Herr, auf dich traue ich, lass mich nimmermehr zuschanden werden,
errette mich durch deine Gerechtigkeit!
Neige deine Ohren zu mir, hilf mir eilends!
Sei mir ein starker Fels und eine Burg, dass du mir helfest!
Du stellst meine Füße auf weiten Raum.
Meine Zeit steht in deinen Händen.
(aus Psalm 31)
Liebe Leserin,
lieber Leser,
der Sänger des Psalms besingt sein Gottvertrauen. Herr, auf dich traue ich. Auch heute leben Menschen von ihrem Gottvertrauen. Ich lebe auch davon. Zwar vertraue ich auch mir selbst, meinen Fähigkeiten und meinen Erfahrungen. Aber damit ich mein Leben bestehen und gestalten kann, brauche ich beides, Gottvertrauen und Selbstvertrauen, wobei ich nicht genau sagen kann, wieviel Gottvetrauen und wieviel Selbstvertrauen dabei zusammenkommen. Für den Psalmsänger ist das Gottvertrauen wie ein starker Fels, wie ein Fels in der Brandung; wie eine Burg, in der er Schutz findet, wenn Gefahr droht.
Doch nicht nur sein Vertrauen steht in Gottes Hand, sondern auch seine Zeit. Meine Zeit steht in deinen Händen sagt er. Der Dichter dieses Psalms formuliert eine Erfahrung, die Menschen auch heute noch machen können und machen müssen: Die Erfahrung der Unverfügbarkeit: Zwar lernen wir, über unsere Zeit und unser Leben zu verfügen, Entscheidungen zu treffen, Verantwortung zu übernehmen – für uns selbst und andere Menschen, Das ist manschmal mühsam, aber unumgänglich, damit wir mit den Dingen, die uns zur Verfügung stehen, angemessen umgehen können.
Und neben dieser Notwendigkeit, über unsere Zeit zu verfügen, steht die Erfahrung der Unverfügbarkeit. Wir haben über den Beginn unseres Lebens nicht verfügt, ebensowenig wie wir über unser Ende verfügen können. Der Psalmdichter wendet sich mit dieser Erfahrung an Gott, wenn er sagt: Meine Zeit steht in deinen Händen, Gott. Das macht seine Erfahrung nicht weniger beschwerlich, aber er weiß seine Zeit eingebettet in die Zeit Gottes. Daher kommt sein Leben, dahin kehrt es zurück. Dieser Glaube an die Zeit Gottes gibt ihm seine Richtung, seine Orientierung. Die Zeit zwischen Anfang und Ende ist allerdings seine Zeit. Meine Zeit steht auch in meinen Händen - so muss man diesen Vers sinnvoller Weise ergänzen.
Aber nicht nur steht meine Zeit in Gottes Händen, meine Füße stehen auch auf weitem Raum. Du stellst meine Füße auf weiten Raum. Der weite Raum – was bewirkt er bei Menschen: Neugier, Sehnsucht, Freiheit? Oder Bedrohung, Untergang, verloren gehen?
Für uns als Christen ist entscheidend, dass Gott uns in den weiten Raum gestellt hat: er traut uns zu, dass wir diesen weiten – faszinierenden und erschreckenden - Raum durchschreiten, aber auch, dass wir unseren Weg vor ihm verantworten müssen. Gott hat uns in den weiten Raum gestellt – gehen müssen wir; und ihm und uns Auskunft und Rechenschaft geben müssen wir , darüber etwa, was wir mit unserem Geld und dem Geld anderer Sinnvolles getan haben, ob wir es genutzt haben, um unser Leben zu genießen und unseren Kindern einen guten Start zu ermöglichen oder ob wir dazu beigetragen haben, dass die ungerechte Verteilung des Geldes verstärkt wurde.
Du stellst meine Füße auf weiten Raum. Alle unsere Räume sind jedoch noch beengte Räume gegenüber dem weiten Raum, der am Ende unserer Zeit auf uns wartet, von dem Gerhard Tersteegen dichtet:
Ein Tag, der sagt dem andern, mein Leben sei ein Wandern
zur großen Ewigkeit.
O Ewigkeit, so schöne, mein Herz an dich gewöhne,
mein Heim ist nicht in dieser Zeit.
Wird dieser weite Raum faszinierend oder beängstigend sein? Ich weiß es nicht. Aber ich habe Menschen kennen gelernt, die nach einem erfüllten Leben und im Vertrauen auf Gott auch diesen Raum unter die Füße genommen haben. Tersteegen lädt mich mit seinem Lied dazu ein, mein ganzes Leben – alle kleinen und großen Räume, alles Bemerkenswerte und Aufbewahrenswerte, aber auch das viele Bedeutungslose – zu verstehen als Unterwegs sein zu diesem Raum, zur großen Ewigkeit. Dadurch wird dieses Leben keineswegs bedeutungslos, aber es hilft mir, mich richtig einzuschätzen, denn: mein Heim, meine Heimat ist nicht in dieser Zeit.
Einstweilen aber ist es doch noch so, und es möge eine Weile auch noch so bleiben. Mein Heim ist noch in dieser Zeit. Vertrauen wir darauf, dass Gott unsere Füße in diesen Raum gestellt hat, in diese Zeit, bei diesen Menschen. Wandern wir aber auch so, dass wir den großen Raum der Ewigkeit nicht verfehlen. Dann werden wir überrascht sein, wie unser Weg verläuft, manchmal geradeaus, manchmal über Umwege, oft auf ausgetretenen Pfaden, manchmal durch völlig unbekanntes Gelände.
Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit.
Wilhelm Niedernolte, Sup. i.R.
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