„Aus Gnade seid ihr gerettet durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es.“
Epheserbrief 2,8 – Wochenspruch für den 5. Sonntag nach Trinitatis
Ein Gottesgeschenk
#wirhaltenzusammen, #gemeinsamschaffenwirdas – oder etwas ausführlicher- „Solidarität in Zeiten der Krise“ – so oder ähnlich lesen, hören und sehen wir es zurzeit immer wieder. Zusammenhalt und gemeinsames Handeln haben eine große Bedeutung bekommen. Doch woher kommt die Überzeugung, dass Gemeinschaft so wichtig ist? Wie ernst ist das wirklich gemeint? Und was geschieht, wenn die Gefahr der Covid-19-Pandemie wieder kleiner wird? Um diese Fragen soll es in den folgenden Gedanken gehen.
„Zusammenhalt in Gefahr!“ – das ist ein mehrdeutiger Satz. Sein Sinn ergibt sich erst aus dem Kontext, in dem er gebraucht wird. Ist es eine Feststellung, dass Menschen in einer Gefahr zusammenhalten? Oder bedeutet es, dass der Zusammenhalt zwischen den Menschen in Gefahr ist zu zerbrechen. Wahrscheinlich gilt in der gegenwärtigen Situation beides.
Da gibt es die alte Erfahrung, dass Menschen eine Gefahr, die von außen droht, besser abwehren können, wenn sie zusammenhalten. Das kann ganz wörtlich gemeint sein. Wer erinnert sich nicht an die „Schildkrötenaufstellung“ als militärisch-taktische Formation der Römer – auch wenn zuerst die Illustrationen aus Asterix und Obelix vor dem inneren Auge erscheinen. Das Besondere an dieser Formation war, dass sie nicht nur Schutz vor starkem Beschuss bot. Zusätzlich konnten die Soldaten damit vorrücken gegen die Feinde und deren befestigten Stellungen. Entscheidend war, dass keine Lücke entstand und die Kette aus Menschen nicht zerbrach. Das gemeinsame Vorrücken der „Schildkröte“ ist dabei ganz besonders wichtig – doch davon später.
Und die „Schildkröte“ macht ein Zweites deutlich: Auf die Dauer kann man so nicht leben. Nach einiger Zeit muss man sich aus dem engen Verbund lösen. Es kann nicht nur darum gehen, sich gemeinsam zu verteidigen und in eine einzige Richtung voranzugehen. Die Frage ist nur, wie die Auflösung der „Schildkröte“ vor sich gehen kann. Wenn einige ihre Waffen ablegen und sich davonschleichen, ist das wohl noch nicht problematisch. Aber wenn es immer mehr werden, bricht die Kette auseinander und die Letzten sind den Angriffen von außen schutzlos ausgesetzt. Sie müssen für all jene bezahlen, die sich aus dem Staub gemacht haben.
Nun ist die Situation in der Covid-19-Pandemie eine andere. Nicht nur, dass es etliche unterschiedliche Gruppen gibt, die sich in verschiedene Richtungen bewegen. Auch ein wirkliches Zusammenrücken ist nicht möglich, wenn es ein Abstandsgebot gibt. Am Anfang dachten wir wohl, wir müssten nur Geschlossenheit zeigen, dann würde das Virus nach und nach an Kraft verlieren und die Gefahr immer kleiner werden. Das stimmt und stimmt auch wieder nicht. Die große Abschirmung hat an Bedeutung verloren, weil bei uns das Virus eingedämmt ist. Aber es ist virulent vorhanden und kann jederzeit wieder eine größere Zahl von Menschen infizieren. Unsicherheit und Unberechenbarkeit machen ungeduldig. Es fehlt eine klare Perspektive. Da ist es verständlich, dass Menschen das nicht mehr aushalten und aus den engen Beschränkungen ausbrechen wollen. Dazu kommt, dass dieses Zusammenrücken gegen eine Gefahr geradezu paradox wird, wenn es mit Abstand zueinander geschehen muss. Mit Abstand zusammenhalten – das ist schon ein wenig verrückt.
