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Andacht für die Woche vom 26. Dezember 2021 bis 01. Januar 2022 - Pfr.i.R. Jürgen-Peter Lesch

Thu, 23 Dec 2021 08:52:19 +0000 von Klaus Fröhlich

Im Anfang war das Wort, 
und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. 
Dasselbe war im Anfang bei Gott. 
Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, 
und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist.
In ihm war das Leben, 
und das Leben war das Licht der Menschen.
Und das Licht scheint in der Finsternis, 
und die Finsternis hat's nicht ergriffen.
Das war das wahre Licht, 
das alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen. 
Es war in der Welt, und die Welt ist durch dasselbe gemacht; 
und die Welt erkannte es nicht. 
Er kam in sein Eigentum; 
und die Seinen nahmen ihn nicht auf.
Wie viele ihn aber aufnahmen, 
denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden: 
denen, die an seinen Namen glauben, 
die nicht aus menschlichem Geblüt noch aus dem Willen des Fleisches 
noch aus dem Willen eines Mannes, 
sondern aus Gott geboren sind.
Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, 
und wir sahen seine Herrlichkeit,
eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, 
voller Gnade und Wahrheit. 

(Joh 1,1—5.9-14 – Lutherbibel 2017)
Wer den Anfang des Johannesevangeliums liest, denkt zunächst einmal nicht an Weihnachten. Da steht nichts von einem neugeborenen Kind, nichts von Maria und Josef und nichts von Engeln, Hirten oder Weisen aus dem Morgenland. Und doch ist dieser Text eine Weihnachtsgeschichte. In diesen ersten Worten des Evangeliums geht es wie in den Weihnachtsgeschichten bei Matthäus und Lukas um das Erscheinen Gottes in Gestalt seines Sohnes in dieser Welt. Es geht um die Geburt Jesu.

Doch Johannes geht weiter zurück. Die ersten beiden Worte erinnern an den Anfang der Schöpfungsgeschichte in der Bibel. Das erste Buch Mose, die Genesis, beginnt mit den Worten: „Am Anfang …“. Aber Johannes geht noch viel weiter zurück. Seine Weihnachtsgeschichte beginnt vor aller Zeit. Es ist nicht vom Anfang der Schöpfung die Rede, sondern vom absoluten Anfang. Und in diesem absoluten Anfang vor aller Schöpfung war schon das gegenwärtig, was Johannes „den Logos“ nennt und was hier in der Bibel durch „das Wort“ übersetzt wird. Durch das Wort wird alles geschaffen, was geschaffen ist. Und da sind wir wieder bei der Schöpfungsgeschichte. Dort wird das Wort zum ersten Mal wirksam. Gott erschafft die Welt fast ausschließlich durch sein Wort. In der Schöpfungsgeschichte heißt es elfmal „Und Gott sprach …“. Und auf Gottes Wort hin entsteht aus dem Tohuwabohu – die hebräischen Worte, die Luther mit „wüst und leer“ übersetzt – die Welt. 

Vor dieser Schöpfung – schon „im Anfang“ – existiert der Sohn Gottes als „Wort Gottes“, lange bevor er als Jesus, der Sohn Marias, zur Welt kommt. Wenn Jesus als das „Wort Gottes“ bezeichnet wird, dann bedeutet das: In Jesus offenbart sich Gott den Menschen. In und durch Jesus spricht Gott selbst zu ihnen. 

Martin Luther nimmt in seinem Weihnachtslied „Gelobet seist du, Jesu Christ“ diesen Gedanken auf, wenn er dichtet: 

„Den aller Welt Kreis nie beschloss,
der liegt in Marien Schoß;
er ist ein Kindlein worden klein,
der alle Ding erhält allein.
Kyrieleis.“

Mit der Geburt von Jesus erscheint ein Licht in der Finsternis. Johannes nimmt die Verheißung aus dem Buch des Propheten Jesaja auf: „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell“. Doch auch hier denkt Johannes in anderen Dimensionen. Er geht über das hinaus, was bei Jesaja verheißen ist. Dieses Licht leuchtet jetzt für alle Menschen, nicht nur für ein Volk. Die Botschaft Gottes, die mit seinem Sohn Jesus in die Welt gekommen ist, richtet sich an alle Menschen. Die ganze Welt existiert immer schon im Licht der Gnade Gottes, die im Wirken von Jesus jetzt deutlich wird. Das Licht des Lebens ist für alle da. Jesus ist „in alle Welt“ gesendet und seine heilsame Botschaft soll „in aller Welt“ wirken. 

