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Andacht für die Woche vom 12. bis 18. September 2021 - Pfr. i.R. Jürgen-Peter Lesch

Fri, 10 Sep 2021 10:00:23 +0000 von Klaus Fröhlich

© Jürgen-Peter Lesch
Ein Lied für die Pilgerreise. Von Salomo.
Wenn nicht der Herr das Haus baut, nützt es nichts, dass sich die Bauleute anstrengen.
Wenn nicht der Herr die Stadt bewacht, nützt es nichts, dass der Wächter wachsam bleibt.
Es nützt euch nichts, dass ihr früh am Morgen aufsteht und euch erst spät wieder hinsetzt.
Ihr esst doch nur das Brot, für das ihr unermüdlich arbeitet.
Doch seinen Freunden schenkt der Herr einen ruhigen Schlaf.
Psalm 127,1+2 – BasisBibel 2021
Geht man in Springe durch die Fußgängerzone, fallen etliche gut erhaltene und manche restaurierte Fachwerkhäuser ins Auge. Eines davon ist der alte Ratskeller an der Ecke „Zum Oberntor“ / „Sankt-Andreas-Straße“. Lässt man sich ein wenig Zeit und betrachtet die Giebelseite näher, kann man die Inschrift auf dem durchgehenden Balken entziffern. Dort steht – allerdings ohne Leerstellen:

PSALM CXXVII – WO DER HERR DAS HAUS NICT BAWET SO ARBEITEN UMSONST DIE DARAN BAWEN – SO DER HERR DIE STADT NICHT BEHÜTET SO WACHET DER WAECHTER UMBSONST – SOLI DEO GLORIA.

Es handelt sich um eine Übersetzung des ersten Satzes von Psalm 127. Diese Worte sind seit dem 16. Jahrhundert an vielen Häusern zu finden. Wo es nicht genügend Platz gab oder andere Gründe gegen die Langfassung sprachen, verwendete man gerne eine Abkürzung. Die stammt allerdings aus der lateinischen Übersetzung des hebräischen Bibeltextes und lautet: „Nisi Dominus frustra“. Übersetzt heißt das „Wenn nicht der Herr … nützt es nichts“. Die drei lateinischen Worte finden sich nicht nur an Gebäuden. Sie sind auch in etliche Wappen übernommen worden. Beispiele sind die Stadtwappen von Chelsea oder Edinburgh. Dort wird der Spruch so übersetzt: „Without the Lord, [all is] in vain“. Überdies ist der 127. Psalm mehrfach vertont worden, u.a. von Georg Friedrich Händel und Antonio Vivaldi („Nisi Dominus“) sowie von Johann Sebastian Bach („Wo Gott zum Haus nicht gibt sein Gunst“). 

Was hat aber diesen Psalmvers so beliebt gemacht? 

Um das besser zu verstehen, muss man die beiden ersten Verse lesen. Martin Luther übersetzt: „Wenn der HERR nicht das Haus baut, so arbeiten umsonst, die daran bauen. Wenn der HERR nicht die Stadt behütet, so wacht der Wächter umsonst. Es ist umsonst, dass ihr früh aufsteht und hernach lange sitzet und esset euer Brot mit Sorgen; denn seinen Freunden gibt er es im Schlaf.“ 
Der letzte Halbsatz ist zu einem sehr beliebten Sprichwort geworden – doch dazu später mehr. 

In diesen beiden Versen geht es um zwei wichtige Bereiche, die für unser Leben und unser Mit- und Nebeneinander große Bedeutung haben. Da sind die Gebäude, sei es als Wohnung oder als Haus, als Ausbildungs-, Arbeits-, Kult- oder Freizeitstätte. Und da ist die Gemeinde, das Dorf, der Flecken, die Stadt. All das sind Orte, an denen und in denen Menschen zusammen leben, arbeiten und feiern. Und darum geht es: zusammen leben, zusammen arbeiten und zusammen feiern. Häuser, Gebäude sind nicht einfach nur Kästen, die aus Holz, Lehm, Stein, Beton, Stahl oder Glas erbaut werden. Häuser, Gebäude sind dazu da, mit Leben erfüllt zu werden. Ja, mehr noch: Häuser selbst können so etwas wie eine Seele, einen eigenen Charakter haben. Manche Häuser haben eine besondere Ausstrahlung. Sie sagen etwas aus über die Menschen, die sie gebaut haben, und über die Menschen, die in ihnen leben und arbeiten. Gebäude können einladend und abweisend sein. Und sie können für eine Weltanschauung, eine Ideologie oder ein großes Gefühl stehen. 

Das „World Trade Center“, das vor 20 Jahren von skrupel- und mitleidslosen Terroristen angegriffen und zerstört worden ist, war nicht nur ein Gebäude, sondern es stand für eine bestimmte Art, die Welt zu sehen und sie zu gestalten. Deshalb wurde es zum Ziel eines sinnlosen Hasses. Ein ganz anderes Gebäude ist das Taj Mahal, ein Mausoleum, das der muslimische Großmogul Shah Jahan zum Gedenken an seine im Jahre 1631 verstorbene große Liebe Mumtaz Mahal errichten ließ. Das sind nur zwei Beispiele für Bauten, die eine besondere Bedeutung hatten oder haben. Doch wir müssen nicht so weit reisen. Viele Gebäude in unserer Umgebung haben eine eigene Ausstrahlung und erzählen uns Geschichten: alte Fachwerkhäuser, Schulen, Kirchen, Rathäuser, Schlösser und viele andere mehr. 