Nach und nach wird deutlich, dass dieses Zusammenhalten wohl nicht dem Wunsch nach Gemeinschaft entspringt. Es wird vielmehr durch die Gefahr von außen bedingt. Es zeigt sich, dass die gesellschaftlichen Spannungen und sozialen Unterschiede eher größer werden, auch wenn es an vielen Stellen mehr Solidarität gibt als vor der Krise. Eine Gefahr von außen kann zu mehr Zusammenhalt und gemeinschaftlichen Handeln führen. Aber wenn dies nicht zugleich dem Wunsch aller Beteiligten entspricht, dann wird das Gefühl von Zusammengehörigkeit nicht von Dauer sein. Auch das ist eine alte Erfahrung: Eine Gemeinschaft von Menschen, die unter Druck entsteht, zerfällt, wenn dieser Druck nachlässt. Ein erschreckendes Beispiel sind die blutigen Kämpfe, die mit dem politischen Zerfall Jugoslawiens im Jahr 1991 aufflammten. Bis heute sind etliche Konflikte in und zwischen den Staaten, die damals entstanden, nicht endgültig gelöst. Man kann Menschen vielleicht durch Druck von außen dazu bringen, sich als Gemeinschaft zu verhalten. Doch dass sie sich auch als Gemeinschaft verstehen und fühlen, kann dadurch wohl nicht erreicht werden.
Einen ganz anderen Ansatz, Gemeinschaft zu stiften, nennt der Wochenspruch aus dem Epheserbrief. Hier ist ein Geschenk die Grundlage für einträchtiges und gemeinsames Fühlen und Handeln. Der Vers 8 im 2. Kapitel schließt mit einer einfachen Feststellung: „Es ist Gottes Geschenk“.
In den christlichen Gemeinden der zweiten und dritten Generation ging es darum, sich weiterhin als Gemeinschaft zu verstehen. Die Aufbruchstimmung, die es in den neu entstandenen christlichen Gemeinden gab, war vergangen. Dort hatten ja die Apostel noch selbst das Evangelium verkündet. Nun lebte man sozusagen aus zweiter Hand. Und die alten Konflikte drohten wieder stärker aufzubrechen.
Zum einen gab es die Christinnen und Christen, die vom Judentum geprägt waren und sich zum Teil selbst weiterhin als Jüdinnen und Juden sahen. Und es gab die , die von anderen Religionen zum christlichen Glauben gekommen waren. Beide Gruppen sollten nun gleichberechtigt miteinander in einer Gemeinde leben. Zum anderen gab es natürlich weiterhin ärmere und reichere Gemeindeglieder, auch wenn die Ärmeren unterstützt wurden und man sich ganz besonders um Witwen und Waisen kümmerte. Andere Konflikte entstanden um theologische Fragen. Heftig diskutiert wurde z.B. darüber, welche Bedeutung die Taufe hätte. Wurde man erst vom Heiligen Geist erfasst und dann getauft oder wurde man durch und bei der Taufe mit dem Geist begabt?
Auch wollten sich nicht alle Mitglieder auf die Dauer eng an die Gemeinde binden. Andere Religionsgemeinschaften machten gleichfalls attraktive Angebote. Geschäftsleuten erschien es opportun, sich nicht allzu sehr von jenen Partnern abzugrenzen, die nicht viel mit der christlichen Gemeinde anfangen konnten. Und manche Mitglieder kamen nur noch sporadisch und mehr pro forma zu den Gemeindeveranstaltungen. All das und vieles mehr führte zu Spannungen in der Gemeinde.
Diese Konflikte waren wohl besonders in den Gemeinden im westlichen Kleinasien aufgebrochen. An sie richtet sich der Vers aus dem Epheserbrief, der über der heute beginnenden Woche steht:
Denn aus Gnade seid ihr gerettet –
durch den Glauben.
Das verdankt ihr nicht eurer eigenen Kraft,
sondern es ist Gottes Geschenk.
(Übersetzung in der BasisBibel)
Im Brief werden die Mitglieder der christlichen Gemeinde darauf hingewiesen, wie und wodurch sie Christinnen und Christen geworden sind. Sie sollen sich daran erinnern, was bereits geschehen ist. Der erste Satz bringt zwei Begriffe zusammen, von denen der erste fremd und der zweite sehr vertraut klingt. „Gnade“ gehört kaum noch in unseren alltäglichen Wortschatz. Aus der Justiz kennen wir die „Begnadigung“. Dann geht Gnade vor Recht. Und das kann nach unserem Empfinden nicht recht sein. Und dazu kommt: Gnade lässt sich nicht erarbeiten, nicht erwerben und auch nicht einklagen. Sie ist unverfügbar, ein Geschenk. Das macht misstrauisch. Die Gnade soll nun der Grund für die Rettung sein. „Aus Gnade seid ihr gerettet“.
