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Andacht für die Woche vom 13. bis 19. Juni 2021 - Pfr. i.R. Jürgen-Peter Lesch

Fri, 11 Jun 2021 11:04:28 +0000 von Klaus Fröhlich

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Herr, deine Güte reicht bis an den Himmel
und deine Wahrheit bis zu den Wolken.
Deine Gerechtigkeit steht fest wie die Berge Gottes,
dein Recht ist so grenzenlos wie die große Flut.
Herr, du hilfst Menschen und Tieren.
Wie kostbar ist doch deine Güte.
Zu dir kommen die Menschenkinder,
im Schatten deiner Flügel finden sie Schutz.
Von den Gaben deines Hauses essen sie sich satt.
Von dem Bach, der zu deiner Freude strömt,
gibst du ihnen reichlich zu trinken.
Denn bei dir ist die Quelle des Lebens.
In deinem Licht sehen wir das Licht.

(Psalm 36, 6-10; BasisBibel)
„Wir können jetzt nur auf Sicht fahren“ ist ein Satz, der in den letzten eineinhalb Jahren immer wieder zu hören war. „Auf Sicht fahren“ heißt, das zu tun, was unmittelbar erforderlich erscheint. Dabei hat „auf Sicht fahren“ sowohl eine räumliche wie eine zeitliche Dimension. Da geht es zum einen darum, welche Schritte in den nächsten Tagen zu tun sind, um niemanden größeren Gefahren auszusetzen. Und es wird zugleich in den Blick genommen, was unmittelbar vor Ort geschehen soll und kann, um Risiken möglichst klein zu halten. Dieses Auf-Sicht-Fahren funktioniert ganz gut. Doch früher oder später wird es Zeit , den Blick zu heben, weiter nach vorne zu schauen und über den Tellerrand zu blicken. Im 36. Psalm wird genau davon gesprochen. Es wird über den eigenen engen Horizont hinausgeblickt. Und es wird zurückgeschaut, um dann den Blick nach vorn zu öffnen.

Diese Verse aus dem Psalm 36 sind ein einziges großes Gotteslob und Bekenntnis zu Gott. Die ersten beiden Sätze sind eine Einladung an uns, den Blick von dem kurzen Stück Weg vor uns zu heben und uns umzuschauen. Zunächst sehen wir den Himmel und die Wolken darin. Die ganze Welt bis hinauf zu den äußersten Weiten des unendlichen Himmels und seiner unfassbaren Wolkenschichten ist erfüllt von Gottes Güte und Wahrheit. Dann geht der Blick in die Ferne – hin zu den Bergen. Gottes Gerechtigkeit gleicht Bergen, die seit Urzeiten fest gegründet stehen. Und weiter führen uns die Worte, hin zu den Tiefen des Meeres, das schon ganz am Anfang der Schöpfung da war. So tief und grenzenlos wie dieses Meer ist Gottes Rechtsspruch.

Mit diesen wenigen Bildern wird skizziert, worauf Menschen ihren Glauben an Gott gründen. Sie glauben, dass Gottes Wirklichkeit die ganze Welt umfasst, alle Räume und Zeiten. Sie ist der dauernde und feste Grund der Welt und des Lebens in ihr. Alles, was auf unserer Erde lebt, und in besonderer Weise auch die Tiere, hat ein Recht auf das Leben, begründet in der Güte und Gerechtigkeit Gottes.

War es am Anfang schon zu erahnen, wird es nun zur Gewissheit. In diesen fünf Versen des Psalms geht es nicht um einen ausschließliche oder sogar ausschließende Beziehung zwischen dem gläubigen Menschen und Gott. Die Perspektive ist viel weiter und offener. Von den Menschenkindern ist hier die Rede, das heißt von allen Menschen, die auf dieser Erde leben – ohne jeden Unterschied. 

Das kann durchaus eine schmerzliche Erkenntnis sein. Der Fromme, der Gute, der Rechtschaffene hat keinen besonderen Anspruch auf Gottes Güte. Sie gilt allen Menschen. Gottes Angebot, bei ihm Zuflucht zu suchen und Schutz zu finden, richtet sich an alle. Gottes Angebot geht noch weiter. Alle Menschenkinder sind eingeladen zu einem Festmahl, bei dem sie am Tisch des Herrn sitzen. Und dort können sie die Fülle aus Gottes unerschöpflicher Quelle genießen: das Wasser des Lebens.

Das kann uns schon verunsichern. Woran können wir uns orientieren, wenn Gott seine Güte und Wahrheit, seine Gerechtigkeit und seinen Rechtsspruch offenbar wahllos und ohne Unterschied für alle Menschen öffnet? Gut, Luther sagt das auch, wenn er im Römerbrief übersetzt: „Sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie vor Gott haben sollen“. Und weiter heißt es: „und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist“ (Röm 3,23-24). 
Es gilt also vor Gott kein „wir hier“ und „die da“. Damit habe ich manchmal Schwierigkeiten - gerade jetzt, in einer Zeit, wo die Emotionen stärker werden. Da würde ich gern wieder „auf Sicht fahren“ und nicht in größeren Dimensionen und Zeiträumen denken. Ganz schlicht sagen: „Die da“ sind eben nicht wie ich. Wie gern hätte ich, hätten wir klarere Verhältnisse, würden uns ein wenig abgrenzen von den anderen. Wo doch vieles so unübersichtlich geworden ist. Nur: Wenn ich den Psalm recht verstehe, sind Aus- und Eingrenzen nicht unsere Sache. So wie der Himmel über uns unbegrenzt ist, so ist Gottes Güte unbegrenzt. Seine Einladung gilt allen Menschenkindern. 

Der letzte Vers kann da eine Hilfe zum Verständnis sein. Er ist eine Einladung an uns alle, uns Gott als der Quelle allen Lebens zuzuwenden und zu versuchen, seinen Blick auf uns, auf uns Menschen besser zu verstehen. Oft denken wir, dass wir schon klar sehen, was ist. Im Lichte Gottes aber können wir sehen, was sein könnte. Wir könnten zumindest erahnen, wer wir sein könnten und wie unsere Gesellschaft und unsere Erde aussehen könnten, wenn wir Gottes Einladungen ernst- und annehmen. 

Amen.
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