen der Stadt und führe die Armen und Verkrüppelten und Blinden und Lahmen herein.
22. Und der Knecht sprach: Herr, es ist geschehen, was du befohlen hast; es ist aber noch Raum da.  Und der Herr sprach zu dem Knecht: Geh hinaus auf die Landstraßen und an die Zäune und nötige sie hereinzukommen, dass mein Haus voll werde.
23. Denn ich sage euch: Keiner der Männer, die eingeladen waren, wird mein Abendmahl  schmecken.
 
 
Liebe Lesende,
 
Wir lesen hier beim Evangelisten Lukas ein Gleichnis Jesu. Mit solchen Beispielgeschichten hat Jesus nicht nur eine schöne oder interessante Begebenheit erzählt, sondern er wollte damit einen bestimmten Sachverhalt deutlich und anschaulich schildern und auch eine wichtige Botschaft an die Hörerinnen und Hörer  vermitteln. 
        In diesem Gleichnis vom großen Abendmahl geht es darum, dass Jesus seine Zuhörer einladen will, in die Gemeinschaft derer zu kommen, die auf Gott vertrauen und die ihm, Jesus, nachfolgen wollen. Dazu brauchen sie nicht, wie man bis dahin  dachte, bestimmte Bedingungen zu erfüllen und auch keine besonderen Leistungen zu erbringen; sie müssen nur die Einladung Jesu annehmen. 
     Das klingt ganz einfach; es ist auch einfach, aber es hat Konsequenzen für seine Zuhörer und dann auch für mich und mein Leben, wenn ich diese Einladung Jesu annehme.  
 
Doch ehe wir dies alles bedenken, wollen wir noch etwas genauer hinschauen, was uns an der Erzählung vom großen Abendmahl auffällt. Es gibt da nämlich einige Merkwürdigkeiten. Es fällt z.B. auf, dass die zuerst Geladenen eigentlich längst über das geplante Abendmahl informiert waren. Vers 16 sagt, dass sie bereits eingeladen waren und nun kurz vorher nur daran erinnert wurden, dass jetzt alles bereit sei. 
Trotzdem sagen sie in letzter Minute ab und bringen dafür zumeist recht merkwürdige Begründungen vor: Dass sie den gekauften Acker oder die gekauften Ochsen gerade an diesem Aben sofort ansehen müssten!?  Und es fällt auf, dass anscheinend alle zuerst Eingeladenen gleichzeitig absagen - fast wie verabredet.
        Warum tun sie das? Verachten sie vielleicht insgeheim den Einladenden - und sind sich selbst genug in ihrem Reichtum und ihrer Vornehmheit? 
 
Von Jesus angesprochen sind hier wohl die Frommen und Reichen in Israel, die meinten, dass sie alles richtig machten und glaubten, nicht angewiesen zu sein auf die neue frohe Botschaft Jesu von Nazareth. Darum ging dann diese Botschaft weiter an die „geistlich Armen“, die nicht auf ihre frommen Leistungen vertrauen konnten. Das sind im Gleichnis wohl die Armen und Blinden und Lahmen der Stadt. Und mit den im dritten Anlauf eingeladenen Landstreichern von außerhalb der Stadt meint Jesus vielleicht die Heiden, denen seine frohe Botschaft am Ende auch noch gilt.
 
Das Ganze verstehe ich so, dass Jesus alle einlädt in die neue Gemeinschaft mit ihm, in seinen Glauben und in sein Vertrauen auf den Vater im Himmel: Diejenigen, die glauben, die Zweifler, die Unsicheren, die Suchenden, die Fremden, eben alle, die zu ihm kommen wollen.  Draußen vor der Tür bleiben nur die, die sich der Einladung verweigern. 
 
         Was heißt das alles dann für uns und in der heutigen Zeit?
Es bedeutet, dass Jesus und manche Christinnen und Christen in seinem Auftrag uns alle einladen, mit ihnen auf Gott zu vertrauen und die Mitmenschen  zu lieben so wie Jesus es vorgelebt hat. Es bedeutet, dass wir die Gemeinschaft derer bilden und leben können, die zu Jesus Christus gehören. Darum nennen wir uns  Christen und handeln auch im Sinne Jesu so gut wir es vermögen; z. B. in den vielfältigen Arbeitsfeldern der Diakonie. 
Und dann haben wir auch die Hoffnung, dass wir uns – im Bilde gesprochen – dereinst an Gottes großem Tisch zusammenfinden.  Vielleicht bilden wir dann auch unter uns Menschen schon hier und da Gemeinschaften, die einen Vorschein zeigen können für die Gemeinschaft in Gottes Reich. Ich denke da etwa an begeisternde Gottesdienste, an fröhliche Gemeindefeste und an die  Deutschen Evangelischen Kirchentage.
 
Jürgen Flohr

Andacht für die Woche vom 11. bis 17. Juni 2023 von Sup.i.R. Christian Klatt

Lukas 19,19-31

Das Evangelium für den 1. Sonntag nach Trinitatis ist eins der bekanntesten Gleichnisse Jesu. Es handelt, wie schon die Überschrift in unserer Lutherbibel anzeigt, von zwei Personen, die geradezu sprichwörtliche Berühmtheit erlangt haben: „Vom reichen Mann und armen Lazarus.“ 
 
Der Reiche „lebte alle Tage herrlich und in Freuden.“ Das allein ist ja eigentlich nicht verwerflich. Wir benutzen diese Redewendung ja auch, wenn wir z. B. schöne Urlaubstage verleben. Doch dieser Reiche schien selbstzufrieden in regelrechtem Luxus zu schwelgen: Er „kleidete sich in Purpur und kostbares Leinen.“ Der nächste Satz beginnt jedenfalls mit einem deutlichen „Aber“: „Ein Armer aber mit Namen Lazarus lag vor seiner Tür.“ Er ist nicht nur arm, sondern auch von Geschwüren entstellt und so hungrig, dass er, wie die Hunde, die ihn bedrängen, schon mit dem zufrieden wäre, „was von des Reichen Tisch fiel.“ 
 
Die fett gedruckten Zitate, die in unseren Sprachgebrauch eingegangen sind, machen deutlich, dass Jesus mit diesem Gleichnis etwas schildert, was die Zustände in unserer globalen Welt bis heute bestimmt: nicht nur die zum Himmel schreiende Kluft zwischen Reich und Arm, sondern auch die gedankenlose Selbstzufriedenheit auf der einen und das Elend auf der anderen Seite, oft nur ein paar Schritte voneinander entfernt!
 
Nach dem Tod der Beiden aber, so geht die Geschichte weiter, kehren sich die Verhältnisse um. Der Reiche muß „Höllenqualen“ leiden, Lazarus hingegen wird „von den Engeln in Abrahams Schoß getragen.“ Das könnte man als ausgleichende Gerechtigkeit bezeichnen, den einen zur Warnung, den anderen zum Trost. In diesem Sinne wurde diese Geschichte so ähnlich auch im alten Ägypten und im Judentum erzählt. Das biblische Gleichnis aber will auf etwas Anderes hinaus. Zunächst hat der in der Hölle schmachtende Reiche den absurden Wunsch, dass Lazarus ihm mit einem Tropfen Wasser ein wenig Linderung verschaffe. Dann aber äußert er die dringende Bitte, Lazarus möge doch seinen fünf noch lebenden Brüdern erscheinen und sie warnen, damit sie nicht auch mal „an diesem Ort der Qual“ landen.
 
Doch auch diese Bitte wird ihm abgeschlagen. Denn spektakuläre Wunder aus dem Jenseits sind nicht nötig und bewirken letzten Endes gar nichts. „Sie haben Mose und die Propheten; die sollen sie hören“, lässt Jesus in seinem Gleichnis den Abraham sagen. Mose und die Propheten – damit sind die Worte der Heiligen Schrift gemeint, aus denen der gute Wille Gottes, der dem Leben dient, klar hervorgeht. „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott“, lesen wir beispielsweise beim Propheten Micha (6, 8). Demut und Bescheidenheit anstelle von Luxus und Maßlosigkeit, Solidarität und Nächstenliebe anstelle von satter Selbstzufriedenheit – das ist das Gebot der Stunde, nicht nur damals, als der Reiche mal das Elend vor seiner Haustür hätte wahrnehmen sollen. Sondern es betrifft uns auch heute, da so viele Menschen um uns herum und weltweit auf Hilfe und Gerechtigkeit warten. „Vom reichen Mann und armen Lazarus“ – eine alte Geschichte, die für unsere Gegenwart nichts an Aktualität eingebüßt hat.
 
Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag und eine gute neue Woche.
Christian Klatt

Andacht für die Woche vom 04. bis 10. Juni 2023 von Pfr.i.R. Jürgen-Peter Lesch

Johannes 3,1-8

Unter den Pharisäern gab es einen, der Nikodemus hieß. Er war einer der führenden Männer des jüdischen Volkes. Eines Nachts ging er zu Jesus und sagte zu ihm: »Rabbi, wir wissen: Du bist ein Lehrer, den Gott uns geschickt hat .Denn keiner kann solche Zeichen tun, wie du sie vollbringst, wenn Gott nicht mit ihm ist.« Jesus antwortete: »Amen, amen, das sage ich dir: Nur wenn jemand neu geboren wird, kann er das Reich Gottes sehen.« Darauf sagte Nikodemus zu ihm: »Wie kann denn ein Mensch geboren werden, der schon alt ist? Man kann doch nicht in den Mutterleib zurückkehren und ein zweites Mal geboren werden!« Jesus antwortete: »Amen, amen, das sage ich dir: Nur wenn jemand aus Wasser und Geist geboren wird, kann er in das Reich Gottes hineinkommen. Was von Menschen geboren wird, ist ein Menschenkind. Was vom Geist geboren wird, ist ein Kind des Geistes. Wundere dich also nicht, dass ich dir gesagt habe: ›Ihr müsst von oben her neu geboren werden.‹ Auch der Wind weht, wo er will. Du hörst sein Rauschen. Aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er geht. Genauso ist es mit jedem, der vom Geist geboren wird.«

BasisBibel 2021

Liebe Leserin, lieber Leser,

am 1. Juni erhielt ich eine neue Version meiner Office-Software. Im Text dazu hieß es: „Soeben ist eine neue Betaversion erschienen, und in dieser ist die Künstliche Intelligenz von ChatGPT eingebaut“. Dies zusammen mit dem Text aus dem Sonntagsevangelium „… der Wind weht, wo er will“ nehme ich zum Anlass, Ihnen zwei Texte zu senden, die ChatGPT als Andacht für den Text Joh 3,1-8 formuliert hat. Die Vorgabe an die Software war lediglich ein Auszug aus dem Bibeltext:

„Jesus antwortete: »Amen, amen, das sage ich dir: Nur wenn jemand aus Wasser und Geist geboren wird, kann er in das Reich Gottes hineinkommen. Was von Menschen geboren wird, ist ein Menschenkind. Was vom Geist geboren wird, ist ein Kind des Geistes.“

Mit dieser Vorgabe wurde folgender Auftrag an ChatGPT gegeben: „Schreibe eine Andacht zu Joh 3,1-8 mit dem Textstil „professionell“.

Und das ist das Ergebnis:
„In Johannes 3,1-8 lesen wir von einem Gespräch zwischen Jesus und Nikodemus, einem Pharisäer und Mitglied des jüdischen Rats. Nikodemus kommt nachts zu Jesus und sagt ihm, dass er glaubt, dass Gott mit ihm ist, weil er die Wunder sieht, die Jesus tut. Jesus antwortet ihm jedoch, dass niemand das Reich Gottes sehen kann, es sei denn, er wird von neuem geboren.
Diese Aussage von Jesus ist von großer Bedeutung für uns als Christen. Jesus erklärt, dass der Eintritt in das Reich Gottes nicht durch menschliche Anstrengung oder Verdienste erreicht werden kann, sondern nur durch eine neue Geburt, die von Wasser und Geist kommt. Das bedeutet, dass es nicht ausreicht, nur äußerlich religiös zu sein oder gute Werke zu tun, um gerettet zu werden. Stattdessen müssen wir ein neues Leben durch den Glauben an Jesus Christus empfangen.
Jesus macht deutlich, dass es bei dieser neuen Geburt nicht um eine physische Wiedergeburt geht, sondern um eine geistliche. Es geht darum, dass wir unser altes Leben hinter uns lassen und ein neues Leben im Geist führen. Durch den Glauben an Jesus Christus werden wir zu Kindern Gottes und erhalten das ewige Leben.
Diese Worte von Jesus sind auch eine Erinnerung daran, dass wir uns nicht auf unsere eigene Kraft oder unser eigenes Wissen verlassen sollten, um das Reich Gottes zu erreichen. Stattdessen müssen wir uns auf den Heiligen Geist verlassen, der uns leitet und uns die Kraft gibt, ein Leben im Einklang mit Gottes Willen zu führen.
Insgesamt erinnert uns Johannes 3,1-8 daran, dass unser Glaube an Jesus Christus und die neue Geburt durch den Heiligen Geist der Schlüssel zur Rettung und zum Eintritt in das Reich Gottes ist. Wir sollten uns bemühen, unser altes Leben hinter uns zu lassen und ein neues Leben im Geist zu führen, indem wir uns auf Gottes Führung und Kraft verlassen.“

Ein weiterer Auftrag an ChatGPT war: Schreibe eine Andacht zu Joh 3,1-8 mit dem Textstil „informativ“. 

Das Ergebnis sehen Sie hier:
„In Johannes 3,1-8 wird von einem Gespräch zwischen Jesus und Nikodemus berichtet. Nikodemus war ein Pharisäer und Mitglied des Hohen Rates. Er kam zu Jesus, um mit ihm zu sprechen und ihm zu sagen, dass er glaube, dass Jesus von Gott gesandt sei. Jesus antwortete ihm mit den Worten: "Amen, amen, das sage ich dir: Nur wenn jemand aus Wasser und Geist geboren wird, kann er in das Reich Gottes hineinkommen."
Was bedeutet diese Aussage von Jesus? Sie bezieht sich auf die Notwendigkeit der Wiedergeburt, um in das Reich Gottes zu gelangen. Jesus sagt, dass es nicht ausreicht, nur als Mensch geboren zu werden, sondern dass man auch aus dem Geist geboren werden muss. Das bedeutet, dass man sich von seinem bisherigen Leben abwenden und sich auf Gott ausrichten muss.
Die Wiedergeburt ist ein zentraler Begriff im christlichen Glauben. Sie bedeutet, dass man durch den Glauben an Jesus Christus ein neues Leben beginnt. Man wird von seinen Sünden befreit und erhält eine neue Identität als Kind Gottes. Dieser Prozess findet statt, wenn man sich bewusst für Jesus Christus entscheidet und ihn als seinen Herrn annimmt.
Die Wiedergeburt ist also ein geistlicher Prozess, der von Gott ausgeht. Es ist nicht etwas, das man aus eigener Kraft erreichen kann, sondern es ist ein Geschenk Gottes, das man durch den Glauben annehmen kann. Es geht darum, dass man sich von seinem bisherigen Leben abwendet und sich auf Gott ausrichtet.
In Johannes 3,1-8 spricht Jesus auch von der Bedeutung des Wassers. Das Wasser steht hier symbolisch für die Reinigung von Sünden. Es ist ein Zeichen dafür, dass man sich von seinen Sünden abgewendet hat und bereit ist, ein neues Leben zu beginnen.
Die Wiedergeburt ist also ein Prozess, der aus zwei Elementen besteht: Wasser und Geist. Das Wasser symbolisiert die Reinigung von Sünden, während der Geist für die Verbindung mit Gott steht. Nur wenn man diese beiden Elemente in seinem Leben hat, kann man in das Reich Gottes eintreten.
In der heutigen Zeit ist die Bedeutung der Wiedergeburt oft in Vergessenheit geraten. Viele Menschen glauben, dass sie durch gute Werke oder moralisches Verhalten gerettet werden können. Doch die Bibel lehrt uns, dass es nur durch den Glauben an Jesus Christus und die Wiedergeburt möglich ist, in das Reich Gottes einzutreten.
Deshalb sollten wir uns immer wieder daran erinnern, dass die Wiedergeburt ein zentraler Bestandteil unseres Glaubens ist. Wir sollten uns bewusst dafür entscheiden, Jesus Christus als unseren Herrn anzunehmen und unser Leben auf ihn auszurichten. Nur so können wir ein Leben in Fülle und Freiheit führen und uns auf das ewige Leben im Reich Gottes freuen.“

Liebe Leserin, lieber Leser,

was sagen Sie zu diesen beiden „Andachten“. Es ist schon erstaunlich, wie viele Gedanken aus meiner knappen Vorgabe entwickelt worden sind. Finden Sie, das ist für eine Andacht völlig ausreichend, oder hätten Sie doch lieber einen Text, den ein Mensch formuliert und in den seine persönlichen Gedanken einfließen? Wenn Sie wollen, schreiben Sie mir, was Sie darüber denken. Mein „Postfach“ ist: peter.lesch@septuaginta.info. Allerdings bin ich vom 3. bis 10. Juni 2023 im Urlaub und kann erst danach Ihre Nachricht lesen.

Zunächst wünsche ich Ihnen ein frohes und sonniges Trinitatisfest.

Jürgen-Peter Lesch

Andacht für die Woche vom 28. Mai bis 03. Juni 2023 von Sup.i.R. Wilhelm Niedernolte

Johannes 14,15-19+23-27

Christus sprach zu seinen Jüngern: Liebt ihr mich, so werdet ihr meine Gebote halten.
Und ich will den Vater bitten und er wird euch einen anderen Tröster geben,
dass er bei euch sei in Ewigkeit:
 den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann,
denn sie sieht ihn nicht und kennt ihn nicht.
Ihr kennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein.
Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen; ich komme zu euch.
Es ist noch eine kleine Zeit, dann sieht die Welt mich nicht mehr.
Ihr aber seht mich, denn ich lebe und ihr sollt auch leben.
 
Wer mich liebt, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn  lieben,
und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen.
Wer aber mich nicht liebt, der hält meine Worte nicht.
Und das Wort, das ihr hört, ist nicht mein Wort,
sondern das des Vaters, der mich gesandt hat.
Das habe ich zu euch geredet, solange ich bei euch gewesen bin.
Aber der Tröster, der Heilige Geist, den mein Vater senden wird in meinem Namen,
der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.
Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. 
Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt.
Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.
 
 
Liebe Lesende,
 
Jesus Christus spricht in diesen Versen aus dem Johannes-Evangelium seine Jünger an;
und zu denen wollen doch vielleicht auch wir gehören als Christinnen und Christen, als späte Nachfolgerinnen und Nachfolger Jesu. Also beziehen wir jene Zusagen und Aufforderungen jetzt einmal auch auf uns selber!
        Da heißt es am Anfang  „Liebt ihr mich, so weret ihr meine Gebote halten.“ Wie würden wir antworten, wenn man uns fragte: Liebst du Jesus? Viele von uns würden da wohl zögern und vielleicht sagen: Liebe ist ein großes Wort. So gut kenne ich Jesus ja gar nicht, dass ich ihn lieben könnte, und er hat doch vor sehr langer Zeit gelebt. Er war wohl ein eindrucksvoller Gottesmann und Glaubenslehrer von hoher Moral. Deshalb finde ich ihn auch wichtig und womöglich verehrungswürdig, aber um von Liebe zu sprechen, ist er zu weit weg von mir. 
        Andererseits gibt es auch Menschen, die ganz ernsthaft eine persönliche Beziehung zu Jesus pflegen und ihn tatsächlich als ihr Vorbild und sogar als ihren Bruder und Herrn bezeichnen. Martin Luther war so ein Mensch und auch Dietrich Bonhoeffer, und es gibt auch heute Männer und Frauen, die das bekennen. Deshalb sind auch Du und ich gefragt, wie wir es mit diesem Jesus halten, von dem der Evangelist Johhannes behauptet, dass er lebt und Leben schenkt.
        Außerdem verspricht Jesus seinen Jüngern in unseren Versen zweimal, dass er sie nicht „als Waisen zurücklassen will“; sondern er will ihnen einen Tröster geben, den Heiligen Geist, der die Jünger alles lehren wird. Dieser Geist soll also die Jünger und nach ihnen auch uns Christen erfüllen und beleben und uns an Jesu Botschaft erinnern, und er soll bei uns bleiben und in uns wirken.
        Deshalb gibt es Christinnen und Christen, die vom Wirken dieses göttlichen Geistes in ihrem Leben erzählen, wie z.B. aus der Geschichte der Kirche Franz von Assisi oder Paul Gerhard, aber auch ganz normale heutige Menschen in unserer Ortsgemeinde oder anderswo in der weiten Welt werden von diesem Geist bewegt.  Denn Gottes  Geist weht, wo er will und stiftet z.B. Frieden zwischen Gegnern, den wir heute besonders nötig brauchen.
 
Dazu gehört dann allerdings auch, dass wir und möglichst viele andere Menschen uns nun auch an die Gebote Jesu halten, etwa an das Gebot, dass wir unseren Nächsten lieben sollen wie uns selbst. Daran aber hat es in der Geschichte der Menschheit seit Jesu Zeit immer wieder gefehlt und fehlt es auch heute sehr, wie wir alle genau wissen. Und das ist schlimm; denn ohne ein gutes Miteinander gibt es immer wieder Zank und Streit bis hin zum Krieg, wie es uns die jüngste Vergangenheit schaurig lehrt. 
        Darum wollen wir auf das Wort Jesu bei Johannes hören und seinen Regeln folgen, so gut wir es vermögen und wollen darauf hoffen und damit rechnen, dass auch uns der heilige Geist Gottes erreichen und uns beistehen kann in unserem alltäglichen Leben und vor allem bei wichtigen Entscheidungen. 
        Dieser Geist verbindet uns mit Gott und mit Christus.  Er kann uns mit seinem Trost helfen gegen die eigene Unsicherheit und gegen die verbreiteten Ängste unserer Tage wie z.B. die Angst vor Einsamkeit. Er kann uns den inneren Frieden geben, den wir so nötig brauchen und vielleicht auch zum Frieden zwischen verschiedenen Menschen und Völkern beitragen, den wir gerade so schmerzlich vermissen.
        Hoffen und vertrauen wir also darauf, dass Gottes Geist auch heute und hier wirken, uns trösten und uns helfen kann, das Richtige zu tun!

Andacht für die Woche vom 21. bis 27. Mai 2023 von Sup.i.R. Wilhelm Niedernolte

Liebe Leserin, lieber Leser,

Sie sind es gewohnt, an dieser Stelle das Evangelium des kommenden Sonntags zu lesen und ausgelegt zu bekommen. Da dies ein Text aus dem Johannesevangelium ist, von dem wir in der Vergangenheit bereits häufig gelesen haben, weichen wir in dieser Woche auf eine Geschichte aus dem Alten Testament aus. Diese Geschichte geht so:

Vor ca. 3000 Jahren lebte im Gebirge Ephraim ein Mann Namens Elkana, der hatte 2 Frauen, Peninna und Hanna. Peninna hatte Kinder, Hanna nicht. Hanna litt sehr unter ihrer ungewollten Kinderlosigkeit, Peninna machte ihr das Leben schwer, wo sie nur konnte. Und obwohl ihr Mann ihr immer wieder beteuerte, dass es ihm nichts ausmachte, zerbrach Hanna fast unter dieser Last. In Silo stand seit Josua die Stifshütte und hier war auch der Mittelpunkt des israelitischen Gottesdienstes zu der Zeit. Dort fanden alle religiösen Feste ( Pfingsten, Passah, Laubhüttenfest) statt. Und in dieser Stiftshütte war Eli damals Priester.

 In Silo opferte auch die Familie Elkanas jedes Jahr, wie Gott es seinem Volk geboten hatte. Hanna nahm dieses Ereignis jedes Mal sehr mit. Sie betete zu Gott und gab ihm ein Versprechen: Eli, der Priester, bekam Wind von der Sache und versprach Hanna, dass Gott sich ihrer Sache annehmen würde.Und tatsächlich—Hanna bekam einen Sohn und nannte ihn Samuel: Von Gott erbeten.Und als Hanna Samuel nicht mehr stillte, oder, wie es in der Bibel steht, als sie ihn entwöhnt hatte, brachte sie ihn nach Silo zu Eli, dem Priester, damit Samuel in der Stiftshütte Gott diente wie es Hanna in ihrem Gelübde Gott versprochen hatte.Und dann passierte das, was wir im 3. Kapitel des 1. Samuelbuches lesen:

Und zu der Zeit, als der Knabe Samuel dem Herrn diente unter Eli, war des Herrn Wort selten, und es gab kaum noch Offenbarung. Und es begab sich zur selben Zeit, dass Eli lag an seinem Ort, und seine Augen fingen an, schwach zu werden, sodass er nicht mehr sehen konnte. 
 Die Lampe Gottes war noch nicht verloschen. Und Samuel hatte sich gelegt im Tempel des Herrn, wo die Lade Gottes war. Und der Herr rief Samuel. Er aber antwortete: Siehe, hier bin ich!, und lief zu Eli und sprach: Siehe, hier bin ich! Du hast mich gerufen. Er aber sprach: Ich habe nicht gerufen; geh wieder hin und lege dich schlafen. Und er ging hin und legte sich schlafen. Der Herr rief abermals: Samuel! Und Samuel stand auf und ging zu Eli und sprach: Siehe, hier bin ich! Du hast mich gerufen. Er aber sprach: Ich habe nicht gerufen, mein Sohn; geh wieder hin und lege dich schlafen. Aber Samuel kannte den Herrn noch nicht, und des Herrn Wort war ihm noch nicht offenbart. Und der Herr rief Samuel wieder, zum dritten Mal. Und er stand auf und ging zu Eli und sprach: Siehe, hier bin ich! Du hast mich gerufen. Da merkte Eli, dass der Herr den Knaben rief. Und Eli sprach zu Samuel: Geh wieder hin und lege dich schlafen; und wenn du gerufen wirst, so sprich: Rede, Herr, denn dein Knecht hört. Samuel ging hin und legte sich an seinen Ort. Da kam der Herr und trat herzu und rief wie vorher: Samuel, Samuel! Und Samuel sprach: Rede, denn dein Knecht hört.

Liebe Gemeinde, die Geschichte beginnt mit den Worten: Und zu der Zeit, als der Knabe Samuel dem Herrn diente unter Eli, war des Herrn Wort selten und es gab kaum noch Offenbarung. Gottes Wort war selten. Warum war es selten? Redete Gott nicht mehr mit seinem Volk? Wollte das Volk Gottes Wort nicht gören, weil es mit anderen Dingen beschäftigt war? Wie ist es bei uns heute? Ist Gottes Wort selten unter uns? Keineswegs! Jeden Sonntag und an allen Feiertagen gibt es Gottesdienste in fast jeder Gemeinde, wo Menschen den Zuspruch und den Anspruch Gottes hören können, das, was Gott ihnen geben will und was er von ihnen erwartet. Dreimal am Tag läuten die Glocken vom Kirchturm: Morgens um 8 Uhr, mittags um 12 Uhr, abends um 18 Uhr, eine Gelegenheit, um inne zu halten, den Tagesablauf zu unterbrechen, und eine akustische Erinnerung daran, dass wir nicht die Herren der Welt und Herren der Zeit sind, sondern der, der Welt und Zeit geschaffen hat. Gottes Wort ist nicht selten unter uns. Von Montag bis Freitag gibt es beim NDR Radio Niedersachsen um 9.45 eine Morgenandacht. In unserer Neuen Deisterzeitung können wir an jedem Samstag einen geistlichen Impuls lesen, den ein Ehepaar im Wechsel verfasst. Also Gottes Wort ist nicht selten bei uns. Man mag darüber klagen, dass zu wenige Menschen den Gottesdienst besuchen, zu wenige Radiohörer /innen die Morgenandacht hören, aber das Angebot des Wortes Gottes ist durchaus vorhanden, sein Anspruch und Zuspruch an uns kann auf vielfältige Weise gehört werden.

Das war offensichtlich zur Zeit des Hohepriesters Eli und des Knaben Samuel selten. Immerhin lesen wir auch: Die Lampe Gottes war noch nicht verloschen. Gemeint war damit zunächst der siebenarmige Leuchter, der die ganze Nacht hindurch brannte. Gemeint ist damit aber auch, dass der Glaube an Gott noch nicht völlig erloschen war, sondern dass es immer immer noch ein kleines Flämmchen gab.  Ist das unsere Situation heute? Die  Kirche, die darauf wartet, dass Gott eine große Erweckung schenkt, die alle Menschen erleuchtet, die Frieden und Wohlstand für alle Menschen bringt und eine gerechte Weltwirtschaftsordnung?

Gott  war allerdings mit diesem Zustand in seinem Volk nicht zufrieden, denn er hatte Großes mit seinem Volk vor. Sie sollten dauerhaft in ihrem gelobten Land leben, im Frieden und im Wohlstand, im Vertrauen auf und im Gehorsam gegen Gott. Und Samuel sollte die ersten Schritte auf diesem Weg einleiten. Aber dazu musste Gott mit Samuel erst einmal in Kontakt kommen, ihn für die ihm zugedachte Aufgabe berufen. Es folgt der dreimalige Ruf Gottes an Samuel, der den zunächst für den Ruf  Elis hält, bis Eli ihn auf die richtige Spur setzt, dass nämlich Gott selbst am Werk ist. Darum soll er sagen: Rede, Herr, denn dein Knecht hört.

Manchmal redet Gott zu uns Menschen durch unser Gewissen. Andere hören Gott und spüren seine Nähe, wenn sie in der Natur sind. Manchmal hören sie auch Gott, wenn sie mit geliebten Menschen zusammen sind, oder wenn sie Musik hören oder wenn sie einen Gottesdienst feiern oder in einem kleinen Erlebnis im Alltag.  Wie auch immer – wichtig ist in jedem Fall ihre Antwort: Rede, Herr, denn dein Knecht hört.

Wir Christen hören Gottes Wort durch Jesus Christus. Durch ihn hat Gott zu uns Menschen gesprochen. Gott hat durch ihn geredet. Nun ist es an uns, auf sein Wort zu hören. Unsere verlässlichste und verbindlichste Quelle für das Wort Gottes ist die Bibel. Ist die Bibel Gottes Wort? Ja und nein. Genauer muss man sagen: Die Bibel enthält Gottes Wort. Menschen haben mündlich und schriftlich festgehalten, wie und was Gott zu ihnen geredet hat. Die Bibel ist Gottes Wort im Menschenwort. Die Worte der Menschen in damaliger Zeit erscheinen uns manchmal befremdlich und für unsere heutigen Ohren nicht akzeptabel. Aber Gott, der die Menschen auch heute ansprechen will, kommt doch darin zu Wort. Die Kunst ist, Gottes Wort von Menschenworten zu unterscheiden. Unser Glaube fordert nicht, dass wir auch die unwahrscheinlichsten Dinge für wahrscheinlich halten. Sondern unser Glaube bedeutet, dass wir auf Gottes Stimme hören, auch und gerade in der Geräuschkulisse, die uns ständig umgibt. Darum beten auch wir wie Samuel: Rede, Herr, denn dein Knecht hört. Amen

 
Bleiben Sie behütet

Ihr

Wilhelm Niedernolte, Sup. i.R. Eldagsen

Andacht für die Woche vom 14. bis 20. Mai 2023 von P.i.R. Eckhard Lukow

Lukas 11,5-13: Der bittende Freund
 Und Jesus sprach zu ihnen: Wer unter euch hat einen Freund und ginge zu ihm um Mitternacht und spräche zu ihm: ‚Lieber Freund, leih mir drei Brote; denn mein Freund
 ist zu mir gekommen auf der Reise, und ich habe nichts, was ich ihm vorsetzen kann,‘
 und der drinnen würde antworten und sprechen: ‘Mach mir keine Unruhe! Die Tür ist schon zugeschlossen und meine Kinder und ich liegen schon zu Bett; ich kann nicht aufstehen
 und dir etwas geben. ‘Ich sage euch: ‚Und wenn er schon nicht aufsteht und ihm etwas gibt,
 weil er sein Freund ist, so wird er doch wegen seines unverschämten Drängens aufstehen und ihm geben, so viel er bedarf.
 Und ich sage euch auch: Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet;
 und wer da anklopft, dem wird aufgetan.
 Wo bittet unter euch ein Sohn den Vater um einen Fisch, und der gibt ihm statt des Fisches eine Schlange? Oder gibt ihm, wenn er um ein Ei bittet, einen Skorpion? Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben zu geben wisst, wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist geben denen, die ihn bitten!

Liebe Leserin, lieber Leser,
 Welch eine wunderbare Beispielgeschichte über das Beten erzählt Jesus und welch eine wunderbare Beispielgeschichte wird am „Sonntag des Gebets“ in der Kirche vorgelesen!
 Jeder und jede kann sie verstehen und jeder und jeder wird er ermutigt, im Gebet etwas zu sehen, was für alle Fälle da ist. Der Betenden und dem Betenden schlägt keine Stunde.
     Mich bringt diese Beispielgeschichte des bittenden Freundes erst einmal zum Schmunzeln über mich selbst. Mir würde es genauso wie dem bittenden Freund gehen! Wenn spontan jemand zu Besuch käme und meine Frau dann auch nicht da wäre, wäre meine Freude über den Besuch gewiss groß, aber genauso auch die Verlegenheit, was die Verköstigung angeht. Ich beherrsche in Küchenangelegenheit nur das kleine Einmaleins und wäre bei unerwartetem Besuch lieber Menschen auf fremde Hilfe sehr angewiesen. Ich bin ganz bei dem bittenden Freund. Jesus spricht von ihm, um uns zum Beten in allen Fällen einzuladen
 und von dem Vorgehen des bittenden Freundes zu lernen.
     In mir löst diese Beispielgeschichte Erinnerungen an Menschen aus, die mir Mut zum Beten gemacht haben. Vielleicht geht auch Ihnen so. Wer hat Sie auf dem Weg in das Geheimnis des Gebetes begleitet? Mir fällt das Abendgebet in meinen Kindertagen ein.
 Meistens hat mich mein Vater ins Bett gebracht. Zum allabendlichen Ritus hat das gemeinsame Gebet gehört. Als ich konfirmiert worden bin, hat mich mein Vater
 am Tage der Konfirmation gefragt, ob ich abends noch bete. Ihm war es wichtig,
 dass ich für ihn und für die ganze Familie bete. Es war ihm genauso wichtig mir zu sagen,
 dass er für mich betet. Und diese Verbundenheit im Gebet war ihm immer noch wichtig,
 als ich schon längst im pastoralen Dienst war - und er immer, wenn es möglich war,
 den Gottesdienst mitgefeiert hat. Als sich viel später gezeigt hat, dass die Lebenszeit meines Vaters befristet ist, da haben wir natürlich unser Miteinander im Gebet weitergepflegt und als Wegbegleitung immer wieder unser Gesangbuch genutzt.
     Bei mir löst diese Geschichte auch weitere Überlegung aus. Ich muss an die Menschen denken, die den Zugang zu Gebet verloren haben oder nie bekommen haben. Das sind viele Menschen. Die Gründe dafür liegen natürlich auf der Hand. Unsere Gesellschaft formt
 einen bestimmten Typ vom Menschen. Der moderne Mensch muss ein aktiver Mensch sein.
 Ist er aktiv, sportlich und erfolgreich, erfreut er sich der Anerkennung in Gesellschaft, am Arbeitsplatz und in der Familie. Da wird dann leicht vergessen, dass unsere Kräfte nur begrenzt sind und wir Gefahr laufen, uns ganz und gar auszuzehren. Aber diese Gefahr
 wird in der Gesellschaft verdrängt. Die Menschen, die dieser Gefahr erlegen sind, sind dann oft sich selbst überlassen. Außerdem ist unser heutiger Aktivismus immer auch mit dem Risko verbunden, die spirituellen Bedürfnisse aus dem Blick zu verlieren und damit die Quellen des geistlichen Glücks versiegen zu lassen.
     Wie gut, dass wir als Kirche den Sonntag des Gebets anbieten können und feiern können.
 Das Gebet wird heute immer noch praktiziert. Auf ihm liegt ein besonderer Segen. Es geht nicht darum, dass unsere Wünsche erfüllt werden. Es geht darum, dass unsere Sehnsucht nach Gott nicht unerfüllt bleibt. Ohne Gebet wird Gott leicht zu einer bloßen Worthülse
 und zu einer leeren Vokabel. Aber das Gebet „heilt“ solche Erfahrungen. Aus der Vokabel „Gott“ wird eine Erfahrung von Liebe besonderer Art. Und eine zweite Erfahrung wird früher oder später möglich: dass Gott uns in dieser Welt braucht, damit wir zu einem solidarischen Leben beitragen. Entdecken wir durch den Sonntag Rogate und durch die entsprechenden Worte aus der Heiligen Schrift, dass Gott auch in dieser aufgewühlten Zeit für uns komplizierte Menschen nur ein Gebet weit entfernt ist. Die jüdische Lyrikern Nelly Sachs
 hat über das Gebet etwas gesagt, was auch für Christen gilt: Die Klagemauer -im Blitz eines Gebetes stürzt sie zusammen. Gott ist ein Gebet weit von uns entfernt.

Ihnen, liebe Leserin und lieber Leser, wünsche ich, dass Ihr Gebet nicht verstummt,
sondern sie weiterträgt in der Liebe Gottes - an Tagen die Ihnen gefallen genauso wie an Tagen, die Ihnen nicht gefallen.
Ihr Eckhard Lukow

Andacht für die Woche vom 07. bis 13. Mai 2023 von Pfr.i.R. Jürgen-Peter Lesch

Evangelium des Sonntags Kantate: Lukas 19,37-40

„Als Jesus schon nahe am Abhang des Ölbergs war, fing die ganze Menge der Jünger an, mit Freuden Gott zu loben mit lauter Stimme über alle Taten, die sie gesehen hatten, und sprachen: Gelobt sei, der da kommt, der König, in dem Namen des Herrn! Friede sei im Himmel und Ehre in der Höhe!
 Und einige von den Pharisäern in der Menge sprachen zu ihm: Meister, weise doch deine Jünger zurecht! Er antwortete und sprach: Ich sage euch: Wenn diese schweigen werden, so werden die Steine schreien.“


Liebe Leserin, lieber Leser,

nein, es war keine Gold State Coach (goldene Staatskutsche), in der Jesus vom Ölberg herab durchs Kidrontal nach Jerusalem zog. Er saß schlicht auf einem Eselsfohlen. Und er wurde auf seinem Weg auch nicht von mehr als 4.000 Soldaten aus dem Vereinigten Königreich und dem gesamten Commonwealth und 19 Kapellen und Fahnenträgern begleitet. Schon gar nicht waren Mitglieder der Blues and Royals und Life Guards of the Household Cavalry, der King's Troop Royal Horse Artillery und der Irish Guards mit ihrem Maskottchen Seamus, dem Irischen Wolfshund, dabei.

Lukas schildert in seinem Evangelium den Einzug von Jesus hinein nach Jerusalem sehr schlicht. Da gibt es zwar eine Menschenmenge, doch die schaut wohl schweigend zu, wie da einer auf einem Eselsfohlen reitet. Nur die Jüngerinnen und Jünger von Jesus erheben ihre Stimme und loben Gott. In ihrem Gesang steht das Gotteslob an erster Stelle. Es sind Lob und Dank für all das, was Jesus in der Vollmacht seines Vaters getan hat: Er hat sich zu den Menschen gewendet und nicht weggeschaut, wenn sie sich vor ihm verbergen oder andere sie von Jesus fernhalten wollten. Jesus hat Kranke geheilt, Menschen aus ihren Ängsten und Zwängen befreit und Tote auferweckt. Die Jüngerinnen und Jünger haben gelernt, dass Jesus dies nicht aus eigener Kraft getan hat, sondern in der Vollmacht Gottes, der ihn gesandt hatte. Sie loben Gott für die Taten Jesu, weil Gottes Macht hinter all dem steht. Am Ende hängt alles von Gott, seinem Tun und Lassen, ab. 

Diese Einsicht kann uns einerseits bescheidener machen. So wie es Luther in seinem Lied sagt: „Mit unserer Macht ist nichts getan, wir sind gar bald verloren“. Sie kann uns andererseits zuversichtlicher machen. Wieder wie es Luther sagt: „Es streit‘ für uns der rechte Mann, den Gott hat selbst erkoren“. Wir sind nicht allein, wie stehen nicht allein, wie müssen nicht alles bewirken, es liegt nicht alles auf unseren Schultern. Das ist kein Grund, die Hände in den Schoß zu legen. Vielmehr es dies ein Auftrag, das zu tun, was wir tun können; nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Vielleicht gingen dem Mann in der goldenen Kutsche am Samstag ähnliche Gedanken durch den Kopf. Wie soll ich das alles schaffen? Werde ich das Richtige tun? Werde ich das Falsche lassen? Wo soll ich anfangen und wo darf ich aufhören? Vielleicht gaben ihm dann die Worte Zuversicht, die er hören durfte „God save the King“ – „Gott schütze und bewahre den König“! Möglicherweise wurde die zweite Strophe gesungen: „O Herr, unser Gott, steh ihm bei … auf Dich setzen wir unsere Hoffnungen!“

Nach dem Gotteslob nehmen die Jüngerinnen und Jünger den Friedensgruß auf, den die Menge der himmlischen Heerscharen bei der Verkündung der Geburt Jesu den Hirten zugerufen hatte. Wie die Engel vom Himmel riefen: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden“, so stimmen nun die Jüngerinnen und Jünger in diesen Lobpreis ein und geben den Friedensgruß an den Himmel zurück: „Friede sei im Himmel und Ehre in der Höhe“. Der über den Erdkreis ausgerufene Friede, den Jesus als der Messias und Retter gebracht hat, ist in seinen großen und mächtigen Taten spürbar und erfahrbar geworden. Jesus, der König, kommt im Namen des Herrn. Die Jüngerinnen und Jünger nehmen Worte aus dem Psalm 118 auf: „Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!“ Wir kennen diese Worte, doch ihre Bedeutung bleibt oft unsicher. Sie wird klarer, wenn wir uns an eine Geschichte aus dem Alten Testament erinnern. Es ist die Erzählung vom Kampf Davids gegen Goliath. Der lästert laut über David. Doch der antwortet: „Du kommst zu mir mit Schwert, Spieß und Sichelschwert, ich aber komme zu dir im Namen des Herrn Zebaoth!“ Was diese Waffenungleichheit bedeutet, muss Goliath schmerzlich erfahren. Schwert, Spieß und Sichelschwert nützen ihm nichts. Der Kampf wird nicht durch Gewalt entschieden. Heißt das nicht auch: Frieden ist mehr als das Schweigen der Waffen? Zum Frieden gehört wohl auch die Rückbesinnung darauf, dass wir Geschöpfe eines Schöpfers sind, der uns dazu berufen hat, einander zu helfen und zu dienen.

Am Ende des Evangeliumtextes fordern Pharisäer aus der Menschenmenge heraus Jesus auf, seine Leute zurechtzuweisen. Der Lobgesang auf diesen König auf einem Eselsfohlen ist ihnen nicht recht. Denn ein solcher König stellt die Legitimation aller Herrscher in Frage. Doch Jesus macht ihnen sehr deutlich, dass der Jubel der Jüngerinnen und Jünger nicht aufhören wird. Selbst wenn er sie dazu bringen würde zu schweigen, würde der Lobgesang nicht enden. Selbst wenn alle Menschen aufhören würden, Gott zu loben, würde die Schöpfung weiterhin von seiner Ehre singen. Selbst die Steine, die unbelebte Natur, würden dann noch den Jubel herausschreien. Der Lobgesang beim Einzug von Jesus in Jerusalem wird nicht enden – auch wenn er den Zuschauenden auf die Nerven geht. So soll auch unser Lobgesang nicht enden – weil die Gute Nachricht über Gottes Wirken in und durch Jesus Christus kein Ende hat, sondern jeden Morgen neu ist.

Ihnen, liebe Leserin und lieber Leser, wünsche ich, dass Ihr Gesang nicht verstummt, sondern sie weiterträgt in der Liebe Gottes – an Feiertagen ebenso wie im Alltag.

Ihr Jürgen-Peter Lesch

Andacht für die Woche vom 30. April bis 6. Mai 2023 von Sup.i.R. Christian Klatt

„Der wahre Weinstock“ Joh. 15, 1 – 8

Christus spricht: „Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater der Weingärtner. Eine jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, nimmt er weg; und eine jede, die Frucht bringt, reinigt er, dass sie mehr Frucht bringe. …
Bleibt in mir und ich in euch. Wie die Rebe keine Frucht bringen kann aus sich selbst, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht an mir bleibt. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun. …
 
Diese Rede Jesu über den Weinstock und die Reben war früher das Evangelium im Gottesdienst zur Konfirmation. Es ist gewissermaßen eine kleine Konfirmationspredigt Jesu an seine Jünger. „Bleiben“ ist das entscheidende Stichwort. Viermal kommt es in den oben zitierten Versen vor (im gesamten Abschnitt siebenmal). „Wollt ihr in diesem Glauben bleiben und wachsen?“ werden die jungen Menschen bei ihrer Konfirmation gefragt, nachdem sie gemeinsam das Glaubensbekenntnis gesprochen haben. „Ja, mit Gottes Hilfe“, lautet ihre Antwort, und dann werden sie nach einem Lied der Fürbitte eingesegnet.
 
Zum Bleiben fordert Jesus in diesem Evangelium auf. Wobei er darunter eine wechselseitige, enge, ja innige Beziehung versteht: „Bleibt in mir und ich in euch.“ Was Jesus meint, verdeutlicht er mit der Bildrede von dem Weinstock und den Reben. Eine Rebe kann nur dann gedeihen und reife Trauben hervorbringen, wenn sie mit dem Weinstock verbunden ist und von ihm her Kraft und Lebenssaft empfängt. Das ist unmittelbar verständlich und leuchtet jedem ein. Dieses Bild aus der Natur benutzt Jesus, um uns eine Hilfestellung für unser Leben zu geben.
 
In diesen unruhigen und schwierigen Zeiten fällt es uns zunehmend schwer, ein zufriedenes, gelingendes, erfülltes Leben zu führen. Die Welt wird immer komplizierter, so dass wir schnell an unsere Grenzen stoßen oder die Orientierung verlieren. Der Zusammenhalt untereinander geht verloren durch Misstrauen und Konkurrenz. Was wir deshalb brauchen, sind verlässliche Verbindungen und tragfähige Wurzeln. Genau die will Jesus uns geben. Er sagt: „Ich bin der wahre Weinstock! Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht.“ Aus der Verbindung mit Jesus wachsen uns die Kräfte zu, ohne die das Leben nicht gelingen kann: die Kräfte der Liebe, des Friedens, des Vertrauens. Wichtig ist nur, dass wir bei ihm, dem wahren Weinstock, bleiben und uns durch sein Wort auf einen guten Weg bringen lassen.
 
In Wittingen, wo der Liederdichter Philipp Spitta einige Jahre als Superintendent gewirkt hat, haben wir zusammen mit den frisch Konfirmierten nach der Einsegnung immer seine Verse aus unserem Gesangbuch gesungen (EG 406):
 
Bei dir, Jesu, will ich bleiben, stets in deinem Dienste stehn;
nichts soll mich von dir vertreiben, will auf deinen Wegen gehn.
Du bist meines Lebens Leben, meiner Seele Trieb und Kraft,
wie der Weinstock seinen Reben zuströmt Kraft und Lebenssaft.
 
Mit dieser Zuversicht des Glaubens grüße ich Sie herzlich, 
Ihr Christian Klatt    

Andacht für die Woche vom 23. bis 29. April 2023 von Sup.i.R. Jürgen Flohr

Johannes 10, 11-16

Christus spricht: Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe.
Der Mietling, der nicht Hirte ist, dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kommen und verlässt die Schafe und flieht – und der Wolf stürzt sich auf die Schafe und zerstreut sie -; denn er ist ein Mietling und kümmert sich nicht um die Schafe.
     Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen und die Meinen kennen mich, wie mich mein Vater kennt; und ich kenne den Vater. Und ich lasse mein Leben für die Schafe. 
Und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stall; auch sie muss ich herführen, und sie werden meine Stimme hören, und es wird eine Herde und ein Hirte werden.
 
 
Liebe Lesende,
 
das Bild vom guten Hirten und seinen Schafen berührt uns vertraut und freundlich, wenn wir z.B. an die Heidschnucken in der Lüneburger Heide denken.
        Es gibt aber auch Zeitgenossen, die nicht mit einem „dummen Schaf“ verglichen werden wollen. Sie sagen: Wir brauchen keinen Hirten, keinen Anführer und Lenker unserer Wege. Wir sind selbstbewusste Menschen, die eigenständig entscheiden, wo es für uns lang gehen soll. Für uns ist das Bild vom Hirten überholt. 
 
        Auf der anderen Seite gehen solche Menschen mit allzu starkem Selbstbewußtsein und eigenem Kopf nicht selten falsche Wege und gehen auch in die Irre, weil sie keinen Rat annehmen; und so verrennen sie sich leicht wie es z.B. Judas tat, der ehemalige Jünger Jesu.
 
        Deshab sollten wir auch als autonome Menschen des 21. Jahrhunderts vielleicht doch auf Jesu Angebot hören, dass er der gute Hirte unserer Wege und unseres Lebens sein will, der uns zeigt und vormacht, welches die richtigen Schritte sind für unseren Lebensweg. Denn es ist doch so, dass wir ganz ohne Vorbilder und Anleiterinnen schlecht auskommen. Wir brauchen  die Eltern, die Lehrerinnen, die Ausbilder nötig, um voranzukommen auf unserem Weg und um einen guten eigenen Weg zu finden.
 
         Und auch eine Gemeinschaft, ein Land, ein Volk muss doch geleitet und regiert werden, wenn nicht Chaos ausbrechen  soll. Da kommt es dann allerdings entscheidend darauf an, wer leitet und führt und wie er oder sie das tun! - ob etwa ein Präsident Putin sein Land heute in einen mörderischen Angriffskrieg gegen das Nachbarland führt wie seinerzeit Hitler unser Land oder ob eine demokratisch gewählte Regierung verantwortlich versucht, vernünftige Entscheidungen zur Bewältigung der anstehenden Probleme zu treffen. Ich meine also, dass es ganz ohne solche Hirten nicht gehen wird für das Land und auch für meinen persönlichen Weg. 
 
        Und da bietet Jesus Christus uns an, unser guter Hirte zu sein, der vorangeht auf dem richtigen Weg und der uns auffordert, ihm zu folgen auf dem Weg der Liebe und des Glaubens. Er will sich als guter Hirte für uns einsetzen, - als einer, der standhält, wenn Gefahren uns bedrohen wie der Wolf die Schafe. Jesus hat gelehrt und vorgelebt, wie von Gott geleitete Menschen ihr Leben führen können und sollen, im Geist der Liebe nämlich, der Liebe zu Gott und der Liebe zum Mitmenschen. Von Jesus dürfen und müssen wir uns inspirieren lassen für unser Tun und Lassen. Er hat die Maßstäbe der Bibel erneuert und auf ihre Grundlagen zurückgeführt in seiner Bergpredigt, und die sollen wir uns vor Augen halten für unser alltägliches Leben.
 
        Und Christus lässt uns nicht im Stich wie ein bezahlter, aber nicht persönlich engagierter Wächter (Mietling), der flieht, wenn Gefahr droht. Christus bleibt vielmehr an unserer Seite, wenn wir ihn brauchen und stärkt uns. Das haben Christinnen und Christen immer wieder erfahren wie etwa Katharina von Bora, Luthers Ehefrau oder Dietrich Bonhoeffer im Widerstand gegen Hitler; und auf diesen Beistand vertrauen auch wir, wenn es uns gut und ebenso, wenn es uns schlecht geht. Dabei müssen wir natürlich unseren eigenen Kopf gebrauchen und selbst entscheiden, welcher Weg jetzt der richtige ist. Aber wir wollen unsere Entscheidungen ausrichten am Beispiel Jesu und versuchen, in seinem Geist zu handeln.
 
        Darum halten wir uns auf unserem je eigenen Weg fest an unserem Herrn und Bruder Jesus Christus, der der gute Hirte ist und bleibt für mich und für dich. 
 
Jürgen Flohr  

Andacht für die Woche vom 16. bis 22. April von Sup.i.R. Wilhelm Niedernolte

Johannes 20, 19-22:
Am Abend aber dieses ersten Tages der Woche, da die Jünger versammelt und die Türen verschlossen waren aus Furcht vor den Juden, kam Jesus und trat mitten unter sie und spricht zu ihnen: Friede sei mit euch! Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und seine Seite. Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen. Da sprach Jesus abermals zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Und als er das gesagt hatte, blies er sie an und spricht zu ihnen: Nehmt hin den Heiligen Geist!

Liebe Leserin, lieber Leser,

der erste Satz zeigt, wie die Jünger mit sich selbst beschäftigt waren: „Die Türen waren verschlossen.“, das heißt, keiner kommt rein und keiner geht raus. Ihre Angst war berechtigt,  wie auch unsere Angst oft berechtigt ist. Jesus war tot, ihre Lebensgrundlage verloren. Was sollte jetzt aus ihnen werden? Und dann die Gefahr, dass man sie auch noch gefangen nehmen und töten könnte. Nicht gerade eine hoffnungsvolle Situation, nicht gerade Grund zur Freude. Aber es zeigt, wie die Angst sie verschließt, geradezu lebensunfähig macht. Die Angst isoliert uns und verschließt uns in uns selbst. Keiner kommt an uns ran, und wir kommen nicht raus.

Und dann kommt Jesus in ihre Mitte und sagt nur: Friede sei mit euch!

Zweimal sagt er es. Friede in Eurer Angst, inneren Unruhe, Schuld, Orientierungslosigkeit, Sorge. Friede findet ihr nicht, wenn ihr euch mit euch selbst, mit eurer Angst und den Gefahren beschäftigt, sondern Frieden erhaltet ihr durch mich!
Jesus tritt in den Kreis mit seinem Frieden und gleichzeitig, indem er in den Kreis hineintritt, öffnet er den Kreis, bricht ihn auf, auf zweierlei Weise:
Als
er hineintritt, lenkt er die Aufmerksamkeit der Jünger auf sich  selbst.

Vorher waren sie mit sich selbst, mit ihrer Angst beschäftigt. Sie waren Gefangene ihrer selbst. Nun lenkt er den Blick auf sich, auf den Frieden, den er bringt, auf seine Möglichkeiten. Er sagt auch zu uns: Schau auf mich, wenn du Angst hast, traurig oder einsam bist. Wenn du denkst, dass deine Möglichkeiten für ein gutes und erfülltes Leben nicht reichen, dann schau auf mich und auf die Möglichkeiten, die ich habe. Ich habe den Tod überwunden und ich lebe und ihr sollt auch leben. Ihr habt Angst in der Welt, aber ich habe die Welt überwunden; mir ist gegeben alle Macht im Himmel und auf Erden; Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; ich habe die größte Liebe zu dir. Schau auf mich und deine Angst wird verschwinden und du wirst Frieden finden. Die Blicke der Jünger sind jetzt nicht mehr auf die Gefahr, Sorge, Not gerichtet, sondern auf Jesus. Plötzlich sind alle alten Gefühle der Angst verschwunden. Sie sind fasziniert, ein bisschen zweifelnd, aber überwältigt. Alles ist anders.
Zum andern lenkt Jesus ihre Blicke  aus dem engen Kreis heraus, aus dem eigenen Leben und Denken  und sagt: Euer Weg als Christen ist nicht dadurch ans Ziel gekommen, dass ihr mich gefunden habt, sondern ich habe einen Auftrag für euch. „Gleichwie mich mein Vater gesandt hat, so sende ich euch.“ sagt Jesus. Christus selbst wurde von Gott in die Welt gesandt:  Er ist nicht bei sich geblieben, hat sich nicht um seine Angelegenheiten im Himmel gekümmert, sondern in allem hat ihn der Auftrag geleitet, auch in Gefahren; in Gethsemane, als er Angst hatte; in der Auseinandersetzung mit den religiösen und politischen Führern; als es um die Trennung von Familie und Freunden ging. Er ist aus dem Himmel herausgegangen und auf die Erde gekommen, damit alle Menschen Gottes Liebe entdecken, sie bei Gott erfahren und mit ihm leben.
 „So sende ich euch“: Richtet euren Blick weg von euch und euren Angelegenheiten. Geht in meinem Auftrag hinaus in die Welt, um den Menschen in eurer Umgebung Gott zu bringen, sie zurückzuholen zum himmlischen Vater, damit sie Frieden bekommen durch ihn und bei ihm.
Der Ruf Christi in die Nachfolge endet nicht bei uns selbst, im privaten Leben oder im Gottesdienst, sondern beginnt dort erst: „Gleichwie mich mein Vater gesandt hat, so sende ich euch!“ Wie kann das bei uns passieren, dass wir mit der Angst fertig werden und dann mit einem positiven Auftrag zuversichtlich durch das Leben gehen? Die normale Reaktion des Menschen auf Gefahren ist entweder der Kampf bis zur totalen Erschöpfung gegen alles, was uns Angst macht, oder die Flucht, der Rückzug auf uns selbst, in die Einsamkeit, der Depression, indem wir die Türen nach draußen zuschließen. Die Frage ist, wohin sehen wir und wovon lassen wir uns beeinflussen:

Wenn wir auf das sehen, was uns Sorge und Angst macht, dann beeinflusst uns gerade das, macht uns klein, ohnmächtig, eng und lähmt uns. Dann bestimmt der Geist der Gefahr uns. Wenn wir auf den auferstandenen Jesus sehen, füllt er uns an mit seinem Geist. Wer auf ihn sieht, der bekommt seine Kraft. Mit dem Geist Gottes wird jeder in die Lage versetzt, Angst zu überwinden und sich auf den Auftrag Jesu einzulassen. Der Geist Jesu gibt uns das, was er selbst ist an Kraft, Mut, Zuversicht, Hoffnung. Nun sollen wir nicht nur selbst den Blick auf Jesus richten, sondern uns auch untereinander auf ihn hinweisen, wenn jemand Angst hat.

