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Andacht für die Woche vom 28. November bis 04. Dezember 2021 - Pfr. i.R. Jürgen-Peter Lesch

Fri, 26 Nov 2021 07:24:22 +0000 von Klaus Fröhlich

Die Erde ist des Herrn und was darinnen ist,
der Erdkreis und die darauf wohnen.
Denn er hat ihn über den Meeren gegründet
und über den Wassern bereitet.
Wer darf auf des Herrn Berg gehen,
und wer darf stehen an seiner heiligen Stätte?
Wer unschuldige Hände hat und reinen Herzens ist,
wer nicht bedacht ist auf Lüge 
und nicht schwört zum Trug:
Der wird den Segen vom Herrn empfangen
und Gerechtigkeit von dem Gott seines Heils.
Das ist das Geschlecht, das nach ihm fragt,
das da sucht dein Antlitz, Gott Jakobs.
Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch,
dass der König der Ehre einziehe!
Wer ist der König der Ehre?
Es ist der Herr, stark und mächtig, der Herr, mächtig im Streit.
Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch,
dass der König der Ehre einziehe!
Wer ist der König der Ehre?
Es ist der Herr Zebaoth; er ist der König der Ehre.

(Psalm 24 – Lutherbibel 2017)
Wer sich am Hauptbahnhof in Hannover mit anderen Menschen treffen will, verabredet sich „unterm Schwanz“. Gemeint ist damit ein Treffen an dem Reiterstandbild, das den Landesherrn des ehemaligen Königreichs Hannover, König Ernst August, hoch zu Pferde darstellt. Könige und Kaiser ließen sich seit der Antike gerne als Reiter darstellen. Solche Standbilder sollen an prunkvolle Aufzüge zu Beginn ihrer Herrschaft erinnern. Bei dieser Gelegenheit konnten die Herrscher ihre Macht demonstrieren und den zustimmenden Jubel der Menschen genießen. Allerdings steckten hinter diesem Jubel auch viele Erwartungen an den neuen Herrscher. Und oft wurden schon nach kurzer Zeit etliche dieser Erwartungen enttäuscht und Hoffnungen zerschlagen. 

In unserer Demokratie gibt es solche herrschaftlichen Auf- und Umzüge der neu gewählten Regierenden nicht mehr. Doch die Erwartungshaltung ist geblieben. Ja, sie ist noch größer als zu monarchischen Zeiten. Gab es damals doch keine Wahlversprechen von Königen und Kaisern, an denen sie sich messen lassen mussten. Das ist heute anders. Die Erwartungen sind viel größer und zum Teil auch radikaler. Das hatte sich besonders nach der Wahl von Barack Obama zum Präsidenten der Vereinigten Staaten im Jahr 2008 gezeigt. Die Erwartungen an ihn waren so vielfältig und so überzogen, dass es gar nicht möglich war, ihnen zu entsprechen. Und der riesengroße Enthusiasmus, der Obama bei der Übernahme der Amtsgeschäfte entgegengebracht worden war, musste zwangsläufig in eine ebenso große Enttäuschung umschlagen.

Von Erwartungen an einen König ist auch im Wochenpsalm die Rede. Die Menschen hoffen auf den „König der Ehre“ oder „König der Herrlichkeit“. Im Unterschied zu weltlichen Herrschern hat dieser König seine Macht schon gezeigt. Dabei hat er sich den Menschen zugewendet. Seine Herrschaft ist lebensspendend und lebenserhaltend. Er ist der Schöpfer der Welt und allen Lebens auf der Erde. Damit hat er bereits gezeigt, dass sich die Menschen auf ihn verlassen können. Er ist kein neuer Herrscher, sondern ein vertrauter.

