© dz.

Andacht für die Woche vom 11. Juli bis 17. Juli - Sup.i.R. Wilhelm Niedernolte

Fri, 09 Jul 2021 09:50:23 +0000 von Klaus Fröhlich

HERR, du erforschest mich und kennest mich.
Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es; du verstehst meine Gedanken von ferne.
Ich gehe oder liege, so bist du um mich und siehst alle meine Wege.
Denn siehe, es ist kein Wort auf meiner Zunge, das du, HERR, nicht alles wüsstest.
Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir.
Diese Erkenntnis ist mir zu wunderbar und zu hoch, ich kann sie nicht begreifen.
Wohin soll ich gehen vor deinem Geist, und wohin soll ich fliehen vor deinem Angesicht?
Führe ich gen Himmel, so bist du da; bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da. Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten.
Spräche ich: Finsternis möge mich decken und Nacht statt Licht um mich sein -,
so wäre auch Finsternis nicht finster bei dir, und die Nacht leuchtete wie der Tag. Finsternis ist wie das Licht. Denn du hast meine Nieren bereitet und hast mich gebildet im Mutterleibe.
Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele.
Aber wie schwer sind für mich, Gott, deine Gedanken! Wie ist ihre Summe so groß!
Wollte ich sie zählen, so wären sie mehr als der Sand: Am Ende bin ich noch immer bei dir.
Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz; prüfe mich und erkenne, wie ich's meine. Und sieh, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege.
Psalm 139
Liebe Leserin, lieber Leser
in diesem Psalm kommt jemand zu Wort, der über das Geheimnis Gottes staunt, 
der um sein Schicksal weiß, der seinem Schöpfer dankt und der sein Gottvertrauen bekräftigt.
 
Zunächst das Staunen über das Geheimnis Gottes. Wie schwer sind für mich deine Gedanken, Gott; wie ist ihre Summe so groß!  Manches, was uns widerfährt, ist schwer verständlich, ist oft nicht einzuordnen in die Logik unseres Denkens oder in unseren Lebenslauf oder in unsere Familiengeschichte. Wenn wir von Katastrophen lesen, haben wir vielleicht plausible Ursachen zur Hand, die Frage nach dem Sinn solcher Katastrophen ist damit noch nicht beantwortet. Aber auch unsere persönlichen Katastrophen entziehen sich oft einer Sinngebung. Können solche Erfahrungen vielleicht dazu dienen, dass wir die Nähe Gottes in besonderer Weise spüren?  Das mag so sein. Gleichzeitig sehe ich, dass man sich als Betroffener, als Leidtragender  lange Zeit sehr schwer tun kann, einen Sinn oder eine Notwendigkeit darin zu erblicken.  Man kann sich an den Schmerz vielleicht gewöhnen und stellt irgendwann keine Fragen mehr, aber eine Antwort hat man damit nicht bekommen. Unser Leben bleibt gelegentlich ein Geheimnis; auch wer an Gott glaubt, für den bleibt auch Gott über gelegentlich ein Geheimnis. Der Psalm sagt: Gott weiß alles über mich: Ob ich sitze oder stehe oder liege – du siehst es; und du kennst meine Gedanken, ehe ich sie ausgesprochen habe. Aber ich? Was weiß ich von dir? Ich weiß: Geheimnisse haben auch ihre Kraft und können stark machen. Die Liebe ist so ein Geheimnis, auch nach vielen Jahren; und wenn sie alles Geheimnisvolle verliert, wenn man die Liebe zwischen zwei Menschen erklären kann, dann hat sie ihre Kraft verloren, dann ist keine Neugier mehr darin, dann hat sie sich aufgelöst. Der Psalm staunt über das Geheimnis Gottes und meint beides: Die Bedrohung für unser Leben und die Kraft für unser Leben.
 
Damit in Verbindung steht das zweite: Der Sänger des Psalms weiß um sein Schicksal, um die Unentrinnbarkeit aus seinem Schicksal, um die Unentrinnbarkeit vor Gott: Wo auch immer ich hingehe oder hinfliehe - ob zum Himmel oder zu den Toten, ob zur Morgenröte oder ans Ende des Meeres – ich entkomme ihm nicht. Wir entkommen offensichtlich unserem Schicksal nicht. Der Psalm sagt: Wir entkommen Gott nicht.  Ist das nun eine beruhigende oder eine bedrückende Erkenntnis? Ich empfinde die Worte des Psalms zunehmend als eine große Entlastung. Mir geht es mit dieser Erkenntnis erheblich besser als ohne sie. Es gibt kein Entrinnen. Also hör auf, wegzulaufen. Stell dich deiner Situation und lass deine Angst los. Sei deinem Schöpfer dankbar, dass du heute lebst. Und wenn sich morgen Probleme ergeben, wird sich morgen eine Lösung finden - morgen, nicht heute. 
 
Damit sind wir bei der dritten Grundhaltung des Psalms: Die Dankbarkeit gegenüber dem Schöpfer. Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin, denn du hast meine Nieren bereitet und hast mich gebildet im Mutterleibe.  Was das äußere Erscheinungsbild von uns Menschen angeht, kann man da durchaus seine Zweifel haben. Es meint das, was in der Schöpfungsgeschichte der Bibel so gesagt wird: Und Gott sah an, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut. Wissenschaftler, die sich mit den Vorgängen und Geheimnissen des Universums beschäftigen, geraten immer noch und immer wieder ins Staunen über das, was sie da sehen, wie der eine Stern stirbt und als Supra Nova noch einmal eine gewaltige Leuchtkraft entwickelt, und wie an anderer Stelle ein neuer Stern geboren wird, indem sich Materie neu zusammenfindet und zu einem neuen Stern verdichtet.  Ich kann aber auch über mich staunen, z.B. darüber, wie oft mein Herz schlägt: 60 mal in der Minute, 3.600 Mal in der Stunde, 86.400 Mal am Tag,  31.(Mio)536.000 Mal im Jahr, und nach 80 Jahren 2.(Milliarden) 522.(Mio)880.000. 
Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin.  – kann auch heißen: Ich danke dir, dass ich in einem Land lebe, in dem es seit über 70 Jahren keinen Krieg gegeben hat, in einem Land, in dem die Menschen – bei allem, was man kritisieren kann und kritisieren muss – so vernünftig geworden sind, ihre Konflikte politisch zu lösen und nicht militärisch.
 
Liebe Gemeinde, so führt der Weg dieses Psalms vom Geheimnis Gottes und des Lebens über die Unentrinnbarkeit Gottes und des Schicksals zur Dankbarkeit gegenüber dem Schöpfer. Wenn wir diesen Weg mitgehen, kann es sein, dass wir uns in dem Bild wiederfinden, das der wohl bekannteste Vers so beschreibt:  Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir.  Von allen Seiten umgeben zu sein, kann lästig werden, kann uns einsperren und unter Kontrolle bringen. Wir brauchen zu unterschiedlichen Lebenszeiten unterschiedliche Lebenskräfte, die sich in unterschiedlichen Bildern beschreiben lassen:  Kinder brauchen Wurzeln, die ihnen Halt und Nahrung geben, Jugendliche brauchen Flügel, die sie tragen und ihnen Freiheit geben. Erwachsene – besonders die, die ihren Zenit überschritten haben – brauchen ein Zuhause, ein Lebensgefühl, in dem sie sich auskennen, Menschen, zu denen sie gehören, die ihre Hände über sie halten, wenn es für sie beschwerlich wird.  
Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir, sagt Gott.
Das ist gut so.
 
Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Zeit
Wilhelm Niedernolte
Superintendent i.R., Eldagsen
Bestätigen

Bist du sicher?