Nicht einfach sagen: wird schon, oder: ich helfe dir. Wer kann schon mit Sicherheit sagen, dass es wieder gut wird, und wer ist in der Lage, in jeder Gefahr zu helfen. Natürlich können und sollen wir helfen und auch unsere Hoffnung auf bessere Zeiten zum Ausdruck bringen, aber wir sollten nicht vergessen, den Blick des anderen auf den zu lenken, der wirklich helfen kann, auf Jesus, und zwar in der Gemeinde, in Gesprächen unter Freunden und Bekannten, in der Familie, mit Kinder und bei anderen Menschen.

Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit.

Wilhelm Niedernolte
Superintendent i.R., Eldagsen

Andacht für die Woche vom 9. bis 15. April von Pfr.i.R. Jürgen-Peter Lesch

Über das Evangelium des Ostersonntags: Drei Frauen am leeren Grab.

„Da flohen die Frauen von dem Grab und liefen davon. Sie zitterten vor Angst und sagten niemandem etwas; so sehr fürchteten sie sich,“

So enden im Evangelium nach Markus nicht nur die Erzählungen über das Geschehen zu Ostern in Jerusalem, sondern zugleich das gesamte Evangelium. Frauen, die vor Angst zittern und sich so sehr fürchten, dass sie sprachlos werden. Das passt so gar nicht zur Osterfreude über die Auferstehung von Jesus Christus. Und es passt überhaupt nicht zu den drei Frauen, von denen dort gesprochen wird: Maria aus Magdala, Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome waren alles andere als schreckhafte und furchtsame Wesen. Sie hatten zusammen mit vielen anderen Frauen Jesus auf seinem Weg aus Galiläa hinauf nach Jerusalem begleitet. Sie waren bei ihm gewesen und hatten für ihn gesorgt. 

Dann hatten sie die Kreuzigung miterlebt. Sie hatten gesehen, wie Jesus unter dem Spott der Menge aus dem Palast des Pilatus hinauf nach Golgota geschleppt worden war. Sie hatten es mit angesehen und konnten die Augen nicht abwenden, als er am Kreuz hochgezogen wurde. Sie hatten seine Schreie gehört und mit ansehen müssen, wie er unter Qualen starb. Von den Jüngern hören wir dagegen nicht viel. Die meisten waren geflohen.

Was also war der Grund, dass diese Frauen in Angst und Schrecken versetzt worden sind? Lesen wir den gesamten Abschnitt:

Als der Sabbat vorbei war, kauften Maria aus Magdala, Maria, die Mutter von Jakobus, und Salome wohlriechende Öle. 

Sie wollten die Totensalbung am Leichnam von Jesus vornehmen. Ganz früh am ersten Wochentag kamen sie zum Grab. Die Sonne ging gerade auf. Unterwegs fragten sie sich: »Wer kann uns den Stein vom Grabeingang wegrollen?« Doch als sie zum Grab aufblickten, sahen sie, dass der große, schwere Stein schon weggerollt war.

Sie gingen in die Grabkammer hinein. Dort sahen sie einen jungen Mann. Er saß auf der rechten Seite und trug ein weißes Gewand. Die Frauen erschraken sehr. 

Aber er sagte zu ihnen: »Ihr braucht nicht zu erschrecken! Ihr sucht Jesus aus Nazaret, der gekreuzigt wurde. Gott hat ihn von den Toten auferweckt, er ist nicht hier. Seht: Hier ist die Stelle, wo sie ihn hingelegt hatten. Macht euch auf! Sagt seinen Jüngern, besonders Petrus: Jesus geht euch nach Galiläa voraus. Dort werdet ihr ihn sehen, wie er es euch gesagt hat.« 

Da flohen die Frauen von dem Grab und liefen davon. Sie zitterten vor Angst und sagten niemandem etwas; so sehr fürchteten sie sich.

Evangelium nach Markus, Kap 16, 1-8

Die Frauen hatten es wohl kommen sehen: Es würde nicht gut ausgehen mit diesem Wanderprediger Jesus aus Nazareth. Sie hatten ihn begleitet, weil er sie überzeugt hatte mit seiner Botschaft von einem anderen Zusammenleben der Menschen. Sie hatten die Worte noch im Ohr: 

Glückselig sind die, die wissen, dass sie vor Gott arm sind. Denn ihnen gehört das Himmelreich. Glückselig sind die, die trauern. Denn sie werden getröstet werden. Glückselig sind die, die von Herzen freundlich sind. Denn sie werden die Erde als Erbe erhalten. Glückselig sind die, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit. Denn sie werden satt werden. Glückselig sind die, die barmherzig sind. Denn sie werden barmherzig behandelt werden. Glückselig sind die, die ein reines Herz haben. Denn sie werden Gott sehen. Glückselig sind die, die Frieden stiften. Denn sie werden Kinder Gottes heißen. Glückselig sind die, die verfolgt werden, weil sie für Gottes Gerechtigkeit eintreten. Denn ihnen gehört das Himmelreich. 

Das konnte nicht gut gehen. Diese Botschaften brachten viele Menschen gegen Jesus auf. Und so war es eigentlich nur konsequent, dass sein Leben mit seiner Verhaftung, dem Prozess, dem Spott und schließlich der Hinrichtung endete. Gewalt, Ungerechtigkeit, Verleumdung, Spott und nicht der kleinste Versuch, zu verstehen, was diese Botschaft bewirken konnte. Ja, die Frauen hatten mit der Verurteilung und Hinrichtung durch die Mächtigen gerechnet. Das kannten sie. So hatten sie noch am Sabbatabend die wohlriechenden Öle gekauft. Und sehr früh am Morgen des ersten Tages der Woche waren sie furchtlos und entschlossen zum Grab gegangen, um den Leichnam zu salben. Es sollte ein letzter Dienst an Jesus sein.

Doch dann sehen die Frauen etwas, was sie völlig durcheinanderbringt. Sie erschrecken. Das Grab ist leer – nein, das stimmt nicht. Da sitzt auf der rechten Seite ein junger Mann in einem weißen Gewand. Ein Engel vielleicht? Wir wissen es nicht. Er erklärt ihnen, warum Jesus aus Nazaret nicht mehr im Grab liegt. Gott hat ihn auferweckt von den Toten. Dass Jesus auferstehen sollte, hatten die Frauen mehrmals gehört. Aber jetzt ist es wahr geworden. Und nicht nur das. Die Frauen bekommen einen Auftrag. Sie sollen den Jüngern, vor allen anderen Petrus, sagen, dass der auferstandene Jesus ihnen nach Galiläa vorausgehen wird. Nach Galiläa! Dort, wo ihr Weg mit Jesus begonnen hatte. Also alles auf Anfang? Nein! Jesus ist auferweckt worden. Das übliche Spiel von Unterdrückung und Aufbegehren ist unterbrochen worden. Gott hat eingegriffen. 

Das ist es, was die Frauen vor Angst zittern lässt. Und jetzt fürchten sie sich wirklich. Sie haben nicht damit gerechnet, dass Gott eingreift. Und so schweigen sie zunächst. 

Rechnen wir damit, dass Gott eingreift? Dass er eingreift in unser Spiel von Macht und Gewalt, Unterdrückung und Unterwerfung, Ungerechtigkeit und Rücksichtslosigkeit? Unser Spiel, nach Wegen zu suchen und dann gleich wieder gesagt zu bekommen, dass diese Wege falsch sind. Kein konstruktives Miteinander, keine kritische Solidarität, sondern alles für falsch erklären, was der „Gegner“ sagt. Wir wissen, so werden wir nicht weiterkommen. Und doch können wir offenbar nicht damit aufhören. 

Greift Gott ein? Das können wir nicht sehen. Doch wir sehen und erleben, dass Menschen dieses Spiel nicht mitspielen. Dass sie nicht alles einfach weiterlaufen lassen, sondern eingreifen. Da fährt zum achten Mal ein Hilfstransport aus Springe zur polnisch-ukrainischen Grenze. Ein Militärpfarrer sorgt für den Weitertransport zu den Menschen, die diese Güter brauchen. Da gibt es seit zehn Jahren den Nachbarschaftsladen in Springe. Dazu gehört u.a. eine Sozialbörse. Menschen können sich im geschützten Rahmen auf nachbarschaftlicher Ebene austauschen und es wird nachbarschaftliche Hilfe angeboten. Da gibt es in Springe eine Tafel. Sie hilft, den Lebensmittel-Überfluss unserer Gesellschaft an Menschen weiter zu geben, die wirtschaftliche Schwierigkeiten haben.

Es gibt einen Hospizverein, ein Dorfkulturerbe in Altenhagen I und – nicht zu vergessen – Pfadfinderinnen und Pfadfinder. Das sind nur einige Beispiele dafür, wie Menschen sich für andere und auch für die Schöpfung einsetzen. Dazu kommen die vielen Hilfen in Heimen, Kitas und Schulen, Krankenhäusern und Arztpraxen, um nur einige Beispiele zu nennen. Und es gibt sie überall: Die nachbarschaftlichen Hilfen, die nicht an die große Glocke gehängt werden. Menschen helfen einander, trösten einander, sind füreinander da. 

Ostern heißt, dass wir mit Gottes Eingreifen rechnen können. Es ist kein Eingreifen mit Macht oder Gewalt, sondern oft versteckt, kaum zu erkennen und doch wirksam und heilsam.

Ich wünsche Ihnen allen ein gesegnetes Osterfest. Ich wünsche Ihnen offene Augen und Ohren für Gottes hilfreiches und heilsames Eingreifen in unserem Leben. 

Jürgen-Peter Lesch 

Andacht für die Karwoche vom 2. bis 8. April 2023

Über das Evangelium des Sonntags Palmarum: Der Einzug in Jerusalem: Joh. 12, 12-19
 
Als die große Menge, die aufs Fest gekommen war, hörte, dass Jesus nach Jerusalem kommen werde, nahmen sie Palmzweige und gingen hinaus ihm entgegen und schrien:
Hosianna! Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn, der König von Israel!
Jesus aber fand einen jungen Esel und setzte sich darauf, wie geschrieben steht (Sach. 9, 9):
„Fürchte dich nicht, du Tochter Zion! Siehe, dein König kommt und reitet auf einem Eselsfüllen.“
 
Die Geschichte vom Einzug Jesu in Jerusalem ist das Evangelium des Sonntags Palmarum, mit dem die Karwoche beginnt. Sie markiert einen totalen Gegensatz zu dem, was wenige Tage später passiert: Die Menschenmenge begrüßt Jesus als ihren König mit Palmzweigen (von daher der Name des Sonntags!) und jubelt ihm zu mit dem alten Huldigungsruf „Hosianna“. Kurze Zeit danach aber, als Jesus nach seiner Gefangennahme dem römischen Statthalter Pilatus vorgeführt wird, schreien sie (oder andere): „Kreuzige, kreuzige ihn!“ 
 
Alle vier Evangelisten beginnen den letzten Abschnitt des irdischen Lebensweges Jesu in Jerusalem mit diesem glorreichen Empfang. Doch Johannes fügt seinem oben zitierten Bericht zwei Bemerkungen an, die schon das dramatische Ende anklingen lassen: Die Pharisäer sind irritiert und verärgert. Und die Jünger Jesu sind verwirrt und verstehen gar nicht, was da geschieht. In der Tat hat die Szene ja etwas Groteskes an sich: Da wird einer als König begrüßt, dem man das überhaupt nicht ansieht. Er kommt nicht mit Ross und Reiter und prächtigem Gefolge daher, sondern reitet bescheiden auf einem Esel, dem Arbeitstier des kleinen Mannes. Das passt überhaupt nicht zusammen: Die hochgesteckten Erwartungen, die die begeisterten Menschen auf Jesus setzen, von dem sie schon so viel Wunderbares gehört haben, und auf der anderen Seite dieses eher armselige Erscheinungsbild.
 
Doch genau so hatte schon einer der alten Propheten den Messias, den von Gott gesandten Retter, angekündigt. Der Verfasser unseres Evangeliums zitiert eine Bibelstelle aus dem Buch des Sacharja: „Siehe, dein König kommt und reitet auf einem Eselsfüllen.“ Im Original wird dieser erwartete König zusätzlich als „arm“, vor allem aber als „ein Gerechter und ein Helfer“ beschrieben. In diesem Sinne hat Jesus seine Rolle offensichtlich sehen wollen, als er in die Hauptstadt Jerusalem einzog: Er wollte dort nicht den alten Königsthron besteigen und die römische Fremdherrschaft beenden, wie es wohl der Erwartung der jubelnden Menschenmenge entsprochen hätte. Sondern auf einem schlichten Esel reitet er in die Stadt, als ein König des Friedens, der Demut und der Barmherzigkeit. Oder wie ihn das Adventslied, das auch auf dieses Evangelium Bezug nimmt, beschreibt: „Er ist gerecht, ein Helfer wert; Sanftmütigkeit ist sein Gefährt, sein Königskron ist Heiligkeit, sein Zepter ist Barmherzigkeit.“
 
 
Der König auf einem Esel – das ist ein starkes Gegenbild gegen alle sonstigen Herrschaftsallüren: nicht auf Machtstreben, sondern auf menschliche Nähe, nicht auf Selbstdarstellung, sondern auf die Bereitschaft zum Dienen, nicht auf Gewalt, sondern auf Frieden kam es Jesus an. Deshalb ist er der wahre König, den auch wir bei uns begrüßen und um dessen Geist wir für uns selbst und für alle, die politische Verantwortung haben, bitten wollen.
 
Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Stille Woche in diesen Tagen und dann ein frohes Osterfest. Bleiben Sie trotz aller gegenwärtigen Unruhen und persönlichen Sorgen zuversichtlich! 

Superintendent i. R. Christian Klatt

Andacht für die Woche vom 19. bis 25. März von Sup.i.R. Wilhelm Niedernolte

Johannes 12, 20-24
Es waren aber einige Griechen unter denen, die heraufgekommen waren, um anzubeten auf dem Fest. Die traten zu Philippus, der aus Betsaida in Galiläa war, und baten ihn und sprachen: Herr, wir wollen Jesus sehen. Philippus kommt und sagt es Andreas, und Andreas und Philippus sagen’s Jesus. Jesus aber antwortete ihnen und sprach: Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht.
 
Liebe Leserin, Lieber Leser,
Menschen kommen zu Philippus und sagen: „Wir wollten Jesus gerne sehen.“ Sie hatten von ihm gehört, davon, wie er Menschen faszinieren kann, wie er predigt und Menschen gesund macht. Und die Krönung wäre natürlich gewesen, wenn er in ihrer Gegenwart mal etwas gezeigt hätte, vielleicht eine Krankenheilung oder ein Naturwunder, irgendetwas Sensationelles, was sie ihren Enkeln noch hätten erzählen können.
Die Antwort Jesu ist  alles andere als sensationell. Er gibt ihnen ein Gleichnis, ein Bildwort, das sie in ihr Leben übersetzen müssen, um es zu verstehen. „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht“.  Er redet in diesem Bild von sich selbst  und von seinem weiteren Weg. Er wird sterben und in der Erde zerfallen wie ein Weizenkorn. Man wird ihn nicht mehr sehen und viele werden denken, er sei verfault, nicht mehr existent, erledigt, und seine Sache sei gleich mit erledigt.  Aber dann wird er auferstehen, in seinen Jüngern und durch seine Jünger weiterleben, so wie ein verfaultes Weizenkorn viele neue Weizenkörner hervorbringt.  Eins ist ohne das andere allerdings nicht zu haben: Ohne Sterben keine neue Frucht, ohne Tod kein Leben, ohne Kreuzigung keine Auferstehung.
Jesus beschreibt und deutet mit dem Bild vom Weizenkorn seinen eigenen Weg und den Weg seiner Jüngerinnen und Jünger.  Es ist der Weg, auf dem Altes zu Ende geht und neues anfängt, der Weg von Tod und Leben. Und es ist ein Bild für die Bereitschaft zur Hingabe, zum Opfer.
Gibt es auf unserem Weg ebenfalls die Bereitschaft zum Opfer, zur Hingabe? Ja, die Bereitschaft gibt es. Sich opfern,  sich einer Sache oder einem Menschen hingeben ist einerseits etwas wunderschönes, hat aber auch ihre Gefahren.
Jesus ist in diese Welt gekommen, um sich hinzugeben, die Menschen spüren zu lassen, in seiner Person ist Gott selbst ihnen ganz nah, die Nähe Gottes macht sie gesund, stärkt Leib und Seele.  Diesen Weg der Hingabe ist Jesus konsequent zu Ende gegangen, hat dafür sein Leben riskiert und den Tod erlitten. Und weil er bereit war zur völligen Hingabe, sogar zum Sterben, haben so viele in ihm und durch ihn ihr Leben gefunden.
Wer bereit zur Hingabe ist, lebt aber auch nicht ohne Risiko. Die Mutter, die wegen ihrer Kinder auf die Ausübung ihres Berufs verzichtet, riskiert einen Karriereknick.  Väter, die bereit sind, ihr Einkommen mit einer fünfköpfigen Familie zu teilen, riskieren bei Arbeitslosigkeit zu Sozialhilfeempfängern zu werden. Die Tochter, die ihre alten Eltern pflegt, steht in der Gefahr, ihrerseits zusammenzubrechen. Hingabe kann auch gefährlich werden, dann, wenn es zu Selbstaufgabe wird. Es gehört auch zur Weisheit unseres Glaubens, dass unsere Hingabe Grenzen kennt. Weil Christus sich total hingegeben hat, müssen wir uns nicht mehr total hingeben bis zur Selbstaufgabe. Er hat es für uns getan und stellvertretend für uns, damit unsere Bereitschaft zur Hingabe nicht gegen uns verwandt werden kann, damit wir uns nicht missbrauchen lassen.
Das Bild vom Weizenkorn ist aber nicht nur ein Bild für die Fähigkeit und Bereitschaft zur Hingabe, sondern auch ein Bild dafür, dass Altes zu Ende geht und Neues anfängt.
Jesus musste sterben, damit Christus auferstehen konnte, um seinen Siegeszug rund um die Welt anzutreten. Altes muss vergehen, damit Neues anfangen kann.
Und wenn wir dann im Laufe von Jahren und Jahrzehnten gelernt haben, liebe  Menschen loszulassen, uns selbst loszulassen und das sterben zu lassen, was absterben muss, dann können wir vielleicht auch loslassen, wenn wir diese Welt verlassen müssen, dann können wir vielleicht unserem Tod mit  Hingabe und  Kraft  wie das Weizenkorn und mit der Gewissheit auf neues Leben bei Gott entgegen gehen. Wir Christen wissen vom Tod mitten im Leben, von vielen kleinen und großen Abschieden, von verpassten Gelegenheiten, von Enttäuschungen, von Endgültigkeit. Wir wissen aber auch vom Leben mitten im Tod. Jeden Tag, den wir aufbrauchen, lernen wir den Tod kennen, aber wir haben das Leben vor uns, auch an unserem allerletzten Tag.
Kann man das sehen oder beweisen, so wie die Griechen einen sichtbaren Beweis wollten? Nein beweisen können es nicht. Aber wir können uns an Christus festhalten, an seiner Hingabe an Gott und an die Menschen, in seinem Leben und erst recht in seinem Tod. Wir können mit ihm sterben und auferstehen. Wenn wir uns an ihm festhalten, dann können wir allerdings einiges schon jetzt sehen: dass Menschen gelassener mit sich umgehen, ihr Leben genießen, sich für andere einsetzen, Opfer bringen, aber auch Grenzen setzen, sich selbst achten.
Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht“.
 
Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit
Ihr
Wilhelm Niedernolte
Superintendent i.R.
Eldagsen

Andacht für die Woche vom 12. bis 18. März von Pfr. i.R. Jürgen-Peter Lesch

Das Evangelium für den Sonntag Okuli, 
den 3. Sonntag in der Passionszeit (Lk 9,57-62)

Liebe Leserin, lieber Leser,

„wenn das jetzt schief läuft, tanke ich noch einmal mein Auto voll, fahre so weit, bis der Tank leer ist, steige aus und fange dort ein neues Leben an!“ Das ist ein Zitat aus einem Film, den ich irgendwann in den letzten Wochen gesehen habe. An den Titel kann ich mich nicht erinnern. Aber an den Satz, den eine Frau mittleren Alters sagte. Das kann ich gut nachvollziehen, denn es gab in meinen Leben etliche Situationen, in denen ich genau das hätte sagen können. Das ist ein Wunsch, den viele Menschen ab und zu haben: noch einmal ganz neu anfangen, alles hinter sich lassen, vergessen, was falsch gelaufen ist, und unbelastet einen ganz neuen Weg gehen. 

Menschen, die so etwas denken, begegnen uns in dem Abschnitt aus dem Evangelium nach Lukas für den Sonntag Okuli. Dort lesen wir:

Unterwegs sagte jemand zu Jesus: »Ich will dir folgen, wohin du auch gehst!«Jesus antwortete: »Die Füchse haben ihren Bau und die Vögel ihr Nest. Aber der Menschensohn hat keinen Ort, an dem er sich ausruhen kann.«

Einen anderen forderte Jesus auf: »Folge mir!« Aber der sagte: »Herr, erlaube mir, zuerst noch einmal nach Hause zu gehen und meinen Vater zu begraben.«
Aber Jesus antwortete: »Überlass es den Toten, ihre Toten zu begraben. Du aber geh los und verkünde das Reich Gottes!«
Wieder ein anderer sagte zu Jesus: »Ich will dir folgen, Herr! Doch erlaube mir, zuerst von meiner Familie Abschied zu nehmen.«
Aber Jesus antwortete: »Wer die Hand an den Pflug legt und zurückschaut, der eignet sich nicht für das Reich Gottes.«

(Lk 9,57-62 – BasisBibel 2021)

Kein Zweifel, es geht um Aufbruch. Nur einige Verse vorher lesen wir, dass sich Jesus mit seinen Jüngern auf den Weg nach Jerusalem macht. Es wird sein letzter Weg sein, denn dort wird er gefangen genommen, verhört, verurteilt und hingerichtet werden. Jesus hat einen schweren, einen letzten Weg vor sich. Und das erklärt, warum er auf die euphorische Zusage des ersten Menschen „Ich will dir folgen, wohin du auch gehst!“ so schroff und abweisend ist. Jesus macht deutlich, dass ein Weg mit ihm der Weg eines Obdachlosen ist. Er hat keinen Ort, an dem er sich ausruhen kann. Zur Nachfolge von Jesus gehörte eben, dass man nicht wusste, wo man die nächste Nacht verbringen würde.
Was aus dem Menschen geworden ist, der Jesus so vollmundig seine Begleitung angeboten hatte, wird im Evangelium nicht gesagt. Stattdessen spricht nun Jesus selbst einen Menschen an: „Folge mir!“ Der Angesprochene will das tun. Doch er hat noch eine Bitte: „Herr, erlaube mir, nach Hause zu gehen und meinen Vater zu begraben.“ Das ist nicht nur sein Wunsch, sondern es ist seine Pflicht als Sohn. Die „Erlaubnis“, um die hier gebeten wird, ist im Judentum eine vom Gesetz, der Thora, gebotene Verpflichtung, die vom vierten Gebot abgeleitet wird: „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren.“ Die Antwort von Jesus „Überlass es den Toten, ihre Toten zu begraben.“ widerspricht nicht nur diesem Gebot; sie ist im Grunde unmenschlich. Zum Menschen gehört, dass er den Toten einen besonderen Platz gibt. Einen Ort für die Trauer und zur Erinnerung. Vater und Mutter sind Teil der Geschichte eines jeden Menschen. Das lässt ihn nicht vollständig los, auch wenn er sich davon lösen will und zum Teil davon lösen muss, um sein eigenes Leben zu leben. Jesus sagt nichts anderes als: „Die Toten sollen sich selbst begraben“. Warum Jesus dies sagt, warum er dies sagen kann, wird im zweiten Teil seiner Antwort deutlich: „Du aber geh los und verkünde (überall) das Reich Gottes!“ Es geht darum, der zukünftigen Herrschaft Gottes, seinem Reich, Raum zu schaffen. In diesem Reich hat der Tod keine Macht mehr. Weil es den Tod nicht mehr gibt, gibt es auch keine Toten mehr, um die man sich kümmern müsste.


Noch einmal bietet ein Mensch Jesus an, ihm nachzufolgen. Doch auch er hat eine Bitte. Er will von seiner Familie Abschied nehmen. Die Antwort von Jesus auf diese Bitte ist kein klares Ja und kein klares Nein. Er spricht viel mehr eine allgemeine Erfahrung an. Wer beim Pflügen nach hinten schaut, kommt aus der Spur. Er pflügt krumme Furchen. Die Übersetzung folgt hier nicht dem Griechischen. Dort steht: „Niemand, der die Hand an den Pflug gelegt hat und nach hinten schaut, ist für das Reich Gottes geeignet.“ Es geht um etwas, dass niemand tun würde, eben weil es unsinnig ist: Beim Pflügen nach hinten zu schauen ist genauso dumm wie z. B. neuen Wein in alte Schläuche zu füllen oder wie ein Licht anzuzünden und es dann nicht auf einen Leuchter, sondern unter ein Gefäß oder in ein Versteck zu stellen. Jesus sagt: Wer mir nachfolgen will, wer das Reich Gottes verkünden soll, muss sich lösen von allen familiären und sozialen Bindungen. Der Weg nach Jerusalem wird ein Weg in eine andere Existenz sein. Auf ihm kann und soll nichts Altes mitgeschleppt werden.

Die Begegnung mit Jesus ist für die drei Menschen in der Geschichte ein Augenblick der Wahrheit. Sie ist wie so oft schmerzhaft. Doch diese Wahrheit trägt das Leben, das ein Mensch von Gott erhält. Diese Wahrheit soll ihn frei machen. Der Weg in der Nachfolge von Jesus ist die andere Seite der Botschaft: „Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen!“ Der Pflug weist nach vorn. Wir werden hingewiesen auf das Reich Gottes. Das liegt nicht irgendwo in der Unendlichkeit. Es ist nahe herbeigekommen. Es ist wie bei einer großen Aufgabe, die sich mir stellt. Es kommt der Punkt, an dem ich denke: Das schaffe ich einfach nicht. Damit werde ich nicht, damit werde ich nie fertig. Und dann, wenn ich vor mich schaue und Schritt für Schritt weitermache, dann sehe ich auf einmal: Das geht ja doch. Das Ende ist in Sicht. Das werde ich schließlich wirklich schaffen. 

„Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen!“ Das ist eine Zusage und eine Aufforderung. Damit es nicht unmöglich wird, dieser Aufforderung zu folgen, ist es gut, nicht alle möglichen Aufgaben und alle anstehenden Probleme in den Blick zu nehmen. Und sich nicht davon belasten zu lassen, was alles schief gegangen ist. Es ist sinnvoller, am Reich Gottes dort mitzuarbeiten, wo ich bin. Mit den und für die Menschen, die mir die Nächsten sind und die man vor lauter Nächstenliebe manchmal übersieht. 

Der Weg hin zum Reich Gottes ist weit. Da ist es gut, sich in Geduld zu üben. Geduld auch mit sich zu haben. Dazu hilft, nicht auf die krummen Furchen zu starren, die man oft selbst hinterlässt, die ein anderer hinter sich herzieht oder die man gemeinsam gezogen hat. Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen – ohne unser Tun und Lassen. Doch wir können daran mitbauen. indem wir nach vorne schauen und Schritt für Schritt vorangehen. 

Dazu wünsche ich uns allen viel Geduld und große Zuversicht.

Jürgen-Peter Lesch 

Andachten zum Evangelium

Liebe Leserinnen und Leser,

seit nunmehr drei Jahren stehen an dieser Stelle wöchentlich wechselnde Andachten. Das waren im letzten Jahr Gedanken zu den jeweiligen Wochenliedern. Von diesem Sonntag an, dem Sonntag „Okuli“, werden nun Andachten über das Evangelium zu lesen sein. Was es damit auf sich hat, soll hier kurz erläutert werden.

Das Kirchenjahr beginnt, anders als das Kalenderjahr, mit dem 1. Advent und endet mit dem Ewigkeits- oder Totensonntag. Welche Texte aus der Bibel am jeweiligen Sonn- und Feiertag vorgelesen werden und/oder als Grundlage für die Predigt dienen, wird in der sogenannten Perikopen-Ordnung festgelegt. Der Begriff Perikope (= Abschnitt) war ursprünglich die Bezeichnung für einen kurzen Textabschnitt aus der Bibel. Durch die Perikopen, zu denen im weiteren Sinn auch die Wochenpsalmen und die Wochenlieder gehören, erhält jeder Sonntag seinen besonderen Charakter. 

Im Laufe eines Kirchenjahres kommen ganz unterschiedliche biblische Texte zu Wort. Die Geschichte Jesu Christi wird zu den großen Festzeiten von Weihnachten und Ostern mit den Vorbereitungszeiten Advent und Passionszeit thematisiert. Im zweiten Teil des Kirchenjahres werden Lebens- und Glaubensthemen der christlichen Gemeinde dargestellt und vertieft. Dabei kommen Texte aus der gesamten Bibel, d.h. aus dem Alten und dem Neuen Testament und aus den Apokryphen, zu Wort. 
Das Vorlesen biblischer Texte im Gottesdienst hat eine lange Geschichte. Schon im rabbinischen Judentum wurden Texte aus dem Teil der Bibel, den wir Altes Testament nennen, bei den gottesdienstlichen Feiern in der Synagoge verlesen. Diese Lesungen übernahmen vermutlich erste christliche Gemeinden, die aus jüdischen Gemeinden entstanden waren. Später wurden Abschnitte aus den Briefen des Paulus und anderer Apostel sowie aus den Evangelien im Gottesdienst vorgelesen. Dazu kamen schließlich wieder Texte aus dem Alten Testament und den Apokryphen. Diese wurden nun allerdings auf die Botschaft und das Leben von Jesus Christus bezogen. 

Um das Jahr 800 wurde festgelegt, dass im Gottesdienst je ein Text aus den „Episteln“ (Briefe, Apostelgeschichte und Offenbarung), den Evangelien und dem Alten Testament vorgelesen werden sollte. Bei der Eisenacher Konferenz im Jahr 1896 wurde dann beschlossen, dass zusätzlich eine zweite neue Epistel- und Evangeliumsreihe und ein weiterer Text aus dem Alten Testament für jeden Sonn- und Feiertag dazukommt. Hintergrund dieser Entscheidung war die Überlegung, dass mehr Texte aus der Bibel zu Gehör gebracht werden sollten. Zwei oder drei dieser Texte werden heute im Gottesdienst gelesen, doch immer ist das Evangelium dabei. Es gibt dem jeweiligen Sonntag sein besonderes Gesicht und wirkt sich bis in die Gebete und die Liedauswahl hinein aus. Dazu kommt entweder eine Lesung aus dem Alten Testament oder eine Epistellesung. Der Wochenspruch stammt jeweils aus einem dieser Texte. 

In der kommenden Zeit wird nun also jeweils das Evangelium des Sonntags Grundlage der Wochenandacht sein. 

Andacht für die Woche vom 05. bis 11. März 2023 zum Wochenlied EG 94 von Sup.i.R. Christian Klatt

Das Kreuz ist aufgerichtet, der große Streit geschlichtet. 
Dass er das Heil der Welt
in diesem Zeichen gründe, gibt sich für ihre Sünde 
der Schöpfer selber zum Entgelt.
 
Er wollte, dass die Erde zum Stern des Kreuzes werde, 
und der am Kreuz verblich,
der sollte wiederbringen, die sonst verlorengingen, 
dafür gab er zum Opfer sich.
 
Er schonte den Verräter, ließ sich als Missetäter 
verdammen vor Gericht,
schwieg still zu allem Hohne, nahm an die Dornenkrone, 
die Schläge in sein Angesicht.
 
So hat es Gott gefallen, so gibt er sich uns allen. 
Das Ja erscheint im Nein,
der Sieg im Unterliegen, der Segen im Versiegen, 
die Liebe will verborgen sein.
 
Wir sind nicht mehr die Knechte der alten Todesmächte 
und ihrer Tyrannei.
Der Sohn, der es erduldet, hat uns am Kreuz entschuldet. 
Auch wir sind Söhne und sind frei.
 
Dies Wochenlied gehört noch nicht zum gängigen Repertoire unserer Passionslieder. Es stellt mit seinen theologisch gehaltvollen Versen und seiner kunstvollen, aber herben Melodie einige Anforderungen an unser Verstehen und Singen. Aber es ist ein wertvoller Beitrag zum Liedgut unserer Kirche aus neuerer Zeit (Text 1967, Melodie 1977).
 
„Das Kreuz ist aufgerichtet, der große Streit geschlichtet.“ Der Dichter beginnt sein Passionslied sozusagen von hinten, mit dem Ergebnis. Er beschreibt nicht den Leidensweg Jesu, der mit der Kreuzigung endet. Einzelne Stationen auf dem Weg zum Kreuz werden zwar in der dritten Strophe kurz genannt. Doch das wird nicht weiter ausgemalt wie in den Passionsliedern der Barockzeit – denken wir nur an Paul Gerhardts „O Haupt voll Blut und Wunden.“ Nein, der theologische Ertrag der Passion ist wichtig, und der wird gleich an den Anfang des Liedes gestellt: „Das Kreuz ist aufgerichtet, der große Streit geschlichtet.“ Der Liederdichter versteht das Kreuz Jesu also als ein Zeichen der Versöhnung. Das Wort „Versöhnung“ kommt zwar in diesem Lied nicht vor, aber diese ersten beiden Verse beziehen sich deutlich auf ein Bibelwort im 2. Kor.: „Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selbst und rechnete ihnen ihre Sünde nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung“ (5, 19). 
 
Der Tod Jesu als ein Sühnopfer, das Versöhnung stiftet – das ist eine Vorstellung, die heute vielen, auch in Theologie und Kirche, Kopfzerbrechen, ja Ärger bereitet. Wie kann Gott so grausam und hart sein, dass er ein blutiges Opfer verlangt, um seinen Zorn über die sündige Menschheit zu besänftigen? Doch diese Frage geht an der Botschaft des Neuen Testaments und an der Aussage dieses Liedes vorbei. Denn Gott verlangt nicht ein Opfer, sondern er opfert sich selbst: „ … gibt sich für ihre Sünde der Schöpfer selber zum Entgelt.“
 
Auch die 2. und die 4. Strophe unterstreichen diesen Gedanken: „ … dafür gab er zum Opfer sich.“ Und: „So hat es Gott gefallen, so gibt er sich uns allen.“ So ist das Kreuz Jesu das Zeichen, an dem sich die Hingabe und Liebe Gottes zu unser aller Heil, zum Heil der Welt (Str. 1) offenbart.
 
Allerdings: Die Liebe will verborgen sein (Str. 4). In der Tat erscheint uns Gottes Liebe oft sehr verborgen unter so viel Leid, Gewalt und Elend in dieser Welt. Aber gerade im Verborgenen, im „finsteren Tal“, in der Dunkelheit von Angst und Not will Gottes Liebe uns stärken und tragen und trösten. Zum Zeichen dessen ist das Kreuz aufgerichtet über unserer Erde, die somit, allen unheilvollen Erfahrungen zum Trotz, zum leuchtenden Stern des Kreuzes (Str. 2) geworden ist.
 
Die letzte Strophe erinnert an die Tyrannei der alten Todesmächte. Der Liederdichter Kurt Ihlenfeld (1901-1972) weiß, wovon er redet. Seine Tätigkeit als Redaktionsleiter im christlichen Verlag Eckart in Berlin hat der nationalsozialistische Staatsapparat bald beendet. Die letzten schlimmen Kriegstage und die dramatische Flucht aus Schlesien hat er später in seinem damals berühmten Roman „Wintergewitter“ verarbeitet. Sein Lied  lässt etwas erahnen von diesen Ereignissen aus dunkler Zeit. Aber auch von der tapferen Gewissheit des Glaubens, die er mit seinen Versen auch uns vermitteln will. Die Todesmächte dieser Welt treiben ja auch zu unserer Zeit nach wie vor ihr Unwesen. Aber auch unser Leben steht unter der großen Verheißung, die mit den letzten Worten des Liedes ausgesprochen wird: „Auch wir sind Söhne und sind frei.“ Denn wir gehören zu Gott als seine Söhne und Töchter. Und für die gilt: „Das Kreuz ist aufgerichtet.“
 
Bleiben Sie unter Gottes Schutz behütet und zuversichtlich.
Ihr Christian Klatt  

Andacht für die Woche vom 26. Februar bis 04. März 2023 zum Wochenlied Nr. 347 von Sup.i.R. Jürgen Flohr

1.    Ach bleib mit deiner Gnade bei uns, Herr Jesu Christ,
     dass uns hinfort nicht schade des bösen Feindes List.
 
2. Ach bleib mit deinem Worte bei uns, Erlöser wert,
    dass uns sei hier und dorte dein Güt und Heil beschert.
 
3. Ach bleib mit deinem Glanze bei uns, du wertes Licht;
dein Wahrheit uns umschanze, damit wir irren nicht.
 
4. Ach bleib mit deinem Segen bei uns, du reicher Herr;
dein Gnad und alls Vermögen in uns reichlich vermehr.
 
5. Ach bleib mit deinem Schutze bei uns, du starker Held,
dass uns der Feind nicht trutze noch fäll die böse Welt.
 
6. Ach bleib mit deiner Treue bei uns, mein Herr und Gott;
Beständigkeit verleihe, hilf uns aus aller Not. 
 
 
Liebe Lesende,
 
Dieses Lied aus dem Jahre 1627 wird bis heute gern gesungen in den Gemeinden, z.B. auch bei Trauergottesdiensten, weil es sich in der Notzeit des Dreißigjährigen Krieges vertrauensvoll an Christus wendet und ihn um Hilfe und Halt bittet. Das können wir gerade jetzt angesichts des grausamen Krieges in der Ukraine gut nachfühlen und mitsingen.
 
     Alle 6 Strophen des Liedes beginnen mit der Bitte an Christus, er möge bei uns bleiben. Jede Strophe variiert dann diese Bitte mit einem anderen Wert, um den gebeten wird.
     Die 1. Strophe bittet Christus um seine Gnade, damit uns die List des Bösen nicht schaden kann.
     Die 2. Strophe bittet um sein Wort, das uns Christi Güte und Heil bringen  und beides auch bewahren soll.
     Die 3. Strophe bittet Christus als das „Licht der Welt“, er möge uns mit seinem Glanz und seiner Wahrheit umgeben, damit wir nicht in die Irre gehen.
     In der 4. Strophe soll Christus mit seinem Segen bei uns bleiben, damit seine Gnade und unser Bemühen immer stärker werden.
     Die 5. Strophe bittet Christus um seinen Schutz gegen das Böse und gegen die Bosheit der Welt.
     Die 6. Strophe bittet am Ende des Liedes Gott um seine Treue, - um Standfestigkeit und Nothilfe für uns.
 
        Der Dichter des Liedes, Josua Stegmann, lebte von 1588 bis 1632 und war Superintendent, Gymnasial-Lehrer und Theologie-Professor in Rinteln an der Weser.
Er schreibt aus den bösen Kriegserfahrungen seiner Zeit haraus. Dabei vertraut er fest auf Christus und auf Gott und erwartet und er bittet von ihm all das, was er in den sechs Strophen anspricht: Gnade und Bewahrung, Güte und Heil aus Gottes Wort, Licht und Wahrheit, Segen und Kraft, Schutz vor dem Teufel und zusammenfassend Gottes Treue und eigene Standhaftgkeit.
     So findet er hilfreiche und glaubensstärkende Worte für ein Lied in schwerer Zeit. Vielleicht hilft diese Lied auch uns in diesen Tagen, die ebenfalls von Krisen belastet sind und von einem schrecklichen Krieg, mit dem Russland die Ukraine überfallen hat und der auch uns sehr belastet.
 
     Nun ist solch festes und hoffnungsfrohes Gottvertrauen wie bei Stegmann selten in unseren Tagen. Heute vertrauen die Menschen eher auf sich selbst, auf Geld und Gut, auf politische und militärische Macht wie es uns die Nachrichten jeden Tag zeigen. Aber bewährt sich solches Vertrauen auf Menschen und Material? Hilft uns das im alltäglichen Leben und bei den großen Problemen in aller Welt? 
Ein Stück weit tut es das wohl; denn natürlich freue ich mich, wenn ich gesund und tatkräftig bin, wenn ich eine gute Arbeit und ein sicheres Einkommen habe, wenn ich in liebevollen Beziehungen lebe. Doch was ist, wenn etwas davon wegbricht, wenn ich krank oder im Alter schwächer werde, wenn die Arbeit schwer fällt oder schlecht bezahlt wird, wenn Angehörige erkranken oder gar sterben?
     Dann wäre doch ein festes Vertrauen auf Gott wie das von Josua Stegmann sehr hilfreich und gäbe guten Halt. Und solch ein Glaube an den Vater im Himmel, den wir anrufen und um Hilfe und Halt bitten können, trägt nicht nur in schweren Lebenslagen, sondern auch, wenn wir keinen Grund zum Klagen haben; denn gerade dann können wir doch Gott danken für vieles Gute, was uns widerfährt und was ja gar nicht selbstverständlich ist, wie etwa eine gute Ehe. 
     Ich finde also, wir können von Stegmann lernen, Gott immer wieder um Hilfe und Begleitung zu bitten auf unserem Weg; dann werden wir an guten Tagen Gott danken und an bösen Tagen um seinen Schutz bitten. Und beides hilft zu einem gesegneten Leben.
 
Jürgen Flohr

Andacht für die Woche vom 19. bis 25. Februar 2023 zum Wochenlied EG 401 von Sup.i.R. Wilhelm Niedernolte

Liebe Leserin, lieber Leser,

Johann Scheffler, später Angelus Silesius genannt, „schlesischer Engel“, dichtete 1657 dieses Lied. Eine Frage bewegte den Hof- und Leibarzt Herzog Sylvius Nimrods von Württemberg: wie ist Gott zu uns? Und er hat sich von einem Wort leiten lassen: Liebe. So ist zu lesen in der Heiligen Schrift. Gott ist die Liebe – so einfach, so klar. Und da Liebe immer ein Gegenüber hat, immer eine Geschichte erzählt, immer schnell auf den Punkt kommt, flossen dem Dichter die Gedanken nur so in die Feder:

 1) Liebe, die du mich zum Bilde deiner Gottheit hast gemacht,
 Liebe, die du mich so milde nach dem Fall hast wiederbracht:
 Liebe, dir ergeh ich mich, dein zu bleiben ewiglich.

2) Liebe, die du mich erkoren, eh ich noch geschaffen war,
 Liebe, die du Mensch geboren und mir gleich wardst ganz und gar:
 Liebe, dir ergeb ich mich, dein zu bleiben ewiglich.

3) Liebe, die für mich gelitten und gestorben in der Zeit,
 Liebe, die mir hat erstritten ewge Lust und Seligkeit:
 Liebe, dir ergeb ich mich, dein zu bleiben ewiglich.

4) Liebe, die du Kraft und Leben, Licht und Wahrheit, Geist und Wort,
 Liebe, die sich ganz ergeben mir zum Heil und Seelenhort:
 Liebe, dir ergeb ich mich, dein zu bleiben ewiglich.

5) Liebe, die mich hat gebunden an ihr Joch mit Leib und Sinn,
 Liebe, die mich überwunden und mein Herz hat ganz dahin:
 Liebe, dir ergeb ich mich, dein zu bleiben ewiglich.

6) Liebe, die mich ewig liebet und für meine Seele bitt',
 Liebe, die das Lösgeld gibet und mich kräftiglich vertritt:
 Liebe, dir ergeb ich mich, dein zu bleiben ewiglich.

7) Liebe, die mich wird erwecken aus dem Grab der Sterblichkeit,
 Liebe, die mich wird umstecken mit dem Laub der Herrlichkeit:
 Liebe, dir ergeb ich mich, dein zu bleiben ewiglich.

Das ist die Geschichte, die Gott mit uns hat – und wir mit ihm. „Vater“ kommt nicht vor, „Sohn“ nicht, “Heiliger Geist“ auch nicht – und doch sind sie so lebendig und gegenwärtig wie – die Liebe. Von ihr wird erzählt, was sie macht, was sie ist, wohin sie führt. In sieben Versen hat Johann Scheffler, der in einer Zeit großer Konflikte lebte – Dreißigjähriger Krieg, konfessionelle Rechthaberei und menschliche Niedertracht - die Worte gefunden, die dem Geheimnis Gottes nahe kommen. Immer wieder: Liebe, die du mich … Es ist ein Hohelied für mich. Ich bin Gottes Bild. Von ihm gefunden. Von ihm erkoren. Geliebt. Vor meiner Geburt. Von Anfang an. So sehr geliebt, dass die Liebe Mensch wird, stirbt, ewige Lust und Seligkeit erkämpft. Ganz dicht an meinem Leben formuliert, alles Unwichtige weggelassen: Liebe, die du Kraft und Leben, Licht und Wahrheit, Geist und Wort, Liebe, die sich ganz ergeben mir zum Heil und Seelenhort. Liebe, dir ergeb ich mich, dein zu bleiben ewiglich.  Von der Liebe erzählen – und was sie aus mir macht – überwindet Missverständnisse und Vorurteile. Erzählen wir doch unsere Geschichte mit Gott – und Gottes Geschichte mit uns.

Jeder Vers schließt mit der Gewissheit „ Liebe, dir ergeb ich mich, dein zu bleiben ewiglich“. Aber spannend ist, was von der Liebe noch gesagt wird: Sie nimmt mein Herz gefangen, Leib und Sinne, sie vertritt mich vor Gott – das hat Johannes Scheffler Paulus abgelauscht – und sie schenkt mir Unsterblichkeit. Es sind drei Sätze – Sätze also, die, weil sie von der „Liebe“ ausgehen, einen Schatz erschließen.

Die Liebe bindet mich an andere Menschen, mit Haut und Haaren.
Ich trete für andere Menschen ein und vertrete sie, wenn sie nichts mehr sagen können.
Ich lasse mich nicht vom Tod einschüchtern, sondern kämpfe für das Leben.

 
Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit

Wilhelm Niedernolte
Superintendent i.R. Eldagsen

Andacht für die Woche vom 12. bis 18. Februar über das Wochenlied EG 199 von Pfr. i.R. Jürgen-Peter Lesch

Liebe Leserin, lieber Leser,

manchmal fehlen die Worte. Für das Erdbeben in der Türkei und in Syrien, eine Katastrophe, deren Ausmaß nicht abzuschätzen ist, fehlen mir die richtigen Worte. Worte, in denen ich mein Entsetzen und meine Bestürzung ausdrücken könnte. Und Worte, in denen ich mein Mitleid und meine Trauer fassen könnte. So bleibt mir selbst im Moment eigentlich nur das Schweigen. 

Doch unter dem Eindruck dieser Katastrophe, mit den Bildern der verletzten, verzweifelten und trauernden Menschen vor Augen, schaue ich auf den Text des Wochenlieds. „Gott hat das erste Wort“, lese ich. Und später: „Gott hat das letzte Wort“. Gott hat das erste und das letzte Wort. Das erinnert mich an das vorletzte Kapitel in der Offenbarung des Johannes. Dort lese ich: „Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende. …“. Und genau dazwischen, zwischen Anfang und Ende, da bin ich, da sind wir. Mit unseren Zweifeln und Ängsten. Mit unseren Fragen – Fragen angesichts dieses großen Erdbebens und anderer Naturkatastrophen wie Dürren, Überschwemmungen und Brände. Fragen und Zweifeln angesichts des Krieges in der Ukraine und all der Bürgerkriege und kriegerischen Konflikte, die Tod und Verletzungen, Heimatlosigkeit und Flucht mit sich bringen.

Ich schaue genauer hin auf die einzelnen Strophen dieses Wochenliedes – geschrieben von einem blinden niederländischen Pfarrer, Organisten und Musikdozenten. Übersetzt von einem schweizer Pfarrer und Professor für Liturgik und Hymnologie. Ich lese:

„Gott hat das erste Wort. Es schuf aus Nichts die Welten und wird allmächtig gelten und gehen von Ort zu Ort.“

Gott hat die Welt vor aller Zeit und vor allem Raum „ins Leben gerufen“. Durch sein Wort entstand der Planet, auf dem wir leben dürfen, die Erde. Die ist zwar nicht das Paradies, sie ist aber auch nicht unser Eigentum, in der wir nach Lust und Laune alles ge- und verbrauchen können. Doch sie ist ein Ort zum Leben und zum Lernen. So können wir zum Beispiel lernen, mit Katastrophen wie Erdbeben und Tsunamis, Vulkanausbrüchen, Stürmen, Waldbränden und Überschwemmungen umzugehen. Verhindern lassen sich die meisten dieser Katastrophen zwar nicht, aber ihre Folgen lassen sich mildern oder erträglicher machen. Es geht dabei um uns – was in der nächsten Strophe deutlich wird:

„Gott hat das erste Wort. Eh wir zum Leben kamen, rief er uns schon mit Namen und ruft uns fort und fort.“

Wir werden von Gott gerufen und sind von ihm berufen. Jede und jeder einzelne von uns. Ich denke an die Worte aus dem Buch des Propheten Jesaja: „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.“ Doch hier kommen mir jetzt Zweifel. Was ist mit dem Ruf Gottes an die Menschen, die unter Trümmern liegen, die verletzt oder tot sind. Und was ist mit denen, die Töchter oder Söhne, Mütter oder Väter, Großeltern, Verwandte, Freundinnen oder Freunde, Kolleginnen oder Kollegen verloren haben. Hier habe ich keine eigene Antwort. Mir bleiben nur die Worte des Hiob. Mitten im tiefsten Leid sagt er: „Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und zuletzt wird er über dem Staub sich erheben“. Hiob wird klar, dass der Mensch nicht alles verstehen kann. Er ringt mit Gott; er fragt und befragt ihn. Und Gott stellt sich ihm. Doch die Frage nach dem Leid bleibt offen. Hiob muss erkennen, dass er die Antwort nicht finden wird.

Wenn der Mensch also nicht wirklich über Gott richten kann, so kann Gott doch über den Menschen richten. So heißt es in der dritten Strophe:

„Gott hat das letzte Wort, das Wort in dem Gerichte am Ziel der Weltgeschichte, dann an der Zeiten Bord.“

Es geht um das Weltgericht am Ende aller Zeiten. Darüber spricht schon Jesus eindrücklich: „Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan“ lesen wir im Evangelium nach Matthäus. Angesichts der Erdbeben-Katastrophe wird offensichtlich, was das bedeutet. Da zeigt sich wahre Menschlichkeit auf der einen Seite und Menschenverachtung auf der anderen. Da gibt es die spontane Hilfsbereitschaft, das Sammeln von Geldern und Hilfsgütern, die privaten Transporte – all das ohne die Frage zu klären, wer genau das alles bekommen soll. Menschen brechen sofort auf, um anderen zu helfen. Wenn Hilfe so dringend gebraucht wird, wer wird da fragen nach Staatsangehörigkeit oder Religion? Aber es gibt eben auf der anderen Seite die Menschenverachtung. Das Sperren von Grenzübergängen, das Beschlagnahmen von Hilfsgütern für eigene Zwecke, ja wohl auch die weitere Bombardierung der Opfer in den Gebieten der Kurden und Aleviten. Nicht einmal der Krieg in der Ukraine wird angesichts der großen Not wenigstens durch eine Waffenruhe unterbrochen, sondern er wird im Gegenteil verstärkt. Wir sehen: Es geschieht so viel Gutes, aber auch manches Schlechte offen oder im Verborgenen. Da ist es gut zu wissen, dass am Ende eine andere, eine unbestechliche Instanz urteilen wird.
Dazu kommt die Hoffnung oder auch die Gewissheit, dass es mit dem Leben anders ausgehen wird. Dass uns nach unserem irdischen Leben etwas ganz Neues erwartet. So wie es in der vierten Strophe heißt:

„Gott hat das letzte Wort. Er wird es neu uns sagen dereinst nach diesen Tagen im ewgen Lichte dort.“

Ich denke an die vielen Zusagen im Alten wie im Neuen Testament. Im Buch des Propheten Jesaja lese ich: „Denn siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, dass man der vorigen nicht mehr gedenken und sie nicht mehr zu Herzen nehmen wird“. Oder im Buch der Offenbarung: „Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen“.
Diese Hoffnung ist für mich befreiend. Nein, es geht nicht darum, einfach aufzugeben. Es geht darum, sich dann, wenn die Kräfte nachgelassen haben und das Leben an ein Ende kommt, Gott anzuvertrauen. Irgendwann einmal darf ich aufhören, zu tun und zu lassen. Dann kann ich alles im Vertrauen auf die Erlösung durch Jesus Christus geschehen lassen. Welch ein Trost.
Am Ende des Liedes steht, was mein Leben, was unser Leben, was alles umfasst:

„Gott steht am Anbeginn, und er wird alles enden. In seinen starken Händen liegt Ursprung, Ziel und Sinn.“

Ich wünsche Ihnen allen, dass Sie darauf vertrauen können – auch und gerade, wenn das Vertrauen nicht leichtfällt, die Hoffnung klein wird und der Zweifel nicht verstummen will. 

Ihr Jürgen Peter Lesch

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Das Lied „Gott hat das letzte Wort“ stammt ursprünglich aus den Niederlanden. Es wurde im Jahr 1965 unter dem Titel „Nieuwjaarslied“ (Neujahrslied) im Liederbuch-Probeband „102 Gezangen“ (mit fünf Strophen ) und im Jahr 1973 im „Liedboek voor de kerken“ (mit nur noch vier Strophen) veröffentlicht. Der Text „God heeft het eerste woord“ stammt von einem reformierten Niederländer, dem blinden Pfarrer, Organisten und Schriftsteller Jan Wit (1914-1980), der überdies Dozent für Hymnologie an der Universität Groningen war. Das Lied hat ursprünglich fünf Strophen. Die niederländische Gesangbuchkommission strich nach dem Erscheinen des Probebandes die dritte Strophe, die poetisch schwächer als die anderen war und vom Sterben handelte.

Im Jahr 1970 übersetzte Markus Jenny (1924-2001), Schweizer Pfarrer und Professor für Liturgik und Hymnologie an der Universität Zürich, den Text ins Deutsche. Dabei fügte er eine neue dritte Strophe ein, weil er zwischen der zweiten und dritten Strophe eine formale Lücke erkannt hatte. Dieser Text steht nun im Evangelischen Gesangbuch. Von Markus Jenny stammt unter anderem die dritte Strophe des Liedes „Hilf, Herr meines Lebens“ (EG 419). Überdies hat er eine Übersetzung des schwedischen Liedes „Gud kärlek är som stranden och som gräset“ geschrieben: „Weit wie das Meer ist Gottes große Liebe, wie Wind und Wiesen, ewiges Daheim“. Allerdings ist die Übertragung von Ernst Hansen „Herr, deine Liebe ist wie Gras und Ufer“ bei uns bekannter.

Die Melodie schrieb Gerhardus Marinus (Gerard) Kremer wohl im Jahr 1959. Kremer (1919-1970) war Kantor, Organist, Dozent und Komponist in Amsterdam, Bloemendaal und Aerdenhout. Bereits mit 14 Jahren war er Organist in der Kapelle der Valerius-Klinik in Amsterdam. Im Zweiten Weltkriegs tauchte er wie viele seiner Altersgenossen unter. Nach dem Krieg widmete er sich ganz dem Musikstudium. Als einer der ersten Schüler absolvierte er eine Berufsausbildung an der 1950 gegründeten Protestantse Kerkmuziekschool in Utrecht. Gerard Kremer komponierte unter anderem Bearbeitungen von Kirchenliedern für Orgel und Chor. Auch verschiedene Chorsätze in der Chor- und Orgelausgabe des „Liedboek voor de kerken“ (s.o.) stammen von ihm.