Doch weiterhin gibt es die Finsternis – nicht nur in der Welt, sondern auch in unserem Leben. Da ist die schwere Krankheit, die uns selbst oder einen lieben Menschen erfasst hat. Der Tod eines nahen oder fernen Verwandten, einer lieben Freundin oder eines guten Freundes – zu früh. Und selbst dann, wenn der Tod im hohen Alter kommt, reißt er eine schmerzhafte Lücke. Da ist die Sorge um die Familie. Die Unsicherheit über den Arbeitsplatz. Der bedrückte Gedanke am Morgen, ob ich all das schaffen werde, was andere von mir erwarten oder was ich selbst mir vorgenommen habe. Dazu kommt die Finsternis in vielen anderen Bereichen. Da sind die Menschen, die alles und jeden ihren eigenen Interessen unterordnen. Die nicht wissen wollen, dass jedem Gewinn ein Verlust gegenübersteht. Und es gibt die Naturkatastrophen. In diesem Jahr haben wir sie in unserem Land erleben müssen. Dazu kommen die natürlichen und zum Teil auch durch Menschen mit verursachten Katastrophen in aller Welt: ein Vulkanausbruch auf La Palma; Feuersbrünste, Wirbelstürme und Überflutungen in vielen Ländern unserer Erde. Dann die Kriege. Uns war und ist der Krieg in Afghanistan ganz nah. Wir haben die Bilder vom Flughafen in Kabul noch vor Augen. Es sind Kriege, die keine Gewinner, sondern nur Verlierer haben. Man könnte verzweifeln – oder man könnte hoffen. Es lässt uns zum Beispiel die Hilfsbereitschaft und Solidarität hoffen, die Menschen nach der Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und in Nordrhein-Westfalen gezeigt haben. Ein Licht in der Finsternis kann auch eine Schaufel sein, die ein Helfer in die Hand nimmt. Oder ein Paket mit Spielsachen. Oder ein Installateur, der sich mit seinem Werkzeug auf den Weg in ein zerstörtes Dorf macht. 

Natürlich sind nicht alle Menschen, die überall in der Welt anderen helfen, Christinnen oder Christen. Die christliche Kirche hat die Nächstenliebe nicht gepachtet – ganz sicher nicht. Doch Christinnen und Christen wissen etwas über die Schwachheit und Ohnmacht des Menschen, seine Hinfälligkeit und Vergänglichkeit. Denn Gott selbst ist in Jesus einer von uns Menschen geworden. Johannes schreibt darüber: „Das Wort ward Fleisch“. Das griechische Wort steht hier wie an vielen Stellen im Neuen Testament für den ganzen Menschen, den Menschen mit Leib und Seele. Das Wort Gottes wird in Jesus Mensch. In Jesus teilt Gott das Schicksal der Menschen. Jesus sind Leiden und Schmerzen und auch Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit nicht fremd. Nein, er selbst erfährt und spürt das alles - ein Mensch unter Menschen.

So kommt das Wort, das immer schon Gott war, ganz nah zu mir, dem einzelnen Menschen. Es ist bei mir und meinen Hoffnungen und Wünschen, es ist bei mir in meinen Ängsten und Schmerzen, in meiner Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Das ist das Angebot Gottes an mich: Gott, der vor aller Zeit war, kommt mir in Jesus ganz nah. Im Johannesevangelium wird an dieser Stelle etwas ganz Großes gesagt: Jeder Mensch ist mit allem, was er ist und was ihn ausmacht, verbunden mit dem wunderbaren Geschehen, das mit und durch Gott vor aller Zeit begonnen hat und kein Ende haben wird. Das kann man glauben oder auch nicht. Doch das heißt: Für Gott ist jeder einzelne Mensch wichtig, denn jede und jeder gehört zu dem großen Plan Gottes, einem Plan, der Zeit und Ewigkeit umfasst. 

Das Weihnachtsfest könnte die Zeit und Gelegenheit bieten, diesem Plan, den Gott für mich hat, etwas mehr auf die Spur zu kommen. Und vielleicht entdecken wir dann etwas, das uns jene Worte erschließt, die Johannes voller Überzeugung schreibt: „Wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.“

Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Weihnachtszeit und einen getrosten und zuversichtlichen Übergang in das neue Jahr.

Jürgen-Peter Lesch
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