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Andacht für die Woche vom 7. bis 13. November2021 - Pfr. i.R. Jürgen-Peter Lesch

Fri, 05 Nov 2021 07:26:04 +0000 von Klaus Fröhlich

Ich will hören, was Gott zu sagen hat.
Der Herr redet vom Frieden.
Er verspricht ihn seinem Volk und seinen Frommen.
Doch sie sollen nicht mehr zurückkehren
zu den Dummheiten der Vergangenheit!
Ja, seine Hilfe ist denen nahe, die zu ihm gehören.
Dann wohnt seine Herrlichkeit wieder in unserem Land:
Güte und Treue finden zueinander.
Gerechtigkeit und Frieden küssen sich.
Treue wächst aus der Erde empor.
Gerechtigkeit scheint vom Himmel herab.
Auch schenkt uns der Herr viel Gutes,
und unser Land gibt seinen Ertrag dazu.
Gerechtigkeit zieht vor ihm her
und bestimmt die Richtung seiner Schritte.

(Psalm 85,9-14 – BasisBibel 2021)
Güte und Treue, Gerechtigkeit und Frieden – in einem einzigen Vers sind vier wichtige Grundlagen für das Zusammenleben der Menschen genannt. Die vier Begriffe stehen nicht einfach nebeneinander, sondern sie gehören zusammen und bedingen einander. Für zwei der vier Grundwerte ist das offensichtlich: Ohne Gerechtigkeit ist kein wahrer, echter und dauerhafter Frieden möglich. Und ohne Frieden kann keine Gerechtigkeit herrschen, kein Recht durchgesetzt werden. Sind Gerechtigkeit und Frieden Grundlagen, auf denen Staaten und die internationale Gemeinschaft beruhen (sollten), so spielen Güte und Treue spielen eher im unmittelbaren Zusammenleben der Menschen eine Rolle.

Doch was in den Worten des Psalms gesagt wird, klingt leider eher utopisch. Nach mehr Gerechtigkeit wird auf allen Ebenen gefragt. Geht es gerecht zu in unserer Gesellschaft, in unserem Staat, in anderen Staaten, auf unserer Erde? Und der Frieden, den viele Menschen nach dem 2. Weltkrieg oder nach dem Ende des Kalten Krieges erhofft und sich herbeigewünscht hatten, wird durch ganz unterschiedliche Kräfte in vielen Gegenden unserer Erde bedroht oder gebrochen. Man könnte also den 85. Psalm beiseitelegen mit einer Bemerkung wie: Schöne Worte, aber die Verhältnisse sind nicht so. 

Nun ist der Psalm in Zeiten entstanden, die ganz und gar nicht friedlich waren und in denen nur sporadisch Gerechtigkeit herrschte. Aber zu Beginn des Psalms, in den Versen 2 bis 4, wird an die entscheidende Tat Gottes erinnert: Gott hat sein Volk, das Volk Israel befreit. Er hat die Israeliten gegen alle Erwartungen und gegen allen Widerstand in ihr Land geführt. Doch dort hat sie nicht das Paradies erwartet. Man konnte sich nicht einfach zurücklehnen und nun Gott „einen lieben Mann“ sein lassen. Denn ein Leben ist auch dann, wenn es unter Gottes Gnade und Güte geführt wird, kein einfaches Leben. Zu diesem Leben gehört die Auseinandersetzung, ja das Ringen mit Gott. Das erleben Menschen immer wieder, seien sie Jüdinnen oder Juden, Christinnen oder Christen. 

Daher steht am Anfang das „Ich will hören, was Gott zu sagen hat“. Am Anfang steht das Hören auf Gottes Wort. Frieden und Gerechtigkeit, Güte und Treue sind in ihm begründet. Gottes Handeln, seine Zuwendung zum Menschen ist eine Bedingung, unter der Frieden und Gerechtigkeit Wirklichkeit werden können. Oder – schlichter gesagt – unter denen unser Leben, das Leben auf der Erde, friedlicher werden kann und mehr Gerechtigkeit herrscht. Leider tritt allerdings immer wieder ein, wovor im Psalm gewarnt wird: Menschen kehren zurück zu den Dummheiten der Vergangenheit. Oder – anders übersetzt – sie verfallen wieder in Torheit. Die Menschen wiederholen Fehler, statt aus ihnen zu lernen. Oft schauen wir zurück, ohne etwas daraus für die Zukunft zu lernen. Dazu passt ein Satz des englischen Dichters Samuel Coleridge: „Aber Leidenschaft und Parteigeist machen unsere Augen blind, und das Licht, das die Erfahrung spendet, ist eine Laterne am Heck, die nur die Wellen hinter uns erleuchtet.“

Vor all den Verheißungen und Zusagen im Psalm steht: „Ich will hören, was Gott zu sagen hat“. So steht es in vielen deutschen Bibelübersetzungen. Auch Martin Luther übersetzt zunächst genauso: „Ich will hören was Gott der Herr redet …“. Aber wenige Jahre später ändert er seine Übersetzung. Und seitdem heißt es in der Lutherbibel: „Könnte ich doch hören, was Gott der Herr redet …“. Vielleicht ist Luther bewusst geworden, dass ein Hören auf Gottes Wort nicht so einfach ist. Dass Gottes Wort übertönt und bei Seite gedrängt wird von all den Worten derer, die meinen, es besser zu wissen. Von denen, die Gottes Wort für veraltet oder wertlos halten. 

Da ist es gut, für einige Zeit die Ohren vor den vieltausendfachen Stimmen um uns herum zu verschließen und die Psalmworte zu hören. Sie weisen uns schon jetzt auf Weihnachten hin – mitten in den dunklen Novembertagen. Es geht in ihnen um eine von Gott verheißene Welt. Die Gerechtigkeit Gottes und die Treue - die Liebe zur Wahrheit - stimmen zusammen. Und Gottes Güte zeigt sich darin, dass Menschen alles Lebensnotwendige bekommen können. All das ist gegründet auf die Gerechtigkeit, die so etwas wie die Leitplanken für das gegenwärtige wie für ein zukünftiges Zusammenleben der Menschen bildet.

Alles nur eine Vision, bestenfalls eine schöne Utopie? Da zitiere ich aus dem Buch Sprüche Salomos, den Proverbia (29,18): „Wo keine Offenbarung ist, wird das Volk wild und wüst; aber wohl dem, der auf das Gesetz achtet!“ oder – wie es die BasisBibel übersetzt - : „Ohne Visionen verkommt ein Volk. Wenn es sich an Gottes Gebote hält, ist es glücklich zu schätzen.“

Amen.
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