Andacht für die Woche vom 05. bis 11. Februar 2023 zum Wochenlied EG 452 von Sup.i.R. Christian Klatt

„Er weckt mich alle Morgen, er weckt mir selbst das Ohr.
Gott hält sich nicht verborgen, führt mir den Tag empor,
dass ich mit seinem Worte begrüß das neue Licht.
Schon an der Dämmrung Pforte ist er mir nah und spricht.“
Unter den neueren Kirchenliedern aus dem 20. Jahrhundert, die 1994 in unser Evangelisches Gesangbuch aufgenommen wurden, hat dieses Morgenlied von Jochen Klepper rasche Akzeptanz gefunden. Schön, dass es jetzt auch zu einem der Wochenlieder bestimmt worden ist. Es wird in unseren Gottesdiensten gern und häufig gesungen. Das mag auch an der Melodie liegen, die der Kirchenmusiker Rudolf Zöbely original zu diesem Lied bald nach dessen Veröffentlichung geschaffen hat. Es ist eine durchaus anspruchsvolle, aber gut singbare Komposition. 
 
Aber es ist auch eine sehr gehaltvolle Dichtung. Jochen Klepper hat sie während der Karwoche des Jahres 1938 geschrieben. Wir wissen das aus seinen Tagebüchern, die nach seinem Tod auszugsweise mit dem Titel „Unter dem Schatten deiner Flügel“ publiziert wurden. Wie fast alle seiner Eintragungen überschreibt er auch diese vom 12. April 1938 mit einem Bibelwort, zumeist aus den Herrnhuter Losungen. An dem Tag waren es Verse aus dem Prophetenbuch Jesaja im 50. Kapitel: „Er weckt mich alle Morgen; er weckt mir das Ohr, dass ich höre wie ein Jünger. Der Herr hat mir das Ohr geöffnet; und ich bin nicht ungehorsam und gehe nicht zurück. Denn ich weiß, dass ich nicht zu Schanden werde. Er ist nahe, der mich gerechtspricht.“ Klepper notiert dazu im Tagebuch, daß ihm diese Worte „den ganzen Tag nicht aus dem Ohr gegangen waren.“
 
Es ist ein ungewöhnliches Morgenlied! Kein Dank für den Schutz in der vergangenen Nacht, wie sonst in den geistlichen Morgenliedern, keine Bitte für den neuen Tag. Klepper nimmt die Morgenstunde, die „Pforte der Dämmerung“, wahr als ein Reden Gottes mit uns. Deshalb sind nicht die Augen und nicht der Mund, sondern die Ohren das entscheidende Organ, nicht nur  am Morgen. Das ist in der Tat ein gesegneter Tagesbeginn, wenn „ich mit seinem Worte begrüß das neue Licht“ und wenn ich dessen gewiss sein kann: Gott „ist mir nah und spricht“ zu mir!
 
Diese theologische Grundaussage verstärkt Klepper eindrucksvoll dadurch, dass er auch alle vier folgenden Strophen mit dem Personalpronomen „Er“, also mit Gott beginnt:
 „Er spricht wie an dem Tage, da er die Welt erschuf.“
„Er will, dass ich mich füge. Ich gehe nicht zurück.“
„Er ist mir täglich nahe und spricht mich selbst gerecht.“
„Er will mich früh umhüllen mit seinem Wort und Licht.“
Alle diese Aussagen über Gottes Reden, Wollen und Handeln haben nur das eine Ziel: Dass ich getrost und gestärkt in den neuen Tag hineingehe. Diese Strophen sind, so finde ich, nicht nur ein Morgenlied, sondern wirklich ein Wochenlied, ja ein Lebenslied! Es endet mit den schönen Versen: „Sein Wort will helle strahlen, wie dunkel auch der Tag.“ Die Tage sind damals immer dunkler geworden für Jochen Klepper, der mit einer verwitweten jüdischen Frau verheiratet war, von der er sich trotz massiven Drucks von Seiten der Nazis nicht getrennt hat. Auch heute erleben viele Menschen viel Dunkelheit, durch Krieg und Zerstörung, durch Hunger oder schwere Krankheit. In seinem Adventslied hatte Klepper gedichtet: „Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt.“ Hell wird es bei und in uns, wenn wir Gottes Wort in uns aufnehmen, mit unseren Ohren und mit unserem Herzen.

Ich wünsche Ihnen helle und behütete Tage in dieser neuen Woche! 
Ihr Christian Klatt

Andacht für die Woche vom 22. bis 28. Januar 2023 zum Wochenlied EG 293 von Sup.i.R. Wilhelm Niedernolte

1) Lobt Gott den Herrn, ihr Heiden all,
 lobt Gott von Herzensgrunde,
 preist ihn, ihr Völker allzumal,
 dankt ihm zu aller Stunde,
 dass er euch auch erwählet hat
 und mitgeteilet seine Gnad
 in Christus, seinem Sohne.

2) Denn seine groß Barmherzigkeit
 tut über uns stets walten,
 sein Wahrheit, Gnad und Gütigkeit
 erscheinet Jung und Alten
 und währet bis in Ewigkeit,
 schenkt uns aus Gnad die Seligkeit;
 drum singet Halleluja.

 
Liebe Leserin, lieber Leser,

dieses Lied von Joachim Sartorius aus dem Jahr 1591 ist eine Vertonung des Psalms 117 der Bibel, des kürzesten Psalms überhaupt. Lobet den Herrn, alle Heiden! Preiset ihn, alle Völker! Denn seine Gnade und Wahrheit waltet über uns in Ewigkeit. Halleluja.Entsprechend kurz ist das Lied für diese Woche. Es umfasst auch nur zwei Strophen.

Trotz seiner Kürze ist der 117. Psalm ein vollständiger Psalm. Wir können das an einem Merkmal erkennen, das viele andere Psalmen auch haben: Der Anfang und der Schluss sowohl des Psalms als auch des Liedes bilden einen inhaltlichen Rahmen. Hier ist es der Lobpreis, der die Mitte einrahmt: Am Anfang werden alle Völker zum Gotteslob aufgefordert, und am Ende heißt es zusammenfassend: „Halleluja!“: „Lasst uns den Herrn preisen!“ Eingebettet in diesen Lobpreis-Rahmen steht als Mitte der Grund für das Gotteslob, zusammengefasst in einen einzigen Satz: „Seine Gnade und Wahrheit waltet über uns in Ewigkeit.“ Wohlgemerkt: Über uns alle – nicht nur über Israel und nicht nur über bestimmte Teile der Menschheit, sondern über alle Völker.

 Allen Menschen der Erde will Gott diese drei Dinge schenken: Gnade, Wahrheit und Ewigkeit.

Da ist zuerst Gottes Gnade. Wir können auch Güte oder Barmherzigkeit sagen. Gott meint es gut mit allen Menschen. Gott hat alle lieb – alle ohne Ausnahme. Das fällt vielen schwer zu glauben. Viele können sich angesichts von soviel Leid und Elend in der Welt nicht vorstellen, dass Gott gnädig ist. Darum hat Gott seiner Gnade ein menschliches Gesicht gegeben – ein friedlich lächelndes Babygesicht. Gott zeigt sich den Menschen ganz anders, als sie sich ihn bisher vorstellten: Er kommt als Kind armer Leute zur Welt. Wenn Gott sich so tief zu uns herabneigt, wenn er uns so freundlich und kindlich anlächelt – wie sollte er uns da nicht gnädig sein? Lassen wir uns nur durch Gottes Wort zu diesem Kind in der Krippe führen, so wie sich die Weisen durch den Stern dorthin haben führen lassen! Schauen wir auf dieses Kind und auf den Mann, der aus ihm wurde; lassen wir uns nicht von äußeren Einflüssen davon abbringen! Beten wir dieses Kind als unsern Herrn und König an, wie die Weisen es gemacht haben! Dann werden wir merken, wie Gottes Gnade über uns waltet – über uns und über allen Menschen.

Aber wir finden mit diesem Kind auch Gottes Wahrheit. Dabei müssen wir freilich beachten, dass Gottes Wahrheit ein bisschen anders zu verstehen ist als die  Wahrheit der Menschen. Bei den Menschen geht es lediglich darum, was Wirklichkeit ist und den Tatsachen entspricht. Bei Gott bedeutet Wahrheit mehr. Bei der Wahrheit der Heiligen Schrift geht es letztlich immer um unsere Beziehung zu dem, der die Wahrheit in Person ist. Damit ist Jesus gemeint. Er selbst hat von sich gesagt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh. 14,6). Alle Menschen können sie in Jesus Christus finden. Die volle Wahrheit erschließt sich allerdings erst dem, der dem neugeborenen König von Bethlehem nach Golgatha folgt. Gottes Gnade erscheint nämlich nicht nur im lächelnden Babygesicht, sondern auch im schmerzverzerrten Gesicht des sterbenden Mannes am Kreuz. Hier findet sich letztlich auch die Wahrheit über uns selbst – über unsere Schuld und über unser Versagen. Gott zeigt uns damit: Meine vergebende Gnade kann es nicht zum Nulltarif geben, denn eure Sünde wiegt zu schwer, als dass die gerechte Strafe ausbleiben dürfte. Aber den hohen Preis für die Vergebung hat Gott selbst durch seinen Sohn bezahlt. Wer das ausblendet und meint, man könne Gottes Liebe auch ohne Sündenbekenntnis und ohne Buße finden, der macht sich etwas vor und lebt nicht in Gottes Wahrheit.

Schließlich finden wir mit dem Kind in der Krippe Gottes Ewigkeit.  „Seine Gnade und Wahrheit waltet über uns in Ewigkeit.“  In Gottes Ewigkeit werden sich alle Völker bestens verstehen. Nicht nur alle Sprachbarrieren werden da vergessen sein, sondern auch alles andere, was Menschen verschiedener Herkunft hier auf der Erde noch voneinander trennt oder entfremdet: Vorurteile, Ängste, Neid oder was auch immer es sein mag. In der Ewigkeit werden Gottes Gnade und Wahrheit über alle menschlichen Unzulänglichkeiten triumphieren. Denn „seine Gnade und Wahrheit waltet über uns in Ewigkeit.“ Er hat die Menschen aller Völker gleich lieb, und er will ihnen allen seine Gnade und Wahrheit schenken durch Jesus Christus, seinen Sohn. Darum sollte es bei uns keinen nationalen Egoismus mehr geben und keine Vorbehalte mehr gegenüber Ausländern allein aus dem Grund, weil sie Fremde sind. Gottes Gnade gilt allen Völkern – warum sollten wir dann unsere Sympathie auf bestimmte Menschengruppen beschränken? Denken wir doch einfach daran, wie die große Völkergemeinschaft aller Christus-Anbeter im Himmel einst gemeinsam loben wird: „Lobet den Herrn, alle Heiden! Preiset ihn, alle Völker! Denn seine Gnade und Wahrheit waltet über uns in Ewigkeit. Halleluja.“ Amen.

 
Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit.
Wilhelm Niedernolte, Sup. i.R.
Eldagsen

Andacht für die Woche vom 15. bis 21. Januar über das Wochenlied "In dir ist Freude" (EG 398) von Pfr. i.R. Jürgen-Peter Lesch

Liebe Leserin, lieber Leser,

„In dir ist Freude in allem Leide, o du süßer Jesu Christ“ – wird dieses Lied im Gottesdienst angestimmt, bin ich hin und hergerissen. Da möchte ich aufspringen, hüpfen und tanzen. Oft ärgere ich mich, dass die Gemeinde mit ihrem langsamen und getragenen Gesang allen Schwung aus der Melodie nimmt. Das hört sich dann nicht mehr nach einem Tanzlied an, sondern nach einem Pilgerlied, das eine müde Schar auf ihrem langen Weg im Rhythmus ihrer langsamen Schritte singt.

Doch die Langsamkeit hat ja auch ihre Berechtigung. Denn in die Freude mischt sich schon das Leid. Offenbar ist das Eine nicht ohne das Andere zu haben. Das nimmt die Freude am Tanzen, und ich finde mich still auf meinem Stuhl sitzend wieder. Also was soll es sein: Ein Tanzlied oder ein Pilgerlied?

Der Reihe nach: Tatsächlich ist die Melodie des italienischen Komponisten Giovanni Giacomo Gastoldi ein Tanzlied, ein „Balletto“. Der ursprüngliche Titel des Liedes „A lieta vita amor c’invita“ stammt aus dem Jahr 1591. Übersetzt lautet die erste Strophe etwa so: 

Zu fröhlichem Leben lädt Amor uns ein.
 Wer sich nach Freude sehnt, wenn er von Herzen liebt, wird sein Herz geben einem solchen Herrn. 

Es war der Thüringer Pfarrer Cyriacus Schneegaß, der 1598 dem Liebeslied einen geistlichen Text gab. Statt um Amor, den leichtfüßigen und unberechenbaren Gott der Liebe, geht es jetzt um Jesus Christus, den beständig liebenden Gott. Der Charakter des Liedes hat sich jedoch nicht grundlegend verändert. Noch immer steht die Freude am Anfang. Dazu kommen jetzt Zuversicht und Vertrauen auf Gott. 

In dir ist Freude in allem Leide, 
 o du süßer Jesu Christ!

Durch dich wir haben himmlische Gaben, 
 du der wahre Heiland bist; 
 hilfest von Schanden, rettest von Banden. 
 Wer dir vertrauet, hat wohl gebauet, 
 wird ewig bleiben. Halleluja.

Zu deiner Güte steht unser G’müte, 
 an dir wir kleben im Tod und Leben; 
 nichts kann uns scheiden. Halleluja.

Im Lied findet sich eine Fülle von Bibelstellen, die von Freude und Trost handeln. Der Anfang spielt auf den letzten Vers von Psalm 73 an: „Das ist meine Freude, dass ich mich zu Gott halte“. Und die etwas merkwürdige Formulierung „an dir wir kleben im Tod und Leben“ übernimmt Gedanken aus dem Römerbrief Kap 8 (Vers 38f). Dort schreibt Paulus: „Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben … weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges … uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn“. Im Zentrum der ersten Strophe steht die Freude über Jesus Christus, der der wahre Heiland ist. Er ist die wahre Hilfe gegen all das, was uns erniedrigen, begrenzen und am Leben hindern will. Er ist der Grund, auf dem wir unser Leben aufbauen können. 

Das Bekenntnis zu Jesus als Grund und Hoffnung unseres Lebens wird in der zweiten Strophe noch deutlicher:

Wenn wir dich haben, kann uns nicht schaden 
 Teufel, Welt, Sünd oder Tod;
du hast’s in Händen, kannst alles wenden, 
 wie nur heißen mag die Not.

Am Ende stehen der große Lobpreis, der Jubel und der Triumph: 

Drum wir dich ehren, dein Lob vermehren 
 mit hellem Schalle, freuen uns alle 
 zu dieser Stunde. Halleluja.
Wir jubilieren und triumphieren, 
 lieben und loben dein Macht dort droben 
 mit Herz und Munde. Halleluja.

Diese Zeilen singe ich gerne und laut mit. Doch dann werde ich wieder nachdenklich. Ist das nicht zu dick aufgetragen? Bin ich wirklich so voller Freude und Zuversicht? Und lade ich selbst, laden wir als christliche Gemeinde hier vor Ort, als evangelische Kirche in unserem Land und als Christen weltweit mit unserem Reden, unserem Tun und Lassen wirklich ein zu Freude und Zuversicht? Und was heißt das für mich, für uns: „an dir wir kleben im Tod und Leben“?

Wer den Boden unter den Füßen verliert, der hängt buchstäblich in der Luft und wird orientierungslos. Wer dem Tod begegnet, der kann nur schreien oder verstummen. Nichts auf der Welt macht einsamer als die Todesbegegnung. Wer mit tückischen Krankheiten zu kämpfen hat, der fragt: Wo nehme ich die Kraft zum Leben her? Die Freude und der Jubel passen so wenig zu unseren alltäglichen Erfahrungen. Doch genau diese Erfahrungen sind in das Lied mit hineingenommen. Dahinter steht der Gedanke, der sich in der Zeit des 30-jährigen Krieges weit verbreitete: Richtig leben kann nur der, der den Tod nicht verdrängt, sondern ihn ins Leben einbezieht. Das ist möglich, wenn Menschen den Tod von Jesus Christus als ein Geschehen verstehen, dass ihnen die Angst vor dem Tod und allen zerstörerischen Mächten nehmen kann und nehmen soll. Das ist der entscheidende Unterschied zwischen dem ursprünglichen Text und dem Text von Cyriacus Schneegaß: Das erste Lied lädt zu Liebe und fröhlichem Leben ein. Das Zweite öffnet durch die Liebe von Jesus den Weg zu fröhlichem Leben und zuversichtlichen Sterben. 

Das Lied „In dir ist Freude“ ist und bleibt ein Tanzlied. Doch hier tanzen nicht einfach Menschen auf der Straße (oder in der Kirche). Hier tanzen Menschen Tod und Teufel auf der Nase herum. Weil „Teufel, Welt, Sünd oder Tod“ durch Jesus Christus ihre Macht verloren haben. Weil sie durch den Tod von Jesus Christus am Kreuz und durch seine Auferstehung nicht mehr das letzte Wort haben, sondern nur noch das Nachsehen. Uns bleibt dagegen:

Wir jubilieren und triumphieren, 
 lieben und loben dein Macht dort droben 
 mit Herz und Munde. Halleluja.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie immer wieder neu mit Zuversicht auf Ihr und unser aller Leben schauen können.
Ihr Jürgen Peter Lesch

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Der Komponist der Melodie, Giovanni Giacomo Gastoldi, wurde wohl im Jahr 1553 in Caravaggio/Lombardei geboren und starb 1609 oder 1622. Er soll als Chorknabe an der Basilika Santa Barbara eine musikalische Ausbildung erhalten und danach Theologie studiert haben. Anschließend wirkte unter anderem als Kapellmeister der herzoglichen Kapelle von Santa Barbara in Mantua. Gastoldi ist hauptsächlich durch seine Balletti (eine Art Tanzlied) bekannt geworden, die zu den bekanntesten Kompositionen des späten 16. und des frühen 17. Jahrhunderts gehören. 

Der Textdichter Cyriacus Schneegaß wurde am 5. Oktober 1546 in Bufleben, nördlich von Gotha, geboren und starb am 23. Oktober 1597 in Friedrichroda. Er besuchte die Landesschule in Gotha, deren Direktor Cyriacus Lindemann war, der später sein Schwiegervater wurde. Schneegaß studierte Theologie an der Universität Jena und wurde Pastor in Tambach und später in Friedrichroda. Neben seiner Tätigkeit als Gemeindepastor wirkte er als Liederdichter, Komponist und Musikschriftsteller. Er gab vier Liedersammlungen heraus, die u.a. Psalmlieder sowie Weihnachts- und Neujahrsmotetten enthielten.

Andacht für die Woche vom 08. bis 14. Januar 2023 zum Wochenlied EG 441 von Sup.i.R. Christian Klatt

„Du höchstes Licht, du ewger Schein, du Gott und treuer Herre mein,
von dir der Gnaden Glanz ausgeht und leuchtet schön so früh wie spät.“
 
Dieses Lied ist in unserem Gesangbuch in die Rubrik der Morgenlieder eingereiht worden, ganz der Absicht des Konstanzer Reformators Johannes Zwick (um 1496 – 1542) entsprechend, der seine Strophen mit dem Titel „Morgengesang“ überschrieben hat. Doch schon der Wortlaut der ersten Strophe zeigt, dass hier nicht bloß vom Sonnenaufgang am Morgen und dem Beginn des neuen Tages die Rede ist, sondern von dem höchsten Licht, dem ewgen Schein, dem Glanz der Gnade Gottes, die uns tagaus, tagein leuchtet schön so früh wie spät. Insofern ist dies genau das rechte Wochenlied für den ersten Sonntag nach Epiphanias, dem Fest der Erscheinung Christi.
 
Alle acht Strophen sind von diesem Thema göttlichen Lichtes geprägt, das in der Person Jesu Christi erschienen ist und in unserem Leben zum Leuchten kommen will. Strophen 2 und 3:
„Das ist der Herre Jesus Christ, der ja die göttlich Wahrheit ist,
mit seiner Lehr hell scheint und leucht‘, bis er die Herzen zu sich zeucht.“
„Er ist das Licht der ganzen Welt, das jedem klar vor Augen stellt
den hellen, schönen, lichten Tag, an dem er selig werden mag.“
 
Der Liederdichter nimmt also das Wort Jesu aus dem Johannesevangelium auf: „Ich bin das Licht der Welt“ (8, 12) und legt es uns ans Herz: dass auch wir des Tages Kinder werden (Str. 4), dass der Tag des Heils, die Gnadenzeit in unseren Herzen hell aufgeht (Str. 5) und dass wir mit unserem Leben und Handeln Gott die Ehre geben durch Werke des Lichts (Str. 6), also durch Taten der Liebe und des Friedens. Das sind zweifellos gute Impulse für dieses neue Jahr. Viele Menschen machen sich zurecht große Sorgen. Die Stimmung ist weltweit verunsichert durch Krieg und Krisen, und für viele sind das nicht bloß trübe Stimmungen, sondern existenzielle Nöte und Ängste. Da stehen wir alle vor der Aufgabe, durch gute Worte und hilfreiche Taten Licht zu bringen, wo wir nur können. 
 
Die 7. Strophe schaut voraus auf die Zeit, wo es nach biblischer Verheißung (Offb. 22, 5) keinen Wechsel von Tag und Nacht mehr geben wird, weil alles vom ewigen Licht der Herrlichkeit Gottes erleuchtet sein wird: 
„Zuletzt hilf uns zur heilgen Stadt, die weder Nacht noch Tage hat,
da du, Gott, strahlst voll Herrlichkeit, du schönstes Licht in Ewigkeit.“
Aus diesen Versen hat Johannes Zwick hoffentlich auch selber Trost und Hoffnung geschöpft, als er in einer kleinen Nachbargemeinde in der Schweiz, deren Pfarrer an der Pest gestorben war, den pfarramtlichen Dienst übernahm und dort nach kurzer Zeit selber, erst 46 Jahre alt, von dieser Seuche dahingerafft wurde.
 
Die letzte Liedstrophe ist ein Gebet voller Lob und Dank, das uns zu Beginn des neuen Jahres das Herz weit und den Kopf klar machen will:
„O Sonn der Gnad ohn Niedergang, nimm von uns an den Lobgesang,
auf daß erklinge diese Weis zum Guten uns und dir zum Preis.“
 
Bleiben Sie in diesem Jahr unter Gottes Schutz und Segen dankbar, behütet und zuversichtlich!
Ihr Christian Klatt    

Andacht für die Woche vom 01. bis 07. Januar 2023 zum Wochenlied Nr. 64 von Sup.i.R. Jürgen Flohr

1. Der du die Zeit in Händen hast, 
 Herr, nimm auch dieses Jahres Last
und wandle sie in Segen. 
 Nun von dir selbst in Jesus Christ
die Mitte fest gewiesen ist, 
 führ uns dem Ziel entgegen.

2. Da alles, was der Mensch beginnt, 
 vor seinen Augen noch zerrinnt,
sei du selbst der Vollender. 
 Die Jahre, die du uns geschenkt,
wenn deine Güte uns nicht lenkt, 
 veralten wie Gewänder.

3. Wer ist hier, der vor dir besteht? 
 Der Mensch, sein Tag, sein Werk vergeht:
 Nur du allein wirst bleiben. 
 Nur Gottes Jahr währt für und für,
 drum kehre jeden Tag zu dir, 
 weil wir im Winde treiben.

4. Der Mensch ahnt nichts von seiner Frist. 
 Du aber bleibest, der du bist,
 in Jahren ohne Ende. 
 Wir fahren hin durch deinen Zorn,
 und doch strömt deiner Gnade Born 
 in unsre leeren Hände.

5. Und diese Gaben, Herr, allein 
 lass Wert und Maß der Tage sein,
 die wir in Schuld verbringen. 
 Nach ihnen sei die Zeit gezählt;
 was wir versäumt, was wir verfehlt, 
 darf nicht mehr vor dich dringen.

6. Der du allein der Ewge heißt 
 und Anfang, Ziel und Mitte weißt
 im Fluge unsrer Zeiten: 
 Bleib du uns gnädig zugewandt 
 und führe uns an deiner Hand, 
 damit wir sicher schreiten.

Liebe Lesende,
Dieses Lied zum Neuen Jahr, 
 zum Wechsel dieses Jahres und aller Jahre, 
 hat der evangelische Theologe Jochen Klepper 
 1938 gedichtet, in schwerer Zeit; 
 und es hat uns 
 in den Belastungen 
 dieses Jahreswechsels 2022/2023 
 viel zu sagen.
     Die 1. Strophe des Liedes 
 beginnt als Gebet, 
 als Bitte an Gott 
 als den Herren der Zeit, 
 er möge die Last des vergangenen Jahres 
 aufnehmen und in Segen wandeln.   
Das spricht auch uns aus dem Herzen; 
 denn es hat viele Lasten gegeben 
 im Jahr 2022: 
 Vor allem den Angriffskrieg Russlands 
 gegen die Ukraine 
 und seine Folgen auch bei uns 
 als Energie-Knappheit, Teuerung und Inflation, 
 mit vielen neuen Flüchtlingen aus der Ukraine, - 
 dann die Klimakrise mit Hochwasser 
 an dem einen und Dürre am anderen Ort 
 sowie andere Umweltschäden, - 
 nicht zu vergessen 
 die noch immer andauernde Corona-Pandemie 
 und andere Krankheitswellen. 
 Wahrlich kein einfaches Jahr war 2022. 
Für Klepper und seine jüdische Frau 
 ging es im Jahr der Entstehung dieses Liedes 
 um die furchtbare Verfolgung 
 durch die Nationalsozialisten.
     All solche auch schlimmen Erfahrungen 
 soll Gott neben den guten Erlebnissen 
 des vergangenen Jahres in Segen wandeln. 
 Das formuliert Klepper 
 als wichtige große Bitte an Gott, 
 wie nur er sie erfüllen kann, 
 und wir können dem Dichter darin sicher folgen. 
 Gott hat uns als festen Anhaltspunkt 
 Jesus Christus gesandt 
 und seine Geburt zur Mitte der Zeit gemacht. 
 Seitdem bezeichnen wir unsere Jahre 
 als solche vor und nach Christi Geburt. 
 Und von Christus her 
 können wir Gottes Liebe 
 als das Ziel auch unseres Lebens erkennen 
 und danach handeln.
    Die 2. Strophe blickt zurück 
 nicht nur auf das vergangene Jahr, 
 sondern auch auf alle Jahre, 
 die wir erlebt 
 und aus Gottes Hand empfangen haben. 
 Im Rückblick auf diese Vergangenheit 
 müssen wir feststellen, 
 dass vieles schnell veraltet und verrinnt 
 wie ein versiegender Bach, 
 wenn nicht Gott und seine Güte vollenden, 
 was wir angefangen haben. 
 Das ist ein realistischer Blick
 auf unser menschliches Tun. 
 Es kann vergeblich sein, 
 es kann aber auch 
 eine gewisse Vollendung gewinnen, 
 wenn Gottes Güte uns lenkt.
    Die 3. Strophe 
 setzt diesen Gedanken fort, 
 dass die Arbeit des Menschen vergänglich ist 
 und leicht wiegt wie ein Blatt im Wind. 
 Nur Gott bleibt ewig, 
 und darum gilt es, 
 ihm unsere Tage zu widmen.
     In der 4. Strophe 
 erinnert Klepper daran, 
 dass wir Menschen nicht wissen können, 
 wie kurz oder lang wir leben werden. 
 Gott aber ist ewig 
 und ist zuweilen zornig, 
 wenn er die Werke der Menschen ansieht, 
 und darunter die Taten 
 solcher Verbrecher 
 wie Hitler, Stalin oder Putin. 
 Trotz dieser menschlichen Bosheiten 
 bleibt der Herr 
 uns Menschen gnädig zugewandt 
 und füllt unsere leeren Hände 
 immer wieder mit guten Gaben, 
 wie jeder weiß, 
 der auf viele Jahre zurückblicken kann.
    Die 5. Strophe 
 führt diesen Blick 
 auf Gottes gütige Gaben fort 
 und erinnert auch an die Schuld, 
 die Menschen auf sich laden. 
 Doch nicht diese Schuld 
 soll den Wert unserer Tage bestimmen, 
 sondern zählen sollen Gottes Gaben 
 und nicht mehr unsere Fehler; 
 so erbittet Klepper es vom Herrn.
   Die 6. Strophe 
 endlich schließt das Lied ab 
 wieder mit einer Bitte an Gott, 
 den Ewigen, der Anfang, 
 Mitte und Ziel der Zeit kennt:  
 Ihn bittet der Dichter, 
 er möge uns freundlich zugewandt bleiben 
 und uns wie an seiner Hand führen, 
 damit wir sicher unseren Weg finden 
 durch unser Leben 
 und ans Ziel bei Gott.
    Das ganze Lied 
 stammt aus schwieriger Zeit 
 und erreicht uns 
 in ebenfalls bedrückender Lage, 
 die allerdings ganz anders aussieht als 1938. 
 Von Jochen Klepper können wir lernen, 
 wo Hilfe und Halt zu erwarten sind 
 in solchen Druck-Situationen 
 wie auch wir sie erleben 
 durch den Krieg, den Klima-Wandel 
 und die Teuerung.  
 Hilfe finden wir nämlich bei dem ewigen Gott, 
 unserem himmlischen Vater. 
 Er hat uns Menschen vor 2022 Jahren 
 Jesus Christus gesandt 
 als seinen Mittler 
 zwischen Gott und uns Menschen. 
 Und wenn wir uns vom Gott Jesu 
 führen lassen durch unser Leben, 
 dann können wir sichere Tritte tun 
 auch heute.
 
Jürgen Flohr 

Andacht für die Woche vom 25. bis 31. Dezember 2022 zum Wochenlied EG 23 "Gelobet seist du, Jesu Christ" von Sup.i.R. Wilhelm Niedernolte

1 Gelobet seist du, Jesu Christ,
 dass du Mensch geboren bist
 von einer Jungfrau, das ist wahr;
 des freuet sich der Engel Schar.
 Kyrieleis!
2 Des ew'gen Vaters einzig Kind
 jetzt man in der Krippen findt.
 In unser armes Fleisch und Blut
 verkleidet sich das ewig Gut.
 Kyrieleis!
3 Den aller Welt Kreis nie beschloss,
 der liegt in Marien Schoß.
 Er ist ein Kindlein worden klein,
 der alle Ding' erhält allein.
 Kyrieleis! 
4 Das ewig  Licht geht da herein,
 gibt der Welt ein'n neuen Schein.
 Es leucht' wohl mitten in der Nacht
 und uns des Lichtes Kinder macht.
 Kyrieleis! 
5 Der Sohn des Vaters, Gott von Art,
 ein Gast in der Welt hier ward
 und führt uns aus dem Jammertal.
 macht uns zu Erben in sein'm Saal.
 Kyrieleis! 
6 Er ist auf Erden kommen arm,
 dass er unser sich erbarm',
 und in dem Himmel mache reich
 und seinen lieben Engeln gleich.
 Kyrieleis.
7 Das hat er alles uns getan,
 Sein' groß' Lieb' zu zeigen an.
 Des freu' sich alle Christenheit
 Und dank' ihm des in Ewigkeit.
 Kyrieleis!   
 
Liebe Leserin, lieber Leser,
Luthers Lieder – so auch dieses Weihnachtslied -  stehen alle im Dienst der Verkündigung. Das biblische Wort und seine wesentlichen Aussagen sollen singend das Herz und den Verstand der Menschen erreichen. Dies lässt sich auch an den einzelnen Strophen von „Gelobet seist du, Jesu Christ“ zeigen, dessen erste Strophe Luther den liturgischen Stundenbüchern des Zisterzienserinnenklosters Medingen entnommen und mit weiteren sechs Strophen fortgeführt hat. Hinsichtlich der biblischen Bezüge lassen sich besonders in der vierten Strophe Verbindungen zum Johannes-Prolog aufzeigen. Wenn es in Johannes 1,9 heißt: „Das war das wahre Licht, das alle Menschen erleuchtet, wenn es in die Welt kommt“, dann heißt es in dem Weihnachtslied: „das ewig Licht geht da herein, gibt der Welt ein’ neuen Schein; es leucht’ wohl mitten in der Nacht und uns des Lichtes Kinder macht.“ Die Mitte des Liedes erzählt von der entscheidenden Wende in der Mitte der Nacht und berichtet damit vom Beginn des neuen Tages. Es ist der Tag, an dem Gott selbst erscheint und die Menschen mit seinem Licht erleuchtet. Er holt sie heraus aus der Nacht der Gottferne und führt sie dem neuen Tag entgegen, der mit Jesu Geburt beginnt.

Während die Verse eins bis drei von der Menschwerdung Jesu Christi berichten und in knapper und doch bildreicher Sprache seine Geburtsgeschichte erzählen, stellt der vierte Vers auch für das Lied einen Wendepunkt dar. Nun geht es nicht mehr um Christus und seinen Weg, nun geht es um die Menschen. Nun geht es um das, was Christus für sie ist und aus ihnen macht. Christus führt die Menschen aus dem Jammertal der Gottferne. Er erbarmt sich ihrer, er öffnet ihnen den Himmel und macht sie den Engeln gleich. Das alles mündet in die zentrale Aussage der letzten Strophe: „Das hat er alles uns getan.“ Auf diesen entscheidenden Satz läuft die Weihnachtsgeschichte hinaus. Die Geburt Jesu Christi wird mit der Rettung der Menschen begründet.  Allein darum geht es: Jesus Christus kam zum Heil der Menschen auf diese Erde. Darüber sollen die Menschen sich freuen und Gott in Lob und Anbetung danken. Während sich zu Beginn des Liedes die Engel über die Menschwerdung Jesu Christi freuen, werden am Ende die Menschen aufgefordert, sich über das zu freuen, was Christus für sie getan hat.

Luther hat mit dem Inhalt dieses Weihnachtsliedes erfüllt, was sein reformatorisches Anliegen war, der geistliche Gesang in den Gottesdiensten sollte zur theologischen Bildung und zur Kenntnis und Verinnerlichung der biblischen Botschaft beitragen. Er sollte zugleich anspruchsvolle dogmatische Aussagen in verständlicher Sprache zu Gehör bringen. Für seine Zeit ist ihm dies sicher gelungen. 
 Die Sprache des Liedes orientiert sich an der Lebenswelt der Menschen des 16. Jahrhunderts. Orientiert sie sich damit aber auch an der Lebenswelt der Menschen des 21. Jahrhunderts? Ist beispielsweise das Jammertal noch ein Wort, mit dem Menschen in der Weihnachtszeit in Berührung kommen wollen? Erfüllt dieses Lied auch heute noch den von Luther anvisierten Zweck? Ich denke: Ja.
 An Weihnachten geht es um das, was Luther in seinem Lied in gekonnter Weise zur Sprache bringt: Christus kam für mich auf diese Erde. Er kam, um das Dunkel meines Lebens mit seinem Licht zu erleuchten. Er kam, damit der Wunsch und die Hoffnung auf Frieden zumindest in meinem ganz persönlichen Bereich so Wirklichkeit werden können, dass der Friede auf Erden mehr als eine Utopie ist.

Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Weihnachtszeit.

Wilhelm Niedernolte, Superintendent i.R.
Eldagsen

Andacht für die Woche vom 18. bis 24. Dezember über das Wochenlied "Nun jauchzet, all ihr Frommen" (EG 9) von Pfr. i.R. Jürgen-Peter Lesch

Liebe Leserin, lieber Leser,

die letzte Woche der Adventszeit hat begonnen. Vielleicht ist es gut, dass wir in diesem Jahr etwas mehr Zeit als sonst haben, uns auf das Weihnachtsfest vorzubereiten. Möglicherweise kann das dazu beitragen, die letzten Tage vor dem Fest ein wenig gelassener als in den Jahren zuvor anzugehen. Das heißt nun nicht, die Augen und Ohren vor dem Geschehen hier vor Ort, in unserem Land, in Europa und auf der Erde zu verschließen. Doch es kann bedeuten, das Geschehen vor dem Hintergrund der Geburt von Jesus besser einordnen zu können. Was ist wirklich wichtig, was sind lediglich Aufreger-Themen und was soll uns schließlich ablenken von dem, was gegenwärtig geschieht? 

In der letzten Woche habe ich erlebt, wie Menschen mit Stress-Situationen gelassen umgehen können. Da baut sich in der Postfiliale langsam und stetig eine Schlange mit mehr als zehn Kundinnen und Kunden auf. Ein Schalter ist zeitweise nicht besetzt, weil ein Mitarbeiter versucht, die Rücksendungen zu verstauen, die vor Weihnachten in Massen anfallen. Und am zweiten Schalter steht eine ältere Dame mit FFP2-Maske, die mehrere Anliegen auf ihrem Zettel hat. Schließlich hat sie noch ein Paket abzuholen, weil der Postbote nicht bei ihr geklingelt habe, wie sie sagt. Sie muss ihren Personalausweis vorzeigen und fragt: „Muss ich dazu die Maske abnehmen?“ Da erscheint ein Lächeln auf den Gesichtern der Menschen. Ein paar Sekunden lang treten Ärger, Ungeduld und Stress in den Hintergrund. Ein paar Sekunden lang bilden alle eine heitere und aufgeschlossene Gemeinschaft. Die ältere Dame muss dann nicht ihre Maske abnehmen und kann mit ihrem Paket die Filiale verlassen. Die Menschenschlange rückt vor, doch die Atmosphäre hat sich ein wenig verändert. Man ist ein wenig mehr entspannt, freundlich und rücksichtsvoll. 

In solchen Momenten scheint auf, wie unser Leben, unser Zusammenleben sein könnte. Und von solchen Momenten ist im Wochenlied die Rede. 
Nun jauchzet, all ihr Frommen, zu dieser Gnadenzeit,
 weil unser Heil ist kommen, der Herr der Herrlichkeit,
 zwar ohne stolze Pracht, doch mächtig, zu verheeren
 und gänzlich zu zerstören des Teufels Reich und Macht.


Der Textdichter Michael Schirmer erinnert in seinem Lied aus dem Jahr 1640 an den Einzug von Jesus Christus in Jerusalem, den wir immer am Palmsonntag feiern. Die Menschen erleben an diesem Tag einen Moment des Glückes. Sie sind erfüllt von Hoffnung. Da kommt er, der Retter, der Messias, der König, der alles zum Guten wenden wird. Was die Menschen am Straßenrand nicht sehen wollen, aber doch ahnen könnten, ist, dass dieser Retter nicht mit Macht und Gewalt kommt. Er ist nicht der erwartete mächtige Herrscher.

Er kommt zu uns geritten auf einem Eselein
 und stellt sich in die Mitten für uns zum Opfer ein.
 Er bringt kein zeitlich Gut, er will allein erwerben
 durch seinen Tod und Sterben, was ewig währen tut.

Kein Zepter, keine Krone sucht er auf dieser Welt;
 im hohen Himmelsthrone ist ihm sein Reich bestellt.
 Er will hier seine Macht und Majestät verhüllen,
 bis er des Vaters Willen im Leiden hat vollbracht.

Jesus Christus, dessen Geburt wir Weihnachten feiern, kommt nicht stolz und prächtig, und doch ist er mächtig. Er kann und wird des Teufels Macht zerstören. Er reitet auf einem jungen Esel und kommt nicht in Prunk und Pracht. Jesus will seine Macht verhüllen. Es geht ihm nicht darum, zu kämpfen und Menschen zu opfern, sondern er wird selbst zum Opfer werden für die Menschen und für ihr Heil. 

Das hat schon jetzt Bedeutung für uns, für unser Zusammenleben, für unsere Gesellschaft. Es ist eine deutliche Botschaft, die lautet: 

Ihr Mächtigen auf Erden, nehmt diesen König an,
 wollt ihr beraten werden und gehn die rechte Bahn,
 die zu dem Himmel führt; sonst, wo ihr ihn verachtet
 und nur nach Hoheit trachtet, des Höchsten Zorn euch rührt.

Ihr Armen und Elenden in dieser bösen Zeit,
 die ihr an allen Enden müsst haben Angst und Leid,
 seid dennoch wohlgemut, lasst eure Lieder klingen,
 dem König Lob zu singen, der ist eu‘r höchstes Gut.

Die Botschaft geht zuerst an die Mächtigen. Ursprünglich hatte Schirmer geschrieben „Ihr großen Potentaten“. Genau die sind gemeint, die selbstherrlichen Mächtigen, die aufgeblasen auftreten und meinen, dass ihnen niemand etwas anhaben kann. Leider sind diese Herrscher oft offenbar beratungsresistent, oder die, die sie beraten sollten und müssten, halten sich fein zurück und warten ab. Doch das letzte Wort haben eben nicht die Mächtigen auf Erden, sondern Gott.

Den Armen und Elenden wird hier „zugemutet“, Gott ein Loblied zu singen. Es kann der Eindruck entstehen, dass Schirmer die Not der Menschen in seiner Zeit während des Dreißigjährigen Krieges, in Zeiten der Pest und des Hungers nicht wahrnehmen will oder nicht ernst nimmt. Doch vielleicht ist das ganz anders gemeint. Wir wissen: Wer im eigenen Leid, in der eigenen Angst, in der Hoffnungslosigkeit gefangen ist, der wird früher oder später aufgeben. Dagegen heißt es im Lied: „Lasst eure Lieder klingen“. Die Kraft der Lieder können wir zur Weihnachtszeit besonders spüren. Die Musik öffnet uns für die Freudenbotschaft der Geburt von Jesus. Dabei geht es nicht darum, uns ein paar schöne Stunden zu machen und die Sorgen zu vergessen. Vielmehr geht es darum, uns durch unser Singen und Loben und Preisen frei dafür zu machen, dass wir mutig und zuversichtlich gegen Angst, Sorge und Verzweiflung angehen. Nicht, weil wir plötzlich stark geworden wären, sondern vielmehr deshalb, weil wir uns Gottes Zuwendung und seiner Barmherzigkeit gewiss sein können.
Er wird nun bald erscheinen in seiner Herrlichkeit
 und all eu‘r Klag und Weinen verwandeln ganz in Freud.
 Er ist’s, der helfen kann, halt’ eure Lampen fertig
 und seid stets sein gewärtig, er ist schon auf der Bahn.


Ja, noch ist der Herr der Herrlichkeit nur ohne stolze Pracht und nicht in seiner Herrlichkeit erschienen. Es steht noch aus, wie er am Ende alles wandeln wird. Doch der Wandel hat im Stall von Bethlehem begonnen. Zweitausend Jahre nach der Geburt des Gottessohnes wäre ein lautes Singen, ein Jauchzen, das das Weinen vergessen hat, zynisch. Ganz falsch wäre es auch, das tatkräftige Warten zu verlernen und das Bereithalten der Lampen für den Einzug des Auferstandenen zu vergessen. Auf der anderen Seite liefe ein Warten ganz ohne Freude über das Weihnachtsfest und ohne Singen und Musik auf die Dauer ins Leere. Beides gehört zusammen, beides brauchen wir – und das nicht nur zur Weihnachtszeit.

Ich wünsche Ihnen eine letzte Adventswoche in froher Erwartung und zuversichtlicher Freude.
Jürgen Peter Lesch

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Verfasser des Liedtextes ist Michael Schirmer. Er wurde im Jahr 1606 in Leipzig geboren, in der Thomaskirche in Leipzig getauft und besuchte die Thomasschule. Später studierte er an der Leipziger Universität, wo er 1630 die Magisterprüfung ablegte, die ihn zum Lehrberuf befähigte. Im Jahr 1636 wurde er als Subrektor an das Gymnasium zum Grauen Kloster in Berlin berufen. Dort arbeitete er – von 1651 an als Konrektor – bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1668. In einer biografischen Notiz über Schirmer ist von einer im Alter zunehmenden „Gemütsblödigkeit“ die Rede. Heute würde das als Depression bezeichnet. Schirmer wird aufgrund dieser Erkrankung auch „der deutsche Hiob“ genannt. Er verstarb 1673 in Berlin 

Auch der Text des Gesangbuch-Liedes „O Heilger Geist, kehr bei uns ein“ (EG 130) stammt von Michael Schirmer. Weniger bekannt sind die von ihm stammenden Texte der Lieder „Der Höllen Pforten sind zerstört“, „O Gott, der du das Firmament mit Wolken tust bedecken“ und das Bestattungslied „Nun lieg ich armes Würmelein und ruh in meinem Kämmerlein. Ich bin durch einen sanften Tod entgangen aller Angst und Not“. In diesen Liedern sind Anklänge an Johann Heermann unverkennbar, und in seinem Lied „O Heilger Geist“ hat Schirmer ganze Verse wörtlich aus Liedern dieses schlesischen Dichters übernommen.

Die Melodie des Liedes stammt von Johann Crüger, geb. 1598 in Groß-Breesen (heute ein Ortsteil von Guben in der Niederlausitz), gest. 1662 in Berlin. Es wird vermutet, dass Crüger sorbische Wurzeln hatte, gesichert ist dies bislang nicht. Nach dem Besuch der Lateinschule in Guben begab sich Krüger auf Wanderschaft. Über Sorau und Breslau gelangte er nach Regensburg, wo er eine erste musikalische Ausbildung bei Paulus Homberger (1560–1634) erhielt. Auf der weiteren Wanderung kam er 1615 nach Berlin, wo er sich am Gymnasium zum Grauen Kloster auf das Theologiestudium vorbereitete. Ab 1620 studierte er Theologie an der Universität Wittenberg. Von 1622 bis zu seinem Tode im Jahr 1662 war er Lehrer am Gymnasium Zum Grauen Kloster und gleichzeitig Kantor der St.-Nicolai-Kirche in Berlin. 

Johann Crüger ist der Schöpfer zahlreicher Konzertwerke und musikpädagogischer Schriften. 1643 lernte er den KirchenliederdichterPaul Gerhardt kennen, für den er verschiedene geistliche Lieder vertonte. 1640 gab er die Liedersammlung „Newes vollkömliches Gesangbuch“ heraus. Ab der zweiten Ausgabe von 1647 erschien sie unter dem Titel „Praxis Pietatis Melica“ (Übung der Frömmigkeit in Gesängen), die zum bedeutendsten evangelischen Kirchenliederbuch des 17. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum wurde. 

Im Jahr 1649 erschienen die „Geistlichen Kirchen-Melodien“, konzipiert als Begleitbuch zu der ein Jahr zuvor erschienenen, heute verlorenen dritten Auflage der „Praxis Pietatis Melica“. Die kirchenmusikalische Bedeutung der Geistlichen Kirchen-Melodien liegt vor allem darin, dass Crüger hier einen neuen, instrumental unterstützten Typus des mehrstimmigen Gemeindechorals erschuf. 

Im aktuellen Evangelischen Gesangbuch finden sich, je nach Regionalausgabe, mindestens 18 seiner Melodien oder Chorsätze, darunter „Wie soll ich dich empfangen“ (EG 11), „Fröhlich soll mein Herze springen“ (EG 36), „Auf, auf, mein Herz mit Freuden“ (EG 112), „Schmücke dich, o liebe Seele“ (EG 218) und „Lobet den Herren alle, die ihn ehren“(EG 447). Dazu kommen etliche Melodiesätze z.B. für die Lieder EG 320, 321, 322, 324.

Andacht für die Woche vom 11. bis 17. Dezember 2022 zum Wochenlied EG 16 von Sup.i.R. Christian Klatt

„Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern.
So sei nun Lob gesungen dem hellen Morgenstern!
Auch wer zur Nacht geweinet, der stimme froh mit ein.
Der Morgenstern bescheinet auch deine Angst und Pein.“
 
Als dieses Lied, das Jochen Klepper im Dezember 1937 als „Weihnachtslied“ gedichtet hat, 1950 als eines der ganz wenigen Lieder aus neuerer Zeit in das Evangelische Kirchengesangbuch (EKG) aufgenommen worden war, mussten sich die Gemeinden an Text und Melodie erst gewöhnen. Aber, so habe ich es selber in meiner Konfirmandenzeit erlebt, jeder spürte schnell: Das waren ganz neue, ehrliche, ernste, und doch hoffnungsfrohe Worte und Töne in einem Lied zur Weihnachtszeit. Längst ist es zu einem „Klassiker“ in unseren Adventsgottesdiensten geworden. 
 
Gleich mit dem ersten Vers greift Klepper ein Wort aus der Epistel für den 1. Advent auf: „Die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber nahe herbeigekommen“ (Röm. 13, 12). Nacht und Tag sind aber für ihn wie schon für Paulus nicht bloß Zeitbegriffe, sondern Metaphern für unsere Erfahrungen und Hoffnungen. „Nacht“ war es damals zur Zeit der Naziherrschaft in Deutschland, insbesondere auch für Jochen Klepper und seine jüdische Frau mit ihren beiden Töchtern. Es herrschten tatsächlich überall Angst und Pein, und nicht nur zur Nacht wurde viel geweint. Doch Klepper begrüßt schon mit frohem Lobgesang den hellen Morgenstern. Wenn der aufleuchtet, dann wissen wir: „Die Nacht ist schon im Schwinden“ (Str. 3). 
 
Mit diesem Bild vom Morgenstern wird in den Strophen 2 und 3 das Weihnachtsgeschehen gedeutet. „Gott selber ist erschienen“ in dem, der ein Kind und Knecht geworden ist und sich mit uns verbündet hat. Bei ihm kann jeder Heil und Rettung finden, „wenn er dem Kinde glaubt.“
 
Das bedeutet freilich nicht, dass es nun vorbei wäre mit allen dunklen und leidvollen Erfahrungen. Im Gegenteil: 
„Noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und –schuld.“
So beginnt die 4. Strophe. Fast scheint es so, als hätte Jochen Klepper vorausgeschaut auf die Weihnachtszeit 2022. Was die Menschen in der Ukraine oder im Iran auch in diesen Tagen und Wochen an Angst und Pein auszustehen haben, ist schlimm. Und auch unter uns sind viele, für die das Weihnachtsfest durch Sorgen, Trauer und Leid verdunkelt wird. Aber Klepper fährt fort:
„Doch wandert nun mit allen der Stern der Gotteshuld.
Beglänzt von seinem Lichte, hält euch kein Dunkel mehr.
Von Gottes Angesichte kam euch die Rettung her.“ 
Stern der Gotteshuld, Morgenstern, Stern von Bethlehem – all diese Bilder wollen uns die Gewissheit geben, dass wir in den Dunkelheiten dieser Welt und unseres Lebens dennoch unter dem Glanz der Liebe Gottes stehen.
 
Bei Jochen Klepper selbst war diese Zuversicht des Glaubens fünf Jahre später einer tiefen Verzweiflung gewichen. In der Nacht vom 10. auf den 11. Dezember 1942 haben er und seine Frau und die jüngere Tochter ihrem Leben ein Ende gemacht, um der drohenden Deportation in ein Konzentrationslager zu entgehen. Das ist also am Tage unseres diesjährigen 3. Advents genau 80 Jahre her. Doch auch dieser selbstgewählte Schritt in den Tod geschah unter dem Anblick des  „Segnenden Christus“, so Kleppers letzter Eintrag in sein Tagebuch am 10. Dezember, dem Donnerstag nach dem 2. Advent. Den 3. Advent hat er damals also nicht mehr erlebt. Nun ist sein großartiges „Weihnachtslied“ zum Wochenlied für den 3. Advent ausgewählt worden. Es gibt uns gerade im Gedenken an diesen Mann und sein Schicksal die Gewissheit, dass Gott in aller Dunkelheit, auch in der Dunkelheit des Todes, bei uns ist. Diesen Gedanken hat Jochen Klepper an den Anfang der letzten Strophe seines Liedes gestellt, als tröstlichen Zuspruch für uns alle:
 „Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt!“
 
Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Advents- und Weihnachtszeit. Gott behüte Sie und gebe uns und unserer Welt seinen Frieden!
Ihr
Christian Klatt   

Andacht für die Woche vom 04. - 10. Dezember 2022 zum Wochenlied Nr. 7 von Sup.i.R. Jürgen Flohr

1. O Heiland, reiß die Himmel auf, herab, herab vom Himmel lauf,
    reiß ab vom Himmel Tor und Tür, reiß ab, wo Schloss und Riegel für.
 
2. O Gott, ein' Tau vom Himmel gieß, im Tau herab, o Heiland, fließ.
    Ihr Wolken, brecht und regnet aus den König über Jakobs Haus.
 
3. O Erd, schlag aus, schlag aus, o Erd, dass Berg und Tal grün alles werd.
    O Erd, herfür dies Blümlein bring, o Heiland, aus der Erden spring.
 
4. Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt, darauf sie all ihr Hoffnung stellt?
    O komm, ach komm vom höchsten Saal, komm, tröst uns hier im Jammertal.
 
5. O klare Sonn, du schöner Stern, dich wollten wir anschauen gern;
    o Sonn, geh auf, ohn deinen Schein in Finsternis wir alle sein.
 
6. Hier leiden wir die größte Not, vor Augen steht der ewig Tod.
    Ach komm, führ uns mit starker Hand vom Elend zu dem Vaterland.
 
7. Da wollen wir all danken dir, unserm Erlöser, für und für;
    da wollen wir all loben dich zu aller Zeit und ewiglich.
 
 
Liebe Lesende,
 
Das Lied stammt von Friedrich Spee. Er hat von 1591 bis 1635 gelebt, war Jesuit, Seelsorger und Prediger sowie Professor für katholische Moraltheologie in Paderborn, Köln und Trier. Spee bekämpfte mutig das Unwesen der damals üblichen Hexenprozesse und hat mit seinen geistlichen Liedern nachhaltig gewirkt.
 
     Unser Lied ist wie ein Gebet formuliert und und wendet sich in 7 kurzen Strophen an den Heiland Jesus Christus, den Gott gesandt hat und doch bitte wieder senden möge. 
 
        Die 1. Strophe setzt ein mit einer Aufforderung an den Heiland, er möge den Himmel aufreißen und zu uns herabkommen, um so Gottes Welt für uns Menschen zu öffnen.
        In der 2. Strophe bittet der Dichter Gott, er solle den Heiland wie einen Tau über uns Menschen ausgießen, - wie einen Regen, der den König zum Volk Israel (Jakobs Haus) bringt.
        Mit der 3. Strophe wendet sich der Autor an die Erde, auf der wir alle leben und bittet sie, grün und blühend zu werden, so dass sie den Heiland hervorbringen kann, dass er aus der Erde herausspringen kann. Damit erfindet Spee ein sehr ungewöhnliches, aber eindrucksvolles Bild, das uns heutzutage vielleicht besonders einleuchtet; denn es bringt unseren christlichen Glauben zusammen mit unserem Angewiesensein auf die uns umgebende Natur, in und von der wir alle leben.
        Die 4. Strophe fragt nach dem Trost der ganzen Welt für uns alle, die wir unsere Erde immer wieder einmal als wahres Jammertal erleben. Das können wir auch heute gut nachfühlen, wo wir von Krieg, Pandemie, wirtschaftlichen Sorgen und dem drohenden Klimawandel gebeutelt sind. In solcher Lage erhoffen wir mit Friedrich Spee Trost und Hilfe vom Himmel.
        Die 5. Strophe bezeichnet den Heiland als klare Sonne, die unser Leben und das aller Menschen hell machen kann und soll. Ohne das Licht dieser Sonne umgibt uns alle Finsternis, die sich zeigt in Kriegen, Krankheiten und Naturzerstörung.
        Die 6. Strophe kennzeichnet das Gegenteil der Erlösung, ein Leben in Angst und Not unter der Drohung des ewigen Todes als Ende. Daher folgt die Bitte an den Heiland, er möge uns aus dem hiesigen Elend ins himmlische Vaterland führen, in ein „Land“, in dem Leid, Angst und Tod ein Ende haben.
        Die 7. und letzte Strophe erhebt sich zu Dank und Lob gegenüber dem Erlöser und zur Hoffnung auf die ewige Gemeinschaft mit ihm.
 