Auf Jubel ist er nicht angewiesen. Er erwartet ihn auch nicht. Und auch keine prunkvollen Riten, keine aufwändigen Kulte. Das müsste man doch denken: Dass dieser König, der Gott selbst ist, mit einem großen Gottesdienst empfangen wird. Oder mit einem Opferfest. Aber darum geht es nicht. Diesem König geht es darum, dass Menschen sich nicht aneinander und an der Schöpfung schuldig machen. Dass sich Menschen ehrlich machen. Dass sie auf Lüge und Betrug verzichten. Diesen Menschen wird der Segen Gottes zugesprochen. Nicht erst in ferner Zukunft, sondern hier und jetzt in der Begegnung mit Gott. Und dieses Versprechen umfasst das, was Menschen seit jeher ersehen: Gerechtigkeit. Genauer: die Gerechtigkeit Gottes. Die Gerechtigkeit des Gottes, der unser Heil, unser Retter sein will. Sie macht den Menschen frei dazu, sich für andere wie für sich selbst einzusetzen und im besten Sinne fürsorglich zu handeln. Diesem König geht es schlicht darum, dass Menschen ihr Tun und Lassen vor ihm, dem Gott Jakobs, aber auch vor sich selbst und den anderen Menschen guten Gewissens verantworten können. 

In diesen Versen des Psalms geht es sozusagen um die kleinen Türen, durch die Menschen zu Gott kommen. Beschrieben wird eine enge, eine geradezu intime Beziehung zwischen Gott, dem Schöpfer, und seinem Geschöpf, den Menschen. Dann weitet sich das Bild. Luther übersetzt den schwierigen Bibeltext zunächst wörtlich. Doch er erkennt, dass diese seine erste Übersetzung kaum verständlich ist. Und so bringt er die Aufforderungen im Text in ein wunderbares Bild: „Macht die Tore weit und die Türen in der Welt hoch“. Ursprünglich geht es in diesem Psalm darum, die Türen des Tempels und die Toren der Stadt aufzutun oder hochzuziehen, damit der „König der Ehre“, der „König der Herrlichkeit“ in die Stadt und in den Tempel einziehen kann. Dahinter steckt allerdings auch eine klare Aufforderung an die Menschen, die den Herrn Zebaoth erwarten. Macht die Türen und die Tore auf! Schaut hinaus und schaut euch um! Verbarrikadiert euch nicht hinter dem: Es war immer schon so und es wird immer so bleiben. Damit Gott, der König der Ehre, der Herr der göttlichen Heerscharen zu uns kommen kann, sollten wir wach und offen sein. 

Das galt auch für die Menschen im judäischen Land, als sie die Nachrichten über Jesus, den Galiläer, hörten. Vermutlich hatten sie den „Herrn, stark und mächtig, mächtig im Streit“ erwartet. Ein mächtiger Herrscher, der alles ändert und für sie zum Besten wendet. Und dann sahen sie, dass der Herr der Heerscharen, der Schöpfer und Bewahrer der Welt, auf einem Esel dahergeritten kam. Dennoch öffneten sie ihre Türen, strömten auf die Straße und jubelten ihm zu. Doch schon sehr bald wendeten sich die meisten von ihm ab – voller Enttäuschung darüber, dass er nicht die Herrschaft übernahm. Ihre Türen schlossen sich wieder und sie hofften weiter auf einen mächtigen Herrscher, der ihnen zum Recht verhelfen würde.

Doch einige von denen, die Jesus gesehen und gehört hatten, hatten etwas Neues erkannt. Sie hatten ihre Augen, Ohren und Herzen weit geöffnet. Sie spürten: Jesus Christus blieb und wirkte weiter unter ihnen. Seine Herrschaft war nicht die eines Mächtigen, sondern das leise, beständige und hoffnungsvolle Verändern der Welt zum Besseren durch sie selbst. Die Christinnen und Christen erkannten, dass es an ihnen lag, die Welt im Sinne der Gerechtigkeit Gottes zu gestalten. Das ging und geht nicht mit und durch Gewalt. Und es braucht dazu keinen großen Herrscher. Das ist eher kontraproduktiv. Denn das Warten auf ihn macht nachlässig und reizt dazu, Verantwortung abzuschieben. Wichtig sind vielmehr offene Augen und Ohren, Herzen und Arme, damit sichtbar wird, was Jesus Christus uns zugesagt hat: „das Reich Gottes ist mitten unter euch“ (Lk 17,21).

Amen.
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