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Andacht für die Woche vom 23. bis 29. August 2020 von Jürgen-Peter Lesch (Pfarrer in Ruhe in Springe)

Mon, 31 Aug 2020 08:05:02 +0000 von Klaus Fröhlich

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„Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade.“
(1. Petrusbrief 5,5b – Wochenspruch für den 11. Sonntag nach Trinitatis) 

 Etliche Sätze aus der Bibel sind zu Sprichworten geworden. Viele von Ihnen stammen wie der Wochenspruch ursprünglich aus den Weisheitsbüchern des Alten Testaments. Er steht fast wörtlich schon im Buch der Sprüche Salomos. Im Neuen Testament wird er aber in einen neuen Zusammenhang gestellt. Und so bekommt die Demut im Leben von Christinnen und Christen eine besondere Bedeutung. Doch es stellt sich die Frage, ob ein demütiges Verhalten heute noch sinnvoll und angebracht ist.
Das Wort „Demut“ wird heute selten verwendet. Das ist vielleicht ein Grund dafür, dass es im Duden zwar ausführlich, aber auch ziemlich umständlich erläutert wird. Dort heißt es: Demut ist eine „in der Einsicht in die Notwendigkeit und im Willen zum Hinnehmen der Gegebenheiten begründete Ergebenheit“. Das lässt sich kurz so zusammenfassen: Demut heißt, sich in sein Schicksal zu fügen und keine Fragen zu stellen. Demut heißt auch, sich nicht gegen „die Gegebenheiten“, also das, was unabänderlich ist oder zu sein scheint, aufzulehnen. Damit aber passt die Demut so gar nicht in unser Leben. 

 Und tatsächlich hatte sie schon in der Antike einen schlechten Ruf. Damals gab es das Ideal, „immer der Beste zu sein und alle anderen zu übertreffen“. Die Demut als „unterwürfige Gesinnung“ wurde abgelehnt. Das griechische Wort, das üblicherweise mit „Demut“ übersetzt wird, ist wörtlich die „auf Niedriges gerichtete Gesinnung“. Es meint die „Selbstbescheidung“ oder sogar die „Selbsterniedrigung“. 

 In den ersten christlichen Gemeinden wurde dagegen die Demut als richtige Lebenshaltung gelobt. Und damit handelten sich die Christen massive Kritik und auch Spott ein: „Wer sich erniedrigt, der erniedrigt sich ohne Haltung und Würde, indem er auf seinen Knien im Staube liegt und sich kopfüber aufs Gesicht wirft, in erbärmliche Kleidung gehüllt und sich mit Asche bestreuend.“ 

 Aber wie kam es dazu, dass aus der Untugend „Demut“ eine grundlegende christliche Tugend wurde, die allerdings immer wieder kritisiert und verspottet wird? 

 Der Wochenspruch steht im Zusammenhang mit Ermahnungen an die Leiterinnen und Leiter christlicher Gemeinden. Zwar hatte sich am Ende des 1. Jahrhunderts in den neu entstandenen christlichen Gemeinden Leitungsstrukturen entwickelt, aber das wurde schon damals kritisch gesehen. Das Wort des Wochenspruchs ist zum einen eine Mahnung an jene, die in der Gemeindeleitung Verantwortung tragen. Zum anderen ist es eine Ermahnung an alle Gemeindemitglieder. Und es ist in der damaligen Zeit schon fast eine Provokation, denn auch zur Zeit der Abfassung des 1. Petrusbriefes war die Autonomie, die Selbstbestimmtheit das Ideal für den einzelnen Menschen. 

 Allerdings liegt dieser Kritik ein Missverständnis zugrunde. Demut kann nicht mit Schwachheit oder Feigheit gleichgesetzt werden. Demut war zunächst die Haltung eines gläubigen Menschen Gott und nur Gott gegenüber. Und auch der Hochmut oder Spott richtete sich gegen Gott. Es geht hier also zunächst um das Verhältnis zwischen Gott und Mensch. Gott widersteht den Überheblichen, aber er ist den Demütigen gnädig. Er bestätigt eben nicht einfach jene Herrschaftsansprüche, die sich auf den Willen zur Macht und die Fähigkeit zur Selbstdurchsetzung stützen. Er kann sie nach seinen eigenen Maßstäben durchkreuzen. Gott setzt gegen menschliche Macht und menschlichen Hochmut und wohl auch gegen menschliche Gerechtigkeit seine Gnade. Diese Erkenntnis war so wichtig, dass das Wort aus dem Buch der Sprüche auch im Jakobusbrief zitiert wird (Jak 4,6). Ebenso geht es im Philipperbrief darum, dass „in Demut … einer den andern höher achte als sich selbst“ (Phil 2,2), denn Jesus „erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz“ (Phil 2,8). Das Vorbild ist jetzt Jesus Christus selbst. Er sagt über sich: „denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig“ (Mt 11,29). 