Im Psalm wird dieser Gedanke aufgenommen. Doch zu den Geschichten der Menschen, ihren Absichten und Zielen kommt nun Gottes Segen hinzu. Der Psalm ermahnt dazu, über das hinauszudenken, was vor Augen ist. Es geht darum, sich der Verantwortung vor Gott bewusst zu werden, sei es im Haus oder in der Gemeinde. Der Architekt eines Hauses soll in seiner Arbeit mehr sehen als nur eine Möglichkeit, Geld zu verdienen. Der Wächter der Stadt soll sein Amt nicht als Job sehen, sondern sich der Verantwortung bewusst sein, die er mit seinem Wächteramt übernimmt. Es gilt, den Blick zu heben und über das Naheliegende hinweg nach vorne zu schauen, sich umzusehen, über den Tellerrand zu schauen und dabei außerdem die Vergangenheit nicht zu vergessen. Der Psalm erinnert uns daran, dass wir Menschen nicht nur uns selbst und anderen gegenüber Verantwortung tragen, sondern darüber hinaus Gott gegenüber verantwortlich sind. 

Wenn wir das nicht im Blick haben, so sagt der Psalmbeter klar und deutlich, ist unser Tun umsonst. Dreimal heißt es „umsonst“. „Frustra“ ist die lateinische Übersetzung. Das kommt im Deutschen im Wort „frustriert“ vor. Wenn wir erkennen müssen, dass all unsere Mühe und all unsere Sorgen nichts gebracht haben, dann werden wir frustriert. Wir müssen einsehen, dass wir uns vergeblich angestrengt haben. Der Psalm macht dies sehr deutlich: „Es nützt euch nichts, dass ihr früh am Morgen aufsteht und euch erst spät wieder hinsetzt. Ihr esst doch nur das Brot, für das ihr unermüdlich arbeitet.“

Das alles ist eigentlich niederschmetternd. Aber dann kommt das tröstende Wort: „Doch seinen Freunden schenkt der Herr einen ruhigen Schlaf“. Hier folgt die BasisBibel der Septuaginta, der griechischen Übersetzung des Alten Testaments. Andere Übersetzungen wie auch die Lutherbibel lauten: „seinen Freunden gibt er es im Schlaf“.

Daraus ist das bekannte Sprichwort geworden: „Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf“. Das wird vielleicht am Wahlabend mancher sagen, wenn seine Erwartungen an den Wahlausgang nicht erfüllt worden sind. „Die Seinen“ – das sind dann die anderen. Warum ausgerechnet sie Erfolg gehabt haben, lässt sich aus Sicht derer, die das Sprichwort gebrauchen, einfach nicht erklären. 

Doch bei den Seinen, den Freundinnen und Freunden Gottes, die ruhig schlafen können, ja denen etwas im Schlaf umsonst gegeben wird, geht es nicht um Gewinner oder Verlierer. Gemeint sind Menschen, die das Leben wie ein Geschenk empfangen können und wissen, dass sie es Gottes Gnade verdanken. Es sind Menschen, die sich ihrer Grenzen wie ihrer Möglichkeiten bewusst sind und im Vertrauen auf Gott das tun und das lassen, was ihnen angemessen ist. Menschen, die im Glauben an Gott und im Vertrauen auf Jesus Christus ihr Leben annehmen können und gestalten wollen. 

Zu einem ruhigen Schlaf mag dann Luthers Abendsegen verhelfen:

„Des Abends, wenn du zu Bett gehst, kannst du dich segnen mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes und sagen:
Das walte Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist! Amen.
Darauf kniend oder stehend das Glaubensbekenntnis und das Vaterunser. 
Willst du, so kannst du dies Gebet dazu sprechen:
Ich danke dir, mein himmlischer Vater, durch Jesus Christus, deinen lieben Sohn, dass du mich diesen Tag gnädiglich behütet hast, und bitte dich, du wollest mir vergeben alle meine Sünde, wo ich Unrecht getan habe, und mich diese Nacht auch gnädiglich behüten. Denn ich befehle mich, meinen Leib und Seele und alles in deine Hände. Dein heiliger Engel sei mit mir, dass der böse Feind keine Macht an mir finde.
Alsdann flugs und fröhlich geschlafen.“

Amen.

Nachtrag 1:

Der Text am Giebelbalken des Ratskellers hat einige Besonderheiten und unterscheidet sich von den üblichen Übersetzungen. So steht dort einmal „NICT“ und „UMSONST“ wird sowohl mit einem „B“ als auch ohne geschrieben. Welche Übersetzung der Hausinschrift zugrunde liegt, habe ich leider nicht feststellen können. Luther übersetzt im Jahr 1545: 

„WO der HERR nicht das Haus bawet, So erbeiten vmb sonst, die dran bawen. 
Wo der HERR nicht die Stad behütet, So wachet der Wechter vmb sonst“.

Nachtrag 2:

Will man den Gedanken weiter fassen, dass Menschen nicht nur vor sich selbst und vor anderen Verantwortung tragen, lässt sich auf das „Böckenförde-Diktum“ verweisen. Der Staatsrechtler und Rechtsphilosoph Ernst-Wolfgang Böckenförde schrieb im Jahr 1967 in seiner Abhandlung „Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation“:

Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist. Als freiheitlicher Staat kann er einerseits nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert. Anderseits kann er diese inneren Regulierungskräfte nicht von sich aus, das heißt mit den Mitteln des Rechtszwanges und autoritativen Gebots zu garantieren suchen, ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben und – auf säkularisierter Ebene – in jenen Totalitätsanspruch zurückzufallen, aus dem er in den konfessionellen Bürgerkriegen herausgeführt hat.“ 

Der Gedanke der weiteren Verantwortung findet sich ebenso in der Präambel des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland:

„Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen,
 von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.

Die Deutschen in den Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen haben in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands vollendet. Damit gilt dieses Grundgesetz für das gesamte Deutsche Volk.“
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