     Man merkt dem Lied an, dass es in einer von vielen großen Übeln geprägten Zeit entstanden ist, als nämlich der furchtbare dreißigjährige Krieg unser Land verwüstet hat. Wir hören an vielen Stellen des Liedes heraus, wie trostlos und erlösungsbedürftig sich die Menschen damals gefühlt haben und wie sehr sie auf Hilfe und Heilung gewartet haben.
     Die Bitten und Erwartungen, die der Dichter formuliert hat, können wir sowohl auf Jesu Kommen und auf sein Leben und Wirken im Israel des 1. Jahrhunderts beziehen als auch auf die erwartete Wiederkehr Christi am Ende der Tage. Auch der Autor selber scheint mir beides im Sinn zu haben, wenn er einerseits in Strophe 3 davon schreibt, dass die Erde den Heiland wie eine Blume hervorbringen solle und er uns  andererseits in Strophe 6 „mit starker Hand vom Elend zu dem Vaterland führen“ soll.
     So möchte ich mit diesem Lied auch beides besingen: Einmal Jesu Ankunft in unserer Welt als Kind in der Krippe zu Bethlehem sowie seinen Weg als Prediger und Heilbringer durch das Israel des Herodes und des Pilatus bis hin ans Kreuz auf Golgatha.  Und dann möchte ich auch von der Hoffnung singen, dass Gott und der auferstandene Christus uns in unserem heutigen Leben begleiten und leiten können und dass wir am Ende in das „Land“ unseres himmlischen Vaters eingehen können, in dem wir bei Gott gut aufgehoben sind und  „in dem Er Alles in Allem sein wird“, wie es Paulus in 1. Korinther 15,28 ausdrückt.
 
Jürgen Flohr  

Andacht für die Woche vom 27. November - 03. Dezember über das Wochenlied "Nun komm, der Heiden Heiland" (EG 4) von Pfr. i.R. Jürgen-Peter Lesch

Liebe Leserin, lieber Leser,

nun beginnt also wieder die Adventszeit. Es ist gut, dass wir uns auch nach der oft genannten Zeitenwende wieder darauf besinnen können: Es ist Advent. Das heißt doch: Wir werden auch in diesem Jahr Weihnachten feiern. Zwar wird manches anders sein, doch die Weihnachtsbotschaft bleibt uns, ja, sie wird vielleicht wieder klarer als in vielen Jahren zuvor. 

Die Adventszeit beginnt mit einer Bitte: „Nun komm, der Heiden Heiland“! Der Heiland als Bezeichnung für Jesus Christus klingt fremd und altertümlich. Verständlicher ist für uns der „Retter“, wie Jesus im bekannten Weihnachtslied „Stille Nacht, heilige Nacht“ bezeichnet wird: „Christ, der Retter, ist da“.

Jesus Christus ist beides: Retter und Heiland – und noch viel mehr. Der Retter ist uns nah. Rettung brauchen wir bei unmittelbarer Gefahr. Früher stand an den Fahrzeugen der Feuerwehr: „retten, bergen, löschen, schützen“. Das sollte deutlich machen, dass es bei den Einsätzen der Feuerwehr um unmittelbare Hilfe geht. Ohne Diskussion darüber, wer welche Schuld an einem Unglück hat. Ohne Zögern und Ansehen der Menschen, die Hilfe brauchen. Ohne vorherige Prüfung, wer denn für einen Einsatz zahlt. 

Dieses Retten geschieht nicht nur in der Feuerwehr. Es geschieht jeden Tag in unseren Städten und Gemeinden. Es geschieht oft und ist meistens nicht sehr offensichtlich. Menschen helfen einander. Sie tun das, ohne nachzufragen und ohne zu urteilen. Wer Hilfe braucht, soll Hilfe bekommen. Das ist eigentlich selbstverständlich. Christinnen und Christen tun dies auch, weil sie einen Retter, ihren Retter, in Jesus Christus sehen. Er hilft ohne Ansehen der Person, er fragt nicht nach Frömmigkeit und Rechtschaffenheit. Er hilft in seiner Güte und Barmherzigkeit, ohne Rücksicht auf menschliche Verdienste und Würdigkeit.

Jesus Christus ist nicht nur Retter, er ist auch der Heiland. Ihn wünschen wir uns sehnlich herbei. So heißt es im Adventslied Martin Luthers:

Nun komm, der Heiden Heiland,
der Jungfrauen Kind erkannt,
dass sich wunder alle Welt,
Gott solch Geburt ihm bestellt.

Er ging aus der Kammer sein,
dem königlichen Saal so rein,
Gott von Art und Mensch, ein Held;
sein’ Weg er zu laufen eilt.

Sein Lauf kam vom Vater her
und kehrt wieder zum Vater,
fuhr hinunter zu der Höll
und wieder zu Gottes Stuhl.

Dein Krippen glänzt hell und klar,
die Nacht gibt ein neu Licht dar.
Dunkel muss nicht kommen drein,
der Glaub bleib immer im Schein.

Lob sei Gott dem Vater g’tan;
Lob sei Gott seim ein’gen Sohn,
Lob sei Gott dem Heilgen Geist
immer und in Ewigkeit.

Jahrhunderte lang war dieses Lied in der lutherischen Kirche das meistgesungene Adventslied. Vielen von uns fällt der Zugang zu diesem Lied nicht leicht, ist doch der von Martin Luther geschaffene Text recht spröde und nur schwer verständlich. Und doch ist diese Bitte, dieses Gebet so wichtig. „Nun komm, der Heiden Heiland. Komm, Jesus, komm!“ Damit beginnt das neue Kirchenjahr, beginnt die Adventszeit in unserer Kirche. Wie nötig, wie bitter nötig haben wir den Heiland Jesus Christus in unserer Welt. Er soll uns helfen, unsere Welt zu heilen. Eine Welt, in der ständig neue Gräben zwischen Völkern und Nationen, zwischen Religionen und Konfessionen aufbrechen. Eine Welt, in der Recht und Gerechtigkeit unterdrückt und verraten werden. Wir bitten darum, dass Jesus als Heiland der Heiden, also als Heiland der ganzen Welt kommen möge, um Menschen miteinander zu versöhnen.

Jesus weiß um unsere zerrissene Welt. Er hat sie erlebt und erlitten: „Sein Lauf kam vom Vater her und kehrt wieder zum Vater, fuhr hinunter zu der Höll und wieder zu Gottes Stuhl.“

Wir hoffen auf das Wunder, von dem im Lied die Rede ist: „dass sich wunder alle Welt, Gott solch Geburt ihm bestellt“. Wir lassen uns daran erinnern, dass im Kommen Jesu aller Welt das Heil Gottes zugesagt ist. Aller Welt ist zugesagt, dass sie nicht aus den Fugen geraten soll.

Diese Zusage des Heils Gottes für alle Welt auszurichten, ist die Aufgabe derer, die an Jesus als den König der Welt glauben. Es ist die Aufgabe der Kirche. Aber wie wir nun einmal unseren Glauben niemals als einen festen Besitz haben, so haben wir auch Jesus nicht. Wie unser Glaube immer wieder Zweifeln ausgesetzt ist, wie er angesichts bedrückender Erfahrungen Schwankungen erlebt, so empfinden wir auch eine unterschiedliche Nähe zu Jesus, dem von uns als Heiland Geglaubten. Mal ist er uns ganz nah, mal ist er weit weg. Ab und zu können wir es sehen: „Dein Krippen glänzt hell und klar, die Nacht gibt ein neu Licht dar“.

Als Kirche Jesu sollen und müssen wir täglich neu um sein Kommen bitten. Als Kirche Jesu dürfen wir aber auch darauf vertrauen, dass er täglich zu uns kommt und seiner Kirche den Weg zeigt. Den Weg, den sie gehen muss, wenn sie aller Welt das Heil Gottes glaubhaft zusagen will. So heißt es im Lied: „Dunkel muss nicht kommen drein, der Glaub bleib immer im Schein“.

Mit der Bitte „Nun komm, der Heiden Heiland!“ beginnt die Adventszeit. Wir gehen in den nächsten Wochen den Weg hin zum Weihnachtsfest mit dieser Bitte. Und wir hoffen darauf, dass wir am Heiligen Abend die Freudenbotschaft hören und sehen und erfahren dürfen: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.“


Das ist Gottes Zusage an uns: Der Heiland kommt, er ist da, damit wir gerettet werden und heil werden – auch und gerade in heilloser Zeit. So können wir einstimmen: „Lob sei Gott dem Vater g’tan; Lob sei Gott seim ein’gen Sohn, Lob sei Gott dem Heilgen Geist immer und in Ewigkeit“.
Ich wünsche Ihnen eine froh machende und gesegnete Adventszeit.

Jürgen Peter Lesch

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Den Text für das Lied „Nun komm, der Heiden Heiland“ hat Martin Luther im Jahr 1523 geschrieben. Die Vorlage dafür ist der Weihnachtshymnus „Intende qui regis Israel“, der – so lässt sich mit ziemlicher Sicherheit sagen – vom Kirchenlehrer und Bischof Ambrosius von Mailand (339 bis 397 n. Chr.) stammt. In der Entstehungszeit des Hymnus im 4. Jahrhundert herrschte in der Kirche eine Auseinandersetzung darüber, ob Jesus Christus göttlicher und menschlicher Natur sei. Die Auffassung der völligen Göttlichkeit Christi kommt in diesem Hymnus wie in dem gleichzeitig entstandenen Nicänischen Glaubensbekenntnis zum Ausdruck („wahrer Gott vom wahren Gott“).
Der Hymnus beginnt mit einem Zitat des Psalms 80: „Du Hirte Israels, höre, der du Josef hütest wie Schafe! Erscheine, der du thronst über den Cherubim, vor Ephraim, Benjamin und Manasse! Erwecke deine Kraft und komm uns zu Hilfe!“ (Ps 80, 2-3).
Luther beginnt sein Lied mit der Übertragung der zweiten Strophe: „Veni, redemptor gentium … “ – „Komm, du Erlöser der Heiden“. Vermutlich hatte bereits in Luthers Vorlage die erste Strophe des Ambrosius-Hymnus gefehlt. In Luthers Lied folgt die Übersetzung der Strophen 3 bis 8 des lateinischen Textes. Luther selbst fügt am Ende eine neue Strophe mit dem Lob Gott des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes an. In das Evangelische Gesangbuch sind allerdings nur die Übersetzungen der Strophen 5, 6 und 8 übernommen worden, an die Luthers neue Schlussstrophe angefügt ist. 
„Nun komm, der Heiden Heiland“ war lange Zeit das erste Lied im Evangelischen Gesangbuch. Es war eine Art Erkennungszeichen dafür, dass nun die Adventszeit beginnt. Seine besondere Bedeutung hat das Lied dadurch, dass hier ein altkirchlicher Hymnus übernommen ist, der von Martin Luther übersetzt wurde. Dazu kommen die Einprägsamkeit des Textbeginns und die Qualität der Melodie. Diese hat Martin Luther aus einer mittelalterlichen gregorianischen Singweise entwickelt. Sie wurde Grundlage zahlreicher Instrumental- und Chorwerke, darunter von Vertonungen durch Johann Sebastian Bach.

Andacht für die Woche vom 20. bis 26. November 2022 zum Wochenlied EG 147 "Wachet auf" von Sup.i.R. Wilhelm Niedernolte

1) "Wachet auf"; ruft uns die Stimme
der Wächter sehr hoch auf der Zinne,
wach auf, du Stadt Jerusalem!
Mitternacht heißt diese Stunde;
sie rufen uns mit hellem Munde:
Wo seid ihr klugen Jungfrauen?
Wohlauf, der Bräut'gam kommt!
Steht auf, die Lampen nehmt!
Halleluja!
Macht euch bereit zu der Hochzeit;
ihr müsset ihm entgegengehn!

2) Zion hört die Wächter singen;
 das Herz tut ihr vor Freude springen;
 sie wachet und steht eilend auf.
 Ihr Freund kommt vom Himmel prächtig,
 von Gnaden stark, von Wahrheit mächtig;
 ihr Licht wird hell, ihr Stern geht auf.
 Nun komm, du werte Kron,
 Herr Jesu, Gottes Sohn!
 Hosianna!
 Wir folgen all zum Freudensaal
 und halten mit das Abendmahl.

3) Gloria sei dir gesungen
 mit Menschen- und mit Engelzungen,
 mit Harfen und mit Zimbeln schön.
 Von zwölf Perlen sind die Tore
 an deiner Stadt, wir stehn im Chore
 der Engel hoch um deinen Thron.
 Kein Aug hat je gespürt,
 kein Ohr hat mehr gehört
 solche Freude.
 Des jauchzen wir und singen dir
 das Halleluja für und für.


 Liebe Leserin, lieber Leser!
 Wir schreiben das Jahr 1597. Ein lauer Sommerabend. Pfarrer Philipp Nicolai sitzt in seiner Stube in Unna. Draußen in den Gassen der Stadt ist es ruhig und dunkel geworden. Hier von seinem Fenster aus blickt er direkt auf den Friedhof, der die große Stadtkirche von Unna umgibt. Auf einmal hört er Lärm, Schritte, Stimmen, einen Schrei. Fünf, sechs oder sieben Menschen eilen herbei, andere folgen. Es pocht an seiner Tür. Philipp Nicolai springt auf: „Haben Sie es schon gehört, Herr Pfarrer, wissen Sie es auch schon … Gott steh uns bei ... der Stadtgraben liegt voll mit toten Ratten!“ Betretene Gesichter, immer mehr Menschen kommen in der Gasse zusammen.
 Tote Ratten im Stadtgraben – was das bedeutet, weiß jeder hier. Der schwarze Tod, die Pest, ist im Anmarsch. Seit mehr als 100 Jahren zieht sie quer durch Europa, schickt ihre Vorboten: Zuerst sterben immer die Tiere. Philipp Nicolai will es nicht glauben, noch nicht, nicht so schnell, er läuft los, will es mit eigenen Augen sehen, vielleicht hat nur jemand Panik gemacht. Aber nein, es gibt keinen Zweifel. Wenige Sekunden später sehen es auch seine Augen: Ja, der Stadtgraben liegt voll mit toten Ratten. Jetzt ist alles andere nur noch eine Frage von Tagen.
 Wenige Wochen später schreibt Pfarrer Nicolai an seinen Bruder:
 „Die Pest wütet furchtbar hier in der Stadt, täglich werden zwischen 14 und 20 Menschen beerdigt. Meinem lieben Kollegen habe ich vor ein paar Tagen die Leichenpredigt gehalten. Der Küster besucht die Kranken und ich predige. Ich bin durch Gottes Gnaden noch ganz gesund, wenn ich gleich von Häusern, die von der Pest angesteckt sind, fast umlagert bin und auf dem Kirchhof wohne. Beinahe 800 Menschen hat die Pest in dieser Stadt schon getötet.“
 Es vergehen viele Wochen. Ein Drittel der Bevölkerung Unnas rafft die Pest in diesem Herbst hinweg.
 Wie können Menschen das aushalten? Mütter, Väter? Wie kann ein Pfarrer das aushalten, über Wochen hinweg jeden Tag zwanzig Menschen zu beerdigen? Woher kommt Trost in solchen Zeiten? Woher kommt die Kraft für den nächsten Tag? Diese fünf Monate in Unna im Jahre 1597 übersteigen alles, was er bis dahin erlebt hat.
 So verbringt er manchen Abend im Kerzenschein in seiner Studierstube und zweifelt. Er liest in der Bibel und versucht zu beten. Doch dann beginnt er zu schreiben: „Wachet auf, ruft uns die Stimme.“ Ein Hoffnungslied inmitten der Bedrängnis. In einer Phase von tiefster Bedrängnis und Zweifeln im
 Herzen erhebt sich dieses Lied: „Wachet auf, ruft uns die Stimme.“
 Auch in der Corona-Zeit machen einige Menschen ähnliche Erfahrungen und stellen sich die gleichen Fragen: Wie trösten sich Menschen in solchen Zeiten? Was stärkt, was trägt hindurch? Woran kann man glauben, worauf noch hoffen?
 „Gloria sei dir gesungen, mit Menschen- und mit Engelszungen, mit Harfen und mit Zimbeln schön.
 Kein Aug hat je gespürt, kein Ohr hat mehr gehört solche Freude.
 Des jauchzen wir und singen dir das Halleluja für und für.“
 Das Bild, das Philipp Nicolai hier entwirft, ist unglaublich und provokant: Ein großes Fest im Saal der Freude, Jesus Christus vom Himmel her kommend mitten unter ihnen, helles Licht, aufgehende Sterne, alle sind geladen. Sie singen mit Menschen- und mit Engelszungen. Niemand ist außen vor. Halleluja für und für.
 Dieses Lied hat über Jahrhunderte Menschen gestärkt und gerade in Bedrängnis den Blick trotzig auf das Leben gerichtet. Wir hören vor allem eines aus diesem Lied heraus: Das, was jetzt ist, das, was Ihr jetzt erlebt, ist nicht alles. Es gibt den Tod und das Leid – gewiss. Doch schaut hin, hört hin, seid wachsam. Das Leben ist nicht verloren, es gibt Verwandlung. Das Leben will in allen Farben wieder erblühen. Es gibt wieder Freude und Jubel, Wärme und Licht. Es gibt die Verwandlung – und die Hoffnung weist ins Licht. Das sagen die Worte dieses Liedes.
 Philipp Nicolai wollte trösten. Seine eigene Seele, aber auch die seiner Mitmenschen. Er hat es versucht mit diesem Bild aus der Bibel, dem Bild vom Freudenmahl am Ende der Tage, wo Christus sich mit den Menschen vereint und Leid und Geschrei ein Ende haben.
 Er hat es versucht mit einer Melodie, die sich seitdem in die Herzen vieler Menschen gegraben hat. 
 Möge es auch heute so sein.
 
Ihr
Wilhelm Niedernolte
Superintendent i.R.
Eldagsen

Andacht für die Woche vom 13. bis 19. November 2022 zum Wochenlied EG 378 von Sup.i.R. Christian Klatt

„Es mag sein, dass alles fällt, dass die Burgen dieser Welt
um dich her in Trümmer brechen.
Halte du den Glauben fest, dass dich Gott nicht fallen lässt: 
Er hält sein Versprechen.“
 
Dieses Lied erfreute sich in den 50er, 60er Jahren in den kirchlichen Jugendgruppen großer Beliebtheit. Der Text stand in der sehr verbreiteten „Mundorgel“ und wurde gern gesungen, freilich nach einer etwas beschwingteren Melodie, als sie in unserem Gesangbuch steht. 1994 wurde es in das neue Evangelische Gesangbuch aufgenommen, und seit 2018 ist es eins von den beiden Wochenliedern für den Sonntag des Volkstrauertages.
 
Der Text stammt von Rudolf Alexander Schröder, dessen Lieder und Gedichte während der Schreckensherrschaft der Nazis für viele Menschen eine Quelle der Kraft und des Trostes waren.
Er hat diese Verse 1936 geschrieben. Da war Hitler gut drei Jahre an der Macht und im Jahr der Olympischen Sommerspiele in Berlin auf dem Höhepunkt begeisterter Verehrung seitens der deutschen Bevölkerung. Rudolf Alexander Schröder aber gehörte zu denen, die schon früh das Unheil kommen sahen. „Es mag sein, dass alles fällt, dass die Burgen dieser Welt um dich her in Trümmer brechen.“ Wenige Jahre später war genau das eingetroffen: Deutschland, ja, halb Europa lag in Trümmern. Verursacht durch die bösen Geister menschlichen Wahns, die der Dichter in den nächsten Strophen mit wenigen Worten benennt: Trug und List hatten die Oberhand gewonnen, Frevel hatte gesiegt, Missetat und Missgestalt hatten als gemeine Plagen ihr Unwesen getrieben. Mit prophetischer Klarheit sieht der Dichter unter der damals noch glanzvollen Oberfläche diese bösen Kräfte am Werke. Nur scheinbar deutet er das Unheil als Möglichkeit an: „Es mag sein …“ Doch nein: Alle fünf Strophen beginnen mit diesen drei Wörtern und verstärken so die Warnung vor der sich anbahnenden Katastrophe umso nachdrücklicher.
 
Ich finde, dieses Lied ist mit dem Ende der Naziherrschaft nicht erledigt. Wenn wir es am Volkstrauertag singen, öffnet es uns nicht nur den Blick für das, was damals in dunkler Vergangenheit  geschah, sondern auch für das, was heutzutage durch menschliche Gier und Gewissenlosigkeit an Bösem angerichtet wird.
 
Doch der Dichter wollte mit seinen Versen kein Schreckensszenario beschreiben und erst recht keine düstere Stimmung des Entsetzens auslösen. Vielmehr ruft er uns in jeder Strophe zum Gottvertrauen auf: „Halte du den Glauben fest, dass dich Gott nicht fallen lässt: Er hält sein Versprechen.“ „Gott ist mein Fels, meine Hilfe und mein Schutz, dass ich nicht fallen werde“, bekennt der Beter des 62. Psalms, und von dieser Gewissheit des Glaubens ist auch Rudolf Alexander Schröder überzeugt und will sie mit seinen Versen auch uns ans Herz legen: „Gott lässt dich nicht fallen.“
 
Es ist ein ernstes, ein ehrliches, ein nachdenkliches Lied. Es ist ein Gewinn für das Liedgut unserer Kirche. Man singt es nicht einfach so herunter. Es wirft hier und da wohl auch Fragen auf. Aber es will uns Kraft geben und Mut machen. Dass wir unser Leben trotz aller Ängste und Sorgen, die uns gegenwärtig umtreiben, im Vertrauen auf Gott tapfer bewältigen und unseren Mitmenschen in diesem Vertrauen auch hilfreich zur Seite stehen. Und so beschließt Rudolf Alexander Schröder sein Lied mit diesen Versen:
 
„Es mag sein, so soll es sein! Fass ein Herz und gib dich drein,
Angst und Sorge wird’s nicht wenden.
Streite, du gewinnst den Streit! Deine Zeit und alle Zeit
stehn in Gottes Händen.“
 
Ich wünsche Ihnen eine gute neue Woche unter Gottes Schutz und Segen.
Ihr Christian Klatt

Andacht für die Woche vom 06. bis 12. November 2022 zum Wochenlied Nr. 426 von Sup.i.R. Jürgen Flohr

1. Es wird sein in den letzten Tagen, so hat es der Prophet gesehn,
da wird Gottes Berg überragen alle anderen Berge und Höhn.
Und die Völker werden kommen von Ost, West, Süd und Nord,
die Gott Fernen und die Frommen, zu fragen nach Gottes Wort.
Auf, kommt herbei! Lasst uns wandeln im Lichte des Herrn!
 
2. Es wir sein in den letzten Tagen, so hat es der Prophet geschaut,
da wird niemand Waffen mehr tragen, deren Stärke er lange vertraut.
Schwerter werden zu Pflugscharen und Krieg lernt keiner mehr.
Gott wird seine Welt bewahren vor Rüstung und Spieß und Speer.
Auf, kommt herbei! Lasst uns wandeln im Lichte des Herrn!
 
3. Kann das Wort von den letzten Tagen aus einer längst vergangnen Zeit
uns durch alle Finsternis tragen in die Gottesstadt, leuchtend und weit?
Wenn wir heute mutig wagen, auf Jesu Weg zu gehen, 
werden wir in unsern Tagen den kommenden Frieden sehn.
Auf, kommt herbei! Lasst uns wandeln im Lichte des Herrn!
 
 
Liebe Lesende,
 
das 2. Wochenlied für die Woche nach dem 6.11.-22 ist ein neueres, nicht so bekanntes Lied aus unserem Gesangbuch mit einer ebenfalls neuen Melodie. Beide stammen aus den Achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Der Verfasser Walter Schulz nimmt Bezug auf die Endzeit-Schau des Propheten Jesaja (Jesaja 2,2-5), in der der Prophet seine Vision von den letzten Tagen der Erde schildert.
 
Diese Vorstellungen nimmt Schulz auf und fasst sie in eigene Bilder und Verse.
Gottes Berg, heißt es in Strophe 1 (gemeint ist wohl der Berg Zion in Jerusalem oder seine geistliche Bedeutung) soll alle anderen Berge und Hügel überragen. Zu ihm hin werden die Völker kommen aus allen Himmelsrichtungen, und zwar sowohl die Gott Fernen wie die Frommen. Sie werden – endlich – nach Gottes Wort fragen und sich nach seinem Willen richten. Am Schluss der ersten wie auch aller Strophen ruft der Verfasser aus: „Auf, kommt herbei! Lasst uns wandeln im Lichte des Herrn!“
         Damit aktualisiert Schulz die Vision des Jesaja auch für sich und für unsere Zeit und fordert uns alle auf, die Prophezeiung des alttestamentlichen Propheten für uns und für heute wahr zu machen.
 
        In Strophe 2 nimmt der Liederdichter das bekannte und vielzitierte Hoffnungsbild des Jesaja auf, dass die Völker ihre Schwerter zu Pflugscharen machen werden und ihre Spieße zu Sicheln. Das überträgt er für uns mit den Worten: Da wird niemand mehr Waffen tragen und keiner mehr Krieg lernen.
Wenn ich dies lese und versuche, es mitzusingen, so bleibt mir heute Wort und Ton im Halse stecken; denn wir erleben in diesem Jahr doch gerade die Umkehrung dessen, was Jesaja verheißen und Schulz gern aufgenommen hat, nämlich die Rückkehr eines brutalen Angriffskrieges nach Europa mit all seinen schrecklichen Folgen. Können wir dann mit unserem Lied singen: Kommt herbei! Lasst uns wandeln im Lichte des Herrn!?, wenn gerade eine neue Dunkelheit über Europa hereinbricht?
 
        Die 3. Strophe fragt, ob das Wort des Jesaja von den letzten Tagen, so alt wie es ist (immerhin ca. 2000 Jahre) uns doch heute durch alle modernen Finsternisse tragen und zur Gottesstadt führen kann? 
Diesen Weg nennt der Dichter den „Weg Jesu“, den auch wir mutig wagen sollen.
Dieser Weg Jesu ist geprägt von Liebe, Liebe zu Gott und Liebe zum Nächsten, ja sogar den Feind zu lieben hat Jesus gefordert. Dann werde der kommende Friede tatsächlich einkehren, so hofft Schulz.
 Wir aber erleben gerade, dass es doch wieder Krieg gibt auch in unserer Nähe und dass die Liebe zum Mitmenschen, gar die Liebe zum Feind ganz unmöglich erscheinen. Angesichts dieser furchtbaren Lage können wir nur hoffen, dass nach den schlimmen kriegerischen Auseinandersetzungen unserer Tage am Ende doch endlich wieder Frieden wird, und wir können versuchen, unseren Teil dazu beizutragen.
 
        Das ganze Lied wie das Prophetenwort sind eine große begeisternde Vision und Hoffnung auf Frieden ohne Waffen; - eine Idee, auf die viele Menschen immer wieder ihr Vertrauen gesetzt haben, die aber auch immer wieder enttäuscht worden ist, zuletzt durch Putins Überfall auf die Ukraine.
        Wollen wir als Christinnen und Christen trotzdem an solcher Hoffnung festhalten und uns für den Frieden einsetzen, wo immer wir es können?
 Wir müssen es jedenfalls versuchen, so wie es Jesus und seine Nachfolger und Nachfolgerinnen vorgelebt haben, wie z.B. der amerikanische Bürgerrechtskämpfer Martin Luther King.
Aber wir dürfen dabei nicht naiv den Bösen das Feld überlassen, sondern müssen den Überfallenen helfen, heutzutage den Ukrainern. Und trotzdem sollten wir dabei das eigentliche Ziel, einen wirklichen Frieden und echte Versöhnung, nicht aus den Augen verlieren. So zu hoffen und zu handeln ist sehr schwer. Darum wollen wir wie der alte Prophet und der neue Liederdichter Gott um seinen Beistand und um Kraft bitten für diese unsere Tage und für unsere heutige Welt.
        Und deshalb wollen wir am Ende doch zusammen mit unserem Wochenlied singen: Auf, kommt herbei! Lasst uns wandeln im Lichte des Herrn!
 
Jürgen Flohr

Andacht für die Woche vom 31. Oktober - 06. November über das Wochenlied "Nun freut auch lieben Christen g'mein (EG 341) von Pfr. i.R. Jürgen-Peter Lesch

Andacht für die Woche vom 31. Oktober bis 5. November 2022 zum Wochenlied 


„Nun freut euch, lieben Christen g’mein“ (EG 341)


von Pfr. i.R. Jürgen-Peter Lesch


Trost und Auftrag zum Reformationsfest


Liebe Leserin, lieber Leser,


Text und Melodie des Liedes zum Reformationsfest stammen von Martin Luther. Für ihn war es wichtig, dass die frohe Botschaft Gottes nicht nur durch die Predigt, sondern ebenso durch die Musik verkündigt werden sollte. Musik war für ihn ein Geschenk Gottes, das „die Traurigen fröhlich … und die Verzagten herzenhafftig“ macht.


Manchmal möchte ich morgens die Zeitung gar nicht mehr ins Haus holen, sondern gleich zum Altpapier stecken. Fast jeden Morgen werde ich mit Schlagzeilen „begrüßt“, in denen irgendjemand vor irgendetwas warnt. Und ich weiß oft nicht, was ich mit diesen Warnungen anfangen kann. Wenn an einem Gartentor „Warnung vor dem Hunde“ steht, dann weiß ich, was zu tun ist: Entweder das Tor nicht öffnen oder sehr schnell laufen können oder ein Stück Wurst dabeihaben. Oder wenn ich auf der B 217 hinter Hachmühlen vor möglichen Eisplatten auf der Fahrbahn gewarnt werde, dann achte ich sehr genau auf die Außentemperaturanzeige und fahre langsam und vorsichtig, wenn es erforderlich ist. Aber was soll ich tun, wenn vor der Inflation gewarnt wird? Die kann ich nicht beeinflussen. Oder vor der Gefahr, dass Atomwaffen eingesetzt werden? In den USA hat man in den 50-er Jahren in Zeichentrickfilmen mit einer Schildkröte und dem Spruch „Duck and Cover“ (duck dich und schütze dich) eine ziemlich verrückte Verhaltensweise im Falle eines Atombombenabwurfs empfohlen. Aber heute?


Martin Luthers Lied - es ist wohl sein persönlichstes Lied – könnte auch voller Warnungen sein – vor den Folgen der Sünde, vor dem Teufel. Doch es beginnt mit einem Aufruf, sich zu freuen, zu springen und zu singen:


Nun freut euch, liebe Christen g’mein und lasst uns fröhlich springen,
dass wir getrost und all’ in ein mit Lust und Liebe singen,
was Gott an uns gewendet hat und seine süße Wundertat;
gar teu’r hat er’s erworben.


Gottes Zuwendung zu uns Menschen ist der Grund aller Freude. Durch Gottes „Wundertat“ – Gott sendet seinen eigenen Sohn als unseren Retter auf die Erde – hat sich alles geändert.


In den folgenden Strophen entfaltet Luther seine grundlegende theologische Einsicht, die er im Römerbrief zusammengefasst gefunden hat: „So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben“ (Röm 3,28)“. Was wir da lesen und singen, klingt für uns zunächst ziemlich fremd: 

Dem Teufel ich gefangen lag, im Tod war ich verloren,
 mein Sünd mich quälte Nacht und Tag, darin ich war geboren.
 Ich fiel auch immer tiefer drein, es war kein Guts am Leben mein,
 die Sünd hatt’ mich besessen.

Mein guten Werk, die galten nicht, es war mit ihn’ verdorben;
 der frei Will hasste Gotts Gericht, er war zum Gutn erstorben;
 die Angst mich zu verzweifeln trieb, dass nichts denn Sterben bei mir blieb,
 zur Höllen musst ich sinken.

Viele verstehen gar nicht, was Sünde ist. Und schon gar nicht beziehen sie Sünde auf sich selbst. Doch bei aller Fremdheit der Rede von Teufel und Hölle sind dies Erfahrungen, die jeder Mensch machen kann, ja wohl machen muss. Es sind die Zeiten der Sorge und der Verzweiflung. Es läuft nicht so wie erhofft. Unsere Wünsche erfüllen sich nicht. Wir fühlen uns bei all unseren Mühen anderen Mächten, die wir nicht beeinflussen können, ausgeliefert. 
In den nächsten Strophen ist dann die Rede von der Rechtfertigung. 

Da jammert Gott in Ewigkeit mein Elend übermaßen;
 er dacht an sein Barmherzigkeit, er wollt mir helfen lassen;
 er wandt zu mir das Vaterherz, es war bei ihm fürwahr kein Scherz,
 er ließ’s sein Bestes kosten.

Er sprach zu seinem lieben Sohn: „Die Zeit ist hier zu erbarmen;
 fahr hin, meins Herzens werte Kron, und sei das Heil dem Armen
 und hilf ihm aus der Sünden Not, erwürg für ihn den bittern Tod
 und lass ihn mit dir leben.“

Der Sohn dem Vater g’horsam ward, er kam zu mir auf Erden
 von einer Jungfrau rein und zart; er sollt mein Bruder werden.
 Gar heimlich führt er sein Gewalt, er ging in meiner armen G’stalt,
 den Teufel wollt er fangen.

Er sprach zu mir: „Halt dich an mich, es soll dir jetzt gelingen;
 ich geb mich selber ganz für dich, da will ich für dich ringen;
 denn ich bin dein und du bist mein, und wo ich bleib, da sollst du sein,
 uns soll der Feind nicht scheiden.

Die Frage nach der „Rechtfertigung“ vor Gott ist heute für viele Menschen nicht mehr relevant. Umso mehr ist es die Frage der Rechtfertigung voreinander. In „Rechtfertigung“ steckt der Begriff „Recht“. Und der steckt wiederum im Wort „Gerechtigkeit“. Die Frage danach, was gerecht ist, treibt uns um. Gerade in dieser Zeit, in der es um Hilfen für Menschen angesichts steigender Preise und Energiekosten geht. Und in der die Frage gestellt wird, ob es richtig und (ge)recht ist, ein Bürgergeld einzuführen. Menschen können gnadenlos sein, wenn sie einander fragen, ob die Wünsche, Bedürfnisse und Hoffnungen des anderen gerechtfertigt sind. 
Wenn Martin Luther hier beschreibt, dass Gott selbst durch seinen Sohn jeden Menschen rechtfertigt, dann sollte uns das nachdenklich machen. Wenn Gott dies tut, welches Recht haben wir dann, den anderen zu fragen: Aus welchem Grund lebst du eigentlich, wieso gibt es dich eigentlich und vielmehr nicht?

Die letzten drei Verse vergegenwärtigen uns die Geschichte, den Weg Jesu. In jedem Gottesdienst bekennen wir im Glaubensbekenntnis seinen Weg von der Empfängnis und Geburt über Kreuz, Auferstehung und Himmelfahrt hin zu Pfingsten. Das Auffallende und Besondere in diesem Lied ist jedoch, dass es nicht einfach erinnernd auf Vergangenes zurückblickt. Jesu Tod am Kreuz geschieht zu unserer aller Befreiung. Das ist das Angebot des Glaubens.

Am Ende spricht Jesus selbst:

„Vergießen wird er mir mein Blut, dazu mein Leben rauben;
 das leid ich alles dir zugut, das halt mit festem Glauben.
 Den Tod verschlingt das Leben mein, mein Unschuld trägt die Sünde dein,
 da bist du selig worden.

Gen Himmel zu dem Vater mein fahr ich von diesem Leben;
 da will ich sein der Meister dein, den Geist will ich dir geben,
 der dich in Trübnis trösten soll und lehren mich erkennen wohl
 und in der Wahrheit leiten.

Was ich getan hab und gelehrt, das sollst du tun und lehren,
 damit das Reich Gotts werd gemehrt zu Lob und seinen Ehren;
 und hüt dich vor der Menschen Satz, davon verdirbt der edle Schatz:
 das lass ich dir zur Letze.“

Im letzten Satz schaut Martin Luther nochmals zurück auf den Anfang und Ausgangspunkt des Heilswegs. „Und hüt dich vor der Menschen Satz, davon verdirbt der edle Schatz, das lass ich dir zur Letze.“ Das letzte Wort hat „allein der Glaube“, „allein die Gnade“.

Und in dem Zusammenhang gibt es einen Rat von Jesus: „Was ich getan hab und gelehrt, das sollst du tun und lehren, damit das Reich Gotts wird gemehrt zu Lob und seinen Ehren“. Wir sind damit alle angesprochen, das Vertrauen auf Gott zu bezeugen, die Gemeinschaft des Glaubens zu stärken und auf die Gegenwärtigkeit des Reiches Gottes in unserer Mitte zu hoffen.

Ich wünsche Ihnen allen ein fröhliches und zuversichtliches Reformationsfest.


Jürgen Peter Lesch


 


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Das Lied „Nun freut euch, lieben Christen g’mein“ ist Luthers zweites Lied. Er hatte es ursprünglich als „Kontrafaktur“ (Abfassen eines Liedtextes auf eine schon vorhandene Melodie) auf die Melodie des Osterprozessionsliedes „Nun freut euch Frauen unde Mann“ geschrieben, ihm aber kurz darauf die Melodie, die nun im Gesangbuch steht, beigegeben. Die wiederum stammt aus einer Volksweise des 15. Jahrhunderts, einem Liebeslied mit dem Text: „Sie gleicht einem Rosenstock“.


Obwohl Luther es als Sololied konzipiert hatte, fand es bald Eingang in den Gemeindegesang. Um eine solche Kontrafaktur handelt es sich auch bei Martin Luthers bekanntem Weihnachtslied „Vom Himmel hoch, da komm ich her“, bei dem er die Melodie eines bekannten Tanzliedes, das zur Gattung der Kranzlieder gehört, übernimmt.


Jobst Gutknecht publizierte in Nürnberg das sogenannte „Achtliederbuch“ im Jahr 1524, das am Anfang der Geschichte des evangelischen Gesangbuches steht. Luthers Psalmlied „Ach Gott, vom Himmel sieh darein“ sowie sein Osterlied „Nun freut euch, lieben Christen g’mein“ sind hier erstmals abgedruckt.

Andacht für die Woche vom 23. bis 30. Oktober 2022 zum Wochenlied EG 324 von Sup.i.R. Christian Klatt

„Ich singe dir mit Herz und Mund, Herr, meines Herzens Lust;
ich sing und mach auf Erden kund, was mir von dir bewußt.“
Mit dieser Strophe beginnt Paul Gerhardts großes Lob- und Danklied. Es ist in unserem Gesangbuch komplett mit allen 18 Strophen abgedruckt worden. In unseren Gottesdiensten wird es oft und gern gesungen, aber fast immer nur in einer Auswahl. Ich möchte es aber einmal sehr der vollständigen Lektüre empfehlen! Es ist ein großartiges Lied, mit sprachlicher Kraft und gedanklicher Fülle.
 
Nicht nur der Auftakt, sondern zwei Drittel des Liedes sind in der Form eines Gebetes gedichtet. Paul Gerhardt wird nicht müde, mit immer neuen Wendungen Gott für seine Wohltaten zu danken. Er preist ihn als „Brunn der Gnad und ewge Quelle“, aus der wir „viel Heil und Gutes“ (Str. 2) schöpfen. Gott versorgt und erfreut uns nicht nur mit den reichen Gaben seiner Schöpfung, sondern steht uns auch bei in äußerer Gefahr und seelischer Not, Verzweiflung und Trauer. Und diese gnädige Fürsorge umfaßt nicht nur unser irdisches Leben, sondern auch die Zeit danach:
„Du füllst des  Lebens Mangel aus mit dem, was ewig steht,
und führst uns in des Himmels Haus, wenn uns die Erd entgeht.“ (Str. 12)
 
Im letzten Drittel seines Liedes (Str. 13 – 18) ruft Paul Gerhardt sich selbst und damit auch uns zu einem Leben voller Mut und Gottvertrauen. Es beginnt mit der schönen Strophe 13:
„Wohlauf, mein Herze, sing und spring und habe guten Mut!
Dein Gott, der Ursprung aller Ding, ist selbst und bleibt dein Gut.“
Die nächste Strophe unterstreicht das mit einer poetischen Fülle von Gottesprädikaten: 
„Er ist dein Schatz, dein Erb und Teil, dein Glanz und Freudenlicht,
dein Schirm und Schild, dein Hilf und Heil, schafft Rat und läßt dich nicht.“
 
In den folgenden Strophen erweist sich der Liederdichter als feinfühliger Seelsorger. Er weiß um die Fragen und Anfechtungen, die uns immer wieder verunsichern und quälen. Er kennt das aus eigener Erfahrung. Seine Antworten und Ratschläge sind deshalb authentisch und bedenkenswert: „Nimm deine Sorg und wirf sie hin auf den, der dich gemacht.“ „Wie manches schweren Unglücks Lauf hat er (Gott) zurückgekehrt!“ „Nein, was er tut und läßt geschehn, das nimmt ein gutes End.“ Ein gutes End? Leider erleben wir oft das Gegenteil. Weil wir Menschen in der großen Politik wie im privaten Leben dem guten Willen Gottes entgegenstehen und alles mit unserem Eigensinn und unserer Rücksichtslosigkeit verderben. Darum ist es gut, daß das Lied mit einem schlichten, aber klaren Ruf zur Demut und zum Gottvertrauen endet:
„Ei nun, so laß ihn ferner tun und red ihm nicht darein,
so wirst du hier im Frieden ruhn und ewig fröhlich sein.“
 
Dieses Lied ist kurz nach der Mitte des 17. Jahrhunderts entstanden. Da war der Dreißigjährige Krieg gerade erst vorbei. Paul Gerhardt hat diese schlimmen Jahre hautnah miterlebt. Umso dankbarer ist er nun für den Frieden, den er in seiner 6. Strophe auch als Gottesgeschenk preist und gleich mit drei wunderbaren Adjektiven beschreibt: „den güldnen, werten, edlen Fried.“ Davon ist unsere Welt gegenwärtig leider weit entfernt. Gott schenke es, daß sein Frieden die Herzen derer erreicht, die an den Hebeln der Macht sitzen, so daß auch diese böse Zeit schließlich ein gutes Ende nimmt.
 
Ich lege Ihnen allen dieses Wochenlied sehr ans Herz. Möge es in Ihnen viel Dankbarkeit, Zuversicht und Gottvertrauen wecken!    Ihr Christian Klatt   

Andacht für die Woche vom 16. bis 22 Oktober 2022 zum Wochenlied "Lass uns den Weg der Gerechtigkeit gehen" von Sup.i.R. Wilhelm Niedernolte

Lass uns den Weg der Gerechtigkeit gehen,
 dein Reich komm, Gott, dein Reich komme.
 Dein Reich in Klarheit und Frieden,
 Leben in Wahrheit und Recht.
 Dein Reich komme, Gott,
 dein Reich komme.
 Lass uns den Weg der Gerechtigkeit gehen,
 dein Reich komm, Gott, dein Reich komme.
 Dein Reich des Lichts und der Liebe
 lebt und geschieht unter uns.
 Dein Reich komme, Gott,
 dein Reich komme.
 Lass uns den Weg der Gerechtigkeit gehen,
 dein Reich komm, Gott, dein Reich komme.
 Wege durch Leid und Entbehrung
 führen zu dir in dein Reich.
 Dein Reich komme, Gott,
 dein Reich komme.
 Lass uns den Weg der Gerechtigkeit gehen,
 dein Reich komm, Gott, dein Reich komme.
 Sehn wir in uns einen Anfang,
 endlos vollende dein Reich!
 Dein Reich komme, Gott,
 dein Reich komme!
 Lass uns den Weg der Gerechtigkeit gehen,
 dein Reich komm, Gott, dein

Liebe Leserin, lieber Leser,

Dieses Lied kommt mir vor wie ein altes Fotoalbum: „Lass uns den Weg der Gerechtigkeit gehn:“ In den 1980 er Jahren war uns das Lied sehr wichtig. Damals haben wir es oft gesungen. Damals zur Hochzeit der Friedensbewegung. Aber dann ist es ihm ergangen wie Fotoalben von schönen Urlauben oder großen Familienfeiern. Es ist ins Regal gekommen und etwas eingestaubt. Trotz der wertvollen Erfahrungen und Erinnerungen, die es trägt.
 Aber: Wie ein Fotoalbum kann ein Lied auch wieder lebendig werden, wenn wieder wichtig wird, was darin aufgehoben ist. So geht es mir mit „Lass uns den Weg der Gerechtigkeit gehn“. 
 In den 1980er Jahren; als Ost und West atomar massiv aufgerüstet haben, haben Christen in der Friedensbewegung einander Mut zugesungen. Um einzutreten für eine Welt mit weniger Atomwaffen. Und heute? Atomwaffen werden wieder weltweit erneuert. Hoffentlich auch unser Mut.

Lass uns den Weg der Gerechtigkeit gehn. / 
 Dein Reich komme, Herr, dein Reich komme.
 1. Dein Reich in Klarheit und Frieden, Leben in Wahrheit und Recht. / 
 Dein Reich komme, Herr, dein Reich komme.

 „Dein Reich komme, in Klarheit und Frieden, in Wahrheit und Recht.“ Eigentlich bete ich, wenn ich dieses Lied mitsinge. Intensiver vielleicht, als wenn ich spreche. Das Lied nimmt die Bitte Jesu aus dem Vater Unser auf „Dein Reich komme“ und beschreibt, was das meint: Frieden, Wahrheit, Recht.
 Ziemlich weltliche Worte, besonders religiös klingen sie jedenfalls nicht. Aber so wie ich Jesus verstehe, ist das auch angemessen. Das Reich Gottes beginnt hier und jetzt, hat er erzählt. Er hat nicht auf ein weltfernes „Jenseits“ gewartet und nicht darauf vertröstet. Sondern erzählt und gelebt, dass mit ihm die erneuerte Welt anfängt, in der „Gerechtigkeit und Frieden sich küssen.“ So wird sie knapp und sinnlich in einem Psalm im Alten Testament beschrieben.

2. Dein Reich des Lichts und der Liebe lebt und geschieht unter uns. / 
 Dein Reich komme, Herr, dein Reich komme.

„Dein Reich komme.“ Ungeduldig erinnert das Lied daran, dass eine friedlichere Welt und gerechtere Welt nicht warten kann. Sie soll wirklich werden. Auch indem ich und andere uns auf den Friedensweg machen. Auf dem Waffen- und Kriegspfad sind zu viele. Das Lied wird darum sehr persönlich. Die Sehnsucht nach einer friedlicheren Welt ist nicht „gefühlig“, sondern praktisch. Eine Aufforderung für den Alltag.

3. Wege durch Leid und Entbehrung führen zu dir in dein Reich. / 
 Dein Reich komme, Herr, dein Reich komme.

Ursprünglich ist das Lied in Spanisch entstanden. In den 1960er Jahren als Teil einer Messe. Ich spüre das in der letzten Strophe besonders. „Wege durch Leid und Entbehrung führen in Dein Reich.“ Gern höre ich so etwas nicht. Es liegt eher über Kreuz mit einem Zeitgeist, in dem ich es auch als Christ gern leicht und bequem hätte. Aber das macht dieses Lied so aktuell: Es erneuert die alte Erfahrung: Eine friedlichere Welt mit weniger Waffen und Gerechtigkeit bekommt man nicht geschenkt. Gott möge dazu helfen.

4. Sehn wir in uns einen Anfang,
endlos vollende dein Reich!

Gott will uns Mut machen, den Weg der Gerechtigkeit zu gehen. Aber gehen müssen wir den Weg. Das ist nicht immer leicht, denn viele Hindernisse sind zu überwinden. So wie Martin Luther in der Erklärung zur Vater-unser-Bitte „Dein Reich Komme“ schreibt: „Gottes Reich kommt auch ohne unser Gebet von selbst, aber wir bitten in diesem Gebet, dass es auch zu uns komme.“

Darum Lass uns den Weg der Gerechtigkeit gehen.

Bleiben Sie behütet.

Wilhelm Niedernolte, Sup. i.R. Eldagsen

Andacht für die Woche vom 09. bis 15. Oktober 2022 zum Wochenlied EG 346 - P. Lukow

1. Such, wer da will, 
 ein ander Ziel, 
 die Seligkeit zu finden; 
 mein Herz allein 
 bedacht soll sein, 
 auf Christus sich zu gründen. 
 Sein Wort sind wahr, 
 sein Werk sind klar, 
 sein heilger Mund 
 hat Kraft und Grund, 
 all Feind zu überwinden.

2. Such, wer da will, 
 Nothelfer viel, 
 die uns doch nichts erworben; 
 hier ist der Mann, 
 der helfen kann, 
 bei dem nie was verdorben. 
 Uns wird das Heil 
 durch ihn zuteil, 
 uns macht gerecht 
 der treue Knecht, 
 der für uns ist gestorben.

3. Ach sucht doch den, 
 lasst alles stehn, 
 die ihr das Heil begehret; 
 er ist der Herr, 
 und keiner mehr, 
 der euch das Heil gewähret. 
 Sucht ihn all Stund 
 von Herzensgrund, 
 sucht ihn allein; 
 denn wohl wird sein 
 dem, der ihn herzlich ehret.

4. Meins Herzens Kron, 
 mein Freudensonn 
 sollst du, Herr Jesu, bleiben; 
 lass mich doch nicht 
 von deinem Licht 
 durch Eitelkeit vertreiben; 
 bleib du mein Preis, 
 dein Wort mich speis, 
 bleib du mein Ehr, 
 dein Wort mich lehr, 
 an dich stets fest zu glauben.

5. Wend von mir nicht 
 dein Angesicht, 
 lass mich im Kreuz nicht zagen; 
 weich nicht von mir, 
 mein höchste Zier, 
 hilf mir mein Leiden tragen. 
 Hilf mir zur Freud 
 nach diesem Leid; 
 hilf, dass ich mag 
 nach dieser Klag 
 dort ewig dir Lob sagen.

Liebe Lesende!
 Überall sehen wir Wahlplakate. Sie laden uns zur Landtagswahl ein. Ich bin froh, dass wir
 in Niedersachsen starke demokratische Parteien der Mitte haben, die die Landespolitik
 in der kommenden Legislaturperiode prägen werden. Die Wahlen in Schweden und in Italien haben gerade ganz andere Ergebnisse gebracht. In Italien hat jemand die Wahl gewonnen,
 die gerne lautstark den christlichen Glauben im Munde führt. Wie kommt das an? Wählerinnen und Wähler scheinen es zu honorieren. Aber ich empfinde es als befremdlich, weil im selben Atemzuge
 Menschen massiv als Sündenböcke hingestellt werden. Ich halte es für sehr gefährlich, wenn Gottes Name genannt wird und gleichzeitig Zielgruppen diskriminiert werden. Und das ist leider
 in Italien sehr oft der Fall gewesen. Gott ist instrumentalisiert worden, also für politische Zwecke missbraucht worden. Ich mache mir Sorgen, weil es offen und unverhohlen in hochdemagogischer Weise passiert. Demagogische Rhetorik macht analytisches Zuhören schwer. Das hat sich in der Geschichte immer wieder gezeigt.
 Das Reden von Gott bei politischen Ansprachen sagt noch nichts. Es kommt auf das Ziel an.
 Will man im Namen Gottes Hass predigen? Oder will man im Namen Gottes Respekt, Wertschätzung und Verantwortung für alle Menschen zum Ausdruck bringen? In Italien ist von einer Partei im Namen Gottes die Würde des Menschen für antastbar erklärt worden. In unserer Verfassung heißt es aber: die Würde des Menschen ist unantastbar. So bin ich allen dankbar, die sich zur Gleichwertigkeit aller Menschen bekennen. Wie kommt es zum Hass auf Menschen und dazu, diesen Hass durch den Namen Gottes zu verbrämen?
 Georg Weissel, der Dichter des aktuellen Wochenliedes „Such, wer da will“ sieht seit Jahrhunderten schon den Grund dafür in der krisenanfälligen menschlichen Seele.
 In realistischer Einschätzung der eignen Widersprüchlichkeit in uns selbst ruft er für sich aus:
 „Mein Herz allein bedacht soll sein auf Christus sich zu gründen.“
     Es ist leider allzu oft zur Gewohnheit geworden, für Probleme, die man mit sich selbst hat,
 andere verantwortlich zu machen. Das geht so nicht! Es ist nicht schlimm, Probleme mit sich selbst zu haben. Es ist schlimm, daraus Schuldzuweisungen gegenüber anderen Menschen zu machen.
 Damit macht man es sich zu leicht.
 Uns steht immer aus der Sicht der Bibel eine Alternative zur Verfügung, nämlich Christus. Unser Gesangbuchlied sieht in Christus jemand, der uns besser versteht, als wir uns selbst.
 Eindrücklich singt unser Wochenlied von seiner Liebe, die uns vergnüglich macht, die uns erlöst und die uns befreit.
 Christus macht uns immun gegen toxische und hasserfüllte politische Strömungen.Georg Weissel freut sich von Herzen darüber, Christ zu sein. Wort und Werk von Christus sind wahr und klar.
 Das Kreuz von Christus bringt es an den Tag, dass es eine Antwort Gottes gibt auf alle Schuld und Finsternis in uns. Das Kreuz von Christus ist für Georg Weissel eine existenzielle Erfahrung.
 Es schenkt  eine erlösende Liebe, die uns befreit von dem,  was ein Miteinander mit Gott und den Menschen zerstört. Christus füllt unsere Herzen mit Freude und Solidarität. Daran aber gilt es festhalten, was letzten Endes nicht ohne Anwendung der Bibel und des Gesangbuches geht.
     Meins Herzens Kron,
 mein Freudensonn
 sollst du, Herr Jesu, bleiben;
 lass mich doch nicht
 von deinem Licht
 durch Eitelkeit vertreiben;
 bleib du mein Preis,
 dein Wort mich speis,
 bleib du mein Ehr,
 dein Wort mich lehr,
 an dich stets fest zu glauben.
Wer so betet, halt keine hochmütigen Hassreden gegen andere Menschen im Namen Gottes
 und tritt gegen sie auf. Er fragt sich: „Was kann ich anderen Menschen Gutes tun? Wie kann ich ein Segen sein für alles, was lebt?“
 Ich wünsche uns, dass unser Lied vom 17. Sonntag nach Trinitatis unser Christenherz fest macht
 und in der neuen Woche einen klaren Blick verleiht.

Bleiben Sie behütet!
 Ihr Eckhard Lukow 

Andacht für die Woche vom 02. bis 08. Oktober 2022 zum Wochenlied EG 502 von Pfr.i.R. Lesch

Liebe Leserin, lieber Leser,

im Jahr 1644 – noch war für den 30-jährigen Krieg kein Ende abzusehen – lädt ein Dichter und Musiker zum lauten und frohen Lob Gottes ein: 
„Nun preiset alle Gottes Barmherzigkeit! / Lob ihn mit Schalle, werteste Christenheit! / Er lässt dich freundlich zu sich laden: / freue dich, Israel, seiner Gnaden, / freue dich, Israel, seiner Gnaden!“

Am Anfang stehen das Lob der Barmherzigkeit Gottes und die Einladung zur Freude. Wir, die Christinnen und Christen sind eingeladen, auch wenn Israel angesprochen wird. Das „Israel“ unserer Gesangbücher sind wir, die christliche Kirche, nicht die „Kinder Israel“, das jüdische Volk. Dass wir das neue Israel sind, wie es zum Beispiel Martin Luther in seiner Vorrede auf den Propheten Hesekiel schreibt, können wir heute nicht mehr sagen. Doch das war zu der Zeit, als das Lied geschrieben wurde, anders. Und die Gnade Gottes, über die wir uns freuen sollen und freuen können – diese Gnade gilt eben auch uns. Wir dürfen uns gemeint fühlen, wenn im Lied von Israel die Rede ist. 

„Der Herr regieret über die ganze Welt, / was sich nur rühret, alles zu Fuß ihm fällt; / viel tausend Engel um ihn schweben, / Psalter und Harfe ihm Ehre geben, / Psalter und Harfe ihm Ehre geben.“

Als Matthäus Appelles das schreibt, herrscht seit mehr als zwei Jahrzehnten Krieg in Europa. Dörfer und Städte liegen in Schutt und Asche, die Pest zieht immer wieder durchs Land, die Kriegsscharen plündern die Menschen aus. Matthäus Appelles entwirft ein Gegenbild: ein Herrscher, der alle regiert, dessen Reich erfüllt ist mit himmlischer Musik statt mit Schlachtenlärm. Ich denke an den Psalm 103, in dem von Gott als Weltenherrscher die Rede ist. Ein Herrscher voller Barmherzigkeit und Güte, der Gerechtigkeit und Recht schafft. Aber ich sehe die Bilder von Menschen, die für Recht und Gerechtigkeit auf die Straße gehen – in Russland, im Iran, in China und vielen anderen Ländern und Regionen auf unserer Erde. Menschen werden misshandelt, verhaftet und manchmal sogar getötet. Doch gegen allen Augenschein glauben wir Christinnen und Christen, dass die Herrschaft Gottes kommt, ja, dass sie schon da ist, seitdem Jesus Christus auf die Erde gekommen ist – verborgen und nicht offensichtlich, aber unter uns - wirksam und heilsam. Durch diesen Glauben können wir darin gestärkt werden, uns für Recht und Gerechtigkeit einzusetzen. Wir wissen, Gottes Kraft will besonders in den Schwachen, Verzweifelten, Unterdrückten und Hilflosen wirken. 