 Durch den Blick auf das Reden und Tun von Jesus Christus wird deutlich, dass demütig sein nicht bedeutet, still alles hinzunehmen und über sich ergehen zu lassen. Demütig sein heißt viel mehr, aktiv zu werden und sich einzumischen. Aber anders, als das heute üblich ist. Es heißt zunächst wohl, anderen Menschen zuhören zu wollen und zu können. Und es bedeutet, sich auf andere einzulassen ohne sich selbst und die eigenen Ideen und Vorstellungen auszublenden. Demütig sein könnte bedeuten, wenigstens zu versuchen, andere Menschen zu verstehen und ernst zu nehmen, auch wenn das manchmal schwerfällt. Es könnte sogar bedeuten, sich in die Lage anderer Menschen zu versetzen und Mitgefühl zu entwickeln. Und schließlich kann demütig sein auch bedeuten, zugeben zu können, dass der andere Recht haben könnte. 

 Demütig sein kann aber auch heißen, sich all den Spöttern zu widersetzen, all denen, die andere verachten und sie herabsetzen. Demütig sein kann bedeuten, sich mit den „Niedrigen“ gegen jene zu stellen, die auf sie herabsehen, ihre Würde verletzen oder sie einfach übersehen, auch weil wir es ihnen und uns zu einfach machen. Demütig sein könnte bedeuten, aufzustehen und sich aller Herrschaft zu widersetzen, die die menschliche Würde verletzt oder gar mit Füßen tritt. 

 Und was heißt dann Demut Gott gegenüber? Demütig Gott gegenüber zu treten bedeutet allerdings nicht, vor Gott zu schweigen. Es heißt nicht, alles fraglos hinzunehmen, was mir in meinem Leben widerfährt. Und es ist kein Grund dafür, meine Angst, meine Fragen und meine Sorgen Gott gegenüber nicht zu äußern. Falsch verstandene Demut sollte nicht dazu führen, das Gespräch mit Gott, das Hadern und das Ringen mit ihm einzustellen. So wie wir uns Gott gegenüber verantwortlich fühlen, so hat auch Gott eine Verantwortung uns gegenüber. Wenn wir es ernst nehmen, dass wir und unsere Kinder in der Taufe Gott anvertraut werden, dann ist damit sozusagen ein gegenseitiger Bund geschlossen. Das kann man natürlich früher oder später ausblenden. Dann hat die Frage nach Gottes Verantwortung für uns keine Grundlage mehr. Doch wird die Taufe als Beginn einer lebendigen und lebenslangen Beziehung zwischen Gott und dem Täufling verstanden, dann muss sozusagen zwangsläufig auch der Mensch danach fragen, wie Gott seine Verantwortung wahrnimmt. 

 Demut Gott gegenüber sollte nicht stumm machen. Ganz im Gegenteil braucht es gerade im Leid, in der Sorge und in Zeiten der Angst und Unsicherheit die intensive Auseinandersetzung mit Gott. In der Bibel füllt die Erzählung über eine solche Auseinandersetzung ein komplettes Buch. Hiob versucht, Gottes Handeln zu verstehen. Er erfährt, dass dieses Handeln sowohl lebensbedrohlich als auch lebensfördernd sein kann. Er erlebt Gottes Umgang mit dem Recht. Das kann nach menschlichen Maßstäben einerseits berechenbar und andererseits willkürlich erscheinen. Es geht in dieser Erzählung um die Grundfragen menschlicher und göttlicher Existenz. Das gesamte Buch Hiob ist eine literarische und theologische Auseinandersetzung über Grundfragen menschlicher und göttlicher Existenz.

 Zurück zum Wochenspruch aus dem ersten Petrusbrief. Bis jetzt habe ich wenig über die Hochmütigen gesagt. Im Buch der Sprüche ist dieses Wort über die Hochmütigen und die Demütigen noch etwas konkreter als in den Zitaten im 1. Petrusbrief und im Jakobusbrief. Im Buch der Sprüche heißt es: „Er (der „HERR“ – Übersetzung des hebräischen Jahwe / JHWH) wird der Spötter spotten, aber den Demütigen wird er Gnade geben“. Die Spötter werden mit ihren eigenen Waffen geschlagen. Gott selbst stellt sich den Hochmütigen entgegen. Er weist sie in die Schranken, ja, er macht sie sogar lächerlich. Das jedenfalls ist eine Hoffnung und ein Versprechen, die sich durch die Bibel vom Alten bis ins Neue Testament ziehen. Mehr ist dazu nicht zu sagen. Die Sache ist erledigt. Um die Hochmütigen und die Spötter geht es nicht. Sie werde nur deshalb erwähnt, weil sie das Gegenteil der Demütigen sind. 
Um die Demütigen geht es Gott. Die Niedrigen, die Verachteten und die Geringen hat er im Blick. Und diejenigen Menschen, die sich darum kümmern. Und dann endet der Abschnitt im 1. Petrusbrief mit einer klaren Aufforderung und einem Versprechen: „Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch“. 
Das griechische Verb, das hier mit „sorgt für“ übersetzt wird, meint noch mehr: Es geht Gott um uns, es liegt Gott an uns, er macht sich Gedanken um uns, er kümmert sich um uns. Das bedeutet nun kein sorgenfreies Leben. Es ist vielmehr die Zusage, dass es Gott um uns geht, ja, dass er sich Gedanken um uns macht. Was könnte in einer unsicheren und sorgenvollen Zeit besser sein?
Amen.
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