Die St. Andreas Gemeinde erinnert am heutigen 8. April 2020 an das Kriegsende in Springe und den Tieffliegerangriff auf die Stadt. Dabei sind zahlreiche Schäden an Häusern entstanden und eine hohe Zahl an zivilen Opfern zu beklagen gewesen. Deshalb läuten um 17 Uhr für 20 Minuten die Glocken.
Als am 8. April 1945 die amerikanischen Truppen in Springe einmarschierten, „lag unser Springe im Sonnenschein gebadet“, erinnerte sich Wilma Lanzendorf, eine Springer Bürgerin aus der Echternstraße. Das klingt so wie heute. Und ebenso wie in den aktuellen Coronazeiten wurde das Leben so „normal“ gelebt wie es möglich war.
Damals war schon Wochen zuvor, lange bevor Springe zum Kriegsschauplatz wurde, der Bombenhagel zu hören gewesen. Man habe Kämpfe um die strategischen Weserbrücken vermutet. Zum Schutz vor dem befürchteten Bombardement flüchteten viele Springer Familien in ihre Luftschutzkeller. Ebenso in der Tropfsteinhöhle „Homeisters Loch“ oberhalb des Jagdschlosses im Kleinen Deister suchten einige Zuflucht, auch weil man hier den gefürchteten Bodenkämpfen um Springe entfliehen konnte.
Nach Rückzug aus Hameln wurde Springe Anfang April 1945 als Verteidigungsstützpunkt ausgewählt und mehrere Bataillone dorthin stationiert mit dem Befehl die feindliche Streitmacht aufzuhalten. Eine Panzersperre, errichtet zwischen Ebersberg und Kleinem Deister, blockierte geringfügig den Durchlass durch die Deisterpforte, sodass bei Altenhagen die amerikanische Panzerdivision zunächst gestoppt wurde. Ein Ende des Krieges und eine absolute Niederlage Deutschlands war zu diesem Zeitpunkt gewiss. Doch obwohl dies in den allermeisten Köpfen der Bevölkerung war, traute sich aus Angst vor Erhängen ohne Standgericht fast kein Mensch, was jedem dann gedroht hätte, dies offen auszusprechen.
Statt aus Westen wurde an jenem warmen Sonntagnachmittag gegen die Erwartung vom Osten her geschossen. Zuvor überquerten in den frühen Morgenstunden des 7. Aprils Panzer den Osterwald und landeten in Eldagsen. Am vorherigen Tag wurde diese Querung noch von einem verzweifelten Versuch einer Gruppe Fahnenjunker aufgehalten, welche erst kurz zuvor zu Leutnanten ernannt worden waren und sich deshalb beweisen wollten. Als „Helden“ zogen jene zehn Heranwachsende schwerbewaffnet in einen mehr als aussichtslosen Kampf, aus dem auch keiner lebendig zurückkehrte, gegen eine enorme Übermacht. Es folgte ein Artilleriebeschuss die ganze Nacht über auf die Regionen des Sauparks und Eldagsens, bei dem die Stadt einige Treffer erlitt. Das Wort „Held“ hatte einen peinlichen Charakter, denn es war sinnlos einen kleinen Stoßtrupp ohne panzerbrechende Munition in den sicheren Tod zu schicken. Nachdem aus der Stadt Eldagsen kein Widerstand erfolgte, stellten die Amerikaner gegen 5 Uhr das Feuer ein. In wenigen Minuten beseitigten Räumpanzer die eigentlich wertlosen Panzersperren, bestehend aus einzelnen Baumstämmen, in den Serpentinen bei Holzmühle und standen kurz darauf in der Coppenbrügger Straße in Eldagsen. Durch einen marginalen deutschen Fliegerangriff von zwei Tieffliegern wurde schließlich die Stromversorgung lahmgelegt, auch die Hauptleitung der Wasserversorgung und die Telefonleitung sowie einige Häuser bekamen Treffer ab. Die gravierenden Schäden erfolgten hier also vor allem verursacht von deutscher Seite.
Einen Tag später, am 8. April, war Springe aus dem kapitulierten Völksen, von Eldagsen und von der Deisterpforte her umstellt. Aus Völksen her fielen die ersten Schüsse, deren Ziele die letzten Stellungen am Ortsrand von Springe waren. Danach setzten sich die Panzer wieder zurück, während noch Markierungsschüsse auf bestimmte Ziele abgefeuert wurden. Gegen 17 Uhr erfolgte ein Tieffliegerangriff auf die markierten Ziele, bei dem Hunderte an Häusern beschädigt oder vollständig zerstört wurden und viele Brände verursachten. Auch dutzende zivile Opfer starben an diesem Tag durch Schüsse der feindlichen amerikanischen Armee. Die ersten Flieger wurden noch von den deutschen Stellungen aus mit Flugabwehrkanonen beschossen, nach und nach verstummte allerdings die Gegenwehr. In einem Artilleriebeschuss drängte auch die Panzerdivision auf die Deisterpforte zu und Kettenpanzer schlugen eine Bresche in die Panzersperre, sodass diese dann alle weiteren Panzer unter schwerem Beschuss überwindeten und auf der Hamelner Straße nach Springe einfuhren. „Die einzig panzerbrechende Munition blieb dabei jedoch aus“, berichtete Oberleutnant Rudolf Bormann, vermutlich auch, um eine weitere Bombardierung der Stadt oder gar ein rachsüchtiges Massaker an der Zivilbevölkerung zu vermeiden. Gegen 18 Uhr erreichten dann Panzer vom Jagdschloss und von der Deisterpforte aus die Kernstadt, wobei jedes Haus in der Hamelner Straße unter Beschuss genommen wurde. Alle Häuser wurden nach übrig gebliebenen deutschen Soldaten durchkämmt, an jeder Straßenkreuzung Panzer postiert. Entdeckte deutsche Soldaten, die sich auch teilweise als Zivilbevölkerung verkleideten, wurden direkt inhaftiert und abgeführt. „Fachwerkhäuser mit Ausluchten wurden ausgesucht und beschlagnahmt, um nach allen Himmelsrichtungen Ausblicke zu haben“, berichtete die Springer Zeitzeugin Huberta Harra. Weiter erzählte sie schon Wochen vorher gebangt und gebetet zu haben, dass nicht die Russen, sondern die Amerikaner Springe zuerst erreichen möchten. Die Amerikaner seien tatsächlich eine einigermaßen rücksichtsvolle Besatzungsmacht gewesen, so gab es kaum Plünderungen von Eigentümern, Wertgegenständen und Lebensmitteln aus deutschen Haushalten. Dagegen seien die befreiten Kriegsgefangenen, Fremdarbeiter und zuletzt auch die hungernde eigene Bevölkerung viel schwieriger gewesen, sodass vor allem die Geschäfte von Lebensmitteln Plünderungen zum Opfer fielen. Monate später wurde die Besatzung durch die Briten abgelöst, die nach der Potsdamer Konferenz am 02. August 1945 die Besatzungsmacht über die nordwestliche Zone Deutschlands erhielten.
„Alles in allem“, so resümiert es Reinhard Lehning, ein Eldagsener Zeitzeuge, „haben wir Glück gehabt“. Gerade die Kinder haben von den Amerikanern alles bekommen.
Moritz Gudsuzian