„Wohlauf, ihr Heiden, lasset das Trauern sein, / zur grünen Weiden stellet euch willig ein; / da lässt er uns sein Wort verkünden, / machet uns ledig von allen Sünden, / machet uns ledig von allen Sünden.“ 

„Lasset das Trauern sein“ – das berührt mich ganz besonders. Ja, ich weiß, es ist wichtig, sich Zeit für das Trauern zu nehmen. Doch die Trauer soll nicht das letzte Wort haben. Der Weg führt weiter: hin zu grünen Weiden und zu einem tröstenden Wort. Da klingt der Psalm 23 an, mit dem Bild vom guten Hirten, der seine Herde auf einer grünen Aue weidet und zum frischen Wasser führt. Ich spüre die Hoffnung auf ein gutes und sicheres Leben unter Gottes Schutz. Ich fühle mich getröstet durch seine Begleitung auf unseren Wegen. Gott lädt uns ein, sein Wort zu hören und darauf zu vertrauen. Und das kann uns helfen, es zu glauben: Gott macht uns ledig von allen Sünden. 

„Er gibet Speise, reichlich und überall, / nach Vaters Weise sättigt er allzumal; / er schaffet frühn und späten Regen, / füllet uns alle mit seinem Segen, / füllet uns alle mit seinem Segen.“

Dazu passt der Wochenspruch für das Erntedankfest: „Aller Augen warten auf dich, und du gibst ihnen ihre Speise zur rechten Zeit. Du tust deine Hand auf und sättigst alles, was lebt, mit Wohlgefallen“ (Ps 145,15-16). In diesem Jahr werde ich allerdings nachdenklich: „früher und später Regen“? Schon im fünften Buch Mose lese ich darüber eine Zusage Gottes: „so will ich eurem Lande Regen geben zu seiner Zeit, Frühregen und Spätregen, dass du einsammelst dein Getreide, deinen Wein und dein Öl, und will deinem Vieh Gras geben auf deinem Felde, dass du isst und satt wirst“ (5. Mose 11,14-15). Und im Buch des Propheten Jeremia heißt es: „Lasst uns doch den Herrn, unsern Gott, fürchten, der uns Frühregen und Spätregen gibt zur rechten Zeit und uns die Ernte treulich und jährlich gewährt“ (Jer 5,24). Es ist richtig: Gott, der Vater unseres Herrn und Bruders Jesus Christus ist kein Wettergott. Aber die Worte aus der Bibel erinnern uns daran: Es ist ganz und gar nicht selbstverständlich, dass wir zu essen und zu trinken haben. Und viele Menschen, die auf vertrocknete Weiden und Äcker schauen, sprechen jeden Tag eine Bitte um Regen – an wen auch immer sie gerichtet wird. Andere stehen vor ihren überfluteten Äckern, Wiesen und Häusern. Was sie einmal hatten, ist von Wasserfluten weggerissen worden. „Frühregen und Spätregen zur rechten Zeit“ – wenn dieser Rhythmus durchbrochen wird, dann drohen Katastrophen. Wir haben vieles in der Hand und können vieles tun, doch unsere Möglichkeiten haben Grenzen. Wir sind angewiesen und hoffen auf Gottes Segen zu unserem Tun und Lassen – jeden Tag.

„Drum preis und ehre seine Barmherzigkeit; / sein Lob vermehre, werteste Christenheit! / Uns soll hinfort kein Unfall schaden, / freue dich, Israel, seiner Gnaden, / freue dich, Israel, seiner Gnaden!“

Damit schließt das Lied. Apelles von Löwenstern richtet sein Lied an die „werteste Christenheit“. Wen meint er damit? Vielleicht das: Gott schätzt uns, die Christinnen und Christen, wert. Er vertraut darauf, dass wir unseren Weg in der Nachfolge von Jesus Christus gehen. Dabei soll uns kein Unfall – gemeint sind Unglück, Schaden oder auch Niederlage – schaden. Am Ende steht die Gnade Gottes. Wir sind als Menschen auf einen gnädigen Gott angewiesen. Diese Einsicht hat Martin Luther umgetrieben. Auf dieser Erkenntnis ruht die Reformation: Gott ist gnädig. „Gnade“ ist inzwischen ein seltenes Wort geworden. Wir kennen es aus der Redewendung „Gnade vor Recht ergehen lassen“. Genau das ist gemeint: Gnade vor Recht! Damit sind wir am Ende wieder beim Psalm 103: „Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte.“

Ich wünsche Ihnen allen ein frohes und ein wenig nachdenkliches Erntedankfest.

Jürgen Peter Lesch

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Text und Melodie des Liedes schrieb Matthäus Appelles von Löwenstern. Er ist heute vor allem durch dieses eine Kirchenlied bekannt, das seit 1950 ein Wochenlied für das Erntedankfest ist. Wer sich näher mit Johann Sebastian Bach befasst hat, weiß vielleicht, dass er sieben Kirchenlieder von Matthäus Apelles für 4-stimmigen Chor gesetzt hat. 
Appelles wurde im Jahr 1594 als Sohn eines Sattlers Appelt in Neustadt im damaligen Fürstentum Oppeln geboren. Nach einer dreijährigen Schulzeit am Gymnasiums in Brieg, südöstlich von Breslau, war er von 1613 bis 1625 zunächst in Neustadt, später in Leobschütz als Lehrer und Kantor tätig. In dieser Zeit dürfte er schon gottesdienstliche Werke geschaffen haben, die er erst später publizieren konnte. 

Die Stelle in Leobschütz musste Appelt 1625 im Zuge der Gegenreformation aus konfessionellen Gründen verlassen. Doch Herzog Heinrich Wenzel von Oels-Münsterberg nahm ihn in seinen Dienst. Er übergab ihm in der kleinen Residenz Bernstadt die Aufsicht über das Schulwesen. 1631 ernannte ihn der Herzog zum Rat und Sekretarius; 1634 erhob ihn Kaiser Ferdinand II. in den Adelsstand. Wegen der Unsicherheiten und Plagen des 30-jährigen Krieges zog sein Dienstherr im Jahr 1639 in das „Oelser Haus“ in der befestigten Stadt Breslau. Auch Matthäus Apelles von Löwenstern dürfte dort gewohnt haben. Breslau erlebte in jenen Jahrzehnten eine Blüte seines Musiklebens. Der zu bescheidenem Wohlstand gelangte Matthäus Appelles wirkte dort als Förderer von Schulen, Künstlern und Gelehrten. Er starb im Jahr 1648 

Das Lied „Nun preiset alle Gottes Barmherzigkeit“ ist wahrscheinlich im Jahr 1641 für die Trauerfeier der verstorbenen Herzogin von Oels entstanden. Drei Jahre später wurde es in der Liedersammlung „Frühlings-Maien“ veröffentlicht. In diesem Lied nimmt Matthäus Appelles den ersten Artikel des Glaubensbekenntnisses auf. Er schließt damit an die erste Strophe des Liedes „Wir glauben all an einen Gott“ (EG 183) von Martin Luther an. Es gelingt ihm, die Aussagen des ersten Artikels in ein frohes Lied zu kleiden, das Zuversicht verleihen will.

Interessant ist, dass es in diesem Lied nicht nur Endreime, sondern in den ersten beiden Zeilen jeder Strophe zusätzlich Binnenreime gibt: „alle – Schalle“; „regieret – rühret“; „Heiden – Weiden“; „Speise – Weise“ und „ehre – vermehre“. Damit werden die langen Zeilen noch einmal aufgeteilt. Matthäus Appelles nähert damit die einst von Horaz bevorzugte reimlose alkäische Strophe auf sehr geschickte Weise dem deutschen Empfinden an. In den Kreisen der herrnhutischen Dichtung wurde diese Art der Strophenteilung geschätzt; sie wird daher auch als „Herrnhuter Strophe“ bezeichnet.

Andacht für die Woche vom 25. September bis 01. Oktober 2022 zum Wochenlied EG 369 - P. Lukow

„Wer nur den lieben Gott lässt walten“ (EG 369)
 Verfasser: Pastor Eckhard Lukow
 (St. Andreas Springe / St. Vincenz Altenhagen I)

1. Wer nur den lieben Gott lässt walten 
 und hoffet auf ihn allezeit, 
 den wird er wunderbar erhalten 
 in aller Not und Traurigkeit. 
 Wer Gott, dem Allerhöchsten, traut, 
 der hat auf keinen Sand gebaut.

2. Was helfen uns die schweren Sorgen, 
 was hilft uns unser Weh und Ach? 
 Was hilft es, dass wir alle Morgen 
 beseufzen unser Ungemach? 
 Wir machen unser Kreuz und Leid 
 nur größer durch die Traurigkeit.

3. Man halte nur ein wenig stille 
 und sei doch in sich selbst vergnügt, 
 wie unsers Gottes Gnadenwille, 
 wie sein Allwissenheit es fügt; 
 Gott, der uns sich hat auserwählt, 
 der weiß auch sehr wohl, was uns fehlt.

4. Er kennt die rechten Freudenstunden, 
 er weiß wohl, wann es nützlich sei; 
 wenn er uns nur hat treu erfunden 
 und merket keine Heuchelei, 
 so kommt Gott, eh wir's uns versehn, 
 und lässet uns viel Guts geschehn.

5. Denk nicht in deiner Drangsalshitze, 
 dass du von Gott verlassen seist 
 und dass ihm der im Schoße sitze, 
 der sich mit stetem Glücke speist. 
 Die Folgezeit verändert viel 
 und setzet jeglichem sein Ziel.

6. Es sind ja Gott sehr leichte Sachen 
 und ist dem Höchsten alles gleich: 
 den Reichen klein und arm zu machen, 
 den Armen aber groß und reich. 
 Gott ist der rechte Wundermann, 
 der bald erhöhn, bald stürzen kann.

7. Sing, bet und geh auf Gottes Wegen, 
 verricht das Deine nur getreu 
 und trau des Himmels reichem Segen, 
 so wird er bei dir werden neu. 
 Denn welcher seine Zuversicht 
 auf Gott setzt, den verlässt er nicht.

Liebe Lesende!
 Vertrauen ist gefragt! Die Sehnsucht vieler Menschenseelen nach starkem Vertrauen
 ist in diesen Zeiten groß.Vertrauen brauchen wir für uns selbst, für unser soziales und berufliches Miteinander, für Gott und für die Welt. Viele fragen sich mehr und mehr, wie kann gerade in dieser Zeit  Vertrauen überleben und wenn möglich, sogar wieder wachsen.
      Ich habe neulich im Kindergarten bei einem Vertrauensspiel zugesehen. Ein kleiner Hindernisparcours ist aufgestellt worden. Einem Kind sind die Augen verbunden worden. Es ist dann von einem zweiten Kind durch den Parcours geführt worden. Das geführte Kind ist freudestrahlend an das Ziel gekommen. Die Erzieherin hat mir erklärt, dass sie regelmäßig
 Vertrauensspiele in das Programm aufnimmt. Sie betont, dass Kinder heute oft sehr individuell sind und dass gerade Vertrauensspiele das Miteinander stärken. Vertrauensspiele sieht sie als Grundlage für alle anderen Spielangebote in der Kindertagesstätte. Gelingen dort Vertrauensspiele, dann wirkt sich das sogar sehr positiv auf die spätere Schulzeit aus und erleichtert in die Schule die Zusammenarbeit der Kinder.
 Vertrauen spielt in jedem Alter eine ganz große Rolle. Wunderbar ist Vertrauen, wenn Menschen es besitzen. Der Schriftsteller Peter Rosegger sagt uns: „Wer Vertrauen hat,  erlebt jeden Tag Wunder“. Wie gut, wenn die Vertrauensspiele in der Kindertagesstätte das Grundvertrauen ins Leben stärken.
 Aber unser Vertrauen zu Menschen und unser Vertrauen zu Gott ist zerbrechlich: Davon wusste der Liederdichter Georg Neumark aus Thüringen schon vor langer Zeit ein Lied zu singen. Es steht bis heute in unserem Gesangbuch und heißt „Wer nur den lieben Gott lässt walten“.Es ist ein bekanntes Lied. Es stammt aus dem 17. Jahrhundert. Es heißt in der Strophe 2 über unser zerbrechliches Vertrauen:
 „Was helfen uns die schweren Sorgen,
 was hilft uns unser Weh und Ach?
 Was hilft es, dass wir alle Morgen
 beseufzen unser Ungemach?“
Die Fragen sind rhetorischer Art und die Antwort liegt auf der Hand: Ein „Weh und Ach“ hilft
 absolut nichts hilft bei Vertrauenskrisen, genauso wenig wie Aggression, Selbstmitleid oder Schuldzuweisung. Dieses alles verstärkt nur noch die Vertrauenskrise. Erst einmal muss sich Aufregung, Stress oder Nervosität legen und Ruhe einkehren. Aber wie wird man ruhig?
 Das, was uns am ehesten beruhigt, ist für Georg Neumark Gottvertrauen. So klingt sein Lied ja auch aus:
 „Sing, bet und geh auf Gottes Wegen,
 verricht das Deine nur getreu
 und trau des Himmels reichem Segen,
 so wird er bei dir werden neu.
 Denn welcher seine Zuversicht
 auf Gott setzt, den verlässt er nicht.“
Die Kinder in der Kindertagestätte erleben, dass es sie beruhigt, wenn es konkret erleben,
 dass andere auf sie achten. Aufeinander zu achten, ist sicher eine Hilfe in konkreter heraus-
 fordernder Situation. Aber nicht nur das! Es weist den Weg in Richtung Gottvertrauen.
 Gottvertrauen ist ja nicht machbar. Wer aber sich aber in Einzelfällen  von anderen Menschen
 gehalten, geborgen oder getragen weiß, der kann dieses Geborgenheitsgefühl vielleicht verallgemeinern, so dass sich eine tragende Lebensgewissheit einstellt: „Ich darf mich dem Leben anvertrauen. Mein Leben ist gehalten. Einer ist da, der dafür sorgt.“ So hören ich es oft von Christinnen und Christen, wenn sie von ihrem gelebten Glauben erzählen.
      Georg Neumark selbst hat es genauso erlebt. Denn das Wochenlied „Wer nur den lieben Gott lässt walten“ ist sehr genau einer bestimmten Lebenssituation von ihm zuzuordnen. Der Dichter Georg Neumark hat selbst über die Umstände  der Liedentstehung berichtet. Es war mitten im Dreißigjährigen Krieg. Georg Neumark wollte  nach Beendigung der Schule von Thüringen nach Königsberg in Ostpreußen an die dortige Universität reisen. Dort versammelten sich in jenen Jahren viele der besten Dichter und Poeten, die es damals in Deutschland gab. Unterwegs wurde er überfallen und verlor all seine Habe.Wegen der Kriegsereignisse konnte er nicht mehr in seine Heimatstadt zurückkehren. Eine Leidenszeit voller Hindernisse, Umwege und Enttäuschungen folgt. Sicherlich ist die Strophe 5 ein Reflex auf das, was er tragen musste und ihn zweifeln ließ
 „Denk nicht in deiner Drangsalshitze,
 dass du von Gott verlassen seist
 und dass ihm der im Schoße sitze,
 der sich mit stetem Glücke speist.
 Die Folgezeit verändert viel
 und setzet jeglichem sein Ziel.“
    Neumark hat uns ein Lied geschenkt, nachdem die Serie der schlimmen Ereignisse in seinem Leben ein Ende genommen hat. Er zeichnet diese angespannte Zeit mit guten Ausgang poetisch nach. Er wird auf diese Weise anderen zum Seelsorger, wenn sie dieses Lied betrachten. Gott- vertrauen kann man nicht von einem Menschen auf einen anderen Menschen übertragen.
 Aber wenn Menschen davon singen oder erzählen, dann dient das nicht nur der Unterhaltung
 sondern in irgendeiner Weise dem Vertrauen. Viele Aussagen des Liedes sind bis heute geeignet,
 als Trostwort in angespannten Lebenssituationen zu dienen. Deshalb steht „Wer nur den lieben Gott lässt walten“ in unserem Gesangbuch unter der Rubrik „Angst und Vertrauen“. Das macht ja auch Sinn.

Bleiben Sie behütet!
 Ihr Eckhard Lukow

Andacht zum Wochenlied EG.E 14 für den 14. Sonntag nach Trinitatis (18.9.2022)

Refrain
Lobe den Herrn, meine Seele, und seinen heiligen Namen.
Was er dir Gutes getan hat, Seele, vergiss es nicht, Amen.
Lobe, lobe den Herrn, lobe den Herrn, meine Seele!
Lobe, lobe den Herrn, lobe den Herrn, meine Seele!
 
Strophen
1.     Der meine Sünden vergeben hat, der mich von Krankheit gesund gemacht, -
2.     Der mich im Leiden getröstet hat, der meinen Mund wieder fröhlich macht, -
3.     Der mich vom Tode errettet hat, der mich behütet bei Tag und Nacht, -
4.     Der Erd und Himmel zusammen hält, unter sein  göttliches Ja-Wort stellt, -
 
1.-4. -den will ich preisen mit Psalmen und Weisen, von Herzen ihm ewiglich singen:
Refrain: Lobe den Herrn...
                                                                                                                           
 
Liebe Lesende,
 
Mit diesem Lied, das im Ergänzungsheft zum Evangelischen Gesangbuch unter der Nr.14 zu finden ist, haben wir ein neueres Loblied aus dem Jahr 1991 vor uns.
      Es knüpft an an den 103. Psalm aus der Bibel und preist wie dieser Gottes Güte gegenüber uns Menschen. Diese Güte Gottes zeigt sich darin, dass er uns unsere Sünden vergibt sowie darin, dass er uns im Leiden tröstet und dass er uns rettet und behütet in Gefahren. Dieses alles ist Grund und Anlass für uns, Gott zu danken und ihn zu preisen.
     Solch lobpreisendes Singen bietet das Lied in einer schwungvollen Melodie, die auch zur tänzerischen Bewegung anregt und einfach Freude macht zum Mitsingen.
 
Formell teilt sich das Lied auf in einen einleitenden Teil, der wie der Psalm  uns (unsere Seele) daran erinnert, was Gott uns Gutes getan hat und dass wir dies nicht vergessen sollen. Darauf folgt ein mehrfaches, sich steigerndes „Lobe den Herrn!“
Im Hauptteil des Liedes finden wir 4 kurze Strophen, die jeweils von einer Zwischenzeile und dem darauf folgenden Refrain abgeschlossen werden.
 
Von diesen 4 Strophen nimmt die 1. Strophe Bezug darauf, dass Gott dem Sänger seine Sünden vergeben und ihn von Krankheit geheilt hat. So hat er ihn an Seele und Leib gesund gemacht.
     Die 2. Strophe erinnert daran, dass Gott den Dichter im Leiden getröstet hat, so dass er wieder froh werden und erneut Gottes Lob singen konnte.
     In der 3. Strophe erzählt der Liedermacher, dass Gott ihn vom Tode errettet habe und dass Gott ihn (und auch uns) bei Tag und Nacht behütet.
     Die 4. Strophe benennt ein Thema, das uns heute in Zeiten der Umweltgefährdung und des Klimawandels besonders berührt. Sie singt nämlich davon, dass Gott Erde und Himmel zusammenhält und dass er „Ja“ sagt zu unserem Leben hier auf der Erde. Ich höre daraus, dass wir Menschen auch Gott gegenüber verantwortlich sind für unseren Umgang mit der Erde als unserem Lebensraum und Gottes Schöpfung.
 
Wenn wir nun noch einmal das ganze Lied mit seinem fröhlichen Lob Gottes am Anfang und am Ende sowie das feste Vertrauen des Sängers auf Gottes Schutz in den Blick nehmen, so drängen sich mir doch ein paar Fragen auf.
     Der Dichter dieses Liedes geht in großem Vertrauen auf Gottes Hilfe davon aus, dass dieser uns Menschen immer zur Seite steht, dass er uns gesund und fröhlich macht und uns behütet bei Tag und Nacht.
Aber erleben wir das so im Alltag unseres Lebens? Erleben wir nicht im Gegenteil oft, dass unsere Fehler und Sünden uns bedrücken, dass Menschen leiden und keinen Trost finden, dass sie sich nicht behütet, sondern vom Tode bedroht fühlen und dass Gottes gute Schöpfung durch menschliches Tun gefährdet wird? Und schließlich müssen wir alle am Ende doch sterben und finden zuweilen, dass der Tod für die Einen viel zu früh kommt und für die anderen eher zu spät?
 
Solche Fragen und Einwände an unser Wochenlied sind nicht unberechtigt.
Trotzdem aber möchte ich dieses Lied gern fröhlich mitsingen, weil ich denke:
     Es ist besser, ein Licht anzuzünden als über die Dunkelheit zu klagen!
     Es ist besser, anderen zu helfen und ihnen Mut zu machen als gemeinsam zu jammern.
     Es ist besser, die oben genannten Probleme zu bearbeiten als vor ihnen zu resignieren.
     Und schließlich ist es besser, auf Gottes Güte und auf seine Hilfe zu vertrauen und ihn um seinen Beistand zu bitten als die Hände in den Schoß zu legen und abzuwarten, was alles an Übeln uns noch treffen könnte.
        Deshalb lasst uns allen Schwierigkeiten zum Trotz mit unserem Wochenlied zusammen singen: Lobe den Herrn, meine Seele, und seinen heiligen Namen. Was er dir Gutes getan hat, Seele, vergiss es nicht, Amen.
 
Jürgen Flohr 

Andacht für die Woche vom 11. bis 17. September 2022 zum Wochenlied EG 412 - Sup.i.R. Christian Klatt

So jemand spricht: „Ich liebe Gott“, und hasst doch seine Brüder,
der treibt mit Gottes Wahrheit Spott und reißt sie ganz darnieder.
Gott ist die Lieb und will, dass ich
den Nächsten liebe gleich als mich.
 
Dies Wochenlied gehört nicht zu den Kernliedern in unserem Gesangbuch; da gibt es wichtigere und beliebtere. Aber es greift einen der Kernsätze in der Verkündigung Jesu auf: das berühmte Doppelgebot der Liebe: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt.“ „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Jesus hatte diese beiden Sätze aus dem Alten Testament als gleichwertig nebeneinander gestellt und miteinander verbunden (Mt. 22, 34-40). Der Liederdichter Christian Fürchtegott Gellert, ein Moralphilosoph der Aufklärungszeit an der Universität Leipzig, legt jedoch den Schwerpunkt auf den zweiten Teil, die Nächstenliebe, die er in den acht Strophen, die in unserem Gesangbuch abgedruckt sind, breit entfaltet.
 
„Gott ist die Lieb und will, dass ich den Nächsten liebe gleich als mich.“ Gleich die erste Strophe stellt unmissverständlich klar, daß unser Glaube Auswirkungen auf unser Verhalten im Alltag unseres Lebens haben soll. Wir können nicht ernsthaft von der Liebe Gottes reden, wenn wir nicht selber in Liebe und Fürsorge unseren Mitmenschen zugewandt sind. In der zweiten Strophe ist  besonders von den Menschen die Rede, die in Not sind. Die hat Jesus selbst als seine „geringsten Brüder“ genannt und uns ans Herz gelegt hat, damit wir uns um sie kümmern. „Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan“ (Mt. 25, 40). So ist dies gerade für den zweiten Sonntag im September, der traditionell als Sonntag der Diakonie begangen wird, ein gutes Wochenlied.
 
Besonders hervorheben möchte ich auch die vierte Strophe. Sie nimmt die neutestamentliche Rede von der Kirche als Leib Christi auf, in dem niemand nur für sich existiert, sondern einer für den anderen da ist:
Wir haben einen Gott und Herrn, sind eines Leibes Glieder,
drum diene deinem Nächsten gern, denn wir sind alle Brüder.
Gott schuf die Welt nicht bloß für mich,
mein Nächster ist sein Kind wie ich.
 
In diesen schwierigen Zeiten, die wir gegenwärtig erleben, drohen die Nächstenliebe, die Solidarität, die Mitmenschlichkeit unter die Räder zu kommen, von dem Hass auf den Straßen und im Internet und dem Unfrieden unter den Völkern ganz zu schweigen. Da ist die Erinnerung, dass wir alle in dieser Welt Kinder Gottes sind und deshalb als Brüder und Schwestern zusammengehören, eine wichtige Mahnung. Die wollen wir uns zu Herzen nehmen und mit dem Liederdichter an der Grundaussage unseres Glaubens festhalten: „Gott ist die Liebe.“
 
Bleiben Sie unter Gottes Schutz und Segen mutig und zuversichtlich!
Ihr 
Christian Klatt 

Andacht für die Woche vom 04. bis 10. September 2022 zum Wochenlied EG .E 20 von Pfr.i.R. Lesch

Spuren Gottes entdecken und deuten

Liebe Leserin, lieber Leser,

das Fest ist vorbei. Die Bühne ist abgebaut, die Stände sind verschwunden, der Platz, an dem intensiv und ausgelassen gespielt und gefeiert wurde, liegt vertrocknet und verlassen da. Keine Spur mehr vom großen und schönen Andreasfest. Alles ist vorbei.
 So geht es uns manchmal auch mit Gott. Es ist weit und breit nichts von ihm zu sehen oder zu spüren. Ich fühle mich allein, verlassen und auf mich gestellt. Ich frage mich, welchen Sinn es wohl noch hat, mit Gott zu sprechen oder von ihm zu reden. Und denke, es ist vielleicht zwecklos, nach ihm zu suchen.
 Das Wochenlied will uns Mut machen, weiter zu suchen. Es will uns aufrichten. Wir sollen nicht in Hoffnungslosigkeit die Augen schließen, sondern den Blick heben, umherschauen, genau hinsehen. Und noch etwas: Wir sollen uns erinnern, erinnern daran, dass es in unserem Leben Spuren Gottes gibt:   
 Wir haben Gottes Spuren festgestellt auf unsern Menschenstraßen,
 Liebe und Wärme in der kalten Welt, Hoffnung, die wir fast vergaßen.
 Auf „Menschenstraßen“ lassen sich Gottes Spuren finden, im ganz alltäglichen Leben. Dort, wo wir es nicht erwarten. Menschen kümmern sich um andere in Not. Sie helfen ihnen auf und helfen ihnen weiter. Sie nehmen sie auf und nehmen ihnen Lasten ab. Sie geben denen, die aufgeben wollen, die allein nicht mehr weiterkommen können, neue Hoffnung. Und wer Hoffnung gibt, spürt die Hoffnung auch in sich.

Im Refrain heißt es:

Zeichen und Wunder sahen wir geschehn in längst vergangnen Tagen,
Gott wird auch unsre Wege gehn, uns durch das Leben tragen.

 
„Zeichen und Wunder“ hat Gott in Ägypten geschehen lassen. Zeichen und Wunder, die den Pharao schließlich dazu brachten, das Volk Israel freizulassen (2. Mose 7,3). Daran wird in der Bibel immer wieder erinnert – so z.B. in Psalmen oder im Buch des Propheten Jeremia. Jesus selbst tut Zeichen und Wunder; doch er warnt zugleich davor, jedem zu glauben, der sie tut. Von Zeichen und Wundern lesen wir in der Apostelgeschichte. Dort waren sie wichtig, um skeptische Menschen für die frohe Botschaft von Jesus Christus zu öffnen. Zeichen und Wunder stehen nicht für sich; sie weisen auf den hin, der sie bewirkt - auf Gott.
 Die zweite Zeile des Refrains lässt mich zögern: „Gott wird auch unsere Wege gehen“. Ja, Gott geht mit uns, wir sind nicht allein. Aber geht Gott auch unsere Wege? Der ursprüngliche französische Text des Refrains ist sich da nicht sicher. Er stellt Fragen:

Wird er wiederkommen, auf unseren Wegen gehen, unsere steinernen Herzen verändern? Wird er wiederkommen, in unsere leeren Hände Liebe und Licht säen?

 
Diethard Zils, der dem Text des französischen Liedes frei nachgedichtet hat, erzählt über die Entstehung: „Wir hatten eine ökumenische Tagung … [und] eine Pfadfinderinnengruppe aus Frankreich dabei, die haben dieses Lied mitgebracht, haben das getanzt. In einem Kreistanz … Das [Lied] ist auch fragend, da heißt es: Das haben wir alles gehört, das sind alte Geschichten, aber geschieht das auch in unserer Zeit? Wird Gott auch unsere Wege gehen? Uns durch die Fluten tragen? So war auch meine erste Übersetzung. Das ist schon früh gewesen, das muss schon vor der Beatmessen-Zeit gewesen sein. Also vielleicht Ende der 60er-, Anfang der 70er Jahre.“ Der Text ist dann geändert worden – wann und durch wen, ist nicht zu klären.
 Bleibt es bei der Frage, bei der Ungewissheit. Oder bei der Gewissheit: „Gott wird auch unsre Wege gehn, uns durch das Leben tragen“? Ich denke, beides gehört zusammen: die Ungewissheit, der Zweifel auf der einen Seite, und die Zuversicht, das Vertrauen auf der anderen Seite. Es kommt wohl darauf an, meinen Weg immer wieder vor dem Hintergrund von Gottes Verheißung zu prüfen, nach rechts und links zu schauen, um Spuren Gottes zu sehen. Es geht um offene Augen für Gottes Zeichen in der Gegenwart und seine Wunder in der Vergangenheit. Davon spricht die zweite Strophe:

Blühende Bäume haben wir gesehn, wo niemand sie vermutet,
Sklaven, die durch das Wasser gehn, das die Herren überflutet.

 
Blühende Bäume sind Zeichen dafür, dass das Leben nicht vergeht. Dass auch aus Trümmern Blumen wachsen, dass unter verbranntem Boden neues Leben wächst. Und noch einmal wird an den Exodus erinnert, die Befreiung des Volkes Israel aus der Sklaverei. Doch diese Befreiung ist keine friedliche. Hier zeigt sich eine dunkle Seite Gottes. Gott kommt in unsere Welt, aber er stellt sie nicht auf den Kopf. Mehr noch. In Jesus Christus unterwirft er sich uns, unserer gewalttätigen Welt. Und gibt uns damit einen Auftrag: Ändert diese Welt, indem ihr euch ändert. Von einer solchen Veränderung spricht die dritte Strophe:

Bettler und Lahme sahen wir beim Tanz, hörten wie Stumme sprachen,
durch tote Fensterhöhlen kam ein Glanz, Strahlen, die die Nacht durchbrachen.

  Das Leben von Bettlern, Lahmen und Stummen wird verändert. Der Messias wird es verändern. Das ist die alte Verheißung an das Volk Israel. Diese Verheißung wird Wirklichkeit in und durch Jesus Christus. Der Täufer Johannes lässt Jesus fragen: „Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten?“(Mt 11,5) Jesus sendet ihm die Antwort: „Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt“. Jesus beantwortet die Frage des Johannes nicht mit einem Ja oder Nein. Er verweist auf die alte Verheißung, die Hoffnungsvision im Buch des Propheten Jesaja: „Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden. Dann wird der Lahme springen wie ein Hirsch, und die Zunge des Stummen wird frohlocken“ (Jes 35,5-6). An seinen Worten und seinen Taten wird man den Messias erkennen.
Jesus gibt uns damit einen Auftrag: Öffnet eure Augen! Schaut euch um! Deutet die Zeichen. Lasst euch nicht entmutigen. Blickt hinter das, was vor Augen ist. Lasst euch nicht blenden von denen, die alles besser wissen. Lasst euch nicht verwirren von denen, die alles nur schwarz sehen. Seht die Zeichen, dort wo das Leben etwas besser wird. Und erkennt, was ihr tun könnt, damit es besser wird. Redet mit anderen über ihre Erfahrungen, ihre Angst und ihre Sorgen wie über ihre Freude und ihre Hoffnungen. Bleibt offen für neue Erfahrungen. 
Wir Christinnen und Christen sind alle Spurenleser. Wir sind auf den Spuren der Zeichen und Wunder Gottes. Dabei entdecken wir vielleicht unterschiedliche Spuren. Und wir deuten sie überdies anders als andere. Unsere Gotteserfahrungen unterscheiden sich. Es gibt nicht eine einzige Art und Weise, an Gottes gute Botschaft zu glauben und sie zu leben. Doch uns alle verbindet die Erinnerung an Gottes Wirken in unserer Welt und die Zusage Gottes, wie wir sie im Buch des Propheten Ezechiel lesen: „Dann gebe ich euch ein neues Herz und einen neuen Geist. Das tote Herz aus Stein nehme ich aus eurem Leib. An seiner Stelle gebe ich euch ein lebendiges Herz aus Fleisch“ (Ez 36,26).

Ich wünsche Ihnen, dass Sie viele Spuren Gottes in Ihrem Leben und in unserer Welt entdecken und lesen können.
Jürgen-Peter Lesch

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Vom 31. August bis zum 8. September 2022 tagt die 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) in Karlsruhe. Sie steht unter dem Thema „Die Liebe Gottes bewegt, versöhnt und eint die Welt“. Dem Ökumenischen Rat gehören 352 Kirchen und Denominationen aus mehr als 120 Ländern mit mehr als 580 Millionen Christinnen und Christen an. Die Vollversammlung ist in diesem Rat das höchste Entscheidungsgremium. Zu ihr eingeladen haben die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), die Evangelische Landeskirche in Baden und die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK) zusammen mit Kirchen in Frankreich (Union der Protestantischen Kirchen von Elsass und Lothringen, UEPAL) und der Schweiz (Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz). Die letzte ÖRK-Vollversammlung in Europa fand 1968 in Uppsala, Schweden, statt.
Zu diesem Ereignis passt es gut, dass das Wochenlied ein ökumenisches Lied ist. Beteiligt sind der aus Griechenland stammender Komponist Jo Aksepsimas, der in der Bretagne lebende katholische Priester Michel Scouarnec und der deutsche Dominikaner Diethard Zils.
Die Melodie stammt von Jo Aksepsimas, einem in Athen im Jahr 1940 geborenen und seit seinem 18. Lebensjahr in Frankreich lebenden Chansonnier und Komponisten. Aksepsimas studierte Philosophie, Literaturwissenschaften und Musik und promovierte mit einer Arbeit über Platon. Seit seinem 28. Lebensjahr widmete er sich ganz der gottesdienstlichen Musik und der Liturgie. Sein Stil ist von Choral, Jazz, Blues, Chanson und Folklore geprägt. Er arbeitet zusammen mit renommierten Dichtern wie Michel Scouarnec.
Von dem stammt der französische Text des Wochenliedes. Michel Scouarnec (geb. 1934) ist ein katholischer Priester, Songwriter und Schriftsteller. Er ist Priester der Diözese von Quimper (Finistère), und war Professor für Liturgie und Direktor des Radios für die Diözese von Quimper. Er ist Autor und Komponist religiöser (auf Bretonisch und Französisch) und weltlicher Lieder. Scouarnec schrieb für dieses Lied sechs Strophen. Sie handeln von der Morgendämmerung eines neuen Friedens, die im Weltall glänzt. Von Armen und Elenden, die vor Freude tanzen. Von dem Reichen, der mit leerem Herzen und leeren Händen weggeht, und dem Armen, der sich mit leuchtenden Augen erhebt. Von Hungrigen, die satt werden, und Bettlern, die zum Festmahl kommen. Von Gott, der seine Arme ausbreitet, und aus seinem Herzen entspringt die Quelle des Lebens. Auch fügte er nach der letzten Strophe einen zweiten, anderslautenden Refrain an: „Er wird am Ende des Weges wiederkommen und in sein Licht nehmen. Er wird wiederkommen und uns an der Hand nehmen, um beim Vater zu leben“. Damit weist Scouarnec hin auf unsere Hoffnung auf ein Leben nach der Auferstehung bei Gott, unserem Vater.
Den deutschen Text für dieses Lied schrieb Diethard Zils (geb. 1935). Er gehört dem römisch-katholischen Orden der Dominikaner an. Wie viele andere schuf er in der 1960er-Jahren des letzten Jahrhunderts in ökumenischer und internationaler Zusammenarbeit neue geistliche Lieder. Überdies war er an der Einführung von „Beatmessen“ beteiligt, die auf Kirchentagen und vielen anderen Veranstaltungen aufgeführt wurden. In das Evangelische Gesangbuch sind die Lieder „Lobt und preist die herrlichen Taten Gottes“ (Nr. 429) und „Abraham, Abraham, verlass dein Land“ (Nr. 311) aufgenommen worden. Sehr bekannt ist auch sein Lied „Lasst uns den Weg der Gerechtigkeit gehen“.

Andacht für die Woche vom 28. August bis 03. September 2022 zum Wochenlied EG 299 von Sup.i.R. Wilhelm Niedernolte

1) Aus tiefer Not schrei ich zu dir,
 Herr Gott, erhör mein Rufen.
 Dein gnädig Ohr neig her zu mir
 und meiner Bitt es öffne;
 denn so du willst das sehen an,
 was Sünd und Unrecht ist getan,
 wer kann, Herr, vor dir bleiben?

2) Bei dir gilt nichts denn Gnad und Gunst,
 die Sünde zu vergeben;
 es ist doch unser Tun umsonst
 auch in dem besten Leben.
 Vor dir niemand sich rühmen kann;
 des muss dich fürchten jedermann
 und deiner Gnade leben.

3) Darum auf Gott will hoffen ich,
 auf mein Verdienst nicht bauen.
 Auf ihn mein Herz soll lassen sich
 und seiner Güte trauen,
 die mir zusagt sein wertes Wort.
 Das ist mein Trost und treuer Hort;
 des will ich allzeit harren. 

4) Und ob es währt bis in die Nacht
 und wieder an den Morgen,
 doch soll mein Herz an Gottes Macht
 verzweifeln nicht noch sorgen.
 So tu Israel rechter Art,
 der aus dem Geist geboren ward,
 und seines Gottes harre.

5) O bei uns ist der Sünden viel,
 bei Gott ist viel mehr Gnade.
 Sein Hand zu helfen hat kein Ziel,
 wie groß auch sei der Schade.
 Er ist allein der gute Hirt,
 der Israel erlösen wird
 aus seinen Sünden allen
 

Liebe Leserin, lieber Leser,

die Zahl der Nöte in unserem Land ist in den letzten Monaten und Jahren gestiegen. Am Beginn der Pandemie hatten wir die Hoffnung, es könnte eine beherrschbare Krankheit sein. Nach vielem Hin und Her haben wir auch Wege gefunden, mit der Pandemie umzugehen, auch bei gleichzeitiger Erkrankung vieler Menschen und einer hohen Zahl an Toten. Dann kamen die Folgen: die körperlichen (long-covid), die wirtschaftlichen (Unterbrechung von Lieferketten), die finanziellen (Hilfe für Firmen und Personengruppen), die menschlichen Folgen (home-schooling, home-office). Doch es gab Hoffnung: Wirksame Medikamente wurden entwickelt. Die Zahl der Neuinfektionen sinkt, die Wirtschaft erholte sich (teilweise). Wir hatten den Eindruck, wir könnten ein wenig aufatmen.

Doch dann kam der 24. Februar 2022. Die russische Armee überfiel die Ukraine und zerschoss ihre Städte. Die Folgen waren schrecklich. Viele Soldaten verloren ihr Leben, viele Menschen in der Ukraine verloren ihre Heimat und mussten fliehen. Die Wirtschaft in Westeuropa und damit der Wohlstand gerieten in Gefahr, nicht nur durch steigende Energiepreise.

Und dann das Dauerthema „Erderwärmung/Klimawandel“, das uns auch in den nächsten Jahren noch mehr begleiten wird – trotz aller geplanter Maßnahmen, die die Erwärmung unserer Erde verlangsamen sollen.

Aus tiefer Not schrei ich zu dir dichtet Martin Luther im Anschluss an den Psalm 130: Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir. Er hofft auf Gottes Gnade (sola gratia – allein die Gnade). Die zentrale Frage Martin Luthers war: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? Seine Antwort: Allein durch Gottes Gnade. Die Frage nach dem gnädigen Gott steht heute nicht mehr im Mittelpunkt unserer Fragen, sondern eher: Wie bekomme ich einen gnädigen Nachbarn? Wie bekommen wir Frieden mit unseren Nachbarn (in Europa)? Vers 3: Darum auf Gott will hoffen ich, auf mein Verdienst nicht bauen. Politikerinnen und Politiker in unserem Land haben sich Verdienste erworben in der Behebung der „tiefen Nöte“. Dafür sind wir dankbar, auch wenn uns die eine oder andere Maßnahme als kritikwürdig erscheint. Offensichtlich ist aber auch: Unsere Verdienste reichen nicht aus, weder um einen gnädigen Gott zu bekommen, noch um den Krieg in der Ukraine zu beenden, noch um den Klimawandel aufzuhalten. Darum auf Gott will hoffen ich, auf mein Verdienst nicht bauen.

Auch persönliche Nöte werden uns weiterhin begleiten: der Verlust geliebter Menschen, das Zerbrechen von Beziehungen, die Gebrechen des Alters und die Erfahrung von Sterben und Tod.

In allen Nöten kommt beides zusammen: Die Verdienste und politischen Erfolge der Menschen, unsere Vorsorge und Anstrengungen zur Milderung der persönliche Nöte - und die Hoffnung auf Gott. Deswegen werden nicht alle Nöte aus der Welt geschafft, aber wir können anders mit ihnen umgehen. Die Erderwärmung und den Klimawandel etwa werden wir nicht aufhalten können. Die erdgeschichtlichen Zyklen von Kälte- und Wärmephasen werden sich fortsetzen. Gegenwärtig sind wir auf dem Weg zu einer Wärmephase. Doch die von Menschen gemachte zusätzliche Erderwärmung kann und muss verlangsamt werden. Denn: es ist ein großer Unterschied, ob der Anstieg des Meeresspiegels um einen Meter in den nächsten hundert Jahren erfolgt oder in den nächsten tausend Jahren. Dafür lohnt es sich zu kämpfen, jetzt, mit Gottes Hilfe und mit dem Sachverstand von Menschen.

Aus tiefer Not schrei ich zu dir. Herr Gott, erhör mein Rufen!

Darum auf Gott will hoffen ich, auf mein Verdienst nicht (nur) bauen.

 
Bleiben Sie behütet!
Ihr
Wilhelm Niedernolte

Andacht für die Woche vom 21. bis 27. August 2022 zum Wochenlied EG 429 von Pfr.i.R. Jürgen-Peter Lesch

Liebe Leserin, lieber Leser,
„So spricht der Herr: Ich schuf den Himmel, ich schuf die Erde,
schuf sie zur Wohnung für alle Menschen, doch nicht zur Wüste.
Ich gieße aus über die Menschen Geist aus der Höhe,
dann wird die Steppe, dann wird die Wüste fruchtbarer Garten.“

An diesen Worten der vierten und fünften Strophe des Wochenliedes bleibe ich beim ersten Lesen des Wochenlieds hängen. Die Hoffnung, dass aus Wüste und Steppe ein fruchtbarer Garten wird, kann ich in dieser Zeit, in der Menschen von Tag zu Tag auf Regen warten und hoffen, gut nachvollziehen. 

Doch es geht um mehr als einen Ort zum Wohnen, eine Heimstatt, und ein Land, das seine Bewohner ernährt. Das Lied nimmt eine Zusage auf, die uns durch die Propheten im Alten Testament vermittelt wird: „So spricht der Herr“. Das sind Worte, die über unseren menschlichen Horizont hinausgehen. Schon in der ersten Strophe heißt es:

„So spricht der Herr: Neu will ich machen Himmel und Erde.Niemand wird nach dem Alten sich sehnen, es ist vergessen.“


Einen neuen Himmel und eine neue Erde – diese Zusage lesen wir in der Offenbarung des Johannes (Offb 21,1.5). Die Worte erinnern zugleich daran, dass durch Jesus bereits Neues geworden ist und das Alte vergangen ist: „Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden“ (2. Kor 5,17). Die Konsequenz dieses Wandels beschreibt die zweite Strophe:

„Jubel wird sein in allen Ländern, Jubel und Freude,
denn ich will bauen die Stadt der Menschen, die Stadt des Friedens.“

Wieder werden Verheißungen Gottes aufgenommen, wie sie durch die Propheten im Alten Testament übermittelt werden. Die Stadt des Friedens, das ist Jerusalem. Die Stadt, nach der sich die verschleppten Juden sehnten, als sie „an den Wassern von Babylon“ (By the rivers of Babylon) saßen: „Vergesse ich dein, Jerusalem, so werde meine Rechte vergessen“ (Ps 37,5) ist die Versicherung Gottes, dass er diese seine Stadt nicht vergessen wird.

Die Erinnerung an Jerusalem nehmen wir Christen am „Israelsonntag“ auf. Er ist der „Gedenktag der Zerstörung Jerusalems“. Damit schließt er an den jüdischen Erinnerungs- und Fastentag Tischa Be’Aw an. An diesem Tag wurde und wird an die Zerstörungen des ersten und des zweiten Tempels in Jerusalem erinnert: des salomonischen Tempels um 587/586 v. Chr. und des von Herodes restaurierten Tempels durch den Römer Titus im Jahr 70 n. Chr. Nun ist Jerusalem – zwar ohne den Tempel – wieder aufgebaut worden. Doch verheißen bleibt ein Neues Jerusalem, eine Stadt, in der kein Tempel mehr erforderlich ist, denn Gott selbst ist in ihr. Diese Stadt beschreibt wiederum die Offenbarung des Johannes (Kap 21). 

Eine weitere Verheißung aus der Offenbarung (Offb 21,3) nimmt das Lied auf in der dritten Strophe:

„Friede wird sein für alle Menschen, Friede und Freiheit,
und diese Welt wird endlich bewohnbar für einen jeden.“

Weil Gott selbst in der Welt wohnt, wird sie endlich für jeden bewohnbar. Doch das ist nicht nur ein Bild für die ferne Zukunft. Es geht um das Hier und Jetzt. „Friede und Freiheit“ stehen sowohl im Alten wie im Neuen Testament im Zentrum der Geschichte Gottes mit den Menschen und der Frohen Botschaft des Evangeliums. 

Doch zurück zur Steppe und zur Wüste. In der vierten Strophe ging es um einen Rückblick auf die Schöpfung. Die Erde als eine Wohnung für den Menschen. Das ist sowohl ein Geschenk, eine Gabe, wie eine Aufgabe. Die Erde ist dem Menschen anvertraut; seine Aufgabe ist es, die Schöpfung zu bewahren. Dabei sind die Menschen nicht allein. Gottes Geist will und soll unter ihnen wirken. Die Hoffnung, ja der Glaube, dass Gottes guter Geist uns Menschen begeistern will, vereint Juden und Christen. So nimmt Paulus in seiner Pfingstrede Worte aus dem Buch des Propheten Joel auf und sagt:

„Ich werde meinen Geist über alle Menschen ausgießen.
Eure Söhne und Töchter werden als Propheten reden.
Eure jungen Männer werden Visionen schauen,und eure Alten von Gott gesandte Träume haben.
Über alle, die mir dienen, Männer und Frauen,
werde ich in diesen Tagen meinen Geist ausgießen.“ (Apg 2,17+18; Joel 3,1+2)

Daran schließt in der letzten Strophe des Wochenliedes eine weitere Verheißung an: 

„Dann wohnt das Recht unter den Menschen und schafft den Frieden,
für alle Völker – Spruch unsers Gottes – sichere Zukunft.“

Die „sichere Zukunft“ liegt nicht in weiter Ferne. Sie kommt aber auch nicht von selbst. Auf sie hinzuarbeiten ist ein weiterer Auftrag an uns Menschen. Es gilt nicht: Der liebe Gott wirds schon machen. Den „lieben Gott“ gibt es nicht, denke ich. Gott ist vielmehr ein liebender, den Menschen zugewandter Gott. In seiner Liebe fordert er uns Menschen heraus, tätig zu werden, uns zu engagieren für unsere Welt. 

Am Anfang wie am Ende des Liedes steht ein Lobpreis:

„Lobt und preist die herrlichen Taten des Herrn,
Halleluja, Halleluja!“

Die herrlichen Taten Gottes – das sind Taten der Rettung und der Befreiung. Rettung aus unmittelbarer Gefahr und Befreiung aus Unterdrückung und von Angst. Immer wieder wird im Alten wie im Neuen Testament an diese herrlichen Taten erinnert. Das beginnt mit der Befreiung des Volkes Israel aus der Sklaverei in Ägypten. Die Prophetin Mirjam singt ein Loblied, als die Israeliten vor den ägyptischen Soldaten gerettet worden waren. „Lasst uns dem HERRN singen, denn er ist hoch erhaben; Ross und Reiter hat er ins Meer gestürzt.“ (Mose/Exodus 15,21) Und es endet nicht mit den Rettungstaten von Jesus Christus, über die es im Neuen Testament heißt „Und alles Volk freute sich über alle herrlichen Taten, die durch ihn geschahen“ (Lk 13,17).

Die Freude über die herrlichen Taten Gottes, die in dem Reden und Handeln von Jesus immer wieder neu Gestalt gewinnen, kann und soll uns Mut machen, unser Leben, unsere Erde und unsere Welt aus dem Geist Gottes heraus neu zu gestalten. Wir sind dem, was auf unserer Erde geschieht, nicht hilflos ausgeliefert. Vielmehr wurde uns Phantasie und Geist gegeben, die täglichen Herausforderungen anzunehmen und so weit als möglich zu bewältigen. Das kann Gottes Geist in uns bewirken.

Dass wir diese Begeisterung spüren können, wünsche ich uns allen.
Jürgen-Peter Lesch

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Der Text des Liedes stammt von Diethard Zils. Die Melodie wurde von Lucien Deiss komponiert. 

Diethard Zils (geb. 1935) gehört dem römisch-katholischen Orden der Dominikaner an. Er schuf wie viele andere in der 1960er-Jahren des letzten Jahrhunderts in ökumenischer und internationaler Zusammenarbeit neue geistliche Lieder. Überdies war er an der Einführung von „Beatmessen“ beteiligt, die auf Kirchentagen und vielen anderen Veranstaltungen aufgeführt wurden. In das Evangelische Gesangbuch wurde neben der Nr. 429 das Lied „Abraham, Abraham, verlass dein Land“ (EG 311) aufgenommen worden. Sehr bekannt sind auch seine Lieder „Wir haben Gottes Spuren festgestellt“ und „Lasst uns den Weg der Gerechtigkeit gehen“.

Lucien Deiss (geb. 1921, gest. 2007) war ein französischer Priester der Congrégation du Saint-Esprit (Orden des Heiligen Geistes) Als Bibelwissenschaftler lehrte er die biblischen Fächer Exegese und Dogmatik. Er war Liturgieberater beim 2. Vatikanischen Konzil und engagierte sich für die Liturgiebewegung der römisch-katholischen Kirche. Als Bibelwissenschaftler beteiligte er sich an der französischen ökumenischen Übersetzung der Bibel, der TOB (Traduction œcuménique de la Bible en français). Lucien Deiss war Komponist und Dichter sehr vieler liturgischer Gesänge und Kirchenlieder. Eine große Zahl von ihnen wurde in andere Sprachen übersetzt. Die Bände 1 und 2 der Biblical Hymns and Psalms mit etwa 100 dieser Lieder sind in mehr als einer Million Exemplaren veröffentlicht worden. 

Andacht für die Woche vom 31. Juli bis 6. August 2022 über das Wochenlied für den 7. Sonntag nach Trinitatis

EG 320 „Nun lasst uns Gott dem Herren Dank sagen und ihn ehren“
von Superintendent i. R. Christian Klatt

„Nun lasst uns Gott dem Herren Dank sagen und ihn ehren für alle seine Gaben, die wir empfangen haben.“

Das ist eins von den beiden Wochenliedern für den 7. Sonntag nach Trinitatis. Es ist ein Klassiker in unserem Gesangbuch und wird in unseren Gottesdiensten, obwohl schon rund 450 Jahre alt, immer noch gern und oft angestimmt. Es lässt sich auch gut singen: eine ruhige, gleichmäßige, und durch den häufigen Wechsel der Notenwerte dennoch lebendig gestaltete Melodie. Auch Paul Gerhardt hat zwei seiner Lieder zu der schon damals beliebten Melodie geschrieben (im EG Nr. 58 und Nr. 446). Der bei unserem Wochenlied mit abgedruckte vierstimmige Satz von Johann Crüger gehört nach wie vor zum klassischen Repertoire unserer Kirchenchöre.

Ludwig Helmbold, Theologe und Pädagoge in der thüringischen Reichsstadt Mühlhausen, ruft uns 
mit diesem Lied zum dankbaren Lobpreis Gottes auf. In den beiden nächsten Strophen entfaltet er,
was in der ersten Strophe mit „alle seine Gaben“ schon angeklungen war:

„Den Leib, die Seel, das Leben hat er allein uns geben; dieselben zu bewahren, tut er nie etwas sparen.“
„Nahrung gibt er dem Leibe; die Seele muß auch bleiben, wiewohl tödliche Wunden sind kommen von der Sünden.“
Gott schenkt uns Leben und Gesundheit und sorgt reichlich für unser leibliches Wohl. Gerade jetzt, wo uns manche Einschränkungen abgenötigt werden, wollen wir das nicht vergessen! Und auch unsere Seele, die oft tief („tödlich“!) verletzt ist durch eigene oder fremde Schuld, bleibt umfangen von seiner Gnade. 

Die nächsten drei Strophen richten dann den Blick auf Jesus Christus, der uns die Wohltaten Gottes glaubhaft bezeugt hat:
„Ein Arzt ist uns gegeben, der selber ist das Leben; Christus, für uns gestorben, der hat das Heil erworben.“
„Sein Wort, sein Tauf, sein Nachtmahl dient wider alles Unheil; der Heilig Geist im Glauben lehrt uns darauf vertrauen.“
„Durch ihn ist uns vergeben die Sünd, geschenkt das Leben. Im Himmel solln wir haben, o Gott, wie große Gaben!“
Jesus selber hat sich in der Rolle eines Arztes gesehen (Mt. 9,12), dem das Wohl seiner Kranken am Herzen liegt. Sein Tod am Kreuz ist ein letzter Beweis seiner selbstlosen Hingabe. Was er uns durch sein Wort und durch seine Sakramente hinterlassen hat, „dient wider alles Unheil.“ Der Liederdichter vermeidet das Wort „schützt!“ Denn wir sind als Christenmenschen keineswegs gegen alles Unheil geschützt. Das hatte Ludwig Helmbold während seiner Jahre in Erfurt zur Genüge erfahren, wo die Pest innerhalb kurzer Zeit mehrere tausend Todesopfer gefordert hatte. Aber der Glaube, der uns durch den Heiligen Geist geschenkt wird, „dient wider alles Unheil“, weil er uns Kraft und Zuversicht gibt. Erst recht, wenn wir dessen eingedenk sind, was uns „im Himmel“, also nach dieser Zeit, bei Gott erwartet.

Das Lied endet dann mit zwei Gebetsstrophen:
„Wir bitten deine Güte, wollst uns hinfort behüten, uns Große mit den Kleinen; du kannst’s nicht böse meinen.“
Wahrlich ein schlichtes, aber umfassendes Gebet für jeden Tag!

Mit der letzten Strophe setzt Ludwig Helmbold noch einmal einen starken Akzent: zwei kurze Gebetsrufe, die aber Wesentliches zur Sprache bringen und dann noch einmal den Bogen zur ersten Strophe schlagen, zum Lobpreis Gottes:
„Erhalt uns in der Wahrheit, gib ewigliche Freiheit, zu preisen deinen Namen durch Jesus Christus. Amen.“
Wahrheit und Freiheit – zwei hohe Ideale, die in unserer Welt oft verdunkelt sind oder gar mit Füßen getreten werden. Jesus aber hatte denen, die an ihn glauben, versprochen: „Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen“ (Joh. 8, 32). Daran knüpft der Liederdichter an und lädt uns ein, dass wir uns mit diesen Gebetsrufen Gott anvertrauen. Übrigens hat schon Johann Sebastian Bach, der selber als junger Organist zwei Jahre in Mühlhausen gelebt hat, den hohen Wert dieser Liedstrophe erkannt und mit ihr eine seiner Kantaten zum Reformationstag beendet.

Ja, ich finde, dies ist eins von den wirklich wertvollen Liedern in unserem Gesangbuch. Möge es uns in diesen schwierigen und sorgenvollen Zeiten ermutigen, dass wir uns in aller Ratlosigkeit und Not Gott zuwenden und im Vertrauen auf ihn dankbar unseren Weg gehen.

Andacht für die Woche vom 24.7. - 31.7.2022 zum Wochenlied Nr. 200 von Sup.i.R. Jürgen Flohr

Andacht zum Wochenlied Nr. 200 für den 6. Sonntag nach Trinitatis                (24. Juli 2022)
 
Ich bin getauft auf deinen Namen, Gott Vater, Sohn und Heilger Geist;
Ich bin gezählt zu deinem Samen, zum Volk, das dir geheiligt heißt.
Ich bin in Christus eingesenkt, ich bin mit seinem Geist beschenkt.
 
Du hast zu deinem Kind und Erben, mein lieber Vater, mich erklärt;
du hast die Frucht von seinem Sterben, mein treuer Heiland, mir gewährt;
du willst in aller Not und Pein, o guter Geist, mein Tröster sein.
 
Doch hab ich dir auch Furcht und Liebe, Treu und Gehorsam zugesagt;
ich hab, o Herr, aus reinem Triebe dein Eigentum zu sein gewagt;
hingegen sagt ich bis ins Grab des Satans schnöden Werken ab.
 
Mein treuer Gott, auf deiner Seite bleibt dieser Bund wohl feste stehn;
wenn aber ich ihn überschreite, so lass mich nicht verloren gehen;
nimm mich, dein Kind, zu Gnaden an, wenn ich hab einen Fall getan.
 
Ich gebe dir, mein Gott, aufs Neue Leib, Seel und Herz zum Opfer hin;
erwecke mich zu neuer Treue und nimm Besitz von meinem Sinn.
Es sei in mir kein Tropfen Blut, der nicht, Herr, deinen Willen tut.
 
Lass diesen Vorsatz nimmer wanken, Gott Vater, Sohn und Heilger Geist.
Halt mich in deines Bundes Schranken, bis mich dein Wille sterben heißt.
So leb ich dir, so sterb ich dir, so lob ich dich dort für und für.
 
 
Liebe Lesende,
 
Das Lied ist vermutlich vielen von uns gut bekannt von den Taufen her, die wir mitgefeiert haben, sei es in der Familie oder im Gemeindegottesdienst.
Es ist das Lied eines Christen, der sich an seine eigene Taufe erinnert und der sich in den 6 Strophen des Liedes klarmacht, was es für ihn und sein Leben bedeutet, dass er getauft ist.
        
     Das beginnt in der 1. Strophe damit, dass der Sänger sich auf die Tatsache besinnt, dass er getauft ist, - und zwar auf den dreieinigen Gott der Christen. Deswegen gehört er seitdem zum Volk Gottes und ist beschenkt mit dem Heiligen Geist. 
     Die 2. Strophe sagt, dass Gott uns Getaufte zu seinen Kindern erklärt hat, dass er uns erlöst hat durch den Heiland Jesus Christus und dass er uns nun trösten will in allen Nöten, die uns treffen.
     Dieser Zusage Gottes entspricht auf unserer Seite in der 3. Strophe, dass wir uns an Gott binden in Liebe und Treue und dass wir allen teuflischen Einflüssen widerstehen wollen.
     Die 4. Strophe stellt fest, dass Gott treu an seinem Bund mit uns festhält, dass es bei uns aber schon passieren kann, dass wir uns von Gott entfernen. In diesem Fall bitten wir mit dem Liederdichter, Gott möge uns nicht verloren geben, sondern in Gnaden wieder annehmen, wenn wir zu ihm zurückkehren.
     Nach diesem Blick in den Abgrund der Gottesferne will sich der Sänger in der     5. Strophe aufs Neue dem Vertrauen auf Gott hingeben. So bittet er den Herrn, ihn selber mit Herz, Seele und Verstand in Besitz zu nehmen, sodass er wirklich Gottes Willen tue.
     Diese Absicht, mit Gott fest verbunden zu sein und zu bleiben, bekräftigt der Dichter in der 6. und letzten Strophe noch einmal. Er bittet darum, Gott Vater, Sohn und Heilger Geist solle ihn in seinem Bund halten für das ganze Leben; und diese  Bitte unterstreicht er mit der Leben und Tod umfassenden Formulierung „So leb ich dir, so sterb ich dir.“
 
Der Liederdichter Johann Jakob Rambach macht uns mit seinem Tauflied darauf aufmerksam, dass eine wohlverstandene und ernstgenommene Taufe das ganze Leben des oder der Getauften beeinflusst. Die Taufe bindet ihn oder sie an Gott und an die christliche Gemeinde und eröffnet diesem Menschen große Möglichkeiten, sein Christsein nun auch zu leben im Alltag und in Gemeinschaft mit anderen Christen.
Dabei sollten ihm die Menschen um ihn herum genauso viel bedeuten wie die eigene Person. 
Deshalb wäre die Taufe also sehr wichtig für unser Leben von seinem Anfang bis zu seinem Ende.
     Was meinen Sie, wie viele Getaufte dieser Behauptung zustimmen würden? Ich vermute,es wären viele.
        Und wie viele Getaufte würden wohl sagen, dass das Getauftsein und der christliche Glaube eine bestimmende Rolle spielen in ihrem Leben? Ich vermute, das wären leider sehr viel weniger.
 
Was heißt das für uns, die wir getaufte Christinnen und Christen sind? 
     Ich meine, dass wir uns selber und andere an unsere Taufe erinnern sollten z.B. in Tauf-Erinnerungs-Feiern, die ja inzwischen auch öfter vorkommen in unseren Gemeinden. Und ich meine, dass wir unser Christsein nicht verstecken sollten weder am Alltag noch am Sonntag. Sondern wir sollten als fröhliche Kinder Gottes unseren Glauben auch bezeugen dort, wo wir leben, allerdings ohne anderen Menschen  damit auf die Nerven zu gehen wie es manche Gruppen in Gottes buntem Garten tun.
 
        Ob uns solches unverkrampfte christliche Zeugnis hier oder dort gelingen kann? Bitten wir Gott dafür um seinen Beistand, und freuen wir uns darüber, dass wir getauft sind!
 
Jürgen Flohr

Andacht für die Woche vom 17. bis 23. Juli 2022 zum Lied EG 241 - Sup.i.R. Wilhelm Niedernolte

1) Wach auf, du Geist der ersten Zeugen,
 die auf der Mau'r als treue Wächter stehn,
 die Tag und Nächte nimmer schweigen
 und die getrost dem Feind entgegengehn,
 ja deren Schall die ganze Welt durchdringt
 und aller Völker Scharen zu dir bringt.
2) O dass dein Feuer bald entbrennte,
 o möcht es doch in alle Lande gehn!
 Ach Herr, gib doch in deine Ernte
 viel Knechte, die in treuer Arbeit stehn.
 O Herr der Ernte, siehe doch darein:
 die Ernt ist groß, die Zahl der Knechte klein.
3) Dein Sohn hat ja mit klaren Worten
 uns diese Bitt in unsern Mund gelegt.
 O siehe, wie an allen Orten
 sich deiner Kinder Herz und Sinn bewegt,
 dich herzinbrünstig hierum anzuflehn;
 drum hör, o Herr, und sprich: "Es soll geschehn."   
4) So gib dein Wort mit großen Scharen,
 die in der Kraft Evangelisten sein;
 lass eilend Hilf uns widerfahren
 und brich in Satans Reich mit Macht hinein.
 O breite, Herr, auf weitem Erdenkreis
 dein Reich bald aus zu deines Namens Preis!
5) Ach dass die Hilf aus Zion käme!
 O dass dein Geist, so wie dein Wort verspricht,
 dein Volk aus dem Gefängnis nähme!
 O würd es doch nur bald vor Abend licht!
 Ach reiß, o Herr, den Himmel bald entzwei
 und komm herab zur Hilf und mach uns frei!
6) Ach lass dein Wort recht schnelle laufen,
 es sei kein Ort ohn dessen Glanz und Schein.
 Ach führe bald dadurch mit Haufen
 der Heiden Füll zu allen Toren ein!
 Ja wecke dein Volk Israel bald auf,
 und also segne deines Wortes Lauf!   
7) Lass jede hoh und niedre Schule
 die Werkstatt deines guten Geistes sein,
 ja sitze du nur auf dem Stuhle
 und präge dich der Jugend selber ein,
 dass treuer Lehrer viel und Beter sein,
 die für die ganze Kirche flehn und schrein!
8) Du wirst dein herrlich Werk vollenden,
 der du der Welten Heil und Richter bist;
 du wirst der Menschheit Jammer wenden,
 so dunkel jetzt dein Weg, o Heilger, ist.
 Drum hört der Glaub nie auf, zu dir zu flehn;
 du tust doch über Bitten und Verstehn.  Karl Heinrich von Bogatzky 1750
 
Liebe Leserin, lieber Leser,
in der ersten Zeile dieses Liedes wird Bezug genommen auf die ersten Christinnen und Christen vor etwa zweitausend Jahren: „Wach auf, du Geist der ersten Zeugen ...“, bei denen der Geist Gottes in kräftiger Wirkung und unverfälschter Weise vermutet wird. Von da wird ein Bogen in die Gegenwart gespannt, in der Hoffnung, der Geist Gottes möge ebenso kräftig und unverfälscht wirksam sein wie damals.
Aber wie war das mit den ersten Zeugen? In der Apostelgeschichte ist überliefert (Kapitel 2, Verse 44 u. 45): „Alle aber, die gläubig geworden waren, waren beieinander und hatten alle Dinge gemeinsam. Sie verkauften Güter und Habe und teilten sie aus, je nach dem es einer nötig hatte.“ „Urkommunismus“ wurde das gelegentlich genannt, eine angeblich herrliche Zeit, der nachzueifern sich gerade heute nahelege. Doch: Vorsicht! Dieselbe Apostelgeschichte berichtet in Kapitel 5 auch, dass dieses Modell nicht funktioniert hat. In der Geschichte des Ehepaares Hannanias und Saphira verkaufen die Eheleute einen Acker und bringen den Erlös zu den Aposteln, behalten aber einen Teil des Geldes für sich selbst, ohne dies den Aposteln mitzuteilen. Petrus fragt Hannanias: Warum hat der Satan dein Herz erfüllt, dass du den heiligen Geist belogen und etwas vom Geld  für den Acker zurück behalten hast? Du hättest den Acker behalten können und hättest den Erlös auch nicht spenden müssen. Aber du hättest ehrlich sein sollen und nicht so tun sollen, als hättest du alles für die Gemeinde und für Gott gespendet. Letztlich hast du Gott betrogen. Diese Geschichte endet mit den Worten: Als Hannanias diese Worte hörte, fiel er zu Boden und gab den Geist auf.
Also auch in der Urgemeinde menschelte es sehr, und wir sind gut beraten, diese Zeit nicht als Sehnsuchtsort für uns Christen zu stilisieren.
Wach auf, du Geist der ersten Zeugen ...“. auch und gerade unter den fehlerhaften ersten Zeugen, auch und gerade unter uns fehlerhaften Zeuginnen und Zeugen in unserer Zeit. Dazu geben die weiteren Verse dieses Liedes Hinweise:
Vers 2: Ach Herr, gib doch in deine Ernte viel Knechte, die in treuer Arbeit stehn.
O Herr der Ernte, siehe doch darein: die Ernt ist groß, die Zahl der Knechte klein.
Heute ist die Zahl der bezahlten „Knechte“ und „Mägde“ in unseren Kirchen gegenüber früher zahlenmäßig geringer geworden. Woran liegt das? Ist die Arbeit für Gott nicht mehr so attraktiv? An der Bezahlung kann es nicht liegen. Unsere zahlreichen kirchlichen Strukturreformen haben diesen Trend nicht aufgehalten. Ich bin auch ein wenig ratlos, was die Gründe angeht. Umso wichtiger ist die Liedzeile: Ach Herr, gib doch in deine Ernte viel Knechte, die in treuer Arbeit stehn.
Vers 7: Lass jede hoh und niedre Schule die Werkstatt deines guten Geistes sein. Das ist doch mal ein interessanter Gedanke: Unsere Schulen als Orte organisierten Lernens eine Werkstatt des Geistes Gottes. Deswegen müssen Schulen nicht in kirchlicher Trägerschaft sein wie vor Jahrhunderten, aber sie könnten Werkstätten sein, wo Kinder gefördert und gefordert werden, wertgeschätzt werden, wo man einander annimmt und einander Fehler vergibt. Ich bin sicher, solche Werkstätten gibt es bereits. Sie sollten ausgebaut werden.
Vers 8: Du wirst dein herrlich Werk vollenden, der du der Welten Heil und Richter bist. Das ist unsere Hoffnung als Christinnen und Christen, dass Gott auch am Ende aller Zeiten steht, dass er das zu Ende führen wird, was wir an Gutem begonnen haben, auch das zum Guten führen wird, was uns misslungen ist. Wann das sein wird und wie das sein wird, wissen wir nicht. Doch wir glauben, dass er uns, seine Welt und seine Kirche nicht im Stich lassen wird.
 
Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit.
Wilhelm Niedernolte, Eldagsen
Superintendent i. R.

Andacht für Springe für die Woche nach dem 5. Sonntag nach Trinitatis, 17. Juli 2022

Evangelisches Gesangbuch Nr, 241 Wach auf, du Geist der ersten Zeugen

1) Wach auf, du Geist der ersten Zeugen, die auf der Mau'r als treue Wächter stehn,
die Tag und Nächte nimmer schweigen und die getrost dem Feind entgegengehn,
ja deren Schall die ganze Welt durchdringt und aller Völker Scharen zu dir bringt.

2) O dass dein Feuer bald entbrennte, o möcht es doch in alle Lande gehn!
Ach Herr, gib doch in deine Ernte viel Knechte, die in treuer Arbeit stehn.
O Herr der Ernte, siehe doch darein: die Ernt ist groß, die Zahl der Knechte klein.

3) Dein Sohn hat ja mit klaren Worten uns diese Bitt in unsern Mund gelegt.
O siehe, wie an allen Orten sich deiner Kinder Herz und Sinn bewegt,
dich herzinbrünstig hierum anzuflehn; drum hör, o Herr, und sprich: "Es soll geschehn."

4) So gib dein Wort mit großen Scharen, die in der Kraft Evangelisten sein;
lass eilend Hilf uns widerfahren und brich in Satans Reich mit Macht hinein.
O breite, Herr, auf weitem Erdenkreis dein Reich bald aus zu deines Namens Preis!

5) Ach dass die Hilf aus Zion käme!
O dass dein Geist, so wie dein Wort verspricht, dein Volk aus dem Gefängnis nähme!
O würd es doch nur bald vor Abend licht!
Ach reiß, o Herr, den Himmel bald entzwei und komm herab zur Hilf und mach uns frei!

6) Ach lass dein Wort recht schnelle laufen, es sei kein Ort ohn dessen Glanz und Schein.
Ach führe bald dadurch mit Haufen der Heiden Füll zu allen Toren ein!
Ja wecke dein Volk Israel bald auf, und also segne deines Wortes Lauf!

7) Lass jede hoh und niedre Schule die Werkstatt deines guten Geistes sein,
ja sitze du nur auf dem Stuhle und präge dich der Jugend selber ein,
dass treuer Lehrer viel und Beter sein, die für die ganze Kirche flehn und schrein!

8) Du wirst dein herrlich Werk vollenden, der du der Welten Heil und Richter bist;
du wirst der Menschheit Jammer wenden, so dunkel jetzt dein Weg, o Heilger, ist.
Drum hört der Glaub nie auf, zu dir zu flehn; du tust doch über Bitten und Verstehn.
 
Karl Heinrich von Bogatzky 1750


Liebe Leserin, lieber Leser,
in der ersten Zeile dieses Liedes wird Bezug genommen auf die ersten Christinnen und Christen vor
etwa zweitausend Jahren: 
„Wach auf, du Geist der ersten Zeugen ...“
, bei denen der Geist Gottes in 
kräftiger Wirkung und unverfälschter Weise vermutet wird. Von da wird ein Bogen in die 
Gegenwart gespannt, in der Hoffnung, der Geist Gottes möge ebenso kräftig und unverfälscht 
wirksam sein wie damals.
Aber wie war das mit den ersten Zeugen? In der Apostelgeschichte ist überliefert (Kapitel 2, Verse 
44 u. 45): 
„Alle aber, die gläubig geworden waren, waren beieinander und hatten alle Dinge 
gemeinsam. Sie verkauften Güter und Habe und teilten sie aus, je nach dem es einer nötig hatte.“
 
„Urkommunismus“ wurde das gelegentlich genannt, eine angeblich herrliche Zeit, der nachzueifern 
sich gerade heute nahelege. Doch: Vorsicht! Dieselbe Apostelgeschichte berichtet in Kapitel 5 auch,
dass dieses Modell nicht funktioniert hat. In der Geschichte des Ehepaares Hannanias und Saphira 
verkaufen die Eheleute einen Acker und bringen den Erlös zu den Aposteln, behalten aber einen Teil
des Geldes für sich selbst, ohne dies den Aposteln mitzuteilen. Petrus fragt Hannanias: 
Warum hat 
der Satan dein Herz erfüllt, dass du den heiligen Geist belogen und etwas vom Geld  für den Acker 
zurück behalten hast? Du hättest den Acker behalten können und hättest den Erlös auch nicht 
spenden müssen. Aber du hättest ehrlich sein sollen und nicht so tun sollen, als hättest du alles für 
die Gemeinde und für Gott gespendet. Letztlich hast du Gott betrogen
. Diese Geschichte endet mit 
den Worten: 
Als Hannanias diese Worte hörte, fiel er zu Boden und gab den Geist auf.
Also auch in der Urgemeinde menschelte es sehr, und wir sind gut beraten, diese Zeit nicht als 
Sehnsuchtsort für uns Christen zu stilisieren.
Wach auf, du Geist der ersten Zeugen
 ...“. auch und gerade unter den fehlerhaften ersten Zeugen, 
auch und gerade unter uns fehlerhaften Zeuginnen und Zeugen in unserer Zeit. Dazu geben die 
weiteren Verse dieses Liedes Hinweise:
Vers 2: A
ch Herr, gib doch in deine Ernte viel Knechte, die in treuer Arbeit stehn.
O Herr der Ernte, siehe doch darein: die Ernt ist groß, die Zahl der Knechte klein.
Heute ist die Zahl der bezahlten „Knechte“ und „Mägde“ in unseren Kirchen gegenüber früher 
zahlenmäßig geringer geworden. Woran liegt das? Ist die Arbeit für Gott nicht mehr so attraktiv? An
der Bezahlung kann es nicht liegen. Unsere zahlreichen kirchlichen Strukturreformen haben diesen 
Trend nicht aufgehalten. Ich bin auch ein wenig ratlos, was die Gründe angeht. Umso wichtiger ist 
die Liedzeile: 
Ach Herr, gib doch in deine Ernte viel Knechte, die in treuer Arbeit stehn.
Vers 7: 
Lass jede hoh und niedre Schule die Werkstatt deines guten Geistes sein
. Das ist doch mal 
ein interessanter Gedanke: Unsere Schulen als Orte organisierten Lernens eine Werkstatt des 
Geistes Gottes. Deswegen müssen Schulen nicht in kirchlicher Trägerschaft sein wie vor 
Jahrhunderten, aber sie könnten Werkstätten sein, wo Kinder gefördert und gefordert werden, 
wertgeschätzt werden, wo man einander annimmt und einander Fehler vergibt. Ich bin sicher, solche
Werkstätten gibt es bereits. Sie sollten ausgebaut werden.
Vers 8: 
Du wirst dein herrlich Werk vollenden, der du der Welten Heil und Richter bist.
 Das ist 
unsere Hoffnung als Christinnen und Christen, dass Gott auch am Ende aller Zeiten steht, dass er 
das zu Ende führen wird, was wir an Gutem begonnen haben, auch das zum Guten führen wird, was
uns misslungen ist. Wann das sein wird und wie das sein wird, wissen wir nicht. Doch wir glauben, 
dass er uns, seine Welt und seine Kirche nicht im Stich lassen wird.
Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit.
Wilhelm Niedernolte, Eldagsen
Superintendent i. R.

Andacht für die Woche vom 10. bis 16. Juli 2022 zum Wochenlied "Komm in unsere stolze Welt" (EG 428) von Pfr.i.R. Jürgen-Peter Lesch

Liebe Leserin, lieber Leser,

in diesen Tagen bekommen Schilderungen aus der Zeit unmittelbar nach dem Ende des 2. Weltkriegs eine neue und erschreckend aktuelle Bedeutung. So geht es mir mit einem Buch von Hans Graf von Lehndorff, dem Dichter des Wochenliedes „Komm in unsre stolze Welt“. Der Titel des Buches lautet „Ostpreußisches Tagebuch. Aufzeichnungen eines Arztes aus den Jahren 1945-1947“. Den Text hatte Lehndorff bereits im Jahr 1947 niedergeschrieben „teils nach herübergeretteten Tagebuchaufzeichnungen, teils aus der noch überwachen Erinnerung“. Veröffentlicht wurde das Buch aber erst im Jahr 1961, als aus „dem Geschehen der damaligen Zeit Geschichte geworden“ war, so schreibt Lehndorff in seinem Vorwort.

Hans Graf von Lehndorff leitete Anfang 1945 ein Lazarett in Königsberg. Er erlebte die Einnahme der Stadt durch die Truppen der Sowjetunion. Am 9. April 1945 schreibt er in sein Tagebuch: „Was ist das eigentlich, so fragte ich mich, was wir hier erleben? Hat das noch etwas mit natürlicher Wildheit zu tun oder mit Rache? Mit Rache vielleicht, aber in einem anderen Sinn. Rächt sich hier nicht in einer und derselben Person das Geschöpf am Menschen, das Fleisch am Geist, den man ihm aufgezwungen hat? … Das hat nichts mit Rußland zu tun, nichts mit einem bestimmten Volk oder einer Rasse - das ist der Mensch ohne Gott, die Fratze des Menschen.“

Es ist für mich erschreckend und im Grunde unbegreiflich, dass sich ein Krieg, der solch unmenschliches Handeln hervorbringt, jetzt keine zwei Tagesreisen von uns entfernt stattfindet. Da ist es tröstlich und mutmachend, dass Lehndorff zwar zweifelt und zeitweise nicht mehr beten kann, aber im Chaos der Kriegs- und Nachkriegszeit nicht endgültig verzweifelt. Das wird auf der letzten Seite des Ostpreußischen Tagebuchs deutlich. Dort schreibt er:

„Aber dann geschah es, daß ein Mensch, dem ich berichtete, mitten im Strom meines Erzählens ein Stück Brot aus der Tasche nahm, es durchbrach und mir eine Hälfte davon reichte – eine Geste, wie sie in jenen Tagen des Mangels üblich war. Da wußte ich: Nun gilt es, die ersten Schritte zu tun auf dem Weg, den ein neues Dasein anbietet. Und ich stand vor der Frage. Wie wird dies neue Dasein aussehen und wer wird darüber bestimmen?“

„Wie wird dies neue Dasein aussehen?“ – ich denke, diese Frage steht auch bei dem Text im Hintergrund, den Lehndorff im Advent 1967 unter dem Titel „Adventsgedicht“ verfasst hat. Dieses Gedicht ist eine eindringliche Bitte um Gottes Kommen durch Christus in die durch Menschen rücksichtslos beherrschte und verhärtete Welt.

1. Komm in unsre stolze Welt,/ Herr, mit deiner Liebe Werben./ 
 Überwinde Macht und Geld,/ lass die Völker nicht verderben./ 
 Wende Hass und Feindessinn/ auf den Weg des Friedens hin. 
2. Komm in unser reiches Land,/ der du Arme liebst und Schwache,/ 
 dass von Geiz und Unverstand/ unser Menschenherz erwache./ 
 Schaff aus unserm Überfluss/ Rettung dem, der hungern muss. 
3. Komm in unsre laute Stadt,/ Herr, mit deines Schweigens Mitte,/ 
 dass, wer keinen Mut mehr hat,/ sich von dir die Kraft erbitte/ 
 für den Weg durch Lärm und Streit/ hin zu deiner Ewigkeit. 
4. Komm in unser festes Haus,/ der du nackt und ungeborgen./ 
 Mach ein leichtes Zelt daraus,/ das uns deckt kaum bis zum Morgen;/ 
 denn wer sicher wohnt, vergisst,/ dass er auf dem Weg noch ist. 
5. Komm in unser dunkles Herz,/ Herr, mit deines Lichtes Fülle;/ 
 dass nicht Neid, Angst, Not und Schmerz/ deine Wahrheit uns verhülle,/ 
 die auch noch in tiefer Nacht/ Menschenleben herrlich macht. 

In den fünf Strophen kommen die Bitten uns immer näher. Es geht um uns, unsere Welt, unser Land, unsere Stadt unser Haus und schließlich unser Herz. Jesus soll uns immer näher kommen. Mit diesem Lied sind wir hineingestellt in unsere Verantwortung, die mehr umfasst, als uns lieb ist. Es geht um uns selbst, um die nächste Umgebung, die Stadt, das Land, die Welt. 

Das Lied schildert die Umstände, unter denen wir leben, die wir uns selbst geschaffen haben und unter denen wir leiden. Jede Strophe endet mit einer Bitte, dies grundlegend und nachhaltig zu ändern. 

Die erste Strophe beschreibt die Weltsituation, wie sie Lehndorff im Zweiten Weltkrieg und danach erlebt hat. Aber das ist nicht nur ein Rückblick. Lehndorff schreibt zur Zeit des Vietnam-Krieges. Und er schreibt die Strophe sozusagen vorausschauend auf unsere Gegenwart. Er beschreibt eine Welt, die machtbesessen und kriegerisch auftrumpft und dabei durch ein Freund-Feind-Denken Menschen und Völker ins Verderben stürzt. Die Strophe endet mit einem Zitat aus dem Benedictus. Dort heißt es: „und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens“ (Lk 1,79).
Unmittelbar damit im Zusammenhang steht die zweite Strophe. Heute macht uns der Krieg in der Ukraine deutlich, dass unser Gesellschaftssystem die Armen immer ärmer macht und die Schwachen zur Seite drängt. Wir erkennen, dass wir uns dazu haben bringen lassen, nicht genug nachzudenken über Armut und Überfluss, über die Verantwortung füreinander. 
Und daran schließt die dritte Strophe an. Es geht darum , dass wir auf die lauten Parolen hören und die leisen, die vorsichtigen, die nachdenklichen Menschen schnell überhören. Dass die, die am lautesten Tönen, oft Recht bekommen. Dagegen steht die Bitte um die Kraft Gottes, die in den Leisen und Schwachen mächtig wird. 

Doch was spricht gegen das „feste Haus“ in der vierten Strophe? Es mag zynisch klingen, doch immer wieder erleben wir, dass feste Häuser nicht felsenfest sind. Das mussten viele Menschen im letzten Jahr im Rheinland schmerzvoll erfahren. Sie leiden noch heute unter den Zerstörungen durch Wassermassen. Und selbst dann, wenn die materiellen Schäden mehr oder minder repariert worden sind, werden die Menschen Schrecken, Ängste und Trauer nicht ganz vergessen können. Wir suchen einen sicheren Ort, eine Heimat, ein Zuhause. Wir wollen uns einrichten, es uns wohnlich machen. Das sind verständliche Wünsche. Doch dabei besteht die Gefahr, dass wir die Mauern zu hoch aufrichten und die Grenzen zu dicht machen, um über sie hinwegzuschauen. Die Verbindung nach außen, zu anderen Menschen, in andere Regionen und andere Länder kann dabei abbrechen. Gerade jetzt erkennen wir, dass wir uns zu sehr auf uns, auf unser Land, konzentriert haben. Dabei haben wir aus dem Blick verloren, dass wir nur gemeinsam mit anderen Menschen und Völkern die großen Fragen und Probleme unserer Zeit angehen können. Dazu brauchen wir die Freiheit der Kinder Gottes, die die Grenzen ihrer Kraft und Möglichkeiten kennen. In dieser Freiheit aber können wir im offenen Raum und auf unsicheren Wegen auf Gottes Schutz und Schirm vertrauen.

In der letzten Strophe wird darum gebeten, dass ein helles Licht in uns, in unsere Herzen dringt. In unsere Herzen, die sich verfinstert haben durch Angst und durch Sorgen um uns selbst und um die, die wir lieben. Herzen, die dunkel geworden sind durch schreckliche Erfahrungen, durch eigenes und fremdes Leid. Dass dort hinein Licht dringen soll, dass es in den Herzen wieder hell werden soll, ist leicht gesagt. Doch gerade hier gilt das, was Paulus an die Gemeinde in Korinth schreibt:

„Gott hat einst gesagt: ‚Aus der Dunkelheit soll ein Licht aufleuchten!‘ Genauso hat er es in unseren Herzen hell werden lassen. Durch uns sollte das Licht der Erkenntnis aufleuchten: Die Herrlichkeit Gottes sollte sichtbar werden, die uns in Jesus Christus begegnet“ (2. Kor 4,6).

Mich bewegt dieses Lied von Hans Graf von Lehndorff, weil es von einem tiefen Glauben und Vertrauen zeugt. Diese Worte schreibt ein Mensch, der viel von dem Schrecklichen, Grausamen und Unmenschlichen gesehen hat, das der Krieg anrichtet. Er klagt nicht Gott dafür an, sondern sieht die Schuld, die Menschen auf sich geladen haben. Und er wendet sich Gott zu in dem Vertrauen, dass Menschen durch ihren Glauben an Gottes Güte aus ihren Fehlern lernen und sich ändern können. Das ist ein langer und schwieriger Weg. Am Ende bleibt daher die Bitte, die wir ganz am Ende der Bibel lesen: „Amen, komm, Herr Jesus!“
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Hans Graf von Lehndorff (1910 bis 1987) stammte aus eine preußischen Adelsfamilie. Nach einem Jurastudium in Genf und Paris und einem Medizinstudium in München war Lehndorff als Arzt in Berlin, Insterburg und in einem Lazarett in Königsberg tätig. Von 1945 bis 1947 arbeitete er unter den oft chaotischen Umständen der Nachkriegszeit in unterschiedlichen Orten Ost- und Westpreußens. Im Jahr 1947 durfte er dann nach Deutschland ausreisen. 

Von da an lebte Lehndorff in Bad Godesberg. Er unterhielt dort eine Privatklinik und eine Arztpraxis. Dabei betätigte er sich auch in der diakonischen Arbeit, der Gefangenenseelsorge und der Fürsorge für Drogenabhängige. Im Jahr 1969 erschien ein zweites Buch von ihm: „Die Insterburger Jahre. Mein Weg zur Bekennenden Kirche“. Er schildert seine Begegnung mit Menschen dieser Bewegung in den Kriegsjahren 1941 bis 1944 in Insterburg. Er berichtet von der Arbeit der Mitglieder in der Gemeinde, den praktischen Hilfen, den abendlichen Veranstaltungen, auch von den Schwierigkeiten mit der „amtlichen Kirche“, die sich den staatlichen Machtverhältnissen zumeist anpasste. Das Wirken in dieser Gemeinde ließ ihn erkennen, dass „Kirche auch noch etwas ganz anderes sein kann, nämlich eine Herausforderung Gottes an den Menschen, und dass diese Herausforderung in Kämpfen, Anfechtungen und Widersetzlichkeiten ihren Niederschlag finden kann.“

Die Melodie im Gesangbuch schuf im Jahr 1982 Manfred Schlenker (*1926). Er war Domkantor in Stendal und Landeskirchenmusikdirektor in Greifswald. Für vier weitere Lieder im Evangelischen Gesangbuch hat er Melodien komponiert. Der ungewohnte, etwas spröde und herbe Charakter der Melodie passt gut zum Text. 

Online-Andacht über das Wochenlied für die Woche nach dem 3. Sonntag nach Trinitatis 2022

 1. Ich lobe meinen Gott, der aus der Tiefe mich holt, damit ich lebe.
 Ich lobe meinen Gott, der mir die Fesseln löst, damit ich frei bin.

2. Ich lobe meinen Gott, der mir den neuen Weg weist, damit ich handle.
 Ich lobe meinen Gott, der mir mein Schweigen bricht, damit ich rede.

3. Ich lobe meinen Gott, der meine Tränen trocknet, dass ich lache. 
 Ich lobe meinen Gott, der meine Angst vertreibt, damit ich atme.

Refrain:
Ehre sei Gott auf der Erde in allen Straßen und Häusern,
die Menschen werden singen bis das Lied zum Himmel steigt:
Ehre sei Gott und den Menschen Frieden,
Ehre sei Gott und den Menschen Frieden,
Ehre sei Gott und den Menschen Frieden,
 Frieden auf Erden! 


Liebe Leserin, lieber Leser,

dieses Lied wurde 1979 von Hans Jürgen Netz geschrieben und von Christoph Lehmann vertont. In dieser Zeit gab es viele neue Lieder, die Anklänge aus der Pop-musik mit religiösen Inhalten verbunden haben. Sie entstanden oft für Kirchentage, und viele, die dort begeistert zugehört und mitgesungen hatten,  wollten diese Stimmung auch in ihre Heimatgemeinden weitertragen.

Der Refrain ist eine Anspielung auf den Text des Gloria, „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.“ Diese Botschaft stammt aus dem Weihnachtsevangelium. Die Engel sagen sie den Hirten in der Nacht, in der Jesus geboren wird. 

Anfang der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts hatte die Friedensbewegung in Deutschland großen Zulauf. Grund war die beabsichtigte Stationierung von Mittelstreckenraketen in Europa. Ein damaliger Deutscher Evangelischer Kirchentag bot der Friedensbewegung Raum. Da kam dieses Lied gerade recht: Ehre sei Gott und den Menschen Frieden, Frieden auf Erden“. Hier und jetzt. Darum: Keine Mittelstreckenraketen.

Hans Jürgen Netz hat die Worte der Weihnachtsbotschaft aufgegriffen und zugleich entscheidend verändert. Ihm geht es nicht um den Himmel, sondern um die Erde. Hier bei uns Menschen soll Gott die Ehre gegeben werden. Und das nicht nur im Gottesdienst, sondern auf der Straße, in den Häusern, da wo Menschen zusammen kommen und miteinander leben. „Mach’s wie Gott– werde Mensch“ war in den 70er Jahren ein geflügeltes Wort, als Netz sein Lied geschrieben hat. Christen soll man an ihrer Menschlichkeit erkennen, an ihrer Lebensfreude, an ihrem Einsatz für eine gerechtere und friedlichere Welt – so war das Selbstverständnis von vielen kirchlich engagierten Jugendlichen. Sie wollten  die  Kirche verändern, auch die die Gottesdienste, die sie in ihrer traditionellen Form und Liedern oft nicht mehr ansprachen. 

Aber nicht alle waren von den neuen geistlichen Liedern und den jugendbewegten Gottesdiensten begeistert. Gott loben mit Sacro-Pop und Schlagzeug  - das hat auch Widerstand hervorgerufen, und in vielen Gemeinden wurde gestritten, ob man solche Lieder im Gottesdienst singen darf.

Die Jugendlichen von damals haben längst graue Haare. Manche von ihnen haben entdeckt, dass die alten Kirchenlieder auch schön sind, und dass Gottesdienste, die zur inneren Sammlung und zur Andacht einladen, wertvoll sein können. Aber die Botschaft des heutigen Liedes bleibt aktuell: Gott zu loben und ihm die Ehre zu geben, darf nicht auf den Gottesdienst begrenzt bleiben. Es muss sich auf den Straßen und Plätzen zeigen, im gelebten Leben. „Die Ehre Gottes ist der lebendige Mensch“

Beides gehört zusammen: Gott die Ehre geben und Frieden schaffen – mit und ohne Waffen – in der Ukraine und überall.

Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit.

Wilhelm Niedernolte, Sup. i.R. 

Andacht für die Woche vom 26. Juni bis 02. Juli 2022 zum Wochenlied EG 225 "Komm, sag es allen weiter" - Sup.i.R. Christian Klatt

Für den 2. Sonntag nach Trinitatis sind, angeregt durch das Sonntagsevangelium vom großen Abendmahl, zwei Abendmahlslieder als Wochenlieder vorgesehen. Das eine, „Kommt her, ihr seid geladen“, wird heute nur noch selten gesungen. Das andere aber, „Komm, sag es allen weiter“, ist durch die Gospelbewegung in unserer Kirche rasch bekannt geworden und erfreut sich großer Beliebtheit. Die schwungvolle Melodie stammt nämlich von einem Spiritual, das ursprünglich mit dem Text eines Weihnachtsliedes gesungen wurde: „Go, tell it on the mountain … that Jesus Christ is born.“ 
 
Der Pfarrer Friedrich Walz (damals in Nürnberg) dichtete 1964 im Rahmen eines Lieder-Wettbewerbs einen neuen Text zu dieser Melodie. Er beginnt, wie beim Spiritual, mit einem Kehrvers, einem Refrain, der dann nach jeder Strophe wiederholt wird:
„Komm, sag es allen weiter, ruf es in jedes Haus hinein!
Komm sag es allen weiter: Gott selber lädt uns ein.“ 
 
Was hier schon anklingt, wird in Strophe 1 deutlich herausgestellt: Gottes Einladung gilt allen Menschen:
„Sein Haus hat offne Türen, er ruft uns in Geduld, 
will alle zu sich führen, auch die mit Not und Schuld.“
Auch die mit Not und Schuld! Gott sucht nicht einen elitären Kreis frommer Leute. Nein, jeder und jede ist bei ihm willkommen. Auch die, die vom Schicksal geschlagen sind oder mit sich selber nicht mehr zurechtkommen. Bei ihm finden wir offene Türen, allezeit und immer wieder!  
 
Die 2. und die 3. Strophe verdeutlichen das dann mit der Einladung zum Abendmahl:
„Wir haben sein Versprechen: Er nimmt sich für uns Zeit,
wird selbst das Brot uns brechen, kommt, alles ist bereit.“
Der Liederdichter nimmt sehr schön die gottesdienstliche Einladungsformel zum Abendmahl auf: „Kommt, denn es ist alles bereit! Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist.“ Er, unser Herr, ist der Gastgeber, der mit seinen Gaben den Hunger unserer Seele stillt. Und dieser Vorgang wird in feiner Weise seelsorgerlich gedeutet: „Er nimmt sich für uns Zeit.“ Darauf warten wir oft: dass jemand Zeit für uns hat, sich für uns interessiert, an unserem Schicksal Anteil nimmt. Diese Sehnsucht, diese Hoffnung geht bei Gott nicht ins Leere.
 
Die 3. Strophe verstärkt diese Zusage noch einmal:
„Zu jedem will er kommen, der Herr in Brot und Wein.
Und wer ihn aufgenommen, wird selber Bote sein.“
Das Abendmahl ist also nicht bloß ein traditionelles Element christlicher Gottesdienste, sondern eine Feier der Gottesbegegnung. Wenn uns die Gaben von Brot und Wein gereicht werden, dann ist das eine Zusage, die uns ganz persönlich gilt: Auch zu dir will der Herr kommen, auch dich will er stärken und trösten und ermutigen. Und durch diese Gottesbegegnung werden wir, so legt es uns die letzte Zeile des Liedes ans Herz, selber zu Boten seiner Liebe und seines Friedens.
 
Wegen der immer noch andauernden Corona-Pandemie wird wohl längst nicht in allen Gemeinden am Sonntag das Abendmahl gefeiert werden. Aber Gottes Einladung gilt, und niemand ist davon ausgeschlossen: „Er ruft uns in Geduld. Er nimmt sich für uns Zeit. Zu jedem will er kommen.“
 
Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit unter Gottes Schutz und Segen!
Ihr Christian Klatt    

Andacht für die Woche vom 12. bis 18. Juni 2022 zum Wochenlied "Gelobet sei der Herr" (EG 139) von Pfr.i.R. Jürgen-Peter Lesch

Liebe Leserin, lieber Leser,
am Sonntag, d. 12. Juni, feiern wir das weniger bekannte „Fest der Heiligen Dreieinigkeit“, auch „Trinitatis“ genannt. Der genaue Ursprung dieses Festes ist noch nicht erforscht. Erst im 10. Jahrhundert taucht eine besondere „Messe für die Trinität“ auf, die an unterschiedlichen Tagen im Kirchenjahr gefeiert wird. Schließlich wird im Jahr 1334 diese Messe von Papst Johannes XXII. auf einen bestimmten Tag festgesetzt. Sie wird nun eine Woche nach dem Pfingstsonntag gefeiert. Die Reformation hat dieses Trinitatisfest nicht nur übernommen, sondern nummeriert überdies die folgenden Sonntage durch, sodass je nach Termin des Osterfestes bis zu 27 „Sonntage nach Trinitatis“ gezählt werden. 


Das Trinitatisfest ist nicht so gut zu verstehen wie die drei christlichen Hauptfeste Weihnachten, Passion/Ostern und Pfingsten. An diesen drei Festen erinnern wir uns an Geschehnisse aus der Heilsgeschichte Gottes mit uns Menschen. Trinitatis aber ist ein sogenanntes „Ideenfest“. Es knüpft nicht an die Heilsgeschichte an, sondern stellt ein Thema des christlichen Glaubens in den Mittelpunkt. 

Das Wochenlied „Gelobet sei der Herr“ von Johann Olearius (1611 bis 1684) ist nun eine gute Hilfe, um dieses Fest etwas besser verstehen zu können. Das Lied ist in den Jahren 1665 und 1671 entstanden. In ihm werden in den ersten drei Strophen mit prägnanten biblischen und traditionellen Aussagen die drei Personen, in denen Gott den Menschen begegnet, lobpreisend umschrieben. Sie lassen sich den großen Festen der Christenheit zuordnen: Weihnachten ist das Fest Gottes, des Vaters, Passion/Ostern ist das Fest Gottes, des Sohnes, und Pfingsten das Fest Gottes, des Heiligen Geistes.

In der ersten Strophe steht Gott, der Vater, im Mittelpunkt des Lobes.

Gelobet sei der Herr,
mein Gott, mein Licht, mein Leben,
mein Schöpfer, der mir hat
mein’ Leib und Seel gegeben,
mein Vater, der mich schützt
von Mutterleibe an,
der alle Augenblick
viel Guts an mir getan.

Die Strophe beginnt wie die beiden folgenden mit „Gelobet sei der Herr“. Dieser Lobpreis zieht sich durch die gesamte Bibel, von „Gelobet sei der Herr, der Gott Sems“ (1. Mose 9,26) bis zum Benedictus des Zacharias (Lk 1,68). Gott ist und bringt Licht und Leben für jede und jeden Einzelnen. Er ist der Schöpfer, der jedem Menschen Leib und Seele gegeben hat. Diese Worte erinnern an das apostolische Glaubensbekenntnis. Doch ist hier die Reihenfolge anders. Am Anfang steht der Schöpfer, erst danach wird Gott „Vater“ genannt. Olearius bringt den Gedanken an Gott als Vater zusammen mit dem Schutz „vom Mutterleibe an“. Das erinnert an die Worte „der uns von Mutterleib und Kindesbeinen an unzählig viel zugut und noch jetzund getan“ aus dem Lied „Nun danket alle Gott“ von Martin Rinckart. Dieser Dank, der während und nach den Gräueln des Dreißigjährigen Krieges formuliert wird, macht mich nachdenklich und beschämt mich zugleich. Wie groß sind das Gottvertrauen und die Zuversicht von Männern wie Olearius und Rinckart gewesen, wenn sie so deutlich ihren Dank und ihr Lob unter bedrückenden und schrecklichen Lebensumständen formulieren konnten.
In der zweiten Strophe richtet sich der Lobpreis an Gottes „liebsten“ Sohn:


Gelobet sei der Herr,
mein Gott, mein Heil, mein Leben,
des Vaters liebster Sohn,
der sich für mich gegeben,
der mich erlöset hat
mit seinem teuren Blut,
der mir im Glauben schenkt
das allerhöchste Gut.

War der Vater das Licht, so ist der Sohn das Heil oder – wie es Luther formuliert – der Heiland. Olearius erinnert hier daran, was wir bei aller Osterfreude über die Auferstehung von Jesus oft vergessen. Dass Jesus für uns am Kreuz hingerichtet worden ist, damit wir frei werden für ein Leben, in dem wir uns anderen zuwenden, in dem wir versuchen können, durch Töne, Bilder, Worte die Wirklichkeit aussehender zu machen als Verlockung zum Lebenbleiben. Das alles ist begründet im Glauben. Der Sohn vermittelt uns Gott als den Allerhöchsten, wie er in Psalmen und Liedern oft genannt wird.
In der dritten Strophe wendet sich Olearius dem „werten“ Heiligen Geist zu:


Gelobet sei der Herr,
mein Gott, mein Trost, mein Leben,
des Vaters werter Geist,
den mir der Sohn gegeben,
der mir mein Herz erquickt,
der mir gibt neue Kraft,
der mir in aller Not
Rat, Trost und Hilfe schafft.

Hier wird der Heilige Geist wie in den meisten Pfingstliedern und auch im Johannes-Evangelium (Joh 14,26) ein „Tröster“ genannt. Für Olearius ist er „mein Trost“, der in allen Notsituationen Rat und Hilfe und eben - Trost schafft. Alle diese Bezeichnungen sind Übersetzungen des griechischen Wortes „Paraklet“, das im Johannes-Evangelium steht. Der Geist gibt neue Kraft und erquickt „mein Herz“. Auch hier strahlt der Text von Olearius nicht nur Zuversicht und Hoffnung aus, sondern auch den Dank für die Stärkung, die Hilfe und den Trost in schweren Zeiten.

In der vierten und der fünften Strophe wechselt die Perspektive. In den ersten drei Strophen geht es um die persönliche Beziehung zwischen dem Sänger und dem dreieinigen Gott, um die Bedeutung des persönlichen Heils, was sich im wiederholten „mein“, „mich“ und „mir“ ausdrückt. Nun heißt es:

Gelobet sei der Herr,
mein Gott, der ewig lebet,
den alles lobet, was
in allen Lüften schwebet;
gelobet sei der Herr,
des Name heilig heißt,
Gott Vater, Gott der Sohn
und Gott der werte Geist,

Zunächst fasst Olearius die vorangehenden Strophen zusammen. Zugleich steigert er den Lobpreis räumlich und zeitlich. Räumlich, wenn er von „Allem“ spricht, was in „allen Lüften schwebt“ und Gott lobt. Zeitlich, wenn er davon spricht, dass Gott ewig und sein Name heilig ist. Das „ewig“ und „heilig“ wird noch einmal in der fünften Strophe aufgenommen. Hier steht das Heilige am Anfang und das Ewige am Ende des Lobes. 

dem wir das Heilig jetzt
mit Freuden lassen klingen
und mit der Engelschar
das Heilig, Heilig singen,
den herzlich lobt und preist
die ganze Christenheit:
Gelobet sei mein Gott
in alle Ewigkeit!

Gemeinsam mit den Engeln lobt und preist nun nicht mehr wie anfangs das „Ich“, sondern „die ganze Christenheit“ Gott. Das Lied endet mit den Worten, mit denen die ersten vier Strophen beginnen: „Gelobt sei mein Gott“ – „in alle Ewigkeit“. Wobei sich „Ewigkeit“ sowohl auf des Lob wie auf Gott beziehen kann. Himmel und Erde, Mensch und Engel vereinen sich zu einem gemeinsamen großen und ewigen Jubel. Zum persönlichen Heil kommt das Heil für die ganze Welt.

Als Johann Olearius diesen großen Lobpreis schrieb, lag der Dreißigjährige Krieg etwa zwei Jahrzehnte zurück. Die Folgen des Krieges waren noch lange nicht überstanden, die Wunden noch lange nicht verheilt. Und immer wieder zog die Pest durch das Land und forderte ihre Opfer. Ich frage mich, wie es möglich ist, dass ein Mensch mit all diesen Erfahrungen, bei all diesen Schrecken und Grausamkeiten ein solches Loblied auf den dreieinigen Gott verfassen kann. Aus seinen Worten sprechen ein tiefes Gottvertrauen und eine große Zuversicht. Zuversicht und Gottvertrauen - beides erbitte und erhoffe ich mir für mich selbst und für uns alle.

Ich wünsche Ihnen allen ein gesegnetes Trinitatisfest!

Jürgen-Peter Lesch
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Johannes Olearius hat sein Loblied auf den dreieinigen Gott überschrieben mit den Worten: „Die Ermunterung aus dem Evangelio zur dankbaren Betrachtung dieses hohen Geheimnisses“. Als Melodie wählte er die des Liedes „Nun danket alle Gott“. Sie stammt wie der Text dieses Liedes von Martin Rinckart (1586 bis 1649), Kantor und Pfarrer in Eisleben und später in seiner Vaterstadt Eilenburg. Die ursprüngliche Melodie wurde wohl schon um 1630 komponiert. Im Jahr 1647 wurde sie von Johann Crüger (1598 bis 1662) überarbeitet, der als Lehrer am Gymnasium Zum Grauen Kloster und gleichzeitig als Kantor der St.-Nicolai-Kirche in Berlin wirkte. Bis heute werden sowohl das „Gelobet sei der Herr“ von Olearius wie das „Nun danket alle Gott“ von Rinckart nach der überarbeiteten Melodie von Johann Crüger gesungen. Sie hat sich wegen der leichteren Singbarkeit durchgesetzt und ist weit verbreitet.
Johann Sebastian Bach bearbeitete das Lied „Gelobet sei der Herr“ (BWV 129) in einer Choral-Kantate für den Sonntag Trinitatis. Und auch für „Nun danket alle Gott“ hat er eine Choral-Kantate geschaffen (BWV 192).

Andacht für die Woche vom 5. bis 11. Juni 2022 zum Wochenlied EG 126 - Sup.i.R. Christian Klatt

Die Gruppe der Pfingstlieder in unserem Evangelischen Gesangbuch wird mit drei Liedern von Martin Luther eröffnet. Zwei von ihnen, „Nun bitten wir den Heiligen Geist“ (EG 124) und „Komm, Heiliger Geist, Herre Gott“ (EG 125) sind in unseren Gemeinden relativ gut bekannt. Das dritte jedoch, unser „Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist“ (EG 126), wird nach meiner Erfahrung höchst selten gesungen. Es ist zwar nach dem neuen liturgischen Plan als Wochenlied für den Pfingstsonntag bestimmt. Ich würde mich aber nicht wundern, wenn das nur wenige Gemeinden in ihren Gottesdiensten aufnehmen werden. Es ist nämlich sprachlich und melodisch ein eher sprödes Lied, nicht leicht zu verstehen und nicht leicht zu singen. Aber wenn man sich dennoch darauf einläßt, zeigt sich eine hohe theologische Aussagekraft dieser Verse. Ich will nur auf Weniges aufmerksam machen.
 
Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist, besuch das Herz der Menschen dein,
mit Gnaden sie füll, denn du weißt, daß sie dein Geschöpfe sein.
Gleich die erste Strophe schlägt einen sehr persönlichen Ton an. Ein „Besuch“ steht zu Pfingsten bevor. Gott will die Beziehung zu uns durch seinen Heiligen Geist in unserem Herzen, also von Grund auf, erneuern und beleben.
 
Die heilsame und belebende Kraft des Heiligen Geistes wird in der 2. Strophe beschrieben. Er ist „der Tröster“, er ist „ein lebend Brunn, Lieb und Feu’r“. In der 4. Strophe wird mit Bezug auf eine Bibelstelle aus dem Buch des Propheten Jesaja (11, 2) von den „Gaben siebenfalt“ gesprochen; gemeint sind die sechs Kennzeichen göttlichen Geistes: „der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrn“, die in der lateinischen Bibelübersetzung noch durch den „Geist der Frömmigkeit“ ergänzt werden – alles positive Eigenschaften, die unserem Leben eine hohe Qualität geben.
 
Andere Strophen des Liedes sind als Gebetsrufe an den Heiligen Geist formuliert. Str. 3: „Zünd uns ein Licht an im Verstand“ – angesichts der heute so verbreiteten Unvernunft und Ratlosigkeit eine wirklich dringende Bitte! Oder: „gib uns ins Herz der Lieb Inbrunst“ – wie anders als mit entschlossener Nächstenliebe können wir denn die menschlichen Konflikte und weltweiten Nöte bewältigen?! Und wenn es in der 4. Strophe heißt: „den Fried schaff bei uns deine Gnad“, dann ist genau das angesprochen, was uns gegenwärtig Angst und Sorge macht. Gewiss, wir Menschen müssen Frieden schaffen. Aber das wird dauerhaft nur gelingen, wenn wir uns auf den Frieden Gottes besinnen, den er uns durch Christus geschenkt hat, und uns von ihm leiten lassen.
 
Martin Luther hat dieses Lied nach einem alten lateinischen Hymnus aus dem frühen 9. Jahrhundert gedichtet: „Veni creator spiritus – Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist.“ Seit vielen Hunderten von Jahren wird dieser Ruf, diese Bitte in unseren Kirchen laut. Sie hat bis heute nichts von ihrer Dringlichkeit verloren! Man hat ja immer häufiger den Eindruck, unsere Zeit sei „von allen guten Geistern verlassen.“ Da ist die Bitte um Gottes Heiligen Geist wirklich an der Zeit!  Möge er uns zu Menschen machen, die in seinem Geist der Liebe und des Friedens leben und handeln.
 
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen gesegnete Pfingsten!
Ihr Christian Klatt 

Andacht für die Woche vom 29. Mai bis 04. Juni 2022 zum Lied EG 123 Jesus Christus herrscht als König - Sup.i.R. Wilhelm Niedernolte

1) Jesus Christus herrscht als König,
 alles wird ihm untertänig,
 alles legt ihm Gott zu Fuß.
 Aller Zunge soll bekennen,
 Jesus sei der Herr zu nennen,
 dem man Ehre geben muss.
2) Fürstentümer und Gewalten,
 Mächte, die die Thronwacht halten,
 geben ihm die Herrlichkeit;
 alle Herrschaft dort im Himmel,
 hier im irdischen Getümmel
 ist zu seinem Dienst bereit.
3) Gott ist Herr, der Herr ist Einer,
 und demselben gleichet keiner,
 nur der Sohn, der ist ihm gleich;
 dessen Stuhl ist unumstößlich,
 dessen Leben unauflöslich,
 dessen Reich ein ewig Reich.
4) Gleicher Macht und gleicher Ehren
 sitzt er unter lichten Chören
 über allen Cherubim;
 in der Welt und Himmel Enden
 hat er alles in den Händen,
 denn der Vater gab es ihm. |
5) Nur in ihm, o Wundergaben,
 können wir Erlösung haben,
 die Erlösung durch sein Blut.
 Hört's: das Leben ist erschienen,
 und ein ewiges Versühnen
 kommt in Jesus uns zugut.
6) Jesus Christus ist der Eine,
 der gegründet die Gemeine,
 die ihn ehrt als teures Haupt.
 Er hat sie mit Blut erkaufet,
 mit dem Geiste sie getaufet,
 und sie lebet, weil sie glaubt.
7) Gebt, ihr Sünder, ihm die Herzen,
 klagt, ihr Kranken, ihm die Schmerzen,
 sagt, ihr Armen, ihm die Not.
 Wunden müssen Wunden heilen,
 Heilsöl weiß er auszuteilen,
 Reichtum schenkt er nach dem Tod.
8) Zwar auch Kreuz drückt Christi Glieder
 hier auf kurze Zeiten nieder,
 und das Leiden geht zuvor.
 Nur Geduld, es folgen Freuden;
 nichts kann sie von Jesus scheiden,
 und ihr Haupt zieht sie empor. |
9) Ihnen steht der Himmel offen,
 welcher über alles Hoffen,
 über alles Wünschen ist.
 Die geheiligte Gemeine
 weiß, dass eine Zeit erscheine,
 da sie ihren König grüßt.
10) Jauchz ihm, Menge heilger Knechte,
 rühmt, vollendete Gerechte
 und du Schar, die Palmen trägt,
 und ihr Zeugen mit der Krone
 und du Chor vor seinem Throne,
 der die Gottesharfen schlägt.
11) Ich auch auf der tiefsten Stufen,
 ich will glauben, reden, rufen,
 ob ich schon noch Pilgrim bin:
 Jesus Christus herrscht als König,
 alles sei ihm untertänig;               
ehret, liebet, lobet ihn!  

Liebe Leserin. Lieber Leser,
auch wenn wir schon lange keine Monarchie mehr haben und auch keine haben wollen: was ein König ist, wissen wir alle. Anders als heutige Könige hatten biblische Könige absolute Macht, aber gute Könige gebrauchten sie zum Wohl des Volkes.
 Als es in Deutschland noch Fürstentümer und Königreiche gab, hat ein württembergischer Pfarrer 1755 ein Lied geschrieben, das wir an Himmelfahrt singen: „Jesus Christus herrscht als König“.
Dieses Lied hat eine Bewegung in sich - weniger innerhalb der Melodie, als vielmehr innerhalb der Textstrophen. Elf Strophen sind hier abgedruckt, und sie beginnen ganz oben und gehen nach ganz unten. Eben haben wir mit dem himmlischen Thronsaal begonnen: Macht und Herrschaft und Himmel und zur Rechten Gottes. Höher geht es nicht. Die letzte Strophe endet ganz unten: bei mir auf der tiefsten Stufe. Tiefer geht es auch nicht? Diese Bewegung von oben nach unten mag überraschen. Wir sind ja wohl nicht das letzte.
 Nein, aber auch nicht das Maß und nicht der Anfang aller Dinge, und manchmal ist es auch ganz richtig, nicht bei uns und unseren Gefühlen stehen zu bleiben, sondern den Blick zu heben und von Gott zu reden. Darum geht es hier.
 Philipp Friedrich Hiller, so hieß der württembergische Pfarrer, der das Lied gedichtet hat, beginnt seinen Hymnus nicht mit dem irdischen Jammertal und auch nicht mit einer Klage über unsere Armseligkeit und Verlassenheit, sondern mit dem Thronsaal Gottes. Er redet nicht vom lieben Jesus, der uns nahe kommt, sondern vom Weltenherrscher, der über den Engeln und Mächten steht. Von dem reden wir viel seltener. Aber manchmal ist das notwendig. Gerade, wenn wir bei uns hängenbleiben, nur auf uns schauen, leere Kirchenbänke beklagen oder das zunehmende Desinteresse am Glauben. Es ist notwendig, wenn wir über unsere Welt klagen, an Europa zweifeln oder an der Weltwirtschaft und dem Krieg in der Ukraine verzweifeln. Wenn wir von einem Krisenland zum nächsten schauen und nirgends wird es besser. Aber wir können uns doch nicht um alles kümmern? Syrien und die Ukraine, der Jemen und der Sudan - was denn noch? Es ist notwendig, nach oben zu schauen, wenn wir Sorge um unseren Planeten haben: der Klimawandel und die Ressourcen, die wir verbrauchen. Da kommt man sich manchmal tatsächlich verlassen vor, ratlos, weil wir keine Lösungen haben, und mit einem schlechten Gewissen, weil wir davon vieles mit verursacht haben und aus Hilflosigkeit manchmal schlicht gar nichts machen. Wenn uns also die Wirklichkeit dieser Welt so mächtig vorkommt, dass uns die Wirklichkeit Gottes dagegen zu verschwinden droht - dann haben wir es wirklich bitter nötig, dass wir unseren Blick nach oben ausrichten und dorthin blicken, wo regiert wird. 
 „Gott ist Herr, der Herr ist Einer. Und dem selben gleichet keiner“. Das können wir  gerne singen - aber wen kümmert das? Die Welt geht ihre eigenen Wege und gelenkt werden sie doch von anderen, oder? Jesus regiert? Na ja.  Regiert uns vielleicht nicht längst das Geld, also globale Konzerne oder wirtschaftliche Interessen?
Wie möchten wir es denn gerne spüren? Am liebsten doch so, dass er alles gut macht und es uns dabei gut geht. Dass er uns bewahrt und beschützt und irgendwie Frieden schenkt - ohne Mühen und Kosten. Bisschen naiv und bisschen bequem, so als seien wir die Prüfkommission für Gottes Regentschaft. Aber was bedeutet dann so eine Glaubensaussage: „Jesus Christus herrscht als König?“
 Es ist eine Erinnerung, dass alles hier auf Erden vergänglich ist. Die Mächtigen werden abgelöst. Und wenn wir Christus als Herrscher feiern, erinnern wir uns und andere daran, dass das, was im Leben trägt, von Gott kommt. Wir erinnern, dass das, worauf wir uns stützen können, nicht von uns gemacht wird, sondern von Gott geschenkt. Wir erinnern uns daran, dass alle menschliche Macht begrenzt ist, dass Glück und Macht vergänglich sind, manchmal ganz schnell, und dass wir uns nicht täuschen sollten durch das, was uns Menschen möglich ist. „Jesus Christus herrscht als König“ ist auch ein trotziger Gesang von uns Christen und Christinnen, manchmal den vermeintlich Mächtigen frech ins Gesicht gesungen. Jesus Christus herrscht, und das stellt weltliche Herrschaft
 immer in seinen Schatten. Manchmal ist es befreiend zu singen. 
 Mit der „Herrschaft Christi“ fangen wir gedanklich eher bei denen „da oben“ an, die Mächtigen, die sonst keiner in ihre Schranken weisen kann. Dass Jesus Christus herrscht, bedeutet aber auch, dass er etwas in meinem Leben zu sagen hat, dass er ein Mitspracherecht bei meinen Entscheidungen hat. Nun sind wir aber Menschen, die sich ungern hinein reinreden lassen wollen in ihr Leben. Die Herrschaft Jesu Christi über mein Leben anzuerkennen, heißt aber nun gerade nicht in ein vermeintlich demütiges Dienergehabe zu verfallen, den Verstand abzugeben und den lieben Gott alles machen zu lassen. Die Herrschaft Christi beginnt dort, wo „Sünder ihm die Herzen, wo Kranke ihm die Schmerzen, wo Arme ihm ihre Not“ geben. Herrschaft Christi beginnt also, wo die Angst weicht und ich erhobenen Hauptes als Glied an seinem Leib in Freiheit lebe. „Die Gemeinde lebt, weil sie glaubt“ nennt das Strophe 6. Das ist die Gemeinschaft, in der Jesu Königsherrschaft erfahrbar werden soll. Die Gemeinde lebt, weil sie glaubt.
Schön zu hören - allerdings auch eine Anforderung. Denn glauben müssen wir, um als Gemeinde lebendig zu bleiben. Uns nach dem Himmel strecken müssen wir, um uns nicht zu bequem auf Erden einzurichten. Auf Christus schauen müssen wir, um uns nicht entmutigen zu lassen von so vielem, was wir auf Erden nicht verhindern können. Himmelfahrt lenkt unseren Blick nach oben - so wie das Lied es hier macht. Das macht uns nämlich nicht klein, aber die Bewegung geht von oben nach unten, weil Jesus wirklich König ist, und weil wir hier unten wirklich klein und menschlich sind. Aber die Bewegung geht zu uns hin, um unseren Blick nach oben zu lenken. Himmelfahrt lenkt den Blick nach oben und dann können wir wieder erhobenen Hauptes weiter- gehen. Nicht hochmütig, aber hoffnungsvoll, nicht angstvoll, sondern mutig, nicht kleingläubig, sondern auf Christus vertrauen - und dann das Leben gestalten.
 „Ihnen steht der Himmel offen“ (Strophe 9) und der ist höher als unsere Wünsche und Hoffnungen. Manchmal ist das schwer zu schlucken, aber letzten Endes tröstet es mich doch. Was ich nicht verstehe oder was mich bedrückt „Kreuz  drückt Christus Glieder“, sagt der Liederdichter dazu, das kann ich in seine Hand legen. Ich kann und muss in dieser Welt nicht alles verstehen und erst recht nicht alles tragen. Das hilft mir, mich auf das zu konzentrieren, was ich wirklich in seinem Sinne schaffen kann, damit wahr wird, was der Liederdichter singt: „Jesus Christus herrscht als König, alles wird ihm untertänig.“
 
Bleiben Sie behütet!
Wilhelm Niedernolte
Supwrintendent i.R.
Eldagsen 

Andacht für die Woche vom 22. bis 28. Mai 2022 zum EG 344 Vater unser Himmelreich - Sup.i.R. Wilhelm Niedernolte

Liebe Leserin, lieber Leser,
Martin Luther, der den Text dieses Liedes gedichtet und mit einer älteren Melodie der Böhmischen Brüder versehen hat, wollte, dass die Grundlagen des christlichen Glaubens dem ganzen Volk nahe
 gebracht werden, Jungen und Alten, Gebildeten und weniger Gebildeten gleichermaßen.
 Zur Zeit Luthers konnte ein Großteil der Bevölkerung nicht lesen. Deshalb schrieb er zu allen Hauptstücken im Katechismus auch Lieder mit deutschen Text, schon früh zu den 10 Geboten, zum Glaubensbekenntnis und zum Abendmahl, später dann auch zum Vater unser und zur Taufe. Das Lied zum Vaterunser, das Lied für diese Woche, ist ein gesungenes Gebet. Im Aufbau folgt es genau dem Vaterunser aus der Bibel. 
 
Vers 1:
Vater unser im Himmelreich,
der du uns alle heißest gleich
Brüder sein und dich rufen an
und willst das Beten von uns han:
Gib, dass nicht bet allein der Mund,
hilf, dass es geh von Herzensgrund.

 
Die erste Strophe beschäftigt sich mit der Anrede: „Vater unser im Himmelreich“. Zweierlei kommt
 darin zum Ausdruck. 1) Der unendliche Abstand zwischen Gott und den Menschen: Gott im Himmel und wir auf der Erde. Und 2) – im Gegensatz dazu – das vertraute Verhältnis
 zwischen dem Schöpfer und seinen Geschöpfen, eine enge und liebevolle Beziehung wie zwischen
 Vater und Sohn, Vater und Tochter. Wir dürfen uns mit unseren Anliegen nicht nur ohne Scheu an Gott wenden; er wünscht sich das sogar von uns. Besondere Aufmerksamkeit schenkt Luther dem Wort „unser“. Wir stehen nicht allein vor Gott, sondern in der Gemeinschaft von Brüdern. Die Schwestern hat Luther damals leider noch nicht hinreichend im Blick gehabt. Doch ist es sicher ganz in seinem Sinn, und noch mehr in unserem Sinn,  wenn wir sie heute  mit dazu nehmen.
Das Bild von Gott als unserem Vater spricht besonders die Menschen an, die auf gute „Vater – Erfahrungen“ zurück blicken können. In der Bibel und in anderen Liedern unseres Gesangbuches wird von Gott auch als von einer Mutter gesprochen. Es wäre also auch angemessen, das Gebet mit den Worten zu beginnen: „Mutter unser im Himmel...“
 
 Verse 2-4:
Geheiligt werd der Name dein,
 dein Wort bei uns hilf halten rein,
 dass auch wir leben heiliglich,
 nach deinem Namen würdiglich.
 Behüt uns, Herr, vor falscher Lehr,
 das arm verführet Volk bekehr.

 Es komm dein Reich zu dieser Zeit
 und dort hernach in Ewigkeit.
 Der Heilig Geist uns wohne bei
 mit seinen Gaben mancherlei;
 des Satans Zorn und groß Gewalt
 zerbrich, vor ihm dein Kirch erhalt.

 Dein Will gescheh, Herr Gott, zugleich
 auf Erden wie im Himmelreich.
 Gib uns Geduld in Leidenszeit,
 gehorsam sein in Lieb und Leid;
 wehr und steu’r allem Fleisch und Blut,

das wider deinen Willen tut.
 
Diese Strophen beinhalten die ersten drei Bitten des Vaterunsers, die Bitten, die auf Gott
 bezogen sind. Geheiligt werde dein Name, das heißt für Luther vor allem, dass der christliche Glaube rein und unverfälscht weitergegeben wird, wie er in der Bibel zu finden ist: mit Jesus Christus als ihrer Mitte. Es soll aber nicht beim Reden bleiben. Aus dem Reden soll ein Handeln erwachsen, das dem Willen Gottes entspricht. Erst bittet Luther positiv darum, dass das bei uns geschehen möge, dann negativ darum, dass wir von Irrlehren verschont bleiben und dass Menschen, die sich haben verführen lassen, auf einen guten Weg zurückfinden.
 Auch in der dritten Strophe kommt erst das Positive und dann das Negative. Dein Reich komme. Es
 geht Luther nicht um das Reich Gottes an sich, sondern darum, dass es auch zu uns kommt, in
 Ewigkeit, aber auch schon jetzt. Das geschieht, indem Gott uns seinen Heiligen Geist gibt und wir
 dann durch seine Gnade der frohen Botschaft glauben und ein Leben führen, wie es Gott gefällt.
 Dann hat der Teufel keine Macht mehr über uns, dann kann er die Kirche nicht zerstören und ein
 friedliches Miteinander der Menschen nicht verhindern.
 Bei der nächsten Bitte „Dein Wille geschehe“ denkt Luther zwar auch an das Himmelreich, konkret wird er jedoch nur in Bezug auf unser irdisches Leben. Er bittet um Geduld in schweren Zeiten, darum, dass wir uns im Glück und im Unglück vom Willen Gottes leiten lassen. Egoismus und Selbstfälligkeit.

 Vers 5:
Gib uns heut unser täglich Brot
und was man b'darf zur Leibesnot;
behüt uns, Herr, vor Unfried, Streit,
vor Seuchen und vor teurer Zeit,
dass wir in gutem Frieden stehn,
der Sorg und Geizes müßig gehen.

 In der Mitte des Vaterunsers und auch in der Mitte des Liedes steht die 4. Bitte: Unser tägliches Brot gibt uns heute. Das tägliche Brot steht für alles, was wir zum Leben brauchen, nicht irgendwann in ferner Zukunft, sondern heute. Im Kleinen Katechismus nennt Luther „Essen, Trinken, Kleider, Schuh, Haus, Hof, Acker, Vieh, Geld, Gut, fromme Eheleute, fromme Kinder, fromme Gehilfen, fromme und treue Oberherren, gute Regierung, gut Wetter, Friede, Gesundheit, Zucht, Ehre, gute Freunde, getreue Nachbarn und desgleichen“. Teilweise ist das sicher zeitbedingt, aber die Sehnsucht nach Frieden, die im Lied zum Ausdruck kommt, ist heute genauso aktuell wie damals, nicht nur in der Ukraine. Die Angst vor Seuchen und vor Inflation war damals wahrscheinlich größer als heute. Auch in dieser Strophe führt Luther am Ende aus, was Gott verhindern möge: Dass wir uns zu viele Sorgen machen und dass uns von der Angst bestimmen lassen, wir könnten selbst nicht genug haben, wenn wir anderen etwas abgeben.
 
 Verse 6-8:
 
All unsre Schuld vergib uns, Herr,
 dass sie uns nicht betrübe mehr,
 wie wir auch unsern Schuldigern
 ihr Schuld und Fehl vergeben gern.
 Zu dienen mach uns all bereit
 in rechter Lieb und Einigkeit.

 Führ uns, Herr, in Versuchung nicht,
 wenn uns der böse Geist anficht;
 zur linken und zur rechten Hand
 hilf uns tun starken Widerstand
 im Glauben fest und wohlgerüst’
 und durch des Heilgen Geistes Trost.

 Von allem Übel uns erlös;
 es sind die Zeit und Tage bös.
 Erlös uns vom ewigen Tod
 und tröst uns in der letzten Not.
 Bescher uns auch ein seligs End,
 nimm unsre Seel in deine Händ.

 Diese  drei Strophen mögen uns heutzutage als weniger wichtig erscheinen. Dass Luther das
 auch so gesehen hat, ist zu bezweifeln. Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Das Thema Schuld und Vergebung bestimmte die Anfänge von Luthers Glaubenslebens. Er litt unsäglich darunter, dass es ihm nicht gelang, perfekt zu sein. Er hatte Angst vor einem strafenden Gott – bis er erkannte, dass Gott uns aus Gnade vergibt, nicht weil wir es verdient hätten.
 Vor einem Rückfall in diese alten Zeiten graust ihm. Er bittet Gott, das zu verhindern. Gleichzeitig
 schaut er nach vorne und freut sich darüber, dass er, weil ihm vergeben wurde, auch anderen gerne
 vergibt. Anstatt anderen ihre Schuld vorzuhalten, will er ihnen helfen, wo er nur kann. Dabei hofft er auf Gottes Hilfe. Und doch merkt er, dass der Teufel immer wieder versucht, ihn mit allen möglichen Verlockungen von Gott wegzulocken. Der Teufel ist für Luther ganz real. Aber genauso real und viel stärker ist Gott. Der kann uns einen festen Glauben schenken und durch seinen Heiligen Geist trösten. So versteht Luther die vorletzte Bitte: Und führe uns nicht Versuchung.
 Bei der letzten Bitte Sondern erlöse uns von dem Bösen denkt Luther zunächst an all die Übel seiner und unserer Zeit, in Kirche, Gesellschaft und Politik. Aber denkt auch weiter. Seinen letzten und entscheidenden Wunsch formuliert er im Kleinen Katechismus so: „dass uns der Vater im Himmel … zuletzt, wenn unser Stündlein kommt, ein seliges Ende beschere und mit Gnaden von diesem Jammertal zu sich nehme in den Himmel.“ Noch schöner ist die Formulierung im Lied:
 „Bescher uns auch ein seligs End, nimm unsere Seel in deine Händ.“
 
 Vers 9:
Amen, das ist: Es werde wahr.
 Stärk unsern Glauben immerdar,
 auf dass wir ja nicht zweifeln dran,
 was wir hiermit gebeten han
 auf dein Wort, in dem Namen dein.
 So sprechen wir das Amen fein.

 
Die neunte und letzte Strophe schließt das Lied ab und bildet zusammen mit der ersten Strophe den
 Rahmen. Zunächst zeigt sich Luther hier als Glaubenslehrer und übersetzt das einzige hebräische
Wort in der ansonsten deutschen Fassung des Vaterunsers: „Amen, das ist: es werde wahr.“ Luther
 will, dass die Menschen verstehen, was sie beten und glauben. Und dann nimmt er, wie am Anfang
 des Liedes, das Verhältnis zwischen Gott und Mensch in den Blick. Gott stärkt unseren Glauben und nimmt uns die Zweifel. Wir beten, im Vertrauen auf Gottes Wort, ja in seinem Namen – ein Geschenk des Vaters an seine Kinder. Ihr Gebet endet vertrauensvoll mit Amen.

Bleiben Sie behütet
Wilhelm Niedernolte

Geistliche Wegbegleitung für den jeweiligen Sonntag und die anschließende Woche

Bereits seit dem Sonntag Lätare 2020 haben wir auf unserer und auf der Webseite von St. Vincenz Altenhagen I, wöchentlich neue Andachten in Schriftform eingestellt. Den biblischen Ausgangspunkt bilden zur Zeit der jeweiligen Wochenpsalme.

Sup.i.R. Christin Klatt, Sup.i.R. Wilhelm Niedernolte, Sup.i.R. Jürgen Flohr und Pfr.i.R Jürgen-Peter Lesch erschließen diese für Sie.

Wir freuen uns über alle Leserinnen und Leser. Gott segne und behütete Sie!

Viele Grüße
Ihr Andachtsteam St. Andreas Springe und St. Vincenz Altenhagen I

Andacht für die Woche vom 15. bis 21. Mai 2022 zum Wochenlied "Ich sing dir mein Lied" (freiTÖNE 72) von Pfr.i.R. Jürgen-Peter Lesch

„Singet dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder“
lautet der Bibelspruch für die kommende Woche, die mit dem Sonntag „Kantate“ („Singt!“) beginnt. Diese Aufforderung nimmt das Wochenlied auf. Es beginnt mit: 
„Ich sing dir mein Lied, in ihm klingt mein Leben“.
Und es fährt fort: 
„Die Töne, den Klang hast du mir gegeben 
 von Wachsen und Werden, von Himmel und Erde, 
 du Quelle des Lebens. Dir sing ich mein Lied.“
Mit meinem Singen werde ich hineingenommen in die Schöpfung Gottes, in den großen Zusammenklang von Himmel und Erde, vom Wachsen und Gedeihen. So wie es im Psalm 96 heißt:
„Singet dem HERRN ein neues Lied; singet dem HERRN, alle Welt! Der Himmel freue sich, und die Erde sei fröhlich, das Meer brause und was darinnen ist; das Feld sei fröhlich und alles, was darauf ist; jauchzen sollen alle Bäume im Walde vor dem Herrn …“
Diese Worte können uns Anstoß und Motivation sein, unsere Augen zu öffnen für all die Wunder, die sich gegenwärtig wieder einmal vor uns abspielen. Das Feld sei fröhlich und alles, was darauf ist – der Raps zeigt seine leuchtend gelben Blüten. Jauchzen sollen alle Bäume im Walde – innerhalb von wenigen Tagen ist aus dem grauen und braunen Wald eine grüne Oase geworden, die der Blick kaum durchdringen kann. 
Doch das Lied geht über das Lob der Schöpfung hinaus:
„Ich sing dir mein Lied, in ihm klingt mein Leben.
 Den Rhythmus, den Schwung hast du mir gegeben
 von deiner Geschichte, in die du uns mitnimmst,
 du Hüter des Lebens. Dir sing ich mein Lied.“
Es erinnert uns an die Geschichte Gottes mit uns Menschen. An die göttliche Geschichte, in die wir mit hineingenommen sind. Wir sind nicht auf uns allein gestellt. Wir sind nicht einem blinden Schicksal ausgeliefert. Wir sind Teil jener großen Geschichte, die mit der Schöpfung begonnen hat, mit Jesus Christus eine neue Perspektive bekommen hat und – auch wenn wir es nicht sehen und begreifen können – ihr Ziel hat bei Gott, dem Hüter des Lebens.
Das Lied nimmt dann auf, was uns bewegt, uns Sorgen macht und manchmal verzweifeln lässt:
„Ich sing dir mein Lied, in ihm klingt mein Leben.
 Die Höhen, die Tiefen hast du mir gegeben.
 Du hältst uns zusammen trotz Streit und Verletzung,
 du Freundin des Lebens. Dir sing ich mein Lied.“
Was unser Leben ausmacht, die dunklen und die frohen Stunden, die Festtage und die Tage der Trauer – all das gehört einfach dazu, ob wir wollen oder nicht. Die Grenzen, die wir ziehen und die andere für und gegen uns ziehen, werden nicht bestehen bleiben. Streit und Gewalt und Tod werden nicht das letzte Wort haben. Denn Gott ist eine „Freundin des Lebens“. 
Und so endet das Lied voller Hoffnung und Zuversicht:
„Ich sing dir mein Lied, in ihm klingt mein Leben.
 Die Töne den Klang hast du mir gegeben
 von Zeichen der Hoffnung auf steinigen Wegen
 du Zukunft des Lebens. Dir sing ich mein Lied.“
Das kann uns angesichts unserer Sorgen und Unsicherheiten helfen: Dass wir Zeichen der Hoffnung auf unseren gegenwärtigen steinigen Wegen entdecken. Es gibt sie, diese Zeichen, – gerade in Zeiten, in den wir den Mut verlieren wollen. Wir hören und erleben, dass Menschen sich einsetzen – für andere Menschen, für leidende Tiere, für eine bedrohte Schöpfung. Wir hören, sehen und lesen kleine Geschichten, die uns Mut machen, uns selbst da und dort einzusetzen und zu helfen, wo wir es können. Wir erleben Veränderungen. Wir hören klare und nachdenkliche Worte, wo wir sie nicht erwartet haben, weil sie so seit Jahren nicht gesprochen worden sind. Wir sehen Gesten der Zuwendung, wo bisher Berechnung und Kalkulation im Vordergrund standen. All das sind Zeichen der Hoffnung auf den steinigen Wegen, auf denen wir versuchen voranzukommen.
Der Psalm, der froh und leicht mit den Worten beginnt:
„Singet dem Herrn ein neues Lied; singet dem Herrn, alle Welt!
schließt mit einer großen Zuversicht:
„Der Herr kommt, zu richten das Erdreich. Er wird den Erdkreis richten mit Gerechtigkeit und die Völker mit seiner Wahrheit.“
Am Ende werden Gerechtigkeit und Wahrheit stehen – davon singt der Psalm. Daraus wächst die Zuversicht, dass Macht und Gewalt, aber auch Leid, Krankheit und Tod nicht das letzte Wort haben. All das gibt es noch immer. Und so können wir manchmal nur verzweifeln. Doch in der Verzweiflung steckt der Zweifel. Und im Zweifel keimen der Verdacht auf, die Hoffnung und manchmal sogar die Gewissheit, dass es anders werden kann und anders werden soll. Denn Gott, der Herr, tut Wunder. Die lassen sich nicht herbeisingen. Doch im Gesang scheint etwas auf von der Hoffnung und dem Mut, die uns von Gott und durch Gott jetzt und hier zugesagt sind.


Jürgen-Peter Lesch

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Der Text und die Melodie von „Ich sing dir mein Lied“ stammen ursprünglich aus Brasilien. Die Melodie wurde von J. Fernandes da Silva komponiert; der Text – er beginnt mit „Cantai ao Senhor“ – geht zurück auf den Psalm 96. Wie beides nach Deutschland gekommen ist, lässt sich nicht eindeutig sagen. Das Lied hat wohl über Konferenzen wie die des Ökumenischen Rates der Kirchen seinen Weg in viele Länder gefunden. Es wurde in mehrere Sprachen übersetzt und ist gegenwärtig in 22 Gesangbüchern enthalten. Der deutsche Text stammt von Fritz Baltruweit und Barbara Hustedt.

Andacht für die Woche vom 8. bis 14. Mai 2022 zum Wochenlied Nr 110 - Sup.i.R. Jürgen Flohr

Die ganze Welt, Herr Jesu Christ, Halleluja, Halleluja,
in deiner Urständ fröhlich ist. Halleluja, Halleluja.
 
Das himmlisch Heer im Himmel singt, Halleluja, Halleluja,
die Christenheit auf Erden klingt. Halleluja, Halleluja.
 
Jetzt grünet, was nur grünen kann, Halleluja, Halleluja,
die Bäum zu blühen fangen an. Halleluja, Halleluja.
 
Es singen jetzt die Vögel all,Halleluja, Halleluja,
jetzt singt und klingt die Nachtigall. Halleluja, Halleluja.
 
Der Sonnenschein jetzt kommt herein, Halleluja, Halleluja,
und gibt der Welt ein' neuen Schein. Halleluja, Halleluja.
 
Die ganze Welt, Herr Jesu Christ, Halleluja, Halleluja,
in deiner Urständ fröhlich ist. Halleluja, Halleluja.
 
 
Liebe Lesende,
 
Eines der Wochenlieder für diese Woche nach dem Sonntag Jubilate (Jauchzet!) stammt von dem Jesuiten und Theologieprofessor Friedrich Spee aus dem Jahr 1623.
Es ist also schon älter, aber keineswegs veraltet. Mit einer tänzerischen bewegten Melodie und dem immer wiederholten fröhlichen „Halleluja“ nimmt das Lied die Sängerinnen und Hörer mit in die große Freude über Christi „Urständ“ (=Auferstehung), und die ganze Welt feiert mit:
Die Engel im Himmel singen, und die Christenheit auf Erden klingt (Strophe 2);
das Frühlingsgrün schießt hervor, und die Bäume blühen (Strophe 3); 
die Vögel singen (Strophe 4);  die Sonne scheint und erleuchtet die Erde (Strophe 5).
        Die 6. und letzte Strophe nimmt noch einmal die Fröhlichkeit der 1. Strophe auf und preist die Auferweckung Jesu Christi von den Toten und singt das Lob Gottes.
 
     Diesen neuen Aufbruch der Natur im Frühling erleben auch wir jetzt gerade wieder mit. Wir empfinden, wie die Natur wieder neu lebendig wird und wie gut es damit zusammenstimmt, dass Christus in seiner Auferstehung gewissermaßen ebenfalls neu wird.   Darüber sind wir von Herzen froh und möchten sogleich einstimmen in den Jubel des Dichters über diesen doppelten Sieg des Lebens.
 
        Und dann hören wir vom grausamen Krieg in der Ukraine und sehen die schrecklichen Bilder von dort. Außerdem stoßen wir  immer wieder auf die Pandemie, die uns seit 2 Jahren bedrückt. Krankheiten und andere Probleme machen uns zu schaffen; und dann drohen die österliche Freudenbotschaft und der Aufschwung im Frühling zu versanden in den Sorgen unseres Alltags.
     Wie gehen wir damit um?  
Es hat ja keinen Sinn, die realen Gefahren unserer Tage zu überspielen mit fröhlichen Osterliedern. Es wäre aber auch völlig falsch, wenn wir uns die Freude über Jesu Auferstehung verderben ließen von heutigen Sorgen.
     Sondern wir sollten alles, was uns begegnet, wahrnehmen und auch ernstnehmen und dann entscheiden, was wir tun können und sollen. Das heißt für mich, dass wir dort helfen, wo wir etwas tun können, sei es im eigenen Umkreis oder in der Politik oder in weltweiter Solidarität. In solchem Einsatz aber sollten wir immer auch auf Gott und seinen Beistand vertrauen und uns Jesus zum Vorbild nehmen. Dann können wir  uns trotz und in den Anforderungen und Problemen unseres Alltags auch freuen am Aufblühen der Natur und glaubend darauf vertrauen, dass Christus lebt und uns begleitet.
     Auch Friedrich Spee hat in einer besonders schlimmen Zeit gelebt, nämlich während des furchtbaren Dreißigjährigen Krieges im 17. Jahrhundert, und er hat eifrig gegen die grausame Verfolgung angeblicher Hexen gekämpft.
     Trotzdem hat er ein solch fröhliches und mitreißendes Osterlied gedichtet. Nehmen wir uns doch ihn zum Vorbild für einen frohen Glaubensmut und für ein tatkräftiges Christsein in schwerer Zeit!
 
Jürgen Flohr 

Andacht für die Woche vom 1. bis 7. Mai 2022 zum Wochenlied EG 274 - Sup.i.R. Christian Klatt

Der Psalm 23, der Psalm vom Guten Hirten, gehört zu den bekanntesten und beliebtesten Texten der Bibel. Der Choral, in dem diese Psalmworte zu Liedstrophen umgedichtet worden sind, wird hingegen nicht so oft gesungen. Am kommenden zweiten Sonntag nach Ostern schon. Denn er hat die Barmherzigkeit Gottes („Misericordias Domini“) zum Thema, die im Psalm und im Wochenlied mit dem schönen Bild des Guten Hirten anschaulich entfaltet wird. 
Dieses Lied gehört zu den frühesten Chorälen der Reformationszeit. Es ist 1531 erschienen und in einem Augsburger Gesangbuch erstmals abgedruckt. Der unbekannte Dichter hat sich genau an die Empfehlung Martin Luthers gehalten, die dieser ein paar Jahre zuvor in einem Brief formuliert hatte: Er habe den Plan, „deutsche Psalmen und geistliche Lieder zu schaffen, damit das Wort Gottes auch durch den Gesang unter den Leuten bleibt.“ Dabei solle man „frei verfahren, wenn nur der Sinn gewahrt ist, den Wortlaut vernachlässigen und durch andere geeignete Worte wiedergeben.“
 
Dem Dichter genügen nur wenige Veränderungen und Worte, um den Sinn des alten Psalms der Gemeinde nahezubringen. Strophe 1:
„Der Herr ist mein getreuer Hirt, hält mich in seiner Hute,
darin mir gar nichts mangeln wird jemals an einem Gute.
Er weidet mich ohn Unterlass, da aufwächst das wohlschmeckend Gras
seines heilsamen Wortes.“
 
Seines heilsamen Wortes! Richtig, wir Menschen leben nicht von der „grünen Aue“, auf die der Hirte seine Herde weidet, sondern von dem Worte Gottes, das uns durch die Bibel und die Predigt gegeben ist und das uns stärkt und leitet und tröstet.
 
Ebenso in der Strophe 3, wo der Dichter das Bild vom Weg im „finstern Tal“ aufgreift und durch andere Erfahrungen ergänzt, die uns in diesen Kriegs- und Coronazeiten besonders bedrücken: „in Leid, Verfolgung und Trübsal, in dieser Welte Tücke.“ Der Psalmbeter hatte in diesem Vers den guten Hirten direkt angeredet: „du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.“ Im Lied werden die Handwaffen des Hirten wiederum auf das Evangelium bezogen, auf das wir uns verlassen können: „denn du bist bei mir stetiglich, dein Stab und Stecken trösten mich, auf dein Wort ich mich lasse.“
 
Das „frische Wasser“ aus dem Psalm wird so gedeutet: „das ist sein werter Heilger Geist, der mich macht wohlgemute.“ Ebenso wird das Bild des Psalmbeters vom festlichen Mahl im Tempel auf die Ebene geistlicher Hoffnung und Freude gehoben: „mein Haupt tust du mir salben mit deinem Geist, der Freuden Öl, und schenkest voll ein meiner Seel deiner geistlichen Freuden.“
 
Schließlich die letzte Strophe:
„Gutes und viel Barmherzigkeit folgen mir nach im Leben,
und ich werd bleiben allezeit im Haus des Herren eben
auf Erd in der christlichen G’mein,  und nach dem Tode werd ich sein
bei Christus, meinem Herren.“ 
Hier fällt nun der Name dessen, der im Evangelium des Sonntags von sich selbst gesagt hat: „Ich bin der gute Hirte.“ (Joh. 10, 11) Im Vertrauen auf Jesus Christus können wir gern mit einstimmen in die wunderbaren Worte dieses 23. Psalms: „Der Herr ist mein Hirte.“
 
Bleiben Sie gesund und behütet in diesen schwierigen Zeiten!
 Ihr Christian Klatt     

Andacht für die Woche vom 24. bis 30. April 2022 zum Wochenlied EG 117 - Sup.i.R. Wilhelm Niedernolte

EG 117 - Der schöne Ostertag

1. Der schöne Ostertag! Ihr Menschen, kommt ins Helle!
Christ, der begraben lag, brach heut aus seiner Zelle.
Wär' vor'm Gefängnis noch der schwere Stein vorhanden,
so glaubten wir umsonst.
Doch nun ist er erstanden, erstanden, erstanden, erstanden
 
2. Was euch auch niederwirft, Schuld, Krankheit, Flut und Beben -
er, den ihr lieben dürft, trug euer Kreuz ins Leben.
Läg' er noch immer, wo die Frauen ihn nicht fanden,
so kämpften wir umsonst.
Doch nun ist er erstanden, erstanden, erstanden, erstanden
 
3. Muss ich von hier nach dort – er hat den Weg erlitten.
Der Fluss reißt mich nicht fort, seit Jesus ihn durchschritten.
Wär' er geblieben, wo des Todes Wellen branden,
so hofften wir umsonst.
Doch nun ist er erstanden, erstanden, erstanden, erstanden,
 
 
Liebe Gemeinde, dieses Lied beginnt mit einem Ausruf: „Der schöne Ostertag!“ Und mit einer Aufforderung: „Ihr Menschen, kommt ins Helle!“ Ihr Menschen, kommt heraus aus eurer Dunkelheit, aus euren trüben Gedanken, aus eurer Traurigkeit, aus eurer Angst, aus eurer Gottesferne. Tretet ins Helle, da wo man aufleben kann, wo Gottes Liebe und Nähe zu spüren ist, da, wo er uns zeigt, dass uns nichts und niemand von ihm trennen kann.
Erst danach wird erläutert, was eigentlich geschehen ist – dass nämlich Jesus, der begraben lag, nun aus dem Gefängnis des Todes ausgebrochen ist. Das ist der Grund für unsere Osterfreude. Denn: Wäre Jesus in seinem Grab geblieben, wäre der Stein immer noch da, wo er vorher lag, so wäre unser Glaube umsonst. Doch nun ist er erstanden, erstanden, erstanden, erstanden! Das kann gar nicht oft genug gesagt werden.
Gottes Kraft ist stärker als alles andere. Und er benutzt diese Kraft, um unser Leben zu erhalten. Und: Um uns am Ende unseres Lebens in ein neues Leben zu führen.
Das macht die dritte Strophe deutlich:
„Muss ich von hier nach dort – er hat den Weg erlitten.
Der Fluss reißt mich nicht fort, seit Jesus ihn durchschritten.“
 
Der Weg aus diesem Leben hinaus, den wir alle einmal gehen müssen, ist kein dunkler, unbekannter Weg mehr. Alles, was da am Ende unseres Lebensweges an Leid vielleicht an Leid auf uns wartet, hat Jesus auch erlitten. Und er ist hindurch gekommen. Gott hat ihn hindurch gebracht, durch den Fluss, mit dem vermutlich der Styx gemeint ist, der Todesfluss aus der griechischen Mythologie, der das Reich der Lebenden vom Reich der Toten trennte. Und der dafür sorgte, dass die Toten nicht zu den Lebenden zurückkehren konnten.
Aber Jesus hat diesen Fluss durchschritten. Und zwar in die eine wie in die andere Richtung. Er hat den Tod auf sich genommen, er ist tatsächlich gestorben. Aber er ist nicht dort geblieben, wo die Wellen des Todes ans Ufer schlagen. Er ist von den Toten auferstanden.
Wie gehen wir  mit solchen Christen um, die uns sagen: Ich kann das nicht glauben? Ich finde Kirche gut, ich finde die kirchliche Sozialarbeit gut, die Bildungsarbeit, die Musik. Das alles finde ich gut und mache auch gern mit. Aber die Auferstehung Jesu? Damit kann ich nichts anfangen. Gehören solche  sie noch zu uns?
Ich glaube, genau für solche Christen ist dieses Lied gut und passend und hilfreich. Denn zum Glauben kann man niemanden zwingen, weder jemand anderen noch sich selbst. Aber dieses Lied will auch überhaupt niemanden zwingen. Es will uns nichts aufdrücken, es vertritt keine Dogmen, die wir zu übernehmen hätten. Den Weg zum Glauben finden Menschen fast nie über Dogmen oder über andere Theorien vom Glauben. Glaube ist nicht ein Katalog von Dogmen, die man für richtig halten muss. Zum Glauben findet man über andere Menschen, über die Eltern oder über eine Kirchengemeinde. Wenn eine Kirchengemeinde ein Haufen freudloser Menschen ist, was man manchmal schon an der Ausstattung ihrer Kirche sehen kann, kann sie nicht erwarten, dass Menschen neugierig auf sie werden und zum Gottesdienst kommen und Kreise kennen lernen möchten. Wenn aber eine Kirchengemeinde und ihre Mitglieder und die Aktiven den Eindruck vermitteln, dass sie von Gott gehalten werden, nach der Melodie: „In dir ist Freude in allem Leide“ dann werden Menschen neugierig auf solche Freude.
 
So will dieses Lied uns hineinnehmen in das, was es verkündet. Es will uns hineinnehmen in den Jubel über die Osterbotschaft, in die Freude über das Gute, das Gott für uns getan hat.
Ich bin sicher, es ist der beste Weg, um unseren Glauben zu vermitteln, Freude zu vermitteln, Freude auszustrahlen und auszuteilen, Freude, die niemandem übergestülpt wird. Sondern die einfach ansteckend wirkt und in anderen Freude weckt. Dann, wenn diese Freude sich ausbreitet, werden immer mehr Menschen einstimmen können in den Jubelruf: Doch nun ist er erstanden, erstanden, erstanden, erstanden.
 
Bleiben Sie behütet
Wilhelm Niedernolte
Eldagfsen
Superintendent i.R.

Andacht für die Osterwoche vom 17. bis 23. April 2022 von Pfr.i.R. Jürgen-Peter Lesch

„Wir wollen alle fröhlich sein“ (EG 100 – Wochenlied am Ostermontag)

1. Wir wollen alle fröhlich sein / in dieser österlichen Zeit; 
denn unser Heil hat Gott bereit’.
Halleluja, Halleluja, Halleluja, Halleluja, gelobt sei Christus, Marien Sohn.

2. Es ist erstanden Jesus Christ, / der an dem Kreuz gestorben ist, 
dem sei Lob, Ehr zu aller Frist.
Halleluja, Halleluja, Halleluja, Halleluja, gelobt sei Christus, Marien Sohn.

3. Er hat zerstört der Höllen Pfort, / die Seinen all herausgeführt 
und uns erlöst vom ewgen Tod.
Halleluja, Halleluja, Halleluja, Halleluja, gelobt sei Christus, Marien Sohn.

4. Es singt der ganze Erdenkreis / dem Gottessohne Lob und Preis, 
der uns erkauft das Paradeis.
Halleluja, Halleluja, Halleluja, Halleluja, gelobt sei Christus, Marien Sohn.

5. Des freu sich alle Christenheit / und lobe die Dreifaltigkeit 
von nun an bis in Ewigkeit.
Halleluja, Halleluja, Halleluja, Halleluja, gelobt sei Christus, Marien Sohn.


Liebe Leserinnen und Leser!

„We schollen alle vrolik sein to tesser osterliken tyd“ so lautet der ursprüngliche Text, der um 1479 im Nonnenkloster Medingen bei Lüneburg entstanden ist. Die Melodie ist noch etwa 70 Jahre älter. Sie ist so fröhlich, dass man im Grunde beim Singen nicht still auf den Kirchenbänken oder -stühlen sitzen bleiben kann. Es sollte zu diesem Lied eigentlich getanzt werden auf Straßen und Plätzen in den Städten und Dörfern. Denn es hat den Dreierrhythmus eines Tanzes. Es ist ein Tanzlied voller Freude über die Rettung vor der Macht des Todes. Und voller Fröhlichkeit über das Heil, das Gott selbst den Menschen gebracht hat und immer wieder bringen will.

Ich höre das Lied und möchte gern mitsingen und tanzen. Doch dann sehe ich die Bilder und höre die Nachrichten über Tod und Zerstörung, über Not und Verzweiflung und Flucht – aus der Ukraine, die mir so nah ist wie nie zuvor, aus Somalia und aus dem Irak, aus Afghanistan, aus Kenia, aus Marokko und vielen anderen Gegenden auf unserer Erde. Ich sehe und höre, dass überall – auch hier bei uns – Menschen leiden und trauern und verzweifelt sind. Und ich frage mich: Kann ich da singen, darf ich da singen: „Wir wollen alle fröhlich sein“?

So nehme ich mir etwas Zeit und lese die zweite Strophe: 

„Es ist erstanden Jesus Christ, der an dem Kreuz gestorben ist …“. 

Bei aller Fröhlichkeit geht es hier um einen grausamen Tod. Fast hätte ich darüber hinweggesungen – über dieses schreckliche und einsame Sterben. Es ist der Tod eines Menschen, des Sohnes einer Mutter, des Sohnes Marias. Dieser Mensch Jesus litt am Kreuz und schrie: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Er war allein und entsetzlich einsam. Denn Gott schwieg. So wie er schon geschwiegen hatte, als Jesus im Garten Gethsemane zu ihm betete und flehte: Abba, Vater, alles ist dir möglich; nimm diesen Kelch von mir. Doch nicht, was ich will, sondern was du willst. Dreimal betete Jesus im Garten Gethsemane vor seiner Verhaftung. Und dreimal antwortete Gott nicht. Der Himmel war verschlossen, und das hat sich bis zum Todesschrei von Jesus am Kreuz nicht mehr geändert.

Die Jünger hatten im Garten Gethsemane geschlafen, während Jesus betete und flehte. Und sie waren geflohen, als die Soldaten kamen. Sie haben versagt. So wie wir Menschen immer wieder versagen, verzweifeln, ohnmächtig sind angesichts der Gewalt und des Leides, die Menschen einander zufügen. Das ist die eine Seite, an die uns Ostern immer wieder erinnert: Unsre Angst, unser Versagen, unsere Verzweiflung und unsere Hilflosigkeit.

Doch dabei wird und soll es nicht bleiben. Denn genau an diesem tiefsten Punkt unserer Existenz, an diesem toten Punkt handelt Gott: 

„Er hat zerstört der Höllen Pfort, die Seinen all herausgeführt und uns erlöst vom ewgen Tod.“

Während noch das Schweigen Gottes auf seinen Jüngern, auf den Menschen, auf der Welt lastet, handelt Gott. Seine Antwort geschieht hinter allem unserem Zagen und Klagen. Es geschieht das Neue, das Unmögliche und Unglaubliche: Der von den Menschen verlassene Jesus, der elendig am Kreuz Gestorbene, steigt nun hinab in das Reich des Todes. Jetzt wird deutlich, was es mit dem Heil auf sich hat, das in der ersten Strophe bejubelt wird. Das Heil ist die Erlösung vom „ewgen Tod“ durch die Zerstörung seiner Macht und die Befreiung von uns Menschen aus seinem Bannkreis. Kurz zusammengefasst ist hier, was die lateinische Vorlage des Liedes, das „Resurrexit Dominus“ näher ausführt: „Er stieg hinab wie ein aufgereckter Löwe zur Totenwelt, laut rufend, die Himmelspforte aufschließend. Adam, Eva riss er heraus und andere, die er wollte, und erschien so den Seinen“. Dies sagen wir kurz zusammengefasst in unserem Glaubensbekenntnis aus: „hinabgestiegen in das Reich des Todes“, oder wie es früher ausgedrückt war: „ niedergefahren zur Hölle“. 

Diese gute, diese erlösende Nachricht erfahren als erste nicht die Jünger, die alle im Garten Gethsemane geflohen waren, als Jesus verhaftet wurde. Es erfahren zunächst nicht die Jünger, die wie Petrus abgestritten hatten, etwas mit Jesus zu tun zu haben. Die Frauen, die bis zum bitteren Ende unter dem Kreuz Jesu ausgeharrt hatten, hören als erste die erlösende Botschaft. Sie sind bis zuletzt bei ihm geblieben, und nun kommen sie als Erste zum Grab Jesu. Es ist der Ostermorgen, und das Grab ist leer. „Christus ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden“ ist die Botschaft des Engels an sie. Und sie, die Frauen, bringen uns diese frohe und fröhlich machende Botschaft. 
„Es singt der ganze Erdenkreis dem Gottessohne Lob und Preis, der uns erkauft das Paradeis.“

Die erlösende Botschaft gilt dem „ganzen Erdenkreis“. Sie gilt über die gesamte Zeitspanne vom Paradies am Anfang bis zum Paradies am Ende der Zeiten. Die Auferstehung von Christus sprengt Raum und Zeit. Der Himmel ist nicht mehr dunkel und verschlossen. Die Pforten des Paradieses sind wieder geöffnet. Unser Tun und Lassen, unser Hoffen und Bangen, unsere Verzweiflung und unsere Zuversicht sind nicht umsonst und nicht vergebens. Seit der Auferstehung von Christus gilt: Unsere Welt ist zwar nicht heilig, aber sie ist auch nicht heillos. Sondern sie ist heilbar. Darum können wir einstimmen in „Lob und Preis“.

Die Auferstehung von Christus macht die Verzweiflung im Garten Gethsemane und den elenden Tod auf Golgatha nicht ungeschehen. Verzweiflung und Tod begleiten uns weiterhin durch unser Leben. Christinnen und Christen sind wie alle Menschen nicht davor gefeit, der Not ins Angesicht blicken zu müssen. Die Erlösung, die Gott an Ostern mit und durch seinen Sohn erfochten hat, schließt nicht aus, dass jede und jeder von uns in die Lage kommen kann, an seinem Ort, in seinem Leben kämpfen zu müssen. Es mag sein, dass es mir dann gelingt, meine Würde zu wahren und aufrecht zu bleiben. Ich kann mir aber dessen nicht sicher sein. Wie die Jünger im Garten Gethsemane kann ich versagen und schließlich fliehen. Wer kann vorher wissen, wie stark ihm Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, Schmerz und Trauer packen werden? Und wer weiß vorher, wie einsam er dann werden wird, wie viel Verlegenheit er den Mitmenschen bereiten wird, wenn sie ihm nicht mehr helfen können? 

Dagegen bringt Ostern die Erlösung. Die Erlösung von unserer Vorstellung, stark und mutig und heldenhaft sein zu müssen. Der elende und klagende Jesus wurde durch Gottes Handeln der auferstandene und rettende Christus. Auch nach Ostern gehören Leid und Tod zu unserem Leben dazu. Doch seit Ostern stehen dagegen die Gewissheit und die Freude darüber, dass dies nicht die gesamte und alles bestimmende Wirklichkeit ist. Gottes Wirklichkeit ist weiter und größer und stärker.

Christinnen und Christen erfahren in der Nähe Gottes die Befreiung von Angst, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Doch zugleich spüren sie auch im Leiden die Nähe Gottes. Das ist nach Ostern nicht mehr das Leiden von Jesus, sondern das eigene Leiden und das Leid in der Welt. Man denkt leicht, die Hinwendung zu dem leidenden Nächsten sei für Christinnen und Christen eine moralische Pflicht. Das ist wohl zu kurz gedacht. Die Hinwendung zum Nächsten ist ein tiefes religiöses Verlangen. Sie ist ein Weg in die Gottesnähe. Die Hinwendung zum Nächsten entspringt der Einsicht, dass ich das Leiden – mein eigenes Leiden und das Leiden anderer – nicht immer verringern oder gar beenden kann. Es ist die Einsicht, dass ich aber gerade in dieser Ohnmacht mir nicht selbst ausgeliefert bin, sondern bei und in Gott geborgen bin. Das gilt sogar dann, wenn Gott schweigt. Denn wir sind durch Christus mit ihm versöhnt und er mit uns.

Darum können und dürfen wir gerade jetzt, wo uns Angst und Unsicherheit quälen und die Not anderer Menschen uns so nahekommt, voller Freude und Zuversicht das alte Osterlied singen – und vielleicht sogar dazu tanzen:

Des freu sich alle Christenheit und lobe die Dreifaltigkeit von nun an bis in Ewigkeit.

Halleluja, Halleluja, Halleluja, Halleluja, gelobt sei Christus, Marien Sohn.

Mit diesen Worten wünsche ich Ihnen ein gesegnetes Osterfest. 
Jürgen-Peter Lesch 

Andacht zum Wochenlied Nr. 14 für den Palmsonntag (10.4.2022)

1. Dein König kommt in niedern Hüllen, ihn trägt der lastbarn Es'lin Füllen,
empfang ihn froh, Jerusalem!
Trag ihm entgegen Friedenspalmen, bestreu den Pfad mit grünen Halmen;
so ist's dem Herren angenehm.

2. O mächt'ger Herrscher ohne Heere, gewalt'ger Kämpfer ohne Speere,
o Friedefürst von großer Macht!
Es wollen dir der Erde Herren den Weg zu deinem Throne sperren,
doch du gewinnst ihn ohne Schlacht

3. Dein Reich ist nicht von dieser Erden, doch aller Erde Reiche werden  
dem, das du gründest, untertan.
Bewaffnet mit des Glaubens Worten zieht deine Schar nach allen Orten
der Welt hinaus und macht dir Bahn.

4.  Und wo du kommst herangezogen, da ebnen sich des Meeres Wogen,
es schweigt der Sturm, von dir bedroht.
Du kommst, dass auf empörter Erde der neue Bund gestiftet werde,
und schlägst in Fessel Sünd und Tod.

5. O Herr von großer Huld und Treue, o komme du auch jetzt aufs Neue
zu uns, die wir sind schwer verstört.
Not ist es, dass du selbst hienieden kommst, zu erneuen deinen Frieden,
dagegen sich die Welt empört.

6.  O lass dein Licht auf Erden siegen, die Macht der Finsternis erliegen
und lösch der Zwietracht Glimmen aus,
dass wir, die Völker und die Thronen, vereint als Brüder wieder wohnen
in deines großen Vaters Haus.

Liebe Lesende,

dieses Lied in unserem Gesangbuch ist eins der Wochenlieder für die Karwoche, die 
dem heutigen Palmsonntag folgt.
 
Es ist ein nicht so bekanntes Adventslied, und es besingt in seiner 1. Strophe den 
Einzug Jesu in Jerusalem. Bei diesem Einzug haben die Bewohner der Stadt 
Palmzweige vor Jesus auf den Weg gelegt, um sein Kommen zu feiern; und so 
nennen wir diesen Tag nun Palmsonntag. Ihm folgt im Kirchenjahr die Karwoche, die
Woche des Klagens über Jesu Kreuzestod am Karfreitag. 
     
So schön und fröhlich jener umjubelte Einzug Jesu in Jerusalem war, so traurig 
und schrecklich endete die Woche mit Jesu Tod und Begräbnis.
Und so passt der Ernst dieser Woche gut in unsere jetzige Zeit und zu den 
Nachrichten dieser Tage aus der Ukraine, wo ebenfalls gemordet und gestorben wird 
und wo alle Freude verstummt ist.
Vom Friedensfürsten Christus spricht die 2. Strophe des Liedes und davon, dass er ein
Herrscher ohne Heere ist und seinen Thron gewinnt ohne Schlacht. Diese 
Vorstellungen von friedlicher Herrschaft scheinen nun gar nicht in unsere Gegenwart 
zu passen, aber nähren vielleicht die Hoffnung darauf, dass irgendwann doch wieder 
Friede wird, worauf wir inständig warten.
In der 3. Strophe stellt der Liederdichter Friedrich Rückert allerdings fest, dass 
Christi Reich nicht von dieser Erde ist und doch am Ende alle anderen Reiche ihm 
untertan werden sollen. Doch davon sehen wir heute leider wenig. Trotzdem sind wir 
als Christinnen und Christen aufgefordert, Jesu Friedensbotschaft auszubreiten, wo 
wir es können; ein schwerer Auftrag in diesen Tagen.
Immerhin erinnert die 4. Strophe des Liedes daran, dass Jesus Macht hatte über 
Wasser und Wind und dass er uns Menschen mit Gott versöhnt hat im neuen Bund, 
den er durch Jesu Kommen und Wirken gestiftet hat. Vielleicht hilft es uns und 
anderen, wenn wir an Christus und seine friedensstiftende Macht erinnern.
Die 5. Strophe nennt uns Menschen „schwer verstört“, und das können wir sicherlich 
sehr gut nachfühlen in diesen Tagen. Und wir werden aus tiefer Überzeugung mit 
dem Lied den Herrn bitten, selbst seinen Frieden zu erneuern unter uns Menschen.
In der 6. Strophe schließlich soll Jesu Licht auf Erden siegen und die Macht der 
Finsternis erliegen, so dass wir Menschen wieder wie Geschwister wohnen können 
auf Gotte Erde. Dieser Vision und Hoffnung können wir nur aus vollem Herzen 
zustimmen! 
Doch leider wirkt sie heute wie eine ferne Illusion; und wir können nur inständig 
hoffen und uns dafür einsetzen, dass es keine Illusion bleibt, sondern dass der Frieden
und die Geschwisterlichkeit irgendwann wieder eine Chance bekommen in der 
Ukraine und überall auf der Erde.
So ist dieses Wochenlied aus dem 19. Jahrhundert eins, das wir auch heute gut 
mitsingen und nachfühlen können; denn es kann die Kriegsschrecken unserer 
Gegenwart verbinden mit der Erinnerung an Jesu Leiden und Sterben in dieser 
Karwoche. Gleichzeitig aber erhebt es unseren Blick zu diesem Jesus Christus und zu
der Gewissheit, dass es von seinem Tod und von seiner Auferweckung her doch 
Hoffnung gibt auf Frieden und Versöhnung von Gott her auch in den Finsternissen 
dieser Tage. 
Gebe Gott, das dieser schreckliche Krieg ein Ende finde und dass die Beteiligten zu 
neuer Menschlichkeit zurückfinden, so schwer das jetzt scheint.
Jürgen Flohr  

Andacht für die Woche vom 3. bis 9. April 2022 zum Wochenlied EG 97 - Sup.i.R. Christian Klatt

EG 97 "Holz auf Jesu Schulter"

„Holz auf Jesu Schulter, von der Welt verflucht,
ward zum Baum des Lebens und bringt gut Frucht.“
Das neue Wochenlied für den Sonntag Judica beeindruckt durch seine sprachliche und theologische Aussagekraft. In allen sechs Strophen sind es jeweils nur zwei Verse, die mit wenigen Worten den „Widerstreit von Kreuz und Auferstehung, von Sinnlosigkeit und Lebensreichtum“ zum Ausdruck bringen. So hat der Verfasser selbst, der Theologe Jürgen Henkys, seine Dichtung beschrieben. Das Holzkreuz Jesu, eigentlich Symbol eines schändlichen, unehrenhaften Todes, ist zu einem Baum des Lebens geworden. Denn es steht für die Kraft der Liebe und der Hingabe, der Versöhnung und des Friedens, die in der Person Jesu zum Leuchten gekommen ist und die bei uns allen gute Frucht bringen will. Darum heißt es in der zweiten Strophe:
„Wollen wir Gott bitten, dass auf unsrer Fahrt 
Friede unsre Herzen und die Welt bewahrt.“ 
Ja, die Bitte um den Frieden ist das Gebot der Stunde in diesen dunklen Tagen. Das ist eine schlimme Passionszeit für das ukrainische Volk. Aber nicht nur dort. Der Liederdichter hat recht, wenn er in der dritten und fünften Strophe sagt:
„Denn die Erde klagt uns an bei Tag und Nacht.“
„Denn die Erde jagt uns auf den Abgrund zu.“
Genauso ist es! Man könnte darüber verzweifeln, wenn man nichts wüsste von dem guten und ermutigenden Zuspruch Gottes, den der Dichter beide Male hinzufügt:
„Doch der Himmel sagt uns: Alles ist vollbracht!“
„Doch der Himmel fragt uns: Warum zweifelst du?“
Darum klingen mitten in diesem ernsten Lied, in der vierten Strophe, auch der Lobpreis und die Zuversicht auf:
„Wollen wir Gott loben, leben aus dem Licht.“
Und mit einer geradezu paradoxen, aber präzisen Formulierung bringt der Dichter auf den Punkt, dass Gott uns in allem, was wir erleben und erleiden, gnädig zugewandt ist:
„Streng ist seine Güte, gnädig sein Gericht.“
Die letzte Strophe wiederholt noch einmal, nun in der Form eines Gebetes, was schon in der ersten Strophe gesagt wurde: Das Kreuz Jesu ist für uns ein Baum des Lebens:
„Hart auf deiner Schulter lag das Kreuz, o Herr,
ward zum Baum des Lebens, ist von Früchten schwer.“
Und dann endet das Lied mit einem Kehrvers, der auch schon zuvor am Schluss aller Strophen erklungen ist:
„Kyrie eleison, sieh, wohin wir gehn. Ruf uns aus den Toten, lass uns auferstehn!“
Die holländische Textvorlage für dieses Wochenlied war ursprünglich für den letzten Sonntag im Kirchenjahr, für den Totensonntag, geschaffen worden. Jürgen Henkys aber hat sein Lied auf der Grenze zwischen Passion und Ostern angesiedelt. Die Bitte „Kyrie eleison - Herr, erbarme dich“ richtet sich an den, dessen Tod am Kreuz für uns ein Ruf zum Leben ist, zu einem Leben, das allen dunklen Erfahrungen standhält und Zeichen des Friedens und der Liebe dagegensetzt.
 
Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Passions- und Osterzeit. Bleiben Sie behütet und zuversichtlich!
Ihr
 Christian Klatt  

Andacht für die Woche vom 27. März bis 2. April 2022 - Sup.i.R. Wilhelm Niedernolte

EG 98 Korn, das in die Erde (Wochenlied am Sonntag Laetare)

1. Korn, das in die Erde, in den Tod versinkt, Keim, der aus dem Acker in den Morgen dringt.

Liebe lebt auf, die längst erstorben schien: Liebe wächst wie Weizen, und ihr Halm ist grün.

2. Über Gottes Liebe brach die Welt den Stab, wälzte ihren Felsen vor der Liebe Grab.             
Jesus ist tot. Wie sollte er noch fliehn? Liebe wächst wie Weizen, und ihr Halm ist grün."

3. Im Gestein verloren Gottes Samenkorn, unser Herz gefangen in Gestrüpp und Dorn.               
Hin ging die Nacht, der dritte Tag erschien. Liebe wächst wie Weizen, und ihr Halm ist grün.

Liebe Leserin! Lieber Leser!

Die alten Passionslieder beschreiben oft in grausamen Bildern das Leiden und Sterben Jesu Christi:
„ O Haupt voll Blut und Wunden, voll Schmerz und voller Hohn“ oder „Ich bins, ich sollte büßen an Händen und an Füßen gebunden in der Höll.“
Die Passionszeit ist auch in diesem Jahr  reich an Bildern, auch an Bildern des Grauens.

Die Bilder, die uns vom Krieg in der Ukraine erreichen, von den zerbombten Häusern, von den fliehenden Menschen, sind kaum zu ertragen. Das ist die Leidenszeit, die Passionszeit in diesem Jahr.

Das Lied für diese Woche spricht eine andere Sprache. Es lebt zwar wie die alten Passionschoräle von Bildern. Von großen Bildern. Aber sie malen nicht aus, sie deuten nur an. Sie springen uns nicht blutig und dornig ins Gesicht. Sie entfalten ihre Kraft auf andere Weise. Das tut mir gut mitten in dieser Passionszeit mit ihren grausigen Bildern.

Korn, das in die Erde, in den Tod versinkt, Keim, der aus dem Acker in den Morgen dringt. Liebe lebt auf, die längst erstorben schien: Liebe wächst wie Weizen, und ihr Halm ist grün.

Da ist eine andere Gewalt am Werk, die Gewalt der Schöpfung, die wir in jedem Frühjahr neu erleben können. Allerdings habe  in diesem Jahr wieder einmal den Moment verpasst, an dem der Frühling begann. Plötzlich war es wieder da, das Leben, das Vogelgezwitscher, das Grün, Blüten und Blätter. Der Winter war dunkel und lang, aber der Frühling kommt mit Macht. Schaut nur, die Natur macht es euch vor: Liebe lebt auf, die längst erstorben schien. Und da kommen dann auch wieder die anderen Bilder von den Opfern und ihren Angehörigen. So viel Leid, so viel Elend, alle Bilder des Schreckens, sie wollen uns weismachen, dass alles abgestorben ist. Liebe lebt auf, die längst erstorben schien. Auch aus abgestorbenen Lebensbereichen kann wieder etwas sprießen. Das heißt nicht, es wird wieder alles wie früher. Aber das heißt, dass aus den verprügelten, mit Füßen getretenen, abgeknallten Menschen und Hoffnungen Neues entstehen kann. Menschen müssen nicht sterben an Enttäuschungen, an Verlusten, an Versäumnissen. Davon hält dieses Lied einen Keim der Hoffnung wach.

„Über Gottes Liebe brach die Welt den Stab, wälzte ihren Felsen vor der Liebe Grab. Jesus ist tot. Wie sollte er noch fliehn? Liebe wächst wie Weizen, und ihr Halm ist grün."

Gott selbst scheitert mit seiner Liebe. Sein Sohn Jesus stirbt unschuldig am Kreuz. Die Menschen wollten diese Liebe nicht. Sie haben sie nicht ertragen. Ans Kreuz geschlagen haben sie den, der Gottes Liebe in Person war. Fertig gemacht, zur Strecke gebracht. Einen Felsen vor das Grab gewälzt, ihm den Weg abgeschnitten. Aber die Kraft des Weizenkorns brachte auch diesen Stein ins Rollen. Liebe wächst wie Weizen, und ihr Halm ist grün.

Im Gestein verloren Gottes Samenkorn, unser Herz gefangen in Gestrüpp und Dorn. Hin ging die Nacht, der dritte Tag erschien. Liebe wächst wie Weizen, und ihr Halm ist grün.

Nun sind wir mit dabei, hängen mit drin. Wir sind gar nicht nur Betrachter der Passion Christi, sind nie nur Zuschauer vor den Bildschirmen mit ihren Schreckensnachrichten. Wir sind tief verstrickt in diese Geschichten. Jetzt, in der letzten Strophe, finden wir uns wieder als ein Samenkorn, das ausgestreut wird wie in jenem Gleichnis vom Sämann, der ausging zu säen. Wir finden uns in verschiedenen Lebenssituationen mit unterschiedlichen Ausgangsbedingungen vor. Mal gibt der Ackerboden unseres Lebens mehr, mal weniger her zum Wachsen und Gedeihen, mal schießt es schnell und rasant in die Höhe, mal geht es eher in die Breite, mal halten wir uns gerade so über Wasser. Und dann gibt es auch diese Zeiten, von denen das Lied sagt: „Unser Herz gefangen in Gestrüpp und Dorn."

Da hängen wir fest, kommen nicht von der Stelle, weder vor noch zurück, und jede Bewegung schmerzt. Alle unsere Leidensgeschichten sind hier ins biblische Gleichnis  vom Samenkorn gefasst, das irgendwo hinfällt, wo es nicht aufgehen kann, sich nicht entfalten, nicht seiner Bestimmung entgegenwachsen.

Hin ging die Nacht. Es ist die Nacht, die auf den Karfreitag folgt. In ihr sind viele Passionsgeschichten zu Hause. In ihrem Dunkel sitzen viele Menschen gefangen.

Warum muss es diese Nacht und einen ganzen Karsamstag und noch eine Nacht geben, bevor die ersten Menschen von der Auferstehung erfahren? Warum wird es nicht schneller Ostern? Warum diese drei Tage. Im Glaubensbekenntnis heißt es an dieser Stelle: Hinabgestiegen in das Reich des Todes. Das ist sozusagen die Erklärung aus göttlicher Sicht.

Christus nimmt nicht nur den Tod auf sich, er geht auch durch die Hölle, durchmisst alle denkbaren Schreckenstiefen. Er lotet die Tiefe des Todes aus. Er geht bis in den letzten Winkel der Hölle.

Und auf der menschlichen Seite? Auf der Seite unserer Erfahrung? Da stehen diese drei Tage für all das Ausmaß menschlichen Elends, das ausgehalten sein muss, das sich nicht wegwischen lässt mit ein paar Worten, das sich nicht auf morgen vertrösten lässt. Ja, es gibt Menschen, die im Karsamstag wohnen, viele Tage und Nächte, vielleicht sogar jahrelang. Aber auch ihnen gilt: Der dritte Tag erscheint. Jesus zieht uns mit in das Licht des Ostermorgens, lässt uns teilhaben an seiner Auferstehung, oder wie dieses Lied es nicht müde wird zu sagen: Liebe wächst wie Weizen, und ihr Halm ist grün.

Bleiben Sie behütet.

 

Wilhelm Niedernolte, Eldagsen

Superintendent im Ruhestand

Andacht für die Woche vom 20. bis 26. März 2022 von Pfr.i.R. Jürgen-Peter Lesch

Liebe Leserinnen und Leser,

seit zwei Jahren finden Sie an dieser Stelle wöchentlich wechselnde Andachten. Darin standen im letzten Jahr Gedanken zu den jeweiligen Wochenpsalmen. Von diesem Sonntag an werden Andachten über die jeweiligen Wochenlieder zu lesen sein. Was es mit diesen „Wochenliedern“ auf sich hat, soll zunächst kurz erläutert werden.

Was ein „Wochenlied“ ist, wird in der sogenannten Perikopen-Ordnung festgelegt. Eine überarbeitete Ordnung ist seit Advent 2018 in Gebrauch. Der Begriff Perikope (= Abschnitt) war ursprünglich die Bezeichnung für einen kurzen Textabschnitt aus der Bibel. Heute umfasst der Begriff die biblischen Lesungen und Predigttexte, die für die Gottesdienste an Sonn- und Feiertagen ausgewählt wurden. Durch die Perikopen, zu denen im weiteren Sinn auch die Wochenpsalmen und die Lieder eines Sonntags gehören (Wochenlieder), erhält jeder Sonntag seinen besonderen Charakter. 

Im Laufe eines Kirchenjahres kommen ganz unterschiedliche biblische Texte zu Wort. Die Geschichte Jesu Christi wird zu den großen Festzeiten von Weihnachten und Ostern mit den Vorbereitungszeiten Advent und Passionszeit thematisiert. Im zweiten Teil des Kirchenjahres werden Lebens- und Glaubensthemen der christlichen Gemeinde dargestellt und vertieft. Dabei kommen Texte aus der gesamten Bibel, d.h. aus dem Alten und dem Neuen Testament und neuerdings auch aus den Apokryphen zu Wort. 

Die Lesungen biblischer Texte im Gottesdienst hat eine lange Geschichte. Schon im rabbinischen Judentum wurden Texte aus dem Teil der Bibel, den wir Altes Testament nennen, bei den gottesdienstlichen Feiern in der Synagoge der Reihe nach verlesen. Diese Lesungen von Bibeltexten übernahmen auch erste christlichen Gemeinden. Seit Ende des 3. Jahrhunderts gibt es festgelegte Leseordnungen in den christlichen Kirchen. 

Die einzelnen Perikopen-Texte sind zu „Lektionaren“, also (Vor-)Lesebüchern, zusammengestellt. Die gegenwärtige Auswahl der Texte und die Festlegung, an welchen Tagen sie gelesen werden sollen, erfolgte auf Vorschlag der Arbeitsgruppe Perikopenrevision durch die jeweiligen Kirchenleitungen. In dieser neuen „Ordnung gottesdienstlicher Texte und Lieder“ (OGTL) sind nun statt einem Wochenlied jetzt zwei Lieder genannt. Die beiden Lieder unterscheiden sich in Epochenzugehörigkeit, Stilistik und Ähnlichem deutlich voneinander. Dabei sollen sie mit den Lese- und Predigttexten der jeweiligen Sonn- und Feiertage im Sinne der Konsonanz deutlicher zusammenklingen als bisher. „Gegenüber dem alten, im Kern aus den 1950-er Jahren stammenden Wochenliedplan verraten die Lieder in OGTL einen größeren Modernisierungsschritt als die Texte“ heißt es in der Einführung zur neuen Perikopen-Ordnung. Allein das ist schon ein Grund dafür, in den Andachten nun die Wochenlieder näher zu betrachten.

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Wochenlieder für den Sonntag Okuli, den 3. Sonntag in der Adventszeit

Die beiden Wochenlieder stammen aus unterschiedlichen Zeiten, sie haben verschiedene theologische Hintergründe und Zielsetzungen. 

Das ältere Lied „Jesu, geh voran“ stammt vom Gründer der Herrnhuter Brüdergemeine, Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf. 

Jesu, geh voran / auf der Lebensbahn! / Und wir wollen nicht verweilen,
dir getreulich nachzueilen; / führ uns an der Hand / bis ins Vaterland.
Soll’s uns hart ergehn, / lass uns feste stehn / und auch in den schwersten Tagen
niemals über Lasten klagen; / denn durch Trübsal hier / geht der Weg zu dir.
Rühret eigner Schmerz / irgend unser Herz, / kümmert uns ein fremdes Leiden,
o so gib Geduld zu beiden; / richte unsern Sinn / auf das Ende hin.
Ordne unsern Gang, / Jesu, lebenslang. / Führst du uns durch raue Wege,
gib uns auch die nöt’ge Pflege; /tu uns nach dem Lauf / deine Türe auf.

Zinzendorf hat den Liedtext im Jahr 1725 verfasst. Er geht auf Strophen aus den schon 1721 niedergeschriebenen Morgen-Gedanken und dem Lied Seelenbräutigam, o du Gotteslamm zurück. Von 1716 bis 1719 hatte Zinzendorf in Wittenberg Rechtswissenschaft studiert. Dort hatte er sich offen als „Pietist“ bekannt und sich neben dem Studium mit theologischen Fragen beschäftigt. In den Jahren 1719 bis 1721 hatte er eine zweijährige Reise durch einige deutsche Länder sowie durch die Niederlande und Frankreich unternommen. In Düsseldorf hatte ihn ein Passionsgemälde des italienischen Malers Domenico Feti (1589 – 1624) mit der Bildunterschrift: „Ego pro te haec passus sum. Tu vero, quid fecisti pro me?“ (Ich habe dies für dich gelitten. Was tust du wahrhaftig für mich?) besonders beeindruckt. Möglicherweise spielen die Erfahrungen dieser zweijährigen Reise mit in den Text des Liedes hinein. 

Die Melodie stammt von Adam Drese (1620 – 1701), der ab 1652 Hofkapellmeister in Sachsen-Weimar war. Zinzendorf übernahm sie schon für sein Lied Seelenbräutigam.

Einer ganz anderen Sprache bedient sich das zweite Wochenlied „Kreuz, auf das ich schaue“ von Eckart Bücken aus dem Jahr 1982:

Kreuz, auf das ich schaue, steht als Zeichen da;
der, dem ich vertraue, ist in dir mir nah.
Kreuz, zu dem ich fliehe aus der Dunkelheit;
statt der Angst und Mühe ist nun Hoffnungszeit.
Kreuz, von dem ich gehe in den neuen Tag,
bleib in meiner Nähe, dass ich nicht verzag.

Der Autor (geb. 1943) war zunächst Gemeindehelfer in der kirchlichen Jugendarbeit. Nach einem Studium der Sozialkunde war er lange Jahre Referent für kulturelle Bildung an der Akademie Remscheid und im Amt für Jugendarbeit der Evang. Kirche im Rheinland. Im Jahr 1996 ging er nach Faßberg in der Lüneburger Heide. Dort war er bis 2007 als Diakon und Chorleiter tätig. In seinem Passionslied will Bücken ohne „konservativ-biblische Worthülsen“ (Bücken über seine Texte) wesentliche Schlüsselbegriffe der christlichen Tradition neu zur Entfaltung bringen und so einen Zugang zu christlichen Themen und Inhalten schaffen. Hier soll ohne weitläufige Theologie mit einfachen Worten der Blick auf das Kreuz Christi als Zeichen der Nähe Gottes, als Zeichen der Hoffnung und Zuversicht gerichtet werden. 

Die schlichte Melodie stammt von dem ostdeutschen Kirchenmusiker Lothar Graap (geb. 1933), der lange Jahre das kirchenmusikalische Leben in Cottbus geprägt und viele Kompositionen für den Gottesdienst vorgelegt hat.

Bei allen Unterschieden lassen sich Gemeinsamkeiten zwischen beiden Wochenliedern finden. Dies gilt besonders dann, wenn die Texte in den Zusammenhang mit dem Wochenspruch gestellt werden. Er steht im Evangelium nach Lukas und lautet: „Wer die Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes“ (Lk 9,62). Dieses bekannte Wort von Jesus steht am Ende eines Textabschnitts, in dem es darum geht, sich ganz auf Jesus, sich ganz auf seine Botschaft einzulassen. Es geht um den freien, unverstellten Blick nach vorn. 

Wir wissen, wie schwer es ist, sich von schlechten Erfahrungen, aber auch von eigenen Fehlern und Misserfolgen freizumachen. Wie viel Zeit wir damit verbringen können, über schiefe Worte und missglücktes Handeln nachzudenken. Lebenserfahrung kann hilfreich sein, aber auch ein Klotz am Bein. Im Grunde wissen wir doch, dass es keinen Sinn hat, über den zerbrochenen Milchkrug zu diskutieren und dabei auf die Milchpfütze am Boden vor uns zu starren. Da kommt es zunächst darauf an, einen Lappen oder einen Schwamm zu holen und die Milch aufzuwischen. Und lange darüber nachzudenken, was nun der Grund dafür war, dass der Milchtopf zerbrochen auf dem Boden liegt, hilft auch nicht wirklich weiter. 

Beide Wochenlieder nehmen dagegen das in den Blick, was vor uns liegt. Dabei fordern sie aber nicht einfach zu einem „Kopf hoch, schau nach vorne“ oder gar einem „Kopf hoch, es wird schon nicht so schlimm werden“ auf. Solche Sprüche helfen uns in unserer gegenwärtigen Situation überhaupt nicht weiter. Die Botschaften der Wochenlieder unterscheiden sich davon grundsätzlich, denn sie nennen das Ziel, den Punkt, den Ort, auf den wir schauen können und dürfen. Im Lied von Eckart Bücken wird dieser Punkt ganz klar benannt. Es ist das Kreuz von Jesus, und zwar das leere Kreuz. Das leere Kreuz ist Zeugnis für die Auferstehung von Jesus von Nazareth. Es ist das Zeugnis dafür, dass dem Tod die Macht genommen ist. Und es ist Zeugnis dafür, dass alles, was uns belastet, unsere Fehler und unser Versagen und unsere Schuld uns nicht weiter belasten müssen und können auf unserem weiteren Weg. Wir können immer wieder neu anfangen. Wir können immer wieder neu versuchen, unseren Weg zu finden.

Und wenn es mir doch einmal nicht gelingt, den Blick aus all den Sorgen und Fragen, die mich umgeben, zum Kreuz von Jesus zu heben, helfen mir die Worte von Nikolaus Ludwig von Zinzendorf. Hier wird deutlich, dass es um den nächsten Schritt, die nächsten Meter meines Weges geht. Die nächsten Schritte kann ich tun, auch wenn ich das Ziel einmal aus den Augen verliere. Das kann ich, denn ich habe das Ziel im Herzen. Ob es mir dann gelingt, nicht über Lasten zu klagen, weiß ich nicht. Ich denke, auch die Klage hat ihre Berechtigung. Und manchmal müssen die Angst, der Schmerz, die Sorge und das Leid einfach aus mir herausbrechen können. Doch auch das muss mich nicht zurückwerfen, wenn ich das Kreuz vor Augen oder auch nur im Herzen habe. Und es bleibt mir die Bitte an den auferstandenen Jesus: „Bleib in meiner Nähe, dass ich nicht verzag“.

Dass Sie in den kommenden Tagen und Wochen nicht verzagen, wünsche ich Ihnen sehr,
Jürgen-Peter Lesch

Andacht für die Woche vom 13. bis 19. März 2022 von Sup.i.R. Jürgen Flohr

1 Nach dir, Herr, verlangt mich.
2 Mein Gott, ich hoffe auf dich;
lass mich nicht zuschanden werden,
dass meine Feinde nicht frohlocken über mich.
3 Denn keiner wird zuschanden, der auf dich harret;
aber zuschanden werden die leichtfertigen Verächter.
4 Herr, zeige mir deine Wege
und lehre mich deine Steige!
5 Leite mich in deiner Wahrheit und lehre mich!
Denn du bist der Gott, der mir hilft;
täglich harre ich auf dich.
6 Gedenke, Herr, an deine Barmherzigkeit
und an deine Güte,
die von Ewigkeit her gewesen sind.
7 Gedenke nicht der Sünden meiner Jugend
und meiner Übertretungen,
gedenke aber meiner nach deiner Barmherzigkeit,
Herr, um deiner Güte willen!
8 Der Herr ist gut und gerecht;
darum weist er Sündern den Weg.
9 Er leitet die Elenden recht
und lehrt die Elenden seinen Weg.

Psalm 25, 1 – 9

Liebe Lesende!

Wir lesen in diesem Psalm vom „zuschanden werden“, also vom unterliegen und von „frohlockenden Feinden“ und denken in unseren Tagen unwillkürlich an den Krieg in der Ukraine, der so plötzlich und erschreckend begonnen hat und anscheinend nicht enden will, - furchtbarerweise.  Niemand von uns hat wohl damit gerechnet, dass so etwas im Europa des Jahres 2022 geschehen könnte; desto mehr sind wir deshalb verunsichert und entsetzt.

Der Dichter des 25. Psalms hofft in seiner Notlage auf Gott; er bittet ihn um Wegweisung und Hilfe, um Leitung und Lehre. Er vertraut darauf, dass Gott hilft, dass er barmherzig und gütig ist, dass er auch Sündern einen Weg eröffnet und dass er die Elenden richtig leitet.

Können wir heute und hier dem Psalmisten folgen in seinem Vertrauen und in seiner Hoffnung auf Gott und Gottes Hilfe? Hat es Sinn, Gott um Beistand zu bitten, wenn Bomben fallen und Raketen einschlagen, wenn Menschen fliehen oder gar sterben?
Das sind sehr schwierige Fragen, und die Antwort kann nur jede und jeder von uns für sich persönlich geben. Mir geht es so, dass ich bei allem Entsetzen und in großer Unsicherheit gerade jetzt Gott um Hilfe bitten möchte: Dass er die Mächtigen zur Umkehr und zur Einsicht führen möge, damit sie aufhören mit ihrem bösen Handeln und zurückfinden zum Frieden. Wen sonst sollen wir bitten, dem grausamen Treiben ein Ende zu machen als Gott, den Herrn?
Dass wir daneben den Geflüchteten helfen und die Kriegstreiber in Ihrem schrecklichen Tun behindern, wo wir es können, versteht sich wohl von selbst.

Der Psalmdichter stellt in seinem Vers 3 fest, dass „keiner zuschanden wird, der auf Gott harret“, dass also das Vertrauen auf Gott am Ende doch helfen wird.
Hoffen wir, dass er auch heute recht behält und dass vielleicht auch unsere Gebete und unser Tun nicht umsonst sind in dieser schlimmen Lage und dass das grausige Geschehen in der Ukraine bald ein Ende nimmt.
Halten wir uns trotz und in all dem Schrecklichen an Gott, und erinnern wir ihn mit dem Psalmdichter an seine Barmherzigkeit und an seine Güte, und hoffen wir darauf, dass er die  Kriegsgreuel  beendet. 

Jürgen Flohr  

Andacht für die Woche vom 06. bis 12. März 2022 zu Psalm 97 - Sup.i.R. Christian Klatt

Mit Worten voller Gottvertrauen beginnt der Wochenpsalm am Sonntag Invocavit, dem ersten in der Passionszeit: „Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt, der spricht zu dem Herrn: Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe.“ (V. 1+2) Die poetische, bildreiche Sprache, in der Erinnerungen an das alte Heiligtum im Jerusalemer Tempel anklingen, ist ein schöner Ausdruck für die Gewissheit des Glaubens: Bei Gott bin ich geborgen. Diese Gewissheit wird uns auch in anderen Versen dieses Psalms zugesprochen: „Er wird dich mit seinen Fittichen decken, und Zuflucht wirst du haben unter seinen Flügeln.“ (V. 4) Oder: „Der Herr ist deine Zuversicht, der Höchste ist deine Zuflucht.“ (V. 9) Das sind starke und stärkende Worte. Worte, die uns in diesen aufgewühlten und sorgenvollen Zeiten gut tun. 
(Psalm 91,1-6 +9-12)

Einen naiven, blauäugigen Blick auf die Realitäten des Lebens wird man den Betern dieses Psalms nicht vorwerfen können. Im Gegenteil, Bedrohungen und Gefahren, vor allem durch schwere Krankheit ausgelöst, werden deutlich angesprochen (V. 5+6): „das Grauen der Nacht, die Pfeile, die des Tages fliegen, die Pest, die im Finstern schleicht, die Seuche, die am Mittag Verderben bringt.“ Es fällt nicht schwer, diese Kette schlimmer Ereignisse bis in unsere Gegenwart fortzusetzen: die Corona-Pandemie, die immer noch mit hohen Infektionszahlen unseren Alltag belastet, und neuerdings der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, der nicht nur die Menschen dort, sondern auch den Weltfrieden im ganzen bedroht. „Du musst nicht erschrecken“, heißt es im Wochenpsalm (V. 5). Doch, wir erschrecken über vieles, was ringsum geschieht! Und wenn es in V. 10 heißt: „Es wird dir kein Übel begegnen, und keine Plage wird sich deinem Hause nahen“, dann klingt das fast zu schön, um wahr zu sein.
 
Doch dann endet der Wochenpsalm noch einmal mit einem ebenso tröstlichen wie hoffnungsvollen Bild: „Denn er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen, dass sie dich auf den Händen tragen und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest.“ (V. 11+12) Viele werden bei diesen Worten auch den wunderbaren Chorsatz von Felix Mendelssohn-Bartholdy im Ohr haben. Diese beiden Verse, vor allem der erste Teil, sind schon seit Jahren ein „Renner“ unter den Taufsprüchen. Viele Eltern suchen sich diese Worte aus, weil sie spüren, dass es keine heile Welt ist, in die ihr Kind hineingeboren ist. Sie vertrauen es den „guten Mächten“ Gottes an und bitten ihn um Schutz und Segen für seinen Lebensweg. 
 
Zum Auftakt der Passionszeit ist dieser Psalm aus dem Alten Testament ein guter Begleittext zu dem, was uns im Neuen Testament über das Leiden und Sterben Jesu berichtet wird. An Jesus sehen wir, was es bedeutet, wenn einer allen widrigen Erfahrungen zum Trotz am Gottvertrauen festhält und „unter dem Schirm des Höchsten sitzt und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt.“ So wollen wir ihn mit den Versen des Wochenliedes zu Invocavit bitten:
Ach bleib mit deiner Gnade bei uns, Herr Jesu Christ,
daß uns hinfort nicht schade des bösen Feindes List.
Ach bleib mit deiner Treue bei uns, mein Herr und Gott;
Beständigkeit verleihe, hilf uns aus aller Not.
 
Bleiben Sie behütet und zuversichtlich,
Ihr Christian Klatt

Andacht für die Woche vom 20. bis 26. Februar 2022 - Pfr.i.R. Jürgen-Peter Lesch

HERR, dein Wort bleibt ewiglich, so weit der Himmel reicht;
deine Wahrheit währet für und für. Du hast die Erde fest gegründet, und sie bleibt stehen.
Nach deinen Ordnungen bestehen sie bis heute; denn es muss dir alles dienen.
Wenn dein Gesetz nicht mein Trost gewesen wäre, so wäre ich vergangen in meinem Elend.
Dein Wort ist meinem Munde süßer als Honig.
Dein Wort macht mich klug; darum hasse ich alle falschen Wege.
Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege.Erhalte mich nach deinem Wort, dass ich lebe, und lass mich nicht zuschanden werden in meiner Hoffnung.
(Ps 119,89-92.103-105.116 – Lutherbibel 2017)

Manchmal passiert es mir, dass ich im Internet „nur so“ unterwegs bin. Dabei stieß ich vor kurzer Zeit auf die Frage: „Wie kann ich die Psalmen in einem Monat auswendig lernen?“ Die Antwort, die von sechs Nutzer*innen als „hilfreich“ bewertet wurde, lautete: „Geht es um eine Wette, oder was? Niemand muss alle 150 Psalmen auswendig können. Aber wenn Du es unbedingt willst: Stures Pauken ist die einzige Technik. Fang bei 119 an, das ist der Längste. Wenn Du den schaffst, gehen die anderen leichter … Gruß, q.“

Ob es ein sinnvoller und hilfreicher Weg ist, beim Auswendiglernen mit dem Psalm 119 zu beginnen, bezweifle ich allerdings. Es gibt viele Psalmen, die nicht nur kürzer, sondern auch in ihren Aussagen prägnanter sind. Sie können und sollen in bestimmten Lebenssituationen Erfahrungen von Leid Worte verleihen, Halt und Orientierung geben, Trost spenden und Mut machen. So sind z.B. die Psalmen 22 und 130 eindrückliche Klagelieder („Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ und „Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir.“). Der Psalm 23 dagegen spricht vom unbedingten Vertrauen auf Gott („Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“). Und zum Reformationsfest gehört die schon fast trotzige Vertonung des Psalms 46 durch Martin Luther. Da wird aus dem Psalmtext „Der Herr Zebaoth ist mit uns, der Gott Jakobs ist unser Schutz“ die Liedzeile „Ein feste Burg ist unser Gott, ein‘ gute Wehr und Waffen“. Der Psalm 122 schließlich hat es in Großbritannien zu einer traditionellen Hymne gebracht und wurde zuletzt 2011 bei der Hochzeit der Herzogin und des Herzogs von Cambridge, also von Kate und William, in der Westminster Abbey gespielt.

Zurück zum Psalm 119 und der Frage nach dem Auswendiglernen. Tatsächlich bietet der Psalm trotz seiner Länge eine Hilfe dafür an. Seine 176 Verse sind nach den 22 Buchstaben des hebräischen Alphabets gegliedert. Jeweils acht Verse beginnen mit demselben Buchstaben. In der Übersetzung Luthers ist diese Gleichförmigkeit ein wenig nachgeahmt, wenn drei Verse beginnen mit: „Dein Wort …“. Damit geht leider jedoch etwas von der inhaltlichen Vielfalt des Textes verloren. Zwar ist in allen acht Versen vom „Wort Gottes“ die Rede. Doch im hebräischen Text stehen dafür verschiedene Begriffe. Es beginnt zunächst mit dem „Wort“, daran schließen sich ganz unterschiedliche Bezeichnungen an: Wahrheit, Ordnungen, Gesetze oder Weisungen, Verheißungen, Mahnungen oder Vorschriften und schließlich Zusagen oder Versprechen. 

Diese Vielfalt macht deutlich: Wenn wir das „Wort Gottes“, das uns in der Bibel begegnet, nur als „Gesetz“ verstehen, betonen wir nur einen Aspekt. Wichtig ist, dass das „Wort Gottes“ uns in der gesamten Bibel begegnet, im Alten wie im Neuen Testament. Es wäre ein großer Fehler, darunter im Alten Testament nur ein enges und strenges Gesetz Gottes zu verstehen und im Neuen Testament nur ein Versprechen von einem Leben in der Liebe Gottes, wie sie uns in Jesus begegnet. „Wort Gottes“ ist vielmehr ein Ausdruck für die vorsorglichen und fürsorglichen Ordnungen Gottes. Der Psalmbeter sieht diese Ordnungen in der und durch die Schöpfung des Himmels und der Erde bestätigt. Wir nehmen das in unserem Glaubensbekenntnis auf: „Ich glaube an Gott … den Schöpfer des Himmels und der Erde“. Diese Vorstellung von der ordnenden und bewahrenden Hand Gottes erinnert uns daran, dass das Leben jeder und jedes Einzelnen auf wunderbare Weise eingebettet ist in die vorsorglichen und fürsorglichen Ordnungen Gottes. Das entbindet uns nicht davon, für uns, für andere Menschen, für Tiere und Pflanzen, ja für die gesamte Schöpfung auf unserer Erde Verantwortung zu übernehmen. Das Wort Gottes, die Ordnungen und Gesetze Gottes geben uns einen weiten Rahmen für die Gestaltung unseres Lebens in dieser Verantwortung.

Das Besondere, das Wunderbare daran ist, dass dieses Wort Gottes lebendig geworden ist. Es ist lebendig und leibhaftig geworden in Jesus Christus. Im Johannes-Evangelium lesen wir: „Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.“ (Joh 1,14). Oder anders übersetzt: „Er, das Wort, wurde ein Mensch. Er lebte bei uns, und wir sahen seine Herrlichkeit. Es war die Herrlichkeit, die ihm der Vater gegeben hat – ihm, seinem einzigen Sohn. Er war ganz erfüllt von Gottes Gnade und Wahrheit“. 
Jesus Christus ist das lebendige Wort Gottes. In seiner Botschaft von der Freiheit der Kinder Gottes und in seinem Eintreten für das Leben gegen alle Todesängste und Todessehnsüchte wird die Liebe Gottes zu seiner Schöpfung sichtbar. Darum können wir die Bitte des Psalmbeters um ein erfülltes Leben hier und heute voller Zuversicht sprechen: „Erhalte mich nach deinem Wort, dass ich lebe, und lass mich nicht zuschanden werden in meiner Hoffnung.“
Amen.

Andacht für die Woche vom 13. bis 19. Februar 2022 - Sup.i.R. Wilhelm Niedernolte

Herr, auf dich traue ich, lass mich nimmermehr zuschanden werden,
errette mich durch deine Gerechtigkeit!
Neige deine Ohren zu mir, hilf mir eilends!
Sei mir ein starker Fels und eine Burg, dass du mir helfest!
Du stellst meine Füße auf weiten Raum.
Meine Zeit steht in deinen Händen.
(aus Psalm 31)

Liebe Leserin,
lieber Leser,
der Sänger des Psalms besingt sein Gottvertrauen. Herr, auf dich traue ich. Auch heute leben Menschen von ihrem Gottvertrauen. Ich lebe auch davon. Zwar vertraue ich auch mir selbst, meinen Fähigkeiten und meinen Erfahrungen. Aber damit ich mein Leben bestehen und gestalten kann, brauche ich beides, Gottvertrauen und Selbstvertrauen, wobei ich nicht genau sagen kann, wieviel Gottvetrauen und wieviel Selbstvertrauen dabei zusammenkommen. Für den Psalmsänger ist das Gottvertrauen wie ein starker Fels, wie ein Fels in der Brandung; wie eine Burg, in der er Schutz findet, wenn Gefahr droht.

Doch nicht nur sein Vertrauen steht in Gottes Hand, sondern auch seine Zeit. Meine Zeit steht in deinen Händen sagt er. Der Dichter dieses Psalms formuliert eine Erfahrung, die Menschen auch heute noch machen können und machen müssen: Die Erfahrung der Unverfügbarkeit: Zwar lernen wir, über unsere Zeit und unser Leben zu verfügen, Entscheidungen zu treffen, Verantwortung zu übernehmen – für uns selbst und andere Menschen, Das ist manschmal mühsam, aber unumgänglich, damit wir mit den Dingen, die uns zur Verfügung stehen, angemessen umgehen können.

Und neben dieser Notwendigkeit, über unsere Zeit zu verfügen, steht die Erfahrung der Unverfügbarkeit. Wir haben über den Beginn unseres Lebens nicht verfügt, ebensowenig wie wir über unser Ende verfügen können. Der Psalmdichter wendet sich mit dieser Erfahrung an Gott, wenn er sagt: Meine Zeit steht in deinen Händen, Gott.  Das macht seine Erfahrung nicht weniger beschwerlich, aber er weiß seine Zeit eingebettet in die Zeit Gottes. Daher kommt sein Leben, dahin kehrt es zurück. Dieser Glaube an die Zeit Gottes gibt ihm seine Richtung, seine Orientierung. Die Zeit zwischen Anfang und Ende ist allerdings seine Zeit. Meine Zeit steht auch in meinen Händen - so muss man diesen Vers sinnvoller Weise ergänzen.
Aber nicht nur steht meine Zeit in Gottes Händen, meine Füße stehen auch auf weitem Raum. Du stellst meine Füße auf weiten Raum.  Der weite Raum – was bewirkt er bei Menschen: Neugier, Sehnsucht, Freiheit? Oder Bedrohung, Untergang, verloren gehen?

Für uns als Christen ist entscheidend, dass Gott uns in den weiten Raum gestellt hat: er traut uns zu, dass wir diesen weiten – faszinierenden und erschreckenden  - Raum durchschreiten, aber auch, dass wir unseren Weg vor ihm verantworten müssen. Gott hat uns in den weiten Raum gestellt – gehen müssen wir; und ihm und uns Auskunft und Rechenschaft geben müssen wir , darüber etwa, was wir mit unserem Geld und dem Geld anderer Sinnvolles getan haben, ob wir es genutzt haben, um unser Leben zu genießen und unseren Kindern einen guten Start zu ermöglichen  oder ob wir dazu beigetragen haben, dass die ungerechte Verteilung des Geldes verstärkt wurde.

Du stellst meine Füße auf weiten Raum. Alle unsere Räume sind jedoch noch beengte Räume gegenüber dem weiten Raum, der am Ende unserer Zeit auf uns wartet, von dem Gerhard Tersteegen dichtet:

Ein Tag, der sagt dem andern, mein Leben sei ein Wandern
zur großen Ewigkeit.
O Ewigkeit, so schöne, mein Herz an dich gewöhne,
mein Heim ist nicht in dieser Zeit.

Wird dieser weite Raum faszinierend oder beängstigend sein? Ich weiß es nicht. Aber ich habe Menschen kennen gelernt, die nach einem erfüllten Leben und im Vertrauen auf Gott auch diesen Raum unter die Füße genommen haben. Tersteegen lädt mich mit seinem Lied dazu ein, mein ganzes Leben – alle kleinen und großen Räume, alles Bemerkenswerte und Aufbewahrenswerte, aber auch  das viele Bedeutungslose –  zu verstehen als Unterwegs sein zu diesem Raum, zur großen Ewigkeit. Dadurch wird dieses Leben keineswegs bedeutungslos, aber es hilft mir, mich richtig einzuschätzen, denn: mein Heim, meine Heimat ist nicht in dieser Zeit.

Einstweilen aber ist es doch noch so, und es möge eine Weile auch noch so bleiben. Mein Heim ist noch in dieser Zeit. Vertrauen wir darauf, dass Gott unsere Füße in diesen Raum gestellt hat, in diese Zeit, bei diesen Menschen. Wandern wir aber auch so, dass wir den großen Raum der Ewigkeit nicht verfehlen. Dann werden wir überrascht sein, wie unser Weg verläuft, manchmal geradeaus, manchmal über Umwege, oft auf ausgetretenen Pfaden, manchmal durch völlig unbekanntes Gelände.
 
Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit.
Wilhelm Niedernolte, Sup. i.R.
Eldagsen

Andacht für die Woche vom 31. Oktober - 06. November über das Wochenlied "Nun freut auch lieben Christen g'mein (EG 341) von Pfr. i.R. Jürgen-Peter Lesch

Trost und Auftrag zum Reformationsfest


Liebe Leserin, lieber Leser,


Text und Melodie des Liedes zum Reformationsfest stammen von Martin Luther. Für ihn war es wichtig, dass die frohe Botschaft Gottes nicht nur durch die Predigt, sondern ebenso durch die Musik verkündigt werden sollte. Musik war für ihn ein Geschenk Gottes, das „die Traurigen fröhlich … und die Verzagten herzenhafftig“ macht.


Manchmal möchte ich morgens die Zeitung gar nicht mehr ins Haus holen, sondern gleich zum Altpapier stecken. Fast jeden Morgen werde ich mit Schlagzeilen „begrüßt“, in denen irgendjemand vor irgendetwas warnt. Und ich weiß oft nicht, was ich mit diesen Warnungen anfangen kann. Wenn an einem Gartentor „Warnung vor dem Hunde“ steht, dann weiß ich, was zu tun ist: Entweder das Tor nicht öffnen oder sehr schnell laufen können oder ein Stück Wurst dabeihaben. Oder wenn ich auf der B 217 hinter Hachmühlen vor möglichen Eisplatten auf der Fahrbahn gewarnt werde, dann achte ich sehr genau auf die Außentemperaturanzeige und fahre langsam und vorsichtig, wenn es erforderlich ist. Aber was soll ich tun, wenn vor der Inflation gewarnt wird? Die kann ich nicht beeinflussen. Oder vor der Gefahr, dass Atomwaffen eingesetzt werden? In den USA hat man in den 50-er Jahren in Zeichentrickfilmen mit einer Schildkröte und dem Spruch „Duck and Cover“ (duck dich und schütze dich) eine ziemlich verrückte Verhaltensweise im Falle eines Atombombenabwurfs empfohlen. Aber heute?


Martin Luthers Lied - es ist wohl sein persönlichstes Lied – könnte auch voller Warnungen sein – vor den Folgen der Sünde, vor dem Teufel. Doch es beginnt mit einem Aufruf, sich zu freuen, zu springen und zu singen:


Nun freut euch, liebe Christen g’mein und lasst uns fröhlich springen,
dass wir getrost und all’ in ein mit Lust und Liebe singen,
was Gott an uns gewendet hat und seine süße Wundertat;
gar teu’r hat er’s erworben.


Gottes Zuwendung zu uns Menschen ist der Grund aller Freude. Durch Gottes „Wundertat“ – Gott sendet seinen eigenen Sohn als unseren Retter auf die Erde – hat sich alles geändert.


In den folgenden Strophen entfaltet Luther seine grundlegende theologische Einsicht, die er im Römerbrief zusammengefasst gefunden hat: „So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben“ (Röm 3,28)“. Was wir da lesen und singen, klingt für uns zunächst ziemlich fremd: 

Dem Teufel ich gefangen lag, im Tod war ich verloren,
 mein Sünd mich quälte Nacht und Tag, darin ich war geboren.
 Ich fiel auch immer tiefer drein, es war kein Guts am Leben mein,
 die Sünd hatt’ mich besessen.

Mein guten Werk, die galten nicht, es war mit ihn’ verdorben;
 der frei Will hasste Gotts Gericht, er war zum Gutn erstorben;
 die Angst mich zu verzweifeln trieb, dass nichts denn Sterben bei mir blieb,
 zur Höllen musst ich sinken.

Viele verstehen gar nicht, was Sünde ist. Und schon gar nicht beziehen sie Sünde auf sich selbst. Doch bei aller Fremdheit der Rede von Teufel und Hölle sind dies Erfahrungen, die jeder Mensch machen kann, ja wohl machen muss. Es sind die Zeiten der Sorge und der Verzweiflung. Es läuft nicht so wie erhofft. Unsere Wünsche erfüllen sich nicht. Wir fühlen uns bei all unseren Mühen anderen Mächten, die wir nicht beeinflussen können, ausgeliefert. 
In den nächsten Strophen ist dann die Rede von der Rechtfertigung. 

Da jammert Gott in Ewigkeit mein Elend übermaßen;
 er dacht an sein Barmherzigkeit, er wollt mir helfen lassen;
 er wandt zu mir das Vaterherz, es war bei ihm fürwahr kein Scherz,
 er ließ’s sein Bestes kosten.

Er sprach zu seinem lieben Sohn: „Die Zeit ist hier zu erbarmen;
 fahr hin, meins Herzens werte Kron, und sei das Heil dem Armen
 und hilf ihm aus der Sünden Not, erwürg für ihn den bittern Tod
 und lass ihn mit dir leben.“

Der Sohn dem Vater g’horsam ward, er kam zu mir auf Erden
 von einer Jungfrau rein und zart; er sollt mein Bruder werden.
 Gar heimlich führt er sein Gewalt, er ging in meiner armen G’stalt,
 den Teufel wollt er fangen.

Er sprach zu mir: „Halt dich an mich, es soll dir jetzt gelingen;
 ich geb mich selber ganz für dich, da will ich für dich ringen;
 denn ich bin dein und du bist mein, und wo ich bleib, da sollst du sein,
 uns soll der Feind nicht scheiden.

Die Frage nach der „Rechtfertigung“ vor Gott ist heute für viele Menschen nicht mehr relevant. Umso mehr ist es die Frage der Rechtfertigung voreinander. In „Rechtfertigung“ steckt der Begriff „Recht“. Und der steckt wiederum im Wort „Gerechtigkeit“. Die Frage danach, was gerecht ist, treibt uns um. Gerade in dieser Zeit, in der es um Hilfen für Menschen angesichts steigender Preise und Energiekosten geht. Und in der die Frage gestellt wird, ob es richtig und (ge)recht ist, ein Bürgergeld einzuführen. Menschen können gnadenlos sein, wenn sie einander fragen, ob die Wünsche, Bedürfnisse und Hoffnungen des anderen gerechtfertigt sind. 
Wenn Martin Luther hier beschreibt, dass Gott selbst durch seinen Sohn jeden Menschen rechtfertigt, dann sollte uns das nachdenklich machen. Wenn Gott dies tut, welches Recht haben wir dann, den anderen zu fragen: Aus welchem Grund lebst du eigentlich, wieso gibt es dich eigentlich und vielmehr nicht?

Die letzten drei Verse vergegenwärtigen uns die Geschichte, den Weg Jesu. In jedem Gottesdienst bekennen wir im Glaubensbekenntnis seinen Weg von der Empfängnis und Geburt über Kreuz, Auferstehung und Himmelfahrt hin zu Pfingsten. Das Auffallende und Besondere in diesem Lied ist jedoch, dass es nicht einfach erinnernd auf Vergangenes zurückblickt. Jesu Tod am Kreuz geschieht zu unserer aller Befreiung. Das ist das Angebot des Glaubens.

Am Ende spricht Jesus selbst:

„Vergießen wird er mir mein Blut, dazu mein Leben rauben;
 das leid ich alles dir zugut, das halt mit festem Glauben.
 Den Tod verschlingt das Leben mein, mein Unschuld trägt die Sünde dein,
 da bist du selig worden.

Gen Himmel zu dem Vater mein fahr ich von diesem Leben;
 da will ich sein der Meister dein, den Geist will ich dir geben,
 der dich in Trübnis trösten soll und lehren mich erkennen wohl
 und in der Wahrheit leiten.

Was ich getan hab und gelehrt, das sollst du tun und lehren,
 damit das Reich Gotts werd gemehrt zu Lob und seinen Ehren;
 und hüt dich vor der Menschen Satz, davon verdirbt der edle Schatz:
 das lass ich dir zur Letze.“

Im letzten Satz schaut Martin Luther nochmals zurück auf den Anfang und Ausgangspunkt des Heilswegs. „Und hüt dich vor der Menschen Satz, davon verdirbt der edle Schatz, das lass ich dir zur Letze.“ Das letzte Wort hat „allein der Glaube“, „allein die Gnade“.

Und in dem Zusammenhang gibt es einen Rat von Jesus: „Was ich getan hab und gelehrt, das sollst du tun und lehren, damit das Reich Gotts wird gemehrt zu Lob und seinen Ehren“. Wir sind damit alle angesprochen, das Vertrauen auf Gott zu bezeugen, die Gemeinschaft des Glaubens zu stärken und auf die Gegenwärtigkeit des Reiches Gottes in unserer Mitte zu hoffen.

Ich wünsche Ihnen allen ein fröhliches und zuversichtliches Reformationsfest.


Jürgen Peter Lesch


 


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Das Lied „Nun freut euch, lieben Christen g’mein“ ist Luthers zweites Lied. Er hatte es ursprünglich als „Kontrafaktur“ (Abfassen eines Liedtextes auf eine schon vorhandene Melodie) auf die Melodie des Osterprozessionsliedes „Nun freut euch Frauen unde Mann“ geschrieben, ihm aber kurz darauf die Melodie, die nun im Gesangbuch steht, beigegeben. Die wiederum stammt aus einer Volksweise des 15. Jahrhunderts, einem Liebeslied mit dem Text: „Sie gleicht einem Rosenstock“.


Obwohl Luther es als Sololied konzipiert hatte, fand es bald Eingang in den Gemeindegesang. Um eine solche Kontrafaktur handelt es sich auch bei Martin Luthers bekanntem Weihnachtslied „Vom Himmel hoch, da komm ich her“, bei dem er die Melodie eines bekannten Tanzliedes, das zur Gattung der Kranzlieder gehört, übernimmt.


Jobst Gutknecht publizierte in Nürnberg das sogenannte „Achtliederbuch“ im Jahr 1524, das am Anfang der Geschichte des evangelischen Gesangbuches steht. Luthers Psalmlied „Ach Gott, vom Himmel sieh darein“ sowie sein Osterlied „Nun freut euch, lieben Christen g’mein“ sind hier erstmals abgedruckt.

Andacht für die Woche nach dem 29. September 2024, dem 18. Sonntag nach Trinitatis

 Epheser 5, 15-20
(15)So seht nun sorgfältig darauf, wie ihr euer Leben führt, nicht als unweise, sondern als weise Menschen (16)und kauft die Zeit aus; denn es ist böse Zeit.
(17)Darum werdet nicht unverständig, sondern versteht, was der Wille des Herrn ist.
(18)Und sauft euch nicht voll Wein, woraus ein unordentliches Wesen folgt, sondern lasst euch vom Geist Gottes erfüllen.
(19)Ermuntert einander mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern, singt und spielt dem Herrn in eurem Herzen (20)und  sagt Dank Gott, dem Vater, allezeit für alles, im Namen unseres Herrn Jesus Christus.
(21) Ordnet euch einander unter in der Furcht Christi.
 
Liebe Leserin, lieber Leser,
was kann man aus dieser christlichen Haustafel auf heute übertragen, was nicht, was muss neu und anders verstanden werden?
(18)Und sauft euch nicht voll Wein, woraus ein unordentliches Wesen folgt, sondern lasst euch vom Geist Gottes erfüllen. Ich glaube, das kann man auch heute für Christen gelten lassen, und für alle anderen auch. Das ist ein Satz für einen angemessenen Umgang mit Alkohol. Da steht ja nicht: Ihr dürft gar nicht rauchen oder keinen Tropfen Alkohol trinken, sondern: Christen sollen sich nicht voll saufen mit Wein, sondern in christlicher Freiheit entscheiden, wann es genug ist und dann aufhören.
Weiter heißt es: (19)Ermuntert einander mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern, singt und spielt dem Herrn in eurem Herzen. Das gefällt mir gut, dass wir Christen einander mit Liedern erfreuen und ermutigen sollen, wobei ich zugeben muss, dass nicht jeder christliche Gesang ermutigend und erfreulich ist.
Schließlich heißt es in der Haustafel: (21) Ordnet euch einander unter in der Furcht Christi.
Zum Glück hört hier der Predigttext auf, denn gleich danach lesen wir den Satz: Ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter wie dem Herrn. Das können wir heute doch ernsthaft nicht mehr vertreten. Da sind wir zum Glück weiter als die Christen in Ephesus. Und das tun unsere Frauen zum Glück auch nicht, sich den Männern unter zu ordnen. Paulus sagt dann zwar noch in Richtung der Männer: Ihr Männer, liebt eure Frauen, wie auch Christus die Gemeinde geliebt hat, aber das macht die Sache mit der Unterordnung der Frauen unter die Männer nicht weniger problematisch. Nein, für Männer und Frauen gilt:  Ordnet euch einander unter in der Furcht Christi. Es gibt verschiedene Aufgaben in unseren gemeinden, verschiedene Ämter mit unterschiedlichen Machtbefugnissen, gleichwohl sind alle Christen auf Augenhöhe, weil sie alle denselben Auftrag haben. Das wird in der 4. These der Barmer Theologischen Erklärung, die vor 90 Jahren verabschiedet wurde,  so gesagt: „Die verschiedenen Ämter in der Kirche begründen keine Herrschaft der einen über die anderen, sondern die Ausübung des der ganzen Gemeinde anvertrauten und befohlenen Dienstes.“
Der Zusammenhang dieser Verse ist zum richtigen Verständnis unerlässlich.  Die Überschrift bei Paulus lautet: Leben  in der Liebe und im Licht Christi. Und das ist ein gutes Thema für Christen. Was bedeutet es heute: Leben  in der Liebe und im Licht Christi?  Was bedeutet es heute, dass Christen sich einander unterordnen sollen in der Furcht Christi? Martin Luther hat in seiner Schrift: Von der Freiheit eines Christenmenschen scheinbar einen Gegensatz beschrieben, der aber kein Gegensatz ist, sondern eine Ergänzung:
1. Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan.
 2. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.

Die Freiheit, die wir heute in unserem Land und in Europa erleben, ist auch ein Kind der Christenheit. Luther und andere waren es, die die Menschen aus der Unmündigkeit herausführen wollten. Luther war der Meinung: Um zu Gott kommen zu können, brauchen Christen keine Priester, jeder Christ ist sein eigenen Priester. Christen sind in der Lage, ihren Glauben zu verstehen, darum hat er den kleinen Katechismus für den Hausgebrauch geschrieben. Christen sind in der Lage, den Gottesdienst zu verstehen, darum hat er die Messe in deutscher Sprache eingeführt und die lateinische Messe abgeschafft. Die katholische Kirche ist ihm vierhundert Jahre später darin gefolgt. Luther war der Meinung, jeder halbwegs begabte Mensch kann die Bibel verstehen, nur muss er sie lesen können, darum hat er sie übersetzt und Schulen organisiert, in denen Kinder lesen lernen. Das alles hat zu tun mit der Freiheit eines Christenmenschen,  mit der Freiheit, zu der Christus uns befreit, eine Freiheit, die uns aus falschen Abhängigkeiten heraus führt, aus Abhängigkeiten, die uns daran hindern, Menschen mit aufrechtem Gang zu werden. Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan. Man kann solche Freiheit lernen und erhalten, manchmal ist sie auch gefährdet, aber ohne diese Freiheit eines Christenmenschen bleibt der Glaube weit hinter seinen Möglichkeiten zurück.
Nun gibt es bei uns ein merkwürdiges Verständnis von Freiheit, eins, das ohne den zweiten Satz von Martin Luther vom dienstbaren Knecht auskommen will. Freiheit heißt auf lateinisch: libertas, davon leitet sich das Wort „liberal“ ab, liberale Menschen sind Menschen der Freiheit, mit möglichst wenigen Grenzen, mit möglichst wenigen Gesetzen und Einschränkungen. Der Liberalismus war im 19. Jahrhundert eine der stärksten politischen Bewegungen in unserem Land. Heute sprechen wir vom Neo-Liberalismus und meinen damit, dass die Wirtschaft und insbesondere das Geld keinerlei Beschränkungen unterworfen sein sollen. Das Geld an den Börsen wandert dahin, wo es den meisten Gewinn erzielen kann, heute in Frankfurt, morgen in London und übermorgen in Tokio oder New York. Mit Geld kann man auf Gewinn spekulieren, in aller Freiheit. Man kann sogar darauf spekulieren und Geld damit verdienen, dass die Aktien eines Unternehmens demnächst fallen werden. Diese völlige Freiheit, dieser Irrglaube, der Geldmarkt werde sich selbst regulieren, hat immer wieder zur Katastrophe geführt. Die Aussicht auf schnellen Gewinn hat Menschen gierig gemacht, und die Gier hat den Blick für die Realität verstellt, auch bei Menschen, die es eigentlich besser wissen müssten. Und zwar deswegen, weil sie Luthers 2. Satz nicht berücksichtigt haben: Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan. Inzwischen wissen alle: Börsen und Banken brauchen Kontrolle, auch Einschränkung einer grenzenlosen Freiheit. Vielleicht liegen einige christliche Gruppen nicht ganz falsch, wenn sie fordern und für sich selbst praktizieren, dass man mit Geld kein Geld verdienen darf, dass man also keine Zinsen nehmen darf. Wie das gehen kann, zeigen uns einige islamische Banken, die nach dem Gebot des Propheten keine Zinsen nehmen dürfen und trotzdem existieren. Das ist nicht ganz unkompliziert, aber es funktioniert. Ich finde die Idee nicht unsympathisch, nur zinslose Kredite zu vergeben und die Börsen an eine kürzere Leine zu nehmen.

Das ist die  Hausordnung für Christen in Ephesus vor fast 2000 Jahren. Manches klingt zunächst befremdlich. Bei näherem Hinsehen jedoch ist manches auch ziemlich aktuell, vielleicht sogar hilfreich für unser Leben als Christen.
Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit.
 
Wilhelm Niedernolte, Sup. i.R.
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