Luther übersetzte hier das griechische Wort noch anders: „Aus Gnade seid ihr selig geworden“. „Selig“ – das ist so ein fremder und unbestimmter Begriff. Doch hier wird es konkret. Es geht um Rettung. Aber haben wir die nötig? Wir dachten jedenfalls, wir hätten unser Leben so ziemlich im Griff. Dabei haben wir wohl aus dem Blick verloren, dass es nicht nur in anderen Ländern, sondern auch in unserer Gesellschaft oft gnadenlos zugeht. Wachsen oder weichen – dieses verhängnisvolle Prinzip gilt nicht nur in der Landwirtschaft. Da braucht man nicht nur gute Fähigkeiten und glückliche Umstände, sondern auch Ellbogen und manchmal gar Skrupellosigkeit, um es zu etwas zu bringen. Und nun müssen wir feststellen, dass vieles doch sehr auf Kante genäht ist. Vieles wurde einer möglichst großen Effizienz untergeordnet. Dabei wurden die Risiken und Gefahren außer Acht gelassen, die durch starke Konzentration und große Abhängigkeiten in der Wirtschaft entstehen. Diese Art zu leben bietet, so müssen wir erkennen, wohl keine sichere Lebensgrundlage.
Der Epheserbrief spricht von Rettung. Rettung aus Unsicherheit und einer heillosen Existenz. Der Retter, der Heiland, ist Jesus Christus. Für den Verfasser des Briefes ist das die Basis, auf der das Leben ruht und von der aus es sich entfalten kann. Möglich war und ist das durch den Glauben an den auferstandenen Christus. Angesichts der Gefahr, die eine menschliche Gemeinschaft zerstören kann, ist es gut, sich an die gemeinsame Lebensgrundlage zu erinnern. Für Christinnen und Christen ist das die bedingungslose Zusage Gottes zur Existenz, zum Leben eines jeden einzelnen Menschen. Für uns als Gesellschaft ist es die Anerkennung der Würde eines jeden einzelnen Menschen. Beides hält uns zusammen. Darum ist es zu schützen, zu bewahren und gegen alle Einwände und Einschränkungen zu verteidigen. Ganz konkret: Wenn der Versuch, der Covid-19-Pandemie zu widerstehen, vom eigenen Willen getragen ist, von uns selbst und von innen heraus gewollt, dann kann auch in der allgemeinen Unsicherheit jeder Schritt überlegt und verantwortet geschehen. Auf dieser Grundlage eigene Entscheidungen zu treffen ist allerdings schwieriger, als sich entweder stur an Verordnungen und Anweisungen zu halten oder auch dagegen einfach nur zu protestieren.
Der Epheserbrief betont die Freiheit, die aus dieser Rettung, dem Geschenk Gottes entsteht. Dort heißt es in Vers 10 – und dabei schließt sich der Briefschreiber mit ein:
Denn wir sind Gottes Werk.
Aufgrund unserer Zugehörigkeit zu Christus Jesus
hat er uns so geschaffen, dass wir nun das Gute tun.
Gott selbst hat es im Voraus für uns bereitgestellt,
damit wir unser Leben entsprechend führen können.
(Übersetzung in der BasisBibel)
Da wird es noch einmal deutlich: Dass wir Christinnen und Christen sind, ist Gottes Werk. Gottes Werk und Geschenk ist es, dass wir berufen sind zu der Freiheit der Töchter und Söhne Gottes. Niemand muss seine Existenz, sein Dasein und sein Sosein rechtfertigen. Nicht voreinander und nicht vor sich selbst. Und das macht uns frei dazu, füreinander einzustehen und uns den Gefahren und Sorgen entgegenzustellen. Damit werden die Probleme nicht kleiner, und die Ängste verschwinden nicht einfach. Doch wir müssen uns nicht verschanzen oder Ausflüchte suchen, sondern können uns frei und offen mit beiden auseinandersetzen. Was wir tun, kann jetzt unter und mit dem Segen Gottes geschehen und wird nicht vergeblich sein. Denn aus Gnade sind wir gerettet durch den Glauben an Jesus Christus